Oberlandesgericht Hamm:
Urteil vom 19. Oktober 2006
Aktenzeichen: 4 U 83/06
(OLG Hamm: Urteil v. 19.10.2006, Az.: 4 U 83/06)
Tenor
Auf die Berufung des Klägers wird das am 19. Januar 2006 verkündete Urteil der 2. Kammer für Handelssachen des Landgerichts Siegen abgeändert:
Die Beklagte wird verurteilt, es bei Vermeidung eines für jeden Fall der Zuwiderhandlung festzusetzenden Ordnungsgeldes bis zu 250.000,- EUR, ersatzweise Ordnungshaft bis zu sechs Monaten oder Ordnungshaft bis zu sechs Monaten, zu unterlassen, im geschäftlichen Verkehr zu Zwecken des Wettbewerbs für das alkoholhaltige Mixgetränke-Pulver ... wie nachfolgend abgebildet zu werben oder werben zu lassen:
- auf den Abdruck wurde verzichtet -
Die Beklagte trägt die Kosten des Rechtsstreits.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Gründe
I.
Der Kläger ist Dachverband von 16 Verbraucherzentralen und 18 weiteren verbraucher- und sozialorientierten Organisationen in Deutschland. Er fördert den Verbraucherschutz und ist seit dem 20. April 2001 unter Nr. 6 in die beim Bundesverwaltungsamt geführte Liste qualifizierter Einrichtungen nach § 4 UKlaG eingetragen.
Die Beklagte produziert und vertreibt unter den Bezeichnung "..." Alcopops in Pulverform. Durch das Aufgießen von Wasser auf das Pulver und das anschließende Umrühren entsteht ein Alcopop-Getränk. Auf den Plastiktüten mit dem Getränkepulver findet sich neben den Angaben zu den Geschmacksrichtungen wie z.B. "Blutorange Wodka" der Hinweis auf den Alkoholgehalt von ca. 4,8 %. Die Beklagte warb für ihr Alkoholpulver unter der Domain *internetadresse* im Internet in Farbe so, wie es auf Blatt 3-5 der Originalakte, auf die verwiesen wird, dargestellt ist. Am oberen rechten Rand jeder Seite wird in einem Kreis darauf hingewiesen, dass das Angebot nur für Erwachsene gedacht sei.
Der Kläger hat gemeint, die Internetwerbung der Beklagten verstoße gegen § 6 Abs. 5 Satz 1 des Jugendmedienschutz-Staatsvertrages (JMStV). Es handele sich dabei um eine Werbung für alkoholische Getränke, die sich ungeachtet des Hinweises "Angebot nur für Erwachsene -lesen ab 18 j." direkt an Kinder und Jugendliche richte. Außerdem spreche auch die Art der Darstellung besonders Kinder und Jugendliche an. Das gelte für die Aufmachung der Seite, das ausschließliche Duzen und die Art der benutzten "Sprüche". Mit dem Angebot der vor allem von Jugendlichen getrunkenen Alcopops in Pulