Oberlandesgericht Hamm:
Urteil vom 22. Juli 2010
Aktenzeichen: I-28 U 237/09

(OLG Hamm: Urteil v. 22.07.2010, Az.: I-28 U 237/09)

Ein deklaratorisches Schuldanerkenntnis einer anwaltlichen Honorarforderung, dem keine anwaltlichen Honorarrechnungen vorausgehen, genügt dem Bestimmtheitserfordernis des § 4 RVG a.F. nur dann, wenn sich anhand konkreter Angaben ergibt, für welche anwaltliche Tätigkeiten des Rechtsanwalts der Mandant das Versprochene zahlen will bzw. welche anwaltlichen Honorarforderungen damit außer Streit gestellt werden sollen.

Vereinbartes und gesetzliches Anwaltshonorar sind nicht verschiedene Streitgegenstände, weil sie auf derselben anwaltlichen Leistung beruhen.

Tenor

Auf die Berufung des Klägers wird das am 25. November 2009 verkündete Urteil der 3. Zivilkammer des Landgerichts Arnberg einschließlich des zugrunde liegenden Verfahrens aufgehoben.

Die Sache wird zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Berufungsverfahrens, einschließlich der vom Beklagten zurückgenommenen Widerklage, an das Landgericht Arnsberg zurückverwiesen.

Gerichtskosten für das Berufungsverfahren werden nicht erhoben.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Gründe

I.

Der Kläger ist Namensgeber einer Rechtsanwaltskanzlei in N. Er beriet den Beklagten mehrere Jahre außergerichtlich. Im Zusammenhang mit der Auflösung eines Bankkontos des Beklagten in der Schweiz gerieten die Parteien in Streit, weil der Beklagte das ihm vom Kläger ausgezahlte Guthaben für zu gering hielt. Der Kläger verlangte daraufhin Anwaltshonorar für außergerichtliche Tätigkeit. Die Klage hat er in erster Linie auf mehrere Urkunden, von ihm sogenannte "Schuldanerkenntnisse", gestützt. In zweiter Instanz macht der Kläger hilfsweise gesetzliche Gebührenansprüche geltend, die er aus 65 Anwaltsmandaten herleitet. Im Einzelnen:

Der Beklagte war 2003 Geschäftsführer mehrerer, zum Teil spanischer Gesellschaften. Außerdem war er an weiteren Gesellschaften beteiligt. Er war Eigentümer von Immobilien in Spanien und Deutschland und hielt Beteiligungen an Immobilienfonds. Der Kläger bearbeitete zahlreiche Mandate für den Beklagten. Zum Teil erteilte der Beklagte die Aufträge im eigenen Namen, zum Teil im Namen seiner Gesellschaften.

Wesentliche Grundlage der Klage ist eine sogenannte "Vergleichsvereinbarung bzgl. Vergütungsansprüche per 15.05.2006" vom 17. Mai 2006, wobei streitig ist, ob die Unterschrift vom Beklagten stammt. Zuvor hatten die Parteien weder Honorarvereinbarungen getroffen noch hatte der Kläger Honorarabrechnungen erteilt. Der vom Kläger entworfene Text der Urkunde lautet im Wesentlichen (Anlage K 1):

"...[Der Beklagte]…, handelnd für sich persönlich wie auch für die Firma …TM und …[der Kläger] …, handelnd für sich selbst wie auch für die Kanzlei [des Klägers] und Kollegen, vereinbaren, dass die per 15.05.2006 aufgelaufenen und anerkannten Vergütungen pauschal auf € 250.000 vergleichen werden [gemeint: verglichen werden].

Der Betrag ist zur Zahlung fällig.

Der Betrag wird seitens …[des Klägers] … widerruflich auf unbestimmte Zeit gestundet.

Im Gegenzug sollen die hier vereinbarten und hiermit (nochmals) anerkannten Ansprüche gesichert werden.

Ibiza, den 17. Mai 2006…"

Mit der Klage hat der Kläger ferner mehrere auf den 31. März 2008 datierte Urkunden vorgelegt, aus denen er Gebührenansprüche herleitet, insbesondere aus einer sogenannten "Bestätigung bzgl. aufgelaufener Vergütungen" vom 31. März 2008 (Anlage K 2). Der Urkundentext lautet im Wesentlichen:

"Hiermit bestätige ich, …[Beklagter] …, handelnd für mich persönlich wie auch für die Firma …[des Beklagten] … dass seitens der Kanzlei [des Klägers] & Kollegen aus anwaltlicher Tätigkeit seit dem 15. Mai 2006 Vergütungsansprüche von mindestens € 40.000 … per 30. März 2008 aufgelaufen sind.

Diese Erfassung ist nicht abschließend.

Ich, handelnd für mich persönlich wie auch für die Firma … [des Beklagten] …, anerkenne die gesamtschuldnerische Haftung, die Richtigkeit dieser Vergütungsansprüche dem Grunde wie der Höhe und nach und insbesondere, dass die Vergütungsansprüche zur Zahlung fällig sind.

Ich bestätige weiterhin, dass die Begleichung dieser Vergütungsansprüche seitens der Kanzlei [des Klägers] & Kollegen bis auf Weiteres gestundet ist.

Unabhängig davon soll die Kanzlei [des Klägers] & Kollegen berechtigt sein, mit ihr etwaig zur Verfügung überlassenen Geldern Beleg führend zu verrechnen und auszugleichen und im Übrigen nach eigenem Ermessen gemäß eingeräumter Vollmachten Sicherheiten zur Besicherung gestundeter und (absehbar) anfallender Vergütungen zu bestellen.

Die Bestellung von Sicherheiten erfolgt zur Besicherung der gewährten Stundung, damit liquide Mittel nicht über Gebühr in Anspruch genommen werden müssen.

Ibiza, den 31. März 2008…"

Ferner hat der Kläger eine "Bestätigung bzgl. geleisteter Auslagen" vom 31. März 2008 vorgelegt, wonach "seitens der Kanzlei … [des Klägers] … per 31. Mai 2008 ein pauschalierter Gesamtbetrag von € 25.000 zu meinen/unseren Gunsten verauslagt ist und dieser Betrag zur Erstattung fällig ist" (K 3). Die Auslagenforderung ist nicht Gegenstand der Berufungsinstanz.

