Landgericht Berlin:
Urteil vom 5. Mai 2011
Aktenzeichen: 91 O 35/11
(LG Berlin: Urteil v. 05.05.2011, Az.: 91 O 35/11)
Tenor
1. Die einstweilige Verfügung des Landgerichts Berlin vom 7.Dezember 2010 zu 16 O 560/10 gegen den Antragsgegner zu 2. wird aufgehoben und der Antrag vom 25.November 2010 auf Erlass einer einstweiligen Verfügung zurückgewiesen, soweit der Antragsgegner zu 2. in Anspruch genommen wird.
2. Im Übrigen wird die einstweilige Verfügung des Landgerichts Berlin vom 7.Dezember 2010 zu 16 O 560/10 in der Hauptsache bestätigt.
3. Von den Gerichtskosten und den außergerichtlichen Kosten der Antragstellerin tragen die Antragstellerin 45,8 % und die Antragsgegnerinnen zu 1., 3. und 4. die restlichen 54,2 %. Die Antragstellerin trägt die außergerichtlichen Kosten des Antragsgegners zu 2. Im Übrigen werden Kosten nicht erstattet.
4. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Der Antragstellerin bleibt nachgelassen, die Vollstreckung des Antragsgegners zu 2. wegen seiner außergerichtlichen Kosten durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des aus diesem Urteil vollstreckbaren Betrages abzuwenden, sofern nicht der Antragsgegner zu 2. vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.
Tatbestand
Die antragstellende Herstellerin von Windkraftanlagen nimmt die Antragsgegnerinnen zu 1. und 3. sowie deren Organe auf Unterlassung einer Werbeanzeige für die Nutzung von Kernenergie in Anspruch.
Der Antragsgegner zu 1., dessen Präsident der Antragsgegner zu 2. und dessen Vereinszweck die Forschung und Information der Öffentlichkeit auf dem Gebiet der friedlichen Nutzung der Kernenergie ist, hat in Zeitungen und auf der Website kernenergie.de der Antragsgegnerin zu 3., deren Geschäftszweck die Information über Fragen der Technik und der Energie auf eigene und fremde Rechnung pp und deren Geschäftsführer der Antragsgegner zu 4. ist, wie aus der zu diesem Urteil verbundenen Anlage 1 ersichtlich geworben. Wegen des Inhalts der Satzung des Antragsgegners zu 1. wird auf die zu den Akten gereichte Ablichtung (Anlage ASt 20 als Beistück zu den Akten) Bezug genommen.
Die Antragstellerin stellt sei 1993 on-shore-Windanlagen her, die technische Besonderheiten aufweisen, weil sie kein Getriebe benötigen, die auch zu optischen Unterscheidungen zu anderen Windkraftanlagen führen. Wegen der Einzelheiten wird auf den Vortrag der Antragstellerin in der Antragsschrift (Blatt 6 der Akten) Bezug genommen. Weiterhin ist der Turm der Anlagen jeweils in einer NCS (natural color scheme)-Abstufung in grün oder blau (an der Nordsee) gestrichen, die seine optische Eingliederung in die Landschaft erhöhen soll. In der Presse wurde häufig über den geschäftsführenden Gesellschafter der Antragstellerin Dr. h.c. W... als innovativen Windkraftanlagenentwickler berichtet. Wegen der Einzelheiten wird auf die Ausführungen in der Antragsschrift (Blatt 6 ff der Akten) Bezug genommen.
Die Antragstellerin ist Inhaberin des seit dem 12.September 1996 eingetragenen Geschmacksmusters M9605362-0001 für die von ihr verwandte Gondelform. Sie reicht hierzu eine Verkehrsbefragung von 2005 ein. Wegen der Einzelheiten wird auf den zu den Akten gereichten Auszug aus dem Geschmacksmusterverzeichnis des Deutschen Patent- und Markenamtes sowie die zu den Akten gereichte Ablichtung der Ergebnisse der Verkehrsbefragung (Anlagen ASt 8, 8a als Beistücke zu den Akten) Bezug genommen. Ferner ist die Antragstellerin Inhaberin der bei dem Deutschen Patent- und Markenamt zu 39545264 eingetragenen Marke für die Klasse 07 bezüglich der Farbgestaltung des Mastes in Grüntönen. Wegen der Einzelheiten wird auf die zu den Akten gereichte Ablichtung des Auszuges aus dem Markenregister (Anlage 9 als Beistück zu den Akten) Bezug genommen. Die Antragstellerin reicht eine Verkehrsbefragung zur Bekanntheit der Turmfarben (Anlage ASt 10 als Beistück zu den Akten) ein, auf die Bezug genommen wird. Die Antragsgegnerinnen reichen ihrerseits die Ergebnisse einer Verkehrsbefragung zu dem Bekanntheitsgrad der streitgegenständlichen Windräder ein (Anlage AG 6 als Beistück zu den Akten), auf die Bezug genommen wird.
