Bundesgerichtshof:
Beschluss vom 17. Dezember 2009
Aktenzeichen: Xa ZB 40/08
(BGH: Beschluss v. 17.12.2009, Az.: Xa ZB 40/08)
Tenor
Auf die Rechtsbeschwerde der Einsprechenden wird der Beschluss des 9. Senats (Technischen Beschwerdesenats) des Bundespatentgerichts vom 5. August 2008 aufgehoben. Die Sache wird zu anderweiter Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Rechtsbeschwerde, an das Patentgericht zurückverwiesen.
Der Wert des Gegenstands des Rechtsbeschwerdeverfahrens wird auf 50.000,-- EUR festgesetzt.
Gründe
I. Der Patentinhaberin wurde am 16. Dezember 2004 das deutsche Patent 100 58 497 mit der Bezeichnung "Dichtungsanordnung" erteilt. Hiergegen ging ein mit Gründen versehener Einspruch der anwaltlichen Vertreter der Einsprechenden ein. Die Patentinhaberin bestritt deren wirksame Bevollmächtigung. Für den Fall, dass das Streitpatent nicht vollständig widerrufen werde, stellte die Einsprechende Antrag auf mündliche Anhörung (GA 7).
Das Patentgericht hat im schriftlichen Verfahren den Einspruch als unzulässig verworfen. Hiergegen richtet sich die nicht zugelassene Rechtsbeschwerde der Einsprechenden, der die Patentinhaberin entgegentritt.
II. Die Rechtsbeschwerde führt zur Aufhebung des angefochtenen Beschlusses und zur Zurückverweisung der Sache zu anderweiter Verhandlung und Entscheidung an das Patentgericht, dem auch die Entscheidung über die Kosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens zu übertragen ist.
1. Die form- und fristgerecht eingelegte Rechtsbeschwerde ist statthaft. Gegen die Beschlüsse des Patentgerichts im (erstinstanzlichen) Einspruchsverfahren findet die Rechtsbeschwerde an den Bundesgerichtshof statt (§ 147 Abs. 3 Satz 5 PatG in der bis zum 30.6.2006 geltenden Fassung; BGHZ 173, 47, 50 - Informationsübermittlungsverfahren II). Die Vollmacht der Vertreter im Rechtsbeschwerdeverfahren ist in entsprechender Anwendung des § 88 Abs. 2 ZPO nicht zu prüfen.
Das Patentgericht hat die Rechtsbeschwerde zwar nicht zugelassen; ihre Statthaftigkeit folgt jedoch daraus, dass ein im Gesetz aufgeführter, die zulassungsfreie Rechtsbeschwerde eröffnender Verfahrensmangel gerügt wird. Die Einsprechende rügt, dass ihr Anspruch auf Gewährung rechtlichen Gehörs (Art. 103 Abs. 1 GG) verletzt sei. Damit rügt sie einen der in § 100 Abs. 3 PatG genannten Verfahrensmängel, deren Rüge die zulassungsfreie Rechtsbeschwerde eröffnet.
2. Die Rechtsbeschwerde ist auch begründet. Das Verfahren vor dem Patentgericht verletzt die Anmelderin in ihrem Anspruch auf Gewährung rechtlichen Gehörs.
a) Das Patentgericht hat in Anwendung der Bestimmung des § 79 Abs. 2 PatG ohne Durchführung einer mündlichen Verhandlung entschieden, weil es den Einspruch als unzulässig angesehen hat. Es sei nämlich nicht dargetan, dass Personen, die zur Vertretung der Einsprechenden berechtigt seien, die anwaltlichen Vertreter zur Einlegung des Einspruchs bevollmächtigt hätten. Damit hat es den Anwendungsbereich dieser Bestimmung verkannt, die nur den Fall der Unzulässigkeit der Beschwerde, und zwar im einseitigen Beschwerdeverfahren wie im Einspruchsbeschwerdeverfahren, nicht aber den Fall der Unzulässigkeit des Einspruchs betrifft.