Die mit der Klage erhobene Umsatzsteuerforderung stützt der Kläger auf eine Urkunde mit der Bezeichnung "Bestätigung/ Anerkenntnis/ Bevollmächtigung/ Vergleichsvereinbarung", die ebenfalls vom 31. März 2008 datiert (K 4). Der Text lautet:

"Die Anwaltskanzlei [des Klägers] & Koll, einerseits und ich, …[Beklagter] … andererseits haben uns über die per 15. Mai 2006 aufgelaufenen Vergütungsansprüche der Anwaltskanzlei aus bis dahin für mich und die Firma …[des Beklagten] … geleisteter anwaltlicher Tätigkeit mit Vereinbarung vom 17. Mai 2006 verglichen (vgl. Anlage).

Die Anwaltskanzlei [des Klägers] & Koll. und die von ihr beauftragte Firma U… D… GmbH einerseits und ich, …[Beklagter] …,. haben uns über die im Rahmen des Erwerbs und der Abwicklung der Immobilie E… T2… separat aufgelaufenen Vergütungsansprüche aus Unternehmensberatung, Vermittlung und Betreuung mit Bevollmächtigung vom 26. Mai 2006 auf einen Pauschalbetrag verständigt (vgl. Anlage). Mit Bestätigung vom 26. Mai 2006 habe ich diesen Anspruch dem Streit entzogen.

Des Weiteren habe ich mit Bestätigung vom 17. Mai beziehungsweise 26. Mai 2006 die von der Anwaltskanzlei [des Klägers] & Koll. geleisteten Auslagen bestätigt und zur Auszahlung beziehungsweise zum Einzug freigegeben.

Aufgrund meiner ausdrücklichen Bitte im Nachgang zu den Absprachen vom 15. Mai, 17. Mai und 26. Mai 2006 wurden weder die Vergütungs- und/ oder Erstattungsansprüche der Anwaltskanzlei [des Klägers] & Koll. noch die der Firma V…F… GmbH befriedigt und/oder trotz bestehender Bevollmächtigung von …[dem Kläger] … eingezogen.

Vor vorstehendem Hintergrund bestätige ich hiermit nochmals ausdrücklich die von mir anerkannten Ansprüche beziehungsweise meine diesbezüglichen Verpflichtungen sowie die der von mir vertretenen … SL gegenüber der Anwaltskanzlei [des Klägers] & Koll. und der U… D… GmbH. Die vorgenannten Ansprüche verstehen sich zzgl. gesetzlicher Mehrwertsteuer und sind zur Zahlung fällig.

Für die von der Anwaltskanzlei [des Klägers] & Koll. vom 5. Mai 2006 bis 30. März 2008 erbrachten Leistungen bestätige ich, …[Beklagter] … gegenüber der Anwaltskanzlei [des Klägers] & Kollegen per 31. März 2008 einen Betrag in Höhe von pauschal netto € 40.000 zur Zahlung fällig, zu schulden.

Ibiza, den 31. März 2008…"

Der Prozessbevollmächtigte des Beklagten schrieb den Kläger am 21. November 2008 an, weil der Beklagte den Überblick über die Entwicklung seiner Vermögenswerte verloren habe, insbesondere habe er keine Unterlagen über die Konten bei den Schweizer Banken. Nach weiterem Schriftwechsel forderte der Prozessbevollmächtigte des Beklagten den Kläger mit Schreiben vom 11. Dezember 2008 auf, die Tätigkeit der vergangenen drei Jahre abzurechnen. Mit Schreiben vom 27. März 2009 überreichte der Kläger dem Prozessbevollmächtigten des Beklagten eine mehrseitige Aufstellung, welche Mandate noch nicht abgerechnet seien ("Alle Konten des Mandanten … [Beklagter]…, Stand 27.03.2009"). Als Saldo ist "0.00" angegeben.

Am 24. April 2009 fertigte der Kläger Kostenrechnungen. In erster Instanz hat der Kläger zwei Kostenrechnungen unter diesem Datum zu den Akten gereicht, eine Rechnung betreffend "steuerfreie Auslagen per 31. Mai 2008" in Höhe von 25.000 € netto sowie eine weitere Rechnung betreffend Vergütung vom 15. Mai 2006 bis 31. März 2008 über insgesamt 47.600 € brutto.

In zweiter Instanz legt der Kläger unter dem Datum des 24. April 2009 eine dritte Kostenrechnung vor, und zwar über "Vergütung per 15.05.2006". Den geforderten Betrag beziffert er mit 290.000 € brutto. Der Beklagte behauptet dazu, dass der Kläger diese Rechnung erst jetzt erstellt habe.

Mit Schreiben vom 27. April 2009 legte der Kläger seine Mandate nieder. Ferner widerrief er - nach seinen Angaben - gewährte Stundungen. Er forderte den Beklagten auf, "anliegende Kostennoten" unter Fristsetzung zum 31. Mai 2009 zu begleichen.

Der Kläger hat zunächst Klage im Urkundenprozess erhoben. Er hat einen Zahlungsantrag über 374.850 € nebst Verzugszinsen gestellt:

Anerkenntnis/Vergleich vom 17. Mai 2006 250.000 € Mehrwertsteuer, wobei der Kläger auch für den Zeitraum vor dem 1. Januar 2007 schon 19% ansetzen will 47.500 € Anerkenntnis/Bestätigung vom 31. März 2008 40.000 € 19% Mehrwertsteuer 7.600 € Auslagen gemäß Anerkenntnis/Bestätigung vom 31. März 2008 nebst Mehrwertsteuer [insoweit nicht Gegenstand der Berufung] 25.000 € 4.750 € Erstinstanzliche Hauptforderung 374.850 €

Der Beklagte hat die Vergütungsvereinbarungen als unwirksam erachtet. Er hat sich darauf berufen, dass die formellen Voraussetzungen des § 4 RVG a.F nicht gegeben seien. Ferner hat er Bestimmtheitsmängel geltend gemacht. Außerdem hat er behauptet, dass er dem Kläger 233.086,69 € gezahlt habe, wovon er 133.086,69 € durch Zahlungsbelege untermauern könne. 100.000 € habe er dem Kläger in bar übergeben.