Der Antragsgegner zu 1. hat ein Löschungsverfahren gegen diese Marke angestrengt. Die Marke war bereits Gegenstand eines Löschungsverfahrens vor dem Deutschen Patent- und Markenamt, das im Vergleichswege zwischen den Parteien des dortigen Verfahrens beendet wurde.
Die Antragstellerin behauptet, die größte deutsche Herstellerin von Windkraftanlagen zu sein. Wegen des Vortrags der Antragstellerin hierzu im Einzelnen wird auf ihre Ausführungen in der Antragsschrift (Blatt 5 f der Akten) und in dem Schriftsatz vom 29. April 2011 (Blatt 96 der Akten) nebst Anlagen Bezug genommen. Die Antragstellerin ist der Auffassung, die Anzeigenkampagne der Antragsgegnerinnen zu 1. und 3., die auch von ihren Organen, den Antragsgegnern zu 3. und 4. zu verantworten sei, stelle eine unzulässige vergleichende Werbung dar. Der Antragsgegner zu 2. hafte aufgrund seiner satzungsmäßigen Pflichten und Befugnisse Einfluss auf das Werbeverhalten des Antragsgegners zu 1. Zudem werde damit unzulässig in die Marken- und Kennzeichenrechte der Antragstellerin eingegriffen und der gute Ruf der Windenergieanlagen der
Antragstellerin für die Atomkraft unzulässig ausgebeutet. Die Produkte der Antragstellerin seien für die angesprochenen Verkehrskreise erkennbar. Schließlich würden auch die geschäftlichen Verhältnisse der Antragstellerin herabgesetzt.
Nachdem die Antragstellerin zunächst noch zwei weitere Anträge gestellt hat, die sie vor Erlass der einstweiligen Verfügung zurückgenommen hat und wegen deren genauem Inhalt auf die Antragsschrift (Blatt 1 der Akten) Bezug genommen wird, hat das Landgericht Berlin zu 16 O 560/10 am 7. Dezember 2010 eine einstweilige Verfügung gegen die Antragsgegnerinnen erlassen, durch die diesen zur Meidung von Ordnungsmitteln untersagt wurde, die oben im Tatbestand wiedergegebene Anzeige im geschäftlichen Verkehr zu Zwecken des Wettbewerbs ohne Zustimmung der Antragstellerin zu verbreiten und/oder öffentlich zur Schau zu stellen. Gegen diese ihnen am 14. Dezember 2010 zugestellte einstweilige Verfügung haben die Antragsgegnerinnen mit am 17. März 2011 bei Gericht eingegangenem Schriftsatz vom 16. März 2011 Widerspruch eingelegt und diesen begründet.
Die Antragstellerin beantragt,
die einstweilige Verfügung des Landgerichts Berlin vom 7. Dezember 2011 zu dem Aktenzeichen 16 O 560/10 zu bestätigen.
Die Antragsgegnerinnen beantragen,
die einstweilige Verfügung des Landgerichts Berlin vom 7. Dezember 2011 zu dem Aktenzeichen 16 O 560/10 aufzuheben und den Antrag vom 25. November 2010 auf Erlass einer einstweiligen Verfügung zurückzuweisen
Die Antragsgegnerinnen bestreitet die Behauptung der Antragstellerin, die größte deutsche Herstellerin von Windkraftanlagen zu sein, mit Nichtwissen. Der Antragsgegner zu 2. bestreitet seine Passivlegitimation und behauptet, er habe als Präsident des Antragsgegners zu 1. lediglich ein Ehrenamt inne und mit der Abwicklung des Tagesgeschäfts nichts zu tun. Insbesondere habe er die Kampagne nicht freigegeben.