b) Die Vorschrift des Art. 103 Abs. 1 GG erfordert zwar nicht für alle Verfahren die Durchführung einer mündlichen Verhandlung. Hat nach den maßgeblichen Verfahrensvorschriften jedoch eine solche stattzufinden, so begründet der Anspruch auf rechtliches Gehör das Recht einer am Verfahren beteiligten Partei, sich in dieser Verhandlung zu äußern (vgl. BVerfGE 42, 364, 370; BGH, Beschl. v. 14.10.1999 - I ZB 15/97, GRUR 2000, 512, 513 - COMPUTER ASSOCIATES). Die Nichtdurchführung einer nach dem Gesetz gebotenen, insoweit jedenfalls in einem gerichtlichen Verfahren der mündlichen Verhandlung gleich zu erachtenden Anhörung begründet damit eine Verletzung des rechtlichen Gehörs.
c) Die Auslegung der Regelung in § 59 Abs. 3 Satz 1 PatG in der seit dem 1. Juli 2006 geltenden Fassung ergibt, dass das Patentgericht auf den Antrag der Einsprechenden eine Anhörung durchzuführen hatte.
(1) § 59 Abs. 3 Satz 1 PatG bestimmt, dass eine Anhörung schon dann stattfindet, wenn ein Beteiligter diese beantragt. Zwar ist diese Bestimmung erst am 1. Juli 2006 in Kraft getreten. Gleichwohl ist § 59 Abs. 3 Satz 1 PatG in der seit dem 1. Juli 2006 geltenden Fassung entgegen der Ansicht der Rechtsbeschwerdeerwiderung auf den vorliegenden Fall anzuwenden, da über den Antrag, eine mündliche Anhörung durchzuführen, bis zu diesem Zeitpunkt nicht entschieden war und somit ein abgeschlossener prozessualer Sachverhalt nicht vorlag (vgl. BVerfGE 39, 156, 167, juris-Tz. 32; BVerfGE 65, 76, 98 = NJW 1983, 2929, juris-Tz. 59; BGH, Beschl. v. 15.12.1999 - I ZB 29/97, GRUR 2000, 1040 - FRENORM/FRENON, Gründe unter III. 2.; BPatG, Urt. v. 28.10.1992 - 2 Ni 2/91, GRUR 1993, 737, 738). Eine abweichende Übergangsregelung sieht das Gesetz nicht vor. Das gilt auch für Einspruchsverfahren, die nach der bis zum 30. Juni 2006 geltenden Regelung in § 147 Abs. 3 PatG als erstinstanzliche Verfahren vor das Patentgericht gelangt sind.
(2) Der Gesetzgeber hat die Regelung über die Durchführung der Anhörung unabhängig davon getroffen, ob das (erstinstanzliche) Einspruchsverfahren vor dem Patentamt oder vor dem Patentgericht durchgeführt wird. Damit hat er zugleich zum Ausdruck gebracht, dass er insoweit für eine unterschiedliche Behandlung keinen Anlass gesehen hat. Abweichend ist allerdings die Rechtslage im Einspruchsbeschwerdeverfahren vor dem Patentgericht. In diesem gilt § 79 Abs. 2 PatG. Das Patentgericht kann ohne mündliche Verhandlung über die Zulässigkeit einer Beschwerde entscheiden. Dies findet seine sachliche Rechtfertigung darin, dass eine Erörterung mit den Parteien vielfach nicht erforderlich ist, wenn über Fragen der Zulässigkeit eines Rechtsmittels zu entscheiden ist.
(3) Die Möglichkeit, durch die Erörterung des Sach- und Verfahrensstoffs den Verfahrensgang zu fördern und auf sachgerechte Anträge hinzuwirken sowie den Verfahrensstoff entsprechend zu konzentrieren, war Anlass für die verpflichtende Einführung der Anhörung im Einspruchsverfahren auf Antrag eines Beteiligten (Begründung des Regierungsentwurfs des Gesetzes zur Änderung des patentrechtlichen Einspruchsverfahrens und des Patentkostengesetzes BT-Drucks. 16/735, S. 10). Der Gesetzgeber hat dabei keine Differenzierung nach der Zulässigkeit des Einspruchs vorgesehen, obwohl ihm eine solche Differenzierungsmöglichkeit schon nach der Regelung für das Beschwerdeverfahren vor Augen stehen musste.