In der mündlichen Verhandlung erster Instanz hat der Beklagte die Echtheit der der Klage zugrunde liegenden Urkunden bestritten. Die Kammer hat darauf hingewiesen, dass der Inhalt der urkundlichen Erklärungen zu unbestimmt sein könne. Der Kläger hat noch in der mündlichen Verhandlung erster Instanz vom Urkundenprozess Abstand genommen und ist in das ordentliche Verfahren übergegangen; ferner hat er eine Schriftsatzfrist beantragt.

Das Landgericht hat die Klage durch sein am Schluss der Sitzung verkündetes Urteil abgewiesen. Es hat im Wesentlichen darauf abgestellt, dass es auf die Echtheit der Unterschriften nicht ankomme, weil alle Vereinbarungen unzureichend bestimmte deklaratorische Schuldanerkenntnisse seien. Eine Schriftsatzfrist hat das Landgericht dem Kläger nicht gewährt. Zur Begründung hat es ausgeführt, dass bereits seit der Klageerwiderung im Streit sei, ob die Privaturkunden, auf die der Klageanspruch gestützt sei, nach Form und Inhalt wirksam seien. Auf die tatsächlichen Feststellungen in dem angefochtenen Urteil wird Bezug genommen (§ 540 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 ZPO).

Nach Verkündung des angefochtenen Urteils, unter dem 21. Dezember 2009, fertigte der Kläger 65 Honorarabrechnungen. Am 29. Dezember 2009 beantragte er einen Mahnbescheid über eine Gesamtsumme in Höhe von 321.857,27 €, der am 29. Dezember 2009 bei dem Mahngericht einging und dem Beklagten am 23. Januar 2010 zugestellt wurde. Am 26. Januar 2010 legte der Beklagte Widerspruch ein.

Gegenstand des mit der Berufung verfolgten Hauptantrags sind Vergütungsansprüche in Höhe von 290.000 € nebst 19% Mehrwertsteuer, insgesamt 345.100 €. Erstattung von Auslagen verlangt der Kläger nicht mehr. Der Kläger trägt mit der Berufungsbegründung im Wesentlichen vor: Die deklaratorischen Schuldanerkenntnisse seien wirksam. Die vom Landgericht gestellten Anforderungen seien, wie die Berufungsbegründung im Einzelnen ausführt, erfüllt.

Im Hinblick auf seinen hilfsweise gestellten Aufhebungs- und Zurückweisungsantrag macht der Kläger geltend: Die Kammer habe ihrer richterlichen Hinweispflicht nicht Rechnung getragen. Wenn das Landgericht ihn auf Wirksamkeitsbedenken hinsichtlich der Schuldanerkenntnisse hinweisen hätte bzw. ihm eine Schriftsatzfrist bewilligt hätte, hätte er weiteren, in der Berufungsbegründung im Einzelnen näher ausgeführten, umfangreichen Sachvortrag mit zahlreichen Beweisantritten zu den einzelnen gesetzlichen Vergütungsforderungen und den zugrunde liegenden Mandaten gehalten.

Zur Begründung des äußerst hilfsweise gestellten weiteren Zahlungsantrags trägt der Kläger näher vor, dass er aufgrund seiner Tätigkeit in 65 Einzelmandaten 321.857,27 € beanspruchen könne. Wegen der Einzelheiten wird auf Seite 20 bis 135 der Berufungsbegründung und die Anlagen BK 4 bis 189 Bezug genommen. Der Kläger führt aus, dass er überwiegend den Regelsatz der Geschäftsgebühr von 1,3 zugrunde gelegt habe. In einzelnen Fällen habe er eine höhere als die Regelgebühr angesetzt.

Der Kläger beantragt,

1. das Urteil des Landgerichts Arnsberg vom 25. November 2009 abzuändern,

2. den Beklagten zu verurteilen, an ihn 345.100 € zu zahlen nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz aus einem Betrag von 297.500 € seit dem 18. Mai 2006 und aus einem Betrag von 47.600 € seit dem 1. April 2008,

3. hilfsweise für die Anträge zu 1 und 2, das angefochtene Urteil aufzuheben und den Rechtstreit an das Landgericht gem. § 538 Abs. 2 ZPO zurückzuweisen,

4. äußerst hilfsweise für die Anträge zu 1, 2 und 3: das angefochtene Urteil abzuändern und den Beklagten zu verurteilen, an ihn 321.857,27 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz ab Zustellung der Berufungsbegründung zu zahlen.

Im Senatstermin hat der Kläger klargestellt, dass er auch im Hinblick auf den Berufungsantrag zu 4 hilfsweise Aufhebung und Zurückverweisung an das Landgericht begehrt.

Der Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Er verteidigt das angefochtene Urteil und führt u.a. aus: Ein deklaratorisches Schuldanerkenntnis sei nur dann wirksam, wenn eine frühere, ihrerseits wirksame Vereinbarung bestätigt werde. Dies sei hier nicht der Fall. Es sei nicht klar gewesen, welche Mandate von den deklaratorischen Schuldanerkenntnissen umfasst sein sollten. Der Kläger habe Listen über die bearbeiteten Mandate vorgelegt, die zum Teil Unterschiede aufwiesen, wie der Beklagte näher ausführt. Dadurch werde immer unklarer, welche Mandate mit den Schuldanerkenntnissen abgegolten sein sollten. Aufgrund der unterschiedlichen Darstellungen des Klägers, welche Mandate bearbeitet und abgerechnet gewesen seien bzw. abzurechnen wären und bezahlt seien, seien die Schuldanerkenntnisse nicht ausreichend bestimmt. Im Übrigen könne der Kläger nichts mehr fordern, weil er mehr als ausreichend bezahlt sei.