Die Antragsgegnerinnen sind der Auffassung, eine unlautere Ausnutzung der Marke der Antragstellerin scheitere bereits an der Erkennbarkeit der Produkte der Antragstellerin für die angesprochenen Verkehrskreise. Zudem seien die Antragstellerinnen durch die auf ihrer Seite streitende Meinungsfreiheit privilegiert für ihre rein meinungsbildende Kampagne.
Gründe
Der Widerspruch der Antragsgegnerinnen ist bis auf den des Antragsgegners zu 2. unbegründet, so dass die einstweilige Verfügung bezüglich der Antragsgegnerinnen zu 1. , 3. und 4. zu bestätigen und bezüglich des Antragsgegners zu 2. unter Zurückweisung des Antrags auf Erlass einer einstweiligen Verfügung aufzuheben war, §§ 936, 925 Abs. 2 ZPO.
I.
Die einstweilige Verfügung gegen den Antragsgegner zu 2. war aufzuheben, weil er nicht passivlegitimiert ist. Der wettbewerbsrechtliche Unterlassungsanspruch richtet sich nach § 8 Abs. 1 UWG gegen die konkret handelnde Person. Der Antragsgegner zu 2. hat unwidersprochen vorgetragen, dass seine Vorsitzendentätigkeit bei dem Antragsgegner zu 1. als reines Ehrenamt ohne Beteiligung am operativen Geschäft gestaltet ist und er insbesondere auch die streitgegenständliche Kampagne nicht genehmigt oder sonst darin mitgewirkt habe. Auch aus § 8 Abs. 2 UWG, nach dem auch der Inhaber eines wettbewerbswidrig handelnden Unternehmens auf Unterlassung in Anspruch genommen werden kann, ergibt sich für den Antragsgegner zu 2. keine Passivlegitimation, weil der Vorsitzende eines Vereins nicht als Inhaber anzusehen ist. Schließlich ergibt sich weder aus der früheren Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs zur Störerhaftung aufgrund von Prüfungspflicht (vergl. die Übersicht bei Köhler/Bornkamm, UWG, 29.Auflage, § 8 Randnummer 2.13) noch aus der neueren Rechtsprechung zu der wettbewerblichen Täterhaftung aufgrund von deliktischen Verkehrspflichten (seit BGH in GRUR 2007, Seite 890 - Jugendgefährdende Medien bei eBay) eine Haftung des Antragsgegners zu 2. für die Handlungen des Antragsgegners zu 1. , weil die Antragstellerin weder glaubhaft gemacht hat, dass er überhaupt Kenntnis von der Anzeigenkampagne oder die Möglichkeit des Einflusses darauf gehabt hätte. Daran ändert auch die eingereichte Satzung des Antragsgegners zu 1., die dem Präsidenten umfassende Aufsichts- und Weisungskompetenz gegenüber der Geschäftsführung einräumt, nichts. Denn aus den satzungsmäßigen Kompetenzen des Antragsgegners zu 2. ergibt sich nicht, dass er diese auch ausübt bzw. ausgeübt hat, als die Kampagne konzipiert wurde.
II.
Im Übrigen war die einstweilige Verfügung zu bestätigen, weil der zulässige Antrag nach wie vor begründet ist.
Der Antragstellerin steht gegen die Antragsgegner zu 1., 3. und 4. ein Anspruch auf Unterlassung der beanstandeten Werbung aus §§ 8 Abs. 1, Abs. 3 Nr. 1, 5 Abs. 1 Satz 1, Satz 2 Nr. 1, Abs. 3, 2 Abs. 1 Nr. 1, 2, 3 Abs. 1 UWG zu. Nach den genannten Vorschriften kann die antragstellende Mitbewerberin von den Antragsgegnerinnen als handelnde Personen sowie Unternehmen Unterlassung der beanstandeten Werbung verlangen, weil diese irreführend ist, indem sie die angesprochenen Verkehrskreise über die wesentlichen Merkmale der Kernkraft durch Vortäuschung einer nicht existierenden Beziehung zu Windkraftanlagen unter Ausnutzung von deren Eigenschaften und Wertschätzung in der Öffentlichkeit täuscht.
1.