Bereits dies rechtfertigt es, an das Verfahren vor dem Patentgericht jedenfalls keine geringeren Anforderungen zu stellen als an das Verfahren vor dem Deutschen Patent- und Markenamt. Anders als gegen Entscheidungen des Deutschen Patent- und Markenamts ist zudem im Einspruchsverfahren, soweit das Patentgericht entscheidet, ein Rechtsmittel - abgesehen von der nur nach Zulassung oder im Hinblick auf bestimmte Verfahrensmängel statthaften Rechtsbeschwerde - nicht eröffnet. Im Gesetzgebungsverfahren ist dies bereits anlässlich der befristeten Übertragung des erstinstanzlichen Einspruchsverfahrens auf das Patentgericht beanstandet worden und Gegenstand von Erörterungen gewesen (Bericht des Rechtsausschusses BT-Drucks. 14/7140, S. 59 ff.). Zudem wurde, wie § 147 Abs. 3 PatG in der Fassung des Gesetzes zur Bereinigung von Kostenregelungen auf dem Gebiet des geistigen Eigentums vom 13. Dezember 2001 (BGBl. 2001 I 3656) belegt, mit der Übertragung des erstinstanzlichen Einspruchsverfahrens auf das Patentgericht lediglich die Zuständigkeit verlagert; es sollte im Übrigen aber grundsätzlich bei den schon zuvor geltenden Regeln über das Einspruchsverfahren vor dem Patentamt verbleiben. Diese sahen bis zum 30. Juni 2006 allerdings nur dann die Notwendigkeit einer Anhörung vor, wenn diese sachdienlich war (§ 46 Abs. 1 Satz 2 PatG). Dies hat der Gesetzgeber für das (erstinstanzliche) Einspruchsverfahren mit Wirkung vom 1. Juli 2006 grundlegend geändert. Die Anhörung ist nunmehr zwingend vorgeschrieben, wenn ein Beteiligter sie beantragt. Das Erfordernis der Sachdienlichkeit ist lediglich als Alternative hierzu, nicht aber als weiterhin hinzutretendes, kumulatives Erfordernis wie zuvor vorgesehen.
Es kann damit dahinstehen, ob die vom 19. Senat (in BPatGE 46, 134) und vom früheren 34. Senat des Bundespatentgerichts (in BPatGE 45, 162 = Mitt. 2002, 417) vertretene Auffassung, im erstinstanzlichen Einspruchsverfahren scheide die bloße Anhörung aus, zutreffend ist. Seit dem 1. Juli 2006 ergibt sich aus der Neuregelung in § 59 Abs. 3 Satz 1 PatG die Notwendigkeit der mündlichen Anhörung oder einer mündlichen Verhandlung.