Der Beklagte hat in zweiter Instanz Widerklage erhoben und - im Rahmen der ersten Stufe einer Stufenklage - zwei Anträge auf Rechnungslegung angekündigt; nach erteilter Auskunft hat der Beklagte einen Zahlungsantrag angekündigt. Im Senatstermin hat der Beklagte die Widerklage zurückgenommen.

Der Senat hat die Parteien im Senatstermin angehört. Wegen der Einzelheiten des zweitinstanzlichen Sach- und Streitstands wird auf die gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen, das Sitzungsprotokoll sowie den Berichterstattervermerk zum Senatstermin vom 24. Juni 2010 Bezug genommen.

II.

Die Berufung hat vorläufigen Erfolg. Sie führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils samt dem zugrundeliegenden Verfahren und zur Zurückverweisung zur erneuten Verhandlung und Entscheidung (§ 538 Abs. 2 S. 1 Nr. 1 ZPO). Das erstinstanzliche Verfahren leidet an einem erheblichen Verfahrensmangel, auf dem das Urteil beruhen kann.

A. Der Hauptantrag ist allerdings nicht begründet.

Den mit dem Hauptantrag verfolgten Zahlungsanspruch stützt der Kläger in Höhe von 250.000 € auf die Urkunde vom 15. Mai 2006, in Höhe weiterer 40.000 € auf eine der Urkunden vom 31. März 2008 und im Hinblick auf die Umsatzsteuer ebenfalls auf eine Urkunde von 31. März 2008. Damit dringt der Kläger nicht durch, wie bereits das Landgericht zutreffend begründet hat. Dabei ist nicht entscheidungserheblich, ob die vom Kläger behaupteten Vereinbarungen mit dem Beklagten als deklaratorische Schuldanerkenntnisse - so der Kläger -, als abstrakte Schuldanerkenntnisse, als außergerichtliche Vergleiche oder aber als selbständige Vergütungsvereinbarungen anzusehen sind. Dem in allen Fällen anzuwendenden Maßstab des § 4 RVG in der vom 1. Juli 2004 bis zum 30. Juni 2008 geltenden Fassung (§ 60 RVG; fortan § 4 RVG a.F.) ist aus mehreren Gründen nicht Rechnung getragen. Nach dieser Bestimmung kann aus einer Vereinbarung eine höhere als die gesetzliche Vergütung nur gefordert werden, wenn die Erklärung des Auftraggebers schriftlich abgegeben und nicht in der Vollmacht enthalten ist (§ 4 Abs. 1. S. 1 RVG a.F.). Ist das Schriftstück nicht von dem Auftraggeber verfasst, muss es als Vergütungsvereinbarung bezeichnet und die Vergütungsvereinbarung von anderen Vereinbarungen deutlich abgesetzt sein (§ 4 Abs. 1 S. 2 RVG a.F.).

1. Der Kläger trägt vor, dass die vorgelegten Urkunden keine selbständigen anwaltlichen Vergütungsvereinbarungen enthielten. Es kann auf sich beruhen, ob dies zutrifft, denn als solche wären sie jedenfalls unwirksam.

a) Eine Vergütungsvereinbarung muss als solche bezeichnet sein (§ 4 Abs. 1 S. 2 Halbs. 1 RVG a.F.). Daran fehlt es.

aa) Die Urkunde vom 17. Mai 2006 ist als "Vergleichsvereinbarung bzgl. Vergütungsansprüche per 15.05.2006" bezeichnet. Das genügt bei einer - wie hier - nicht vom Mandanten verfassten Vereinbarung nicht. Zwar war früher nicht unstreitig, ob das - in der heute geltenden Fassung abgemilderte - Formerfordernis streng auszulegen ist (Müller-Rabe in: Gerold/Schmidt, RVG, 19. Aufl., § 3a Rn. 8 m.w.N.). Zum Teil wurde zu § 4 RVG a.F. vertreten, dass auch die Bezeichnung als "Honorarvereinbarung" oder "Gebührenvereinbarung" ausreiche (Römermann, MDR 2004, 421, 422). Heute wie früher muss sich der Bezeichnung aber entnehmen lassen, dass eine Vergütung abweichend von den gesetzlichen Gebühren vereinbart werden soll (AnwK-RVG/Onderka, 5. Aufl., § 3a Rn. 39; Henke, AnwBl 2007, 611, m.w.N.). Diesem Erfordernis genügt hier gewählte Bezeichnung nicht, denn sie kann auch so verstanden werden, dass sie nur den gesetzlichen Vergütungsanspruch betrifft, ohne von ihm abzuweichen.

bb) Das gilt auch für die Urkunde vom 31. März 2008 über 40.000 €. Sie ist ebenfalls nicht als "Vergütungsvereinbarung" bezeichnet, sondern als "Bestätigung bzgl. aufgelaufener Vergütungen". Das kann sich inhaltlich ebenfalls auch auf gesetzliche Gebührenansprüche beziehen.

cc) Die Urkunde vom 31. März 2008, aus der der Kläger den Anspruch auf die Mehrwertsteuer herleitet, ist als "Bestätigung/ Anerkenntnis/ Bevollmächtigung/ Vergleichsvereinbarung" bezeichnet. Auch hier fehlt die Bezeichnung als Vergütungsvereinbarung oder ähnlich. Eine Vergütungsvereinbarung über die Umsatzsteuer ist auch nicht deutlich abgesetzt vom übrigen Text (§ 4 Abs. 1 S. 2 Halbs. 2 RVG a.F.).