Die Antragstellerin ist als Lieferantin von Anlagen zur Stromerzeugung aktivlegitimiert, weil die Antragsgegnerin zu 1. als Interessenverein der Atomkraftbetreiber und Unterstützer und die Antragsgegnerin zu 3. als Interessenvertretung für Kernkraft als deren Mitbewerber im Sinne des § 2 UWG anzusehen sind. Mitbewerber ist nach der Legaldefinition des § 2 Abs. 1 Nr. 3 UWG jeder Unternehmer, der mit einem oder mehreren Unternehmen als Anbieter oder Nachfrager von Waren oder Dienstleistungen in einem konkreten Wettbewerbsverhältnis steht. Grundsätzlich sind im Interesse eines wirksamen Lauterkeitsrechts an das Vorliegen eines konkreten Wettbewerbsverhältnisses keine hohen Anforderungen zu stellen (herrschende Meinung, für alle BGH in GRUR 2006, Seite 1042 - Kontaktanzeigen mit weiteren Nachweisen). Hierbei ist an die konkrete geschäftliche Handlung anzuknüpfen (BGH in GRUR 2007, Seite 978 - Rechtsberatung durch Haftpflichtversicherer), wobei die Branchenangehörigkeit ebenso unerheblich ist (BGH in GRUR 2009, Seite 845 - Internet-Videorecorder) wie die Wirtschaftsstufenangehörigkeit (BGH in GRUR 2001, Seite 448 - Kontrollnummerbeseitigung 11). Relevant ist vielmehr, ob die Betroffenen den Absatz gleicher oder gleichartiger Waren innerhalb desselben Abnehmerkreises bezwecken (BGH in GRUR 2007, Seite 978 - Rechtsberatung durch Haftpflichtversicherer), auf demselben relevanten Markt tätig sind ( BGH in GRUR 2007, Seite 1079 - Bundesdruckerei) und prinzipiell eine Wechselbeziehung zwischen Absatzförderung und Absatzbeeinträchtigung durch die beanstandete Maßnahme besteht (vergleiche Begründung des Regierungsentwurfs UWG 2004 zu § 3 Abs. 1 Nr. 3 UWG, BT-Drucksache 15/1487, Seite 16). Diese Voraussetzungen liegen hier vor:
Sowohl die Mitglieder des Antragsgegners zu 1. als auch die Antragstellerin bewerben sich um Absatz auf dem gleichen Markt, nämlich dem Strommarkt in der Bundesrepublik Deutschland, eine Förderung der Kernkraft durch Laufzeitverlängerung führt zwingend dazu, dass weniger erneuerbare Energie erzeugt wird als bei einem schnellen Atomausstieg und vermindert damit den Umsatz der Antragstellerin, die glaubhaft gemacht hat, dass sie Marktführerin in dem Bereich der on-shore-Windkraftanlagen ist.
2.
Der Antragsgegner zu 1. als für die Anzeige verantwortlich zeichnende juristische Person und die. Antragsgegnerin zu 3. als Betreiberin der Website, auf der die Anzeige unstreitig erschienen ist, sind zwanglos passivlegitimiert im Sinne des § 8 Abs. 1 UWG. Der Antragsgegner zu 4. als einziger Geschäftsführer der Antragsgegnerin zu 3. ist deren handelndes Organ und damit anders als der im Ehrenamt als Präsident des Antragsgegners zu 1. tätige Antragsgegner zu 2. nach § 8 Abs. 1 UWG Schuldner des Unterlassungsanspruches.
3.
Die beanstandete Werbung ist unlauter, weil sie als irreführende geschäftliche Handlung im Sinne des § 5 Abs. 1 Satz 1, Satz 2 Nr. 1, Abs. 3 UWG zu bewerten ist.
a.