Damit ist die Regelung in § 79 Abs. 2 Satz 2 PatG im erstinstanzlichen Einspruchsverfahren nur mehr mit der Maßgabe anwendbar, dass zwar eine förmliche mündliche Verhandlung für die Entscheidung über die Zulässigkeit entbehrlich ist, nicht aber die in § 59 Abs. 3 Satz 1 PatG zwingend vorgesehene Anhörung. Aus dem Verhältnis der Regelung in § 79 Abs. 2 Satz 2 PatG zu derjenigen in § 78 Nr. 1 PatG (vgl. hierzu BGH, Beschl. v. 16.11.1962 - I ZB 12/62, GRUR 1962, 279 - Weidepumpe) ergibt sich entgegen der Ansicht der Rechtsbeschwerdeerwiderung schon deshalb nichts Abweichendes, weil sich diese Regelungen lediglich auf die mündliche Verhandlung, nicht aber auf die Erforderlichkeit einer Anhörung beziehen und weil hier, anders als von § 79 Abs. 2 PatG vorausgesetzt, hier nicht über die Zulässigkeit einer Beschwerde, sondern über die Zulässigkeit eines Einspruchs zu entscheiden ist. Diese Unterschiede mögen es - was hier keiner Entscheidung bedarf - rechtfertigen, grundsätzlich nicht auf die verfahrensrechtlichen Regelungen über die mündliche Verhandlung zurückzugreifen, sondern auf die für die Anhörung. Jedoch folgt das Erfordernis der Öffentlichkeit dieser Anhörung aus der für das Verfahren vor den Beschwerdesenaten des Patentgerichts generell anzuwendenden Bestimmung des § 69 Abs. 1 PatG, die hier die Öffentlichkeit der Verhandlung vorsehen. Diese Anhörung darf aber nicht entgegen einem auf sie gerichteten Antrag unterlassen werden. Geschieht dies wie hier dennoch, so kann dies unter dem Gesichtspunkt der Verletzung des rechtlichen Gehörs nicht anders behandelt werden als die Nichtdurchführung einer nach dem Verfahrensrecht gebotenen mündlichen Verhandlung.
(4) Gegen eine Heranziehung der Regelung in § 79 Abs. 2 Satz 2 PatG spricht zudem, dass die Entscheidung, mit der die Unzulässigkeit der Beschwerde ausgesprochen wird, nicht ohne Weiteres mit der Entscheidung über die Unzulässigkeit des Einspruchs vergleichbar ist. Die Zulässigkeit der Beschwerde ist im Wesentlichen an formale Kriterien geknüpft; insbesondere ist eine Beschwerdebegründung nicht vorgeschrieben. Für die Zulässigkeit des Einspruchs stellt dagegen die Bestimmung des § 59 Abs. 1 Satz 2 - 4 PatG deutlich strengere Anforderungen. Dies lässt eine sachliche Unterscheidung zwischen der Prüfung der Zulässigkeit des Einspruchs und der Zulässigkeit der Beschwerde auch in der Sache nicht als fern liegend erscheinen.
(5) Einen Antrag auf mündliche Anhörung hat die Einsprechende vorliegend gestellt. Dass sie dies nur für den Fall getan hat, dass das Streitpatent nicht vollständig widerrufen werde, steht der Wirksamkeit der Antragstellung nicht entgegen. Der Antrag kann nämlich auch unter einer solchen (innerprozessualen) Bedingung gestellt werden (BGH, Beschl. v. 1.2.2000 - X ZB 27/98, GRUR 2000, 597, 598 - Kupfer-Nickel-Legierung m.w.N.).
d) Da das Patentgericht die beantragte Anhörung nicht durchgeführt hat, hat es der Einsprechenden bei seiner Entscheidung das rechtliche Gehör nicht in dem gebotenen Umfang gewährt. Die Entscheidung des Patentgerichts kann auch auf diesem Verfahrensmangel beruhen. Es kann nämlich jedenfalls nach den getroffenen Feststellungen nicht ausgeschlossen werden, dass die ordnungsgemäße Gewährung rechtlichen Gehörs durch das Patentgericht zu einer für die Einsprechende günstigeren Entscheidung zur Frage der Zulässigkeit des Einspruchs geführt hätte (vgl. BGH, Beschl. v. 8.9.2009 - X ZB 35/08, GRUR 2009, 1192 - Polyolefinfolie, juris-Tz. 21).
Damit ist die angefochtene Entscheidung aufzuheben und die Sache ist zur anderweiten Verhandlung und Entscheidung an das Patentgericht zurückzuverweisen (§ 108 Abs. 1 PatG). Eine mündliche Verhandlung hat der Senat nicht als erforderlich angesehen (§ 107 Abs. 1 PatG).
Keukenschrijver Mühlens Berger Grabinski Bacher Vorinstanz:
Bundespatentgericht, Entscheidung vom 05.08.2008 - 9 W(pat) 347/05 -
BGH:
Beschluss v. 17.12.2009
Az: Xa ZB 40/08
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