b) Der Inhalt aller Urkunde ist zudem unzureichend bestimmt. Darauf hat das Landgericht zutreffend abgestellt. Bei einer Vergütungsvereinbarung muss eindeutig feststehen, für welche anwaltliche Tätigkeit der Auftraggeber die höhere als die gesetzliche Vergütung zahlen soll (Hartmann, Kostengesetze, 38. Aufl., § 4 RVG Rn. 23; ders., 40. Aufl., § 3a RVG Rn. 23; AnwK-RVG/Onderka, aaO, § 3a Rn. 15). Das gilt auch für eine nachträgliche, d.h. nach Abschluss der anwaltlichen Tätigkeit geschlossene Vereinbarung. Wegen des Eingriffs in das Grundrecht auf Berufsfreiheit (Art. 12 GG) dürfen die Anforderungen an die Bestimmtheit anwaltlicher Honorarvereinbarungen zwar nicht überspannt werden (BVerfG, NJW 2002, 3314). Im vorliegenden Fall ist aber allenfalls zu erkennen, dass alle Tätigkeiten des Klägers bis zum 15. Mai 2006 (Vereinbarung vom 17. Mai 2006) bzw. alle Tätigkeiten seit dem 15. Mai 2006 (Vereinbarung vom 15. März 2008) gemeint sind. Das genügt dem Schutzzweck des § 4 RVG a.F. nicht. Dieser geht dahin, den Mandanten davor zu schützen, dass er unüberlegt, leichtfertig oder ohne sich überhaupt dessen bewusst zu werden, Gebührenvereinbarungen eingeht (BGHZ 57, 53, 57 = juris, Tz. 20, zu § 3 BRAGO). Damit ist es nicht zu vereinbaren, wenn der Anwalt dem Mandanten nachträglich nach umfangreicher, mehrjähriger Tätigkeit in mehreren Dutzend Einzelmandaten eine global gehaltene Vereinbarung vorlegt, mit der Vergütungsansprüche pauschal abgegolten werden sollen.

2. a) Die vorgelegten Urkunden enthalten kein abstraktes Schuldanerkenntnis. Das ist unter den Parteien nicht im Streit. Ein Schuldversprechen im Sinne von §§ 780, 781 BGB liegt nur vor, wenn die übernommene Verpflichtung von ihrem Rechtsgrund, d.h. von ihren wirtschaftlichen und rechtlichen Zusammenhängen gelöst und allein auf den im Versprechen zum Ausdruck gekommenen Leistungswillen des Schuldners gestellt werden soll (BGH, Urteile vom 14. Januar 2008 - II ZR 245/06, NJW 2008, 1589, Tz. 15; vom 19. November 2008 - IV ZR 293/05, NJW-RR 2009, 382, Tz. 9). Der Urkundeninhalt verweist jedoch auf bestehende Vergütungsansprüche und anwaltliche Leistungen.

b) Zudem wäre ein abstraktes Schuldanerkenntnis unwirksam. Das ergibt sich aus dem oben dargestellten Zweck des § 4 RVG a.F., den Mandanten davor zu schützen, dass er unüberlegt, leichtfertig oder ohne sich überhaupt dessen bewusst zu werden, Gebührenvereinbarungen eingeht (siehe BGHZ, aaO).

3. Der Kläger vertritt die Ansicht, dass die Urkunden deklaratorische (bestätigende) Schuldanerkenntnisse enthielten. Die notwendigen Voraussetzungen (a) hat er zwar schlüssig dargelegt (b). Jedoch kann er unter diesem Gesichtspunkt keinen Anspruch aus den vorgelegten Urkunden herleiten (c).

a) Unter einem deklaratorischen Schuldanerkenntnis ist ein Vertrag zu verstehen, der im Unterschied zum konstitutiven Schuldanerkenntnis den in Frage stehenden Anspruch nicht auf eine neue Anspruchsgrundlage hebt, sondern den Anspruch unter Beibehaltung des Anspruchsgrundes dadurch verstärkt, dass er ihn Einwänden des Anspruchsgegners gegen den Grund des Anspruchs entzieht (BGH, Urteil vom 10. Januar 1984 - VI ZR 64/82, NJW 1984, 799, unter II 1). Entzogen werden dem Anspruchsgegner solche Einwendungen und Einreden, die bei Abgabe der Erklärung bestanden und ihm bekannt waren oder mit denen er zumindest rechnete (BGHZ 69, 328, 331; BGH, Urteil vom 18. Januar 2006 - VIII ZR 94/05, NJW 2006, 903, Tz. 15, m.w.N). Zweck eines solchen Vertrags ist es, das Schuldverhältnis insgesamt oder zumindest in bestimmten Beziehungen dem Streit oder der Ungewissheit zu entziehen und es (insoweit) endgültig festzulegen.

Die Annahme eines solchen Vertrages ist nur dann gerechtfertigt, wenn die Beteiligten unter den konkreten Umständen einen besonderen Anlass für seinen Abschluss hatten. Ein solcher Anlass bestand nur, wenn zuvor Streit oder zumindest eine (subjektive) Ungewissheit über das Bestehen der Schuld oder über einzelne rechtlich erhebliche Punkte geherrscht haben (BGHZ 66, 250, 255; BGH, Urteile vom 10. Januar 1984 - VI ZR 64/82, aaO; vom 18. Mai 2000 - IX ZR 43/99, NJW 2000, 2501, unter I 1; Beschluss vom 3. Juni 2008 - XI ZR 239/07, NJW 2008, 3425; Palandt/Sprau, BGB, 69. Aufl., § 781 Rn. 3). Ein solches Schuldanerkenntnis setzt daher voraus, dass die Vertragsparteien das Schuldverhältnis ganz oder teilweise dem Streit oder der Ungewissheit entziehen wollen (BGH, Urteil vom 11. Januar 2007 - VII ZR 165/05, NJW-RR 2007, 530, Tz. 8).

b) Im Senatstermin hat der Kläger behauptet, dass er den Beklagten mehrere Jahre anwaltlich vertreten habe; dieser habe jedoch keine Honorarabrechnungen gewollt; daher habe er die erste der Klage zugrunde liegende Urkunde gefertigt, um einen "Strich zu ziehen" und ein Dokument in der Hand zu haben. Danach lag im vorliegenden Fall zwar kein Streit vor, aber ein besonderer Anlass war nach dem Vortrag des Klägers dennoch gegeben, weil der Beklagte keine Anwaltsrechnungen gewollt habe, so dass zumindest subjektiv Ungewissheit über die Honorarforderung bestand.