Bei der Werbung handelt es sich zweifelsfrei um eine geschäftliche Handlung im Sinne des § 2 Abs. 1 Nr. 1 UWG vor, auch wenn nicht für ein konkretes Produkt geworben wird, denn unstreitig geht es dem Antragsgegner darum, die Akzeptanz der Atomkraft im Interesse seiner Mitglieder in der öffentlichen Meinung und den angesprochenen Verkehrskreisen zu erhöhen, wobei die Kammer davon ausgeht, dass mit dieser Kampagne alle potentiellen Stromkunden und mithin alle erwachsenen Bürger angesprochen werden, was sich auch aus der Veröffentlichung in Zeitungen und im Internet ergibt, und damit die geschäftlichen Verhältnisse seiner Mitglieder zu fördern. Damit zeigt der Antragsgegner zu 1. ein Verhalten zugunsten seiner Mitglieder und seines eigenen Vereinszwecks als Lobbyverband, das mit der Förderung des Stromabsatzes durch Verlängerung der Betriebszeiten von Atomkraftwerken objektiv zusammenhängt, § 2 Abs. 1 Nr. 1 UWG.
b.
Die Werbung ist irreführend, weil sie durch ihre Gesamtgestaltung unabhängig von der Richtigkeit der Aussage zu dem CO2-Ausstoß von Atomkraftwerken den unzutreffenden Eindruck erweckt, Kernkraftwerke stünden in Zusammenhang mit Windkraftanlagen und hätten ähnliche gute Umwelteigenschaften. Dies ist objektiv in mehrerlei Hinsicht unzutreffend und daher irreführend. Bei der Bewertung von Werbung mit Umweltschutzbegriffen gelten seit 1991 die von dem Bundesgerichtshof in seiner Entscheidung -aus Altpapier aufgestellten Kriterien (GRUR 1991, Seite 546):
Die Werbung mit Umweltschutzbegriffen und -zeichen ist ähnlich wie die Gesundheitswerbung (vgl. dazu BGHZ 47, BGHZ Band 47 Seite 259, BGHZ Band 47 Seite 261 = GRUR 1967, GRUR Jahr 1967 Seite 592 Gesunder Genuß) grundsätzlich nach strengen Maßstäben zu beurteilen. Mit der allgemeinen Anerkennung der Umwelt als eines wertvollen und schutzbedürftigen Gutes hat sich in den letzten Jahren zunehmend ein verstärktes Umweltbewußtsein entwickelt, das dazu geführt hat, daß der Verkehr vielfach Waren (Leistungen) bevorzugt, auf deren besondere Umweltverträglichkeit hingewiesen wird. Gefördert wird ein solches Kaufverhalten auch durch den Umstand, daß sich Werbemaßnahmen, die an den Umweltschutz anknüpfen, als besonders geeignet erweisen, emotionale Bereiche im Menschen anzusprechen, die von einer Besorgnis um die eigene Gesundheit bis zum Verantwortungsgefühl für spätere Generationen reichen (vgl. auch Rohnke, Werbung und Umweltschutz, GRUR 1988, GRUR Jahr 1988 Seite 667 , GRUR Jahr 1988 Seite 668 ). Gleichwohl bestehen in Einzelheiten noch weitgehende Unklarheiten, insbesondere über Bedeutung und Inhalt der verwendeten Begriffe - wie etwa umweltfreundlich, umweltverträglich, umweltschonend oder bio - sowie der hierauf hindeutenden Zeichen (vgl. OLG Frankfurt WRP 1985, WRP Jahr 1985 Seite 271; OLG Düsseldorf GRUR 1988, Seite 55; OLG Köln GRUR 1988, GRUR Jahr 1988 Seite 630; LG Köln GRUR 1988, Seite 53 und GRUR Jahr 1988 Seite 59). Eine Irreführungsgefahr ist daher in diesem Bereich der umweltbezogenen Werbung besonders groß. Wie die angeführten Entscheidungen erkennen lassen, sind die beworbenen Produkte überdies regelmäßig nicht insgesamt und nicht in jeder Beziehung, sondern meist nur in Teilbereichen mehr oder weniger umweltschonender (weniger umweltstörender) als andere Waren. Unter diesen Umständen besteht ein gesteigertes Aufklärungsbedürfnis der angesprochenen Verkehrskreise über Bedeutung und Inhalt der verwendeten Begriffe und Zeichen. An die zur Vermeidung einer Irreführung erforderlichen aufklärenden Hinweise sind daher grundsätzlich strenge Anforderungen zu stellen, die sich im Einzelfall nach der Art des Produktes und dem Grad und Ausmaß seiner "Umweltfreundlichkeit" bestimmen. Fehlen die danach gebotenen aufklärenden Hinweise in der Werbung oder sind sie nicht deutlich sichtbar herausgestellt, besteht in besonders hohem Maße die Gefahr, daß bei den angesprochenen Verkehrskreisen irrige Vorstellungen über die Beschaffenheit der angebotenen Ware hervorgerufen werden und sie dadurch in ihrer Kaufentscheidung beeinflußt werden.
Diesen Kriterien zur Vermeidung von Irreführung wird die Anzeige nicht gerecht.
aa.
Die Anzeige erweckt durch die Gestaltung der als Foto wahrgenommenen Abbildung den unzutreffenden Eindruck, in unmittelbarer Nähe des Kernkraftwerkes Unterweser seien auf einer idyllischen, landwirtschaftlich genutzten Wiesenlandschaft mindestens vier Windkraftanlagen errichtet. Das entspricht nicht den Tatsachen, wie zwischen den Parteien unstreitig ist. Bei einem Vergleich mit allgemein zugänglichen Fotos des Kernkraftwerkes Unterweser, vor allem bei wikipedia, das die gleiche Perspektive aufweist, erscheint es schon fraglich, ob überhaupt die abgebildete Landschaft einschließlich der sattgrünen Bewaldung dort so vorhanden ist.
bb.
Weiter weckt die Abbildung durch die räumliche Nähe, die objektiv so nicht existiert, zwischen Windkraftanlagen der Antragstellerin und dem Kernkraftwerk Unterweser bei den angesprochenen Verkehrskreisen, zu denen sich auch die Mitglieder der Kammer zählen, den irreführenden Eindruck, es gebe eine fruchtbare und vertrauensvolle Zusammenarbeit zwischen Kernkraftwerken und Windkraftanlagen. Dies entspricht nicht den tatsächlichen Verhältnissen, ist damit objektiv falsch und dient der gezielten Irreführung des Betrachters. Tatsächlich haben die Hersteller und Betreiber von Windkraftanlagen einen gänzlich anderen ökologischen und wirtschaftlichen Ansatz als die Hersteller und Betreiber von Kernkraftwerken. Eine Zusammenarbeit hat es nach Wissen der Kammer nie gegeben und es erscheint der Kammer auch äußerst unwahrscheinlich aufgrund der weltanschaulichen und ökologischen Differenzen, dass es jemals zu einer solchen Zusammenarbeit kommen könnte. Die Erstellung der Graphik bildet eine nicht existente und nicht zu erwartende Nähe zwischen Windkraftanlagen und Kernkraftwerken ab, um gerade diesen unzutreffenden Eindruck zu erwecken und damit den gerichtsbekannt guten Ruf, den Windkraftanlagen in Bezug auf ihre Nachhaltigkeit, ihre Ökobilanz und ihre Umweltfreundlichkeit in weiten Teilen der Bevölkerung (mit Ausnahme ihres optischen Erscheinungsbildes) und damit der angesprochenen Verkehrskreise genießen, unzulässig auszubeuten und den Kernkraftwerken unverdient zugute kommen zu lassen.
cc.
Dieser irreführende Eindruck der tatsächlich nicht bestehenden Nähe zwischen Kernkraftwerken und Windkraftanlagen wird noch verstärkt durch die prominente Überschrift "Klimaschützer unter sich", die hervorgehoben mindestens drei Mal so groß wie der übrige Text oben links auf der Graphik zu sehen ist. Diese Aussage ist erneut sachlich falsch, denn "unter sich" können Klimaschützer nur sein, wenn sie sich willentlich zusammen "getan" haben, also entschieden haben, gemeinsam etwas zu tun. Dies haben die Hersteller und Betreiber von Windkraftanlagen, wie bereits ausgeführt, ja nun aber gerade nicht getan, so dass in dieser Aussage erneut eine den irreführenden Eindruck der Graphik verstärkende falsche Aussage, man sei sich so nah, dass man "unter sich" sei, liegt. Nach Auffassung der Kammer kann es dahinstehen, ob die Aussage, der CO2-Ausstoß von Kernkraftwerken sei gleich Null, zutreffend ist, denn alleine diese Gemeinsamkeit, unterstellt, sie bestünde, ist nicht geeignet, die Aussage "Klimaschützer unter sich" sachlich zu rechtfertigen.
dd.