c) Der Beklagte hat zwar bestritten, dass er keine anwaltlichen Honorarabrechnungen gewollt habe. Dies kann jedoch auf sich beruhen. Selbst wenn - auf der Grundlage des Vortrags des Klägers - deklaratorische Schuldanerkenntnisse anzunehmen wären, wären sie unwirksam. Ein Anerkenntnis mit einem schuldbestätigenden Inhalt bedarf der gesetzlichen Form des § 4 RVG a.F. zwar nicht, wenn es bereits eine dadurch bestätigte Honorarabrede gibt, die diese Form wahrte (BGH, Urteil vom 3. April 2003 - IX ZR 113/02, NJW 2003, 2386, unter II 3 b cc). Eine solche Fallgestaltung liegt hier jedoch nicht vor. Es gab keine vorausgegangene Honorarabrede, die bestätigt werden sollte. Es gab, wie ausgeführt, zuvor auch keine Abrechnung gesetzlicher Gebührenansprüche. Daher müssen die streitgegenständlichen "Anerkenntnisse" selbst den Anforderungen des § 4 RVG a.F. genügen. Dazu zählt auch beim deklaratorischen Schuldanerkenntnis das Bestimmtheitserfordernis. Insoweit gelten die Erwägungen für jede andere anwaltliche Vergütungsvereinbarung ebenso bei einem deklaratorischen Schuldanerkenntnis (OLG Düsseldorf, NJW-RR 1998, 855 = juris, Tz. 12). Auch bei einem deklaratorischen Schuldanerkenntnis muss sich anhand konkreter Angaben ergeben, für welche anwaltliche Tätigkeiten des Rechtsanwalts der Mandant das Versprochene zahlen will bzw. welche anwaltlichen Honorarforderungen damit außer Streit gestellt werden sollen. Wie ausgeführt, fehlt es daran.

4. Aus den vorgenannten Gründen ergibt sich nichts anderes, wenn der vom Kläger behauptete Inhalt der Urkunden als außergerichtlicher Vergleich (§ 779 BGB) anzusehen wäre. Ein solcher ist einem einwendungsausschließenden Anerkenntnisvertrag ohnehin ähnlich, weil dieser ebenso wirkt wie ein Vergleich (BGH, Urteil vom 18. Mai 2000 - IX ZR 43/99, NJW 2000, 2501, unter I 1). Dabei braucht nicht abschließend geklärt werden, welche Anforderungen an einen außergerichtlichen Vergleichsvertrag über Rechtsanwaltsvergütung zu stellen sind. Nach dem Schutzzweck des § 4 RVG a.F. gilt das Bestimmtheitserfordernis nicht nur für konstitutive und deklaratorische Schuldanerkenntnisse, sondern jedenfalls auch für solche außergerichtlichen Vergleiche, denen - wie hier - keine Ausgangsvergütungsvereinbarung und keine Honorarabrechnung vorausgegangen ist. Es muss auch bei einem außergerichtlichen Vergleich feststehen, über welche anwaltlichen Tätigkeiten sich die Parteien geeinigt haben.

B. In zweiter Instanz stützt der Kläger seinen Vergütungsanspruch hilfsweise auf gesetzliche Vergütungsansprüche und legt zu diesem Zweck 65 Honorarabrechnungen vor, die er dem Beklagten nach Verkündung des angefochtenen Urteils erteilt hat. Die den 65 Honorarabrechnungen zugrunde liegenden Tatsachen sind unter den Partei weitgehend streitig.

1. Dem Vorbringen des Klägers zu gesetzlichen Gebührenansprüchen steht § 533 ZPO nicht entgegen. Nach dieser Vorschrift ist eine Klageänderung in zweiter Instanz nur unter bestimmten Voraussetzungen zulässig, unter anderem muss sie auf Tatsachen gestützt werden, die das Berufungsgericht seiner Verhandlung und Entscheidung über die Berufung ohnehin nach § 529 ZPO zugrunde zu legen hat (§ 533 Nr. 2 ZPO). § 533 ZPO ist im vorliegenden Fall nicht anwendbar, weil der Übergang von einer Forderung aufgrund vereinbarten Anwaltshonorars zu gesetzlichen Gebührenansprüchen des Anwalts keine Klageänderung ist. Ausschlaggebend für die Bestimmung des Streitgegenstands sind der Antrag und der Lebenssachverhalt, aus dem der Anspruch hergeleitet wird. Dieser Lebenssachverhalt ist die dem Anwalt durch Vertrag übertragene Tätigkeit (BGH, Urteil vom 4. Juli 2002 - IX ZR 153/01, NJW 2002, 2774, unter II 2). Vereinbartes und gesetzliches Anwaltshonorar sind nicht verschiedene Ansprüche; sie beruhen auf ein und derselben anwaltlichen Leistung (BGH, Urteil vom 23. Oktober 2003 - IX ZR 270/02, NJW 2004, 1169, unter II 4 b bb; OLG Düsseldorf, OLGR 2009, 226 = juris, Tz. 14). Mithin hat der Kläger seine tatsächlichen Ausführungen in zweiter Instanz lediglich ergänzt (§ 264 Nr. 1 ZPO). Dafür gilt § 533 ZPO jedoch nicht (siehe BGH, Urteil vom 22. April 2010 - IX ZR 160/09, juris, Tz. 6).