Schließlich ist auch der erste Satz des Textes unter dem Bild "Gemeinsam in eine nachhaltige Energiezukunft" irreführend, weil er erneut eine Gemeinsamkeit beschwört, die objektiv nicht besteht und damit den bereits durch die unter aa.- bis cc. aufgeführten Irreführungen verstärkt. Auch mit diesem Satz vereinnahmt die Anzeige die Hersteller und Betreiber von Windkraftanlagen gegen deren erklärten Willen zur Ausnutzung von deren Wertschätzung in der Öffentlichkeit für Kernkraftwerke, deren Eigenschaften denen von Windkraftanlagen diametral entgegengesetzt zu bewerten sind.
4.
Die Antragstellerin hat einen Unterlassungsanspruch, denn die beanstandete Werbung ist unlauter, weil sie geeignet ist, die Interessen unter anderem der Antragstellerin mehr als unerheblich zu beeinträchtigen, § 3 UWG, und insbesondere nicht durch die verfassungsrechtlich garantierte Meinungsfreiheit gerechtfertigt ist.
Der Antragsgegner verschafft seinen Mitgliedern und seinem Vereinszweck durch die irreführende Werbung Imagevorteile auf Kosten der Windkraftanlagen. Die Wertschätzung von erneuerbaren Energien in weiten Teilender Bevölkerung beruht auf den objektiven Umweltvorteilen gegenüber der Verwertung von fossilen Energieträgern und der Kernenergie aufgrund ihrer gerichtsbekannten Risiken und Folgeproblemen bezüglich der Wiederaufbereitung und Lagerung von verbrauchten Atombrennstäben sowie den ökologischen und finanziellen Problemen der Entsorgung von ausgedienten Kernkraftwerken. Das Bewusstsein bezüglich der Probleme bei der friedlichen Nutzung von Kernenergie ist seit Tschernobyl gewachsen und wird von den wiederkehrenden Castor-Transporten ebenso wachgehalten wie es durch die Fukushima-Atomkatastrophe erneut bis in die Bundesregierung schlagartig erhöht wurde.
Die letztlich mit der streitgegenständlichen Anzeige vorliegende Vereinnahmung der guten Eigenschaften von Windenergie zugunsten von Kernkraftwerken lässt sich entgegen der Auffassung der Antragsgegnerinnen auch nicht mit der verfassungsrechtlich in Art. 5 GG garantierten Meinungsfreiheit rechtfertigen. Zwar kann das Irreführungsverbot des § 5 UWG wie andere wettbewerbsrechtliche Tatbestände mit grundrechtlich geschützten Positionen wie der Meinungsfreiheit kollidieren, was zuweilen dazu führt, dass der wettbewerbsrechtliche Schutz zurücktreten muss (Köhler/Bornkamm, UWG, 29. Auflage, § 5 Randnummer 1.60).
Das Grundrecht der Meinungs-, Informations- und Pressefreiheit (Art. 5 GG) gilt auch für kommerzielle Meinungsäußerungen und die Wirtschaftswerbung, soweit sie einen wertenden, meinungsbildenden Inhalt hat oder Angaben enthält, die der Meinungsbildung dienen (BVerfGE 71, Seiten 162, 175; BVerfG in WRP 1997, Seiten 424, 426 - Rauchen schadet der Gesundheit; BGHZ 169, 340 - Rücktritt des Finanzministers). Produktwerbung besitzt meinungsbildenden Charakter schon deshalb, weil sie ein Produkt zum Kauf empfiehlt (vergleiche Köhler in WRP 1998, Seite 455). Aber auch Aufmerksamkeitswerbung (Imagewerbung) eines Unternehmens oder Verbandes wie hier kann eine Meinungsäußerung enthalten, und zwar selbst dann, wenn sie lediglich mit meinungsbiIdenden Bildern arbeitet (BVerfG in GRUR 2001, Seite 170- Schockwerbung; BVerfG in GRUR 2003, Seite 442 - Benetton-Werbung II). Denn auch in Bildern kann eine Meinungsäußerung (Ansicht, Werturteil oder Anschauung) zum Ausdruck kommen.
Das Grundrecht aus Art 5 GG wird zwar durch § § 3 UWG berührt. Jedoch handelt es sich dabei um ein allgemeines Gesetz im Sinne von Art. 5 Abs. 2 GG (BVerfG in GRUR 2001, Seite 170- Schockwerbung; BVerfG in GRUR 2001, Seite 1058 - Therapeutische Äquivalenz), da sich diese Norm nicht gegen die Äußerung der Meinung als solche richtet, vielmehr dem Schutz eines schlechthin, ohne Rücksicht auf eine bestimmte Meinung zu schützenden Rechtsguts dient ( BVerfG in GRUR 1984, Seite 357 - markt-intern; BVerfG in GRUR 1992, Seite 866 - Hackethai; BGH in GRUR 1984, Seite 461 - Kundenboykott; BGH in GRUR 1986, Seite 812- Gastrokritiker). Die Vorschrift des § 5 UWG als allgemeines Gesetz im Sinne des Art. 5 Abs. 2 GG ist ihrerseits im Lichte der wertsetzenden Bedeutung des Grundrechts auf Meinungsfreiheit zu sehen und in ihrer grundrechtsbeschränkenden Wirkung ihrerseits wieder einzuschränken (ständige Rechtsprechung, für alle mit weiteren Nachweisen BVerfGE 12, 124 f). Hierbei sind die durch das Grundrecht auf Meinungsfreiheit und die durch § 5 UWG geschützten Rechtsgüter und Interessen gegeneinander abzuwägen, wobei eine Einschränkung der Meinungsfreiheit und damit des Informationsinteresses der Allgemeinheit durch das Lauterkeitsrecht, da die freie Meinungsäußerung für eine freiheitlich-demokratische Staatsordnung schlechthin konstituierend ist, eine Rechtfertigung durch hinreichend gewichtige schutzwürdige Interessen Dritter voraussetzt (BVerfG in GRUR 2001, Seite 170 - Schockwerbung mit weiteren Nachweisen). In den Fällen eines klaren Verstoßes gegen das Wahrheitsgebot kann das Irreführungsverbot kaum in Konflikt mit der Meinungsfreiheit geraten, denn die Behauptung unwahrer Tatsachen kann schon begrifflich nicht unter grundrechtlichem Schutz stehen (BVerfGE 61, Seiten 1,7; BGH in WRP 1995, Seite 862 - Bio-Tabletten). Insofern kann die streitgegenständliche Anzeige, auch wenn sie der Meinungsbildung und der Information dienen soll und eine Meinungsäußerung des Antragsgegners zu 1. darstellt, nicht von der Meinungsfreiheit aus Art. 5 Abs. 1 GG gedeckt sein, denn die beanstandete Anzeige ist aufgrund unwahrer Angaben durch die Darstellung, unterstützt von dem Text, als klarer Verstoß gegen das Wahrheitsgebot zu bewerten.
5.
Die Wiederholungsgefahr ist durch den Verstoß und die erklärte Absicht der Antragsgegnerinnen, die Anzeigenkampagne weiterzuführen, indiziert.
6.
Das Vorliegen des Verfügungsgrundes wird gemäß § 12 Abs. 2 UWG vermutet. Anhaltspunkte, aus denen sich Gegenteiliges ergeben könnte, sind weder vorgetragen noch ersichtlich.
III.
Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 92 Abs. 1, 269 Abs. 3 ZPO. Hierbei war zu berücksichtigen, dass die Klägerin ihre zunächst drei Anträge, von denen sie zwei vor Erlass der einstweiligen Verfügung und vor Beauftragung der Prozessbevollmächtigten der Antragsgegnerinnen zurückgenommen hat, gegen jeweils vier Antragsgegnerinnen gerichtet und letztlich mit ihrem letzten Antrag nach Widerspruch, weswegen weitere Kosten angefallen sind, gegen drei der vier Antragsgegnerinnen durchgedrungen ist. Der Ausspruch über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht bezüglich der Verurteilung in die Kosten des Antragsgegners zu 2. auf §§ 708 Nr. 6, 711 ZPO, im Übrigen war ein solcher Ausspruch wegen der Rechtsnatur des Urteils, das eine einstweilige Verfügung bestätigt, nicht erforderlich, arg. § 708 Nr. 6 ZPO. ist aber klarstellend erfolgt.
LG Berlin:
Urteil v. 05.05.2011
Az: 91 O 35/11
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