2. Obwohl der Beklagte die zugrunde liegenden Tatsachen der 65 Einzelforderungen weitgehend bestritten hat, ist das neue Vorbringen des Klägers in zweiter Instanz nicht ausgeschlossen. Denn neue Angriffs- und Verteidigungsmittel sind in zweiter Instanz gemäß § 529 Abs. 1 Nr. 2, 531 Abs. 2 S. 1 Nr. 2 ZPO zuzulassen, wenn sie infolge eines Verfahrensmangels im ersten Rechtszug nicht geltend gemacht wurden.

a) Nach dieser Vorschrift ist neues Vorbringen zuzulassen, wenn das Eingangsgericht die nach § 139 Abs. 1 S. 2 ZPO gebotenen Hinweise unterlassen hat (BGHZ 158, 295, 302). Zwar hat das Landgericht den Kläger in der mündlichen Verhandlung den Hinweis erteilt "…dass der Inhalt aller drei vorgelegten Erklärungen … möglicherweise vor den Anforderungen des Rechtsanwaltsvergütungsgesetzes zu unbestimmt sein könnte." Jedoch hat das Landgericht dem berechtigten Antrag des Klägers nicht Rechnung getragen, ihm eine Schriftsatzfrist zu gewähren. Erteilt das Gericht einen gebotenen Hinweis entgegen § 139 Abs. 4 ZPO erst in der mündlichen Verhandlung, muss es der betroffenen Partei genügend Gelegenheit zur Reaktion hierauf geben. Kann eine sofortige Äußerung nach den konkreten Umständen nicht erwartet werden, darf die mündliche Verhandlung nicht ohne Weiteres geschlossen werden. Vielmehr muss das Gericht auf Antrag der betreffenden Partei gemäß § 139 Abs. 5, § 296a ZPO eine Frist bestimmen, innerhalb derer die Partei die Stellungnahme in einem Schriftsatz nachbringen kann (BGH, Beschluss vom 13. März 2008 - VII ZR 204/06, NJW-RR 2008, 973, Tz. 9, m.w.N.). Das gilt in der vorliegenden Fallgestaltung umso mehr, weil sich die Rechtskraftwirkung einer Klageabweisung wegen des einheitlichen Streitgegenstandes nicht nur auf vereinbartes Anwaltshonorar, sondern auch auf gesetzliche Vergütungsansprüche erstreckt.

b) Die richterliche Hinweispflicht der Kammer und die Verpflichtung zur Gewährung einer Schriftsatzfrist waren nicht wegen verstandenen Vortrags des Prozessgegners entfallen. Eine Missachtung der richterlichen Hinweispflicht liegt im Anwaltsprozess zwar nicht vor, wenn die betroffene Partei durch eingehenden und von ihr erfassten Vortrag der Gegenpartei zutreffend über die Sach- und Rechtslage unterrichtet war (BGH, Beschluss vom 20. Dezember 2007 - IX ZR 207/05, NJW-RR 2008, 581, Tz. 2). Auf den vorgenannten Beschluss hat sich der IX. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs auch in der Folgezeit bezogen (Beschlüsse vom 23. April 2009 - IX ZR 95/06, NJW-RR 2010, 70, Tz. 6; vom 8. Oktober 2009 - IX ZR 235/06, BeckRS 2009, 28207, Tz. 7; vom 5. November 2009 - IX ZA 29/09, BeckRS 2009, 87279, Tz. 3; siehe auch BGH, Urteil vom 22. Mai 2001 - VI ZR 74/00, NJW 2001, 2550, unter II 4; Hk-ZPO/Wöstmann, 3. Aufl., § 139 Rn. 2; Rensen, MDR 2008, 1075). Eine solche Sachlage ist hier aber nicht gegeben.

aa) Der Prozessbevollmächtigte des Beklagten hat in der Klageerwiderung angeführt:

"Die vorgelegten Anlagen K 1 bis K 5 erfüllen sämtlich nicht die nach § 3a RVG vorgeschriebene Form einer Gebührenvereinbarung. …

Die Anlage K 1, Papier vom 7. Mai 2006, ist auch nicht bestimmt [Hervorhebung von hier]. Es handelt sich hierbei vielmehr durchweg um Papiere, mit denen versucht werden soll, die strikten Vorschriften über Form und Inhalt einer wirksamen anwaltlichen Gebührenvereinbarung zu umgehen. …

Für die Anlage K 2 gilt das gleiche. Auch dieser Text ist nicht in der für eine wirksame Gebührenvereinbarung eines Anwalts vorgeschriebenen Form verfasst. Das gleiche gilt für die Anlagen K 3, K 4 und K 5. ... Die Anlage K 4 ist so umständlich und unklar formuliert, enthält eine ganze Reihe von Behauptungen und behaupteten Regelungen, die ebenfalls der vorgeschriebenen Form einer anwaltlichen Gebührenvereinbarung nicht entspricht."

Dies genügte hier zur Unterrichtung der betroffenen Gegenpartei nicht. Denn der Gesichtspunkt, auf den die Kammer maßgeblich abgestellt hat - Unbestimmtheit des Urkundeninhalts (LGU 10/11) - kommt in der Klageerwiderung nur ganz am Rande zum Ausdruck. In seiner daran anschließenden Replik (Schriftsatz vom 7. Oktober 2009) ist der Kläger nicht auf Bestimmtheitsmängel eingegangen. Dies lässt besorgen, dass er den - flüchtigen - Hinweis des Prozessgegners nicht verstanden hat, jedenfalls kann dies nicht festgestellt werden.

bb) In seinem Schriftsatz vom 9. November 2009 hat der Prozessbevollmächtigte des Beklagten sich zwar mit dem in BGHZ 57, 53 abgedruckten Urteil des VII. Zivilsenats des Bundesgerichtshofs vom 16. September 1971 befasst. In dem vorgenannten Schriftsatz führt der Prozessbevollmächtigte des Beklagten aus, dass das Urteil des Bundesgerichtshofs ein abstraktes Schuldverhältnis betrifft. Ferner heißt es in dem vorgenannten Schriftsatz: "Der BGH führt weiter aus, dass eine wirksame Vergütungsvereinbarung einen konkreten Hinweis darüber enthalten muss, für welche anwaltliche Tätigkeit der Mandant das Versprochene bezahlen muss". Dies machte einen richterlichen Hinweis durch das Landgericht (einschließlich der gebotenen Reaktionsmöglichkeit des Klägers) schon deshalb nicht entbehrlich, weil der Kläger die Ausführungen in dem Schriftsatz des Prozessbevollmächtigten des Beklagten nur auf ein abstraktes Schuldanerkenntnis bezogen hat. Dies zeigt der Schriftsatz des Klägers vom 17. November 2009. Der Kläger war der Meinung, dass die vom Bundesgerichtshof aufgestellten Grundsätze im Streitfall nicht zum Tragen kämen, weil der Streitfall deklaratorische Schuldanerkenntnisse zum Gegenstand habe. Dieses nach wie vor bestehende Missverständnis des Klägers musste die Kammer ausräumen und dem Kläger eine entsprechende Reaktionsmöglichkeit gewähren.

cc) Der Hinweispflicht der Kammer steht im vorliegenden Fall nicht entgegen, dass es sich um einen Anwaltsprozess handelt, der noch dazu anwaltliches Gebührenrecht betrifft. Denn die Hinweispflicht des Gerichts besteht im Grundsatz auch in Verfahren, in denen die Partei durch einen Prozessbevollmächtigten vertreten wird. Das gilt jedenfalls dann, wenn der Prozessbevollmächtigte den vom Gericht später als maßgeblich angesehenen Gesichtspunkt nicht registriert hat bzw. die Rechtslage insoweit nicht richtig beurteilt (vgl. BGHZ 140, 365, 371; BGH, Beschluss vom 16. April 2008 - XII ZB 192/06, BeckRS 2008, 09826, Tz. 10).

dd) Es ist dem Gericht zwar verwehrt, auf die Einführung selbständiger, einen gesetzlichen Tatbestand eigenständig ausfüllender Angriffs- und Verteidigungsmittel in den Prozess hinzuwirken (BGH, Urteile vom 23. November 2005 - VIII ZR 43/05, NJW 2006, 434, Tz. 18; vom 9. Oktober 2003 - I ZR 17/01, NJW-RR 2004, 495, unter II 1 c bb). So liegt es hier jedoch nicht. Wie ausgeführt, handelt es sich bei den gesetzlichen Gebührenansprüchen des Klägers nicht um neue Klagegründe. Ohnehin schlösse ein zulässiger und gebotener Hinweis nach § 139 ZPO nicht aus, dass die Partei von sich aus einen neuen Klagegrund in das Verfahren einführt (BGH, Urteil vom 27. Juni 2006 - VIII ZR 19/04, NJW 2007, 2414, Tz. 22).

c) Nach dem Wortlaut des § 531 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 ZPO ist erforderlich, dass das neue Vorbringen infolge eines Verfahrensmangels im ersten Rechtszug nicht geltend gemacht worden ist. Eine Zurückweisung des neuen Tatsachenvorbringens des Klägers aus dieser Erwägung kommt nicht in Betracht. Der Kläger hat alsbald nach Verkündung des angefochtenen Urteils Honorarabrechnungen erteilt. Dies ist ein deutlicher Hinweis darauf, dass der Kläger bereits in erster Instanz, nachdem er vom Urkundenprozess Abstand genommen hatte, entsprechend verfahren wäre.

C. Gemäß § 538 Abs. 2 S. 1 Nr. 1 ZPO darf das Berufungsgericht die Sache, soweit ihre weitere Verhandlung erforderlich ist, unter Aufhebung des Urteils und des Verfahrens an das Gericht des ersten Rechtszuges (nur) zurückverweisen, soweit das Verfahren im ersten Rechtszuge an einem wesentlichen Mangel leidet und auf Grund dieses Mangels eine umfangreiche oder aufwändige Beweisaufnahme notwendig ist. Vom maßgeblichen Standpunkt des Landgerichts aus gesehen liegt ein wesentlicher Verfahrensfehler vor. Nach Äußerung seines - insoweit zutreffenden - Standpunkts, wonach die urkundlichen Vereinbarungen zu unbestimmt seien, hätte das Landgericht dem Kläger eine Schriftsatzfrist gewähren geben müssen. Im Rahmen der zulässigen Abstandnahme vom Urkundenprozess (§ 596 ZPO) umfasst dies die Möglichkeit des klagenden Anwalts, gesetzliches Honorar geltend zu machen. Aufgrund des Verfahrensfehlers des Landgerichts bietet das angefochtene Urteil keine Grundlage für eine instanzbeendende Entscheidung, weil dem Kläger damit auch gesetzliche Gebührenansprüche aberkannt werden. Mit Rücksicht auf den sehr umfangreichen neuen und streitigen Sachvortrag des Klägers zu 65 Vergütungsforderungen ist zudem eine aufwändige Beweisaufnahme geboten. Aus diesem Gründen übt der Senat sein ihm durch § 538 Abs. 2 S. 1 Nr. 1 ZPO gewährtes Ermessen im Sinne einer Zurückweisung aus.

D. Die Kostenentscheidung ist dem wiedereröffneten erstinstanzlichen Verfahren vorbehalten. Wegen der im Berufungsverfahren angefallenen Gerichtskosten hat der Senat von der Möglichkeit des § 21 Abs. 1 S. 1, Abs. 2 S. 1 GKG Gebrauch gemacht.

Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 708 Nr. 10 ZPO. Auch aufhebende und zurückweisende Urteile nach § 538 Abs. 2 ZPO sind obwohl auch im weiteren Sinne nicht vollstreckbar - dennoch gemäß § 708 Nr. 10, § 775 Nr. 1, § 776 ZPO für vorläufig vollstreckbar zu erklären (Zöller/Heßler, ZPO, 28. Aufl., § 538 Rn. 60; Zöller/Herget, aaO, § 708 Rn. 12; MünchKomm-ZPO/Krüger, 3. Aufl., § 704 Rn. 6, § 708 Rn. 17; Musielak/Lackmann, ZPO, 7. Aufl., § 708 Rn. 9; Thomas/Putzo/Hüßtege, ZPO, 31. Aufl., § 708 Rn. 11; Rosenberg/Schilken/Gaul, Zwangsvollstreckungsrecht, 11. Aufl., § 14 I 2, II 1 j).

Die Revision ist nicht zuzulassen (§ 543 ZPO). Weder hat die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung noch erfordert die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Revisionsgerichts.






OLG Hamm:
Urteil v. 22.07.2010
Az: I-28 U 237/09


Link zum Urteil:
https://www.admody.com/urteilsdatenbank/68c8472f2329/OLG-Hamm_Urteil_vom_22-Juli-2010_Az_I-28-U-237-09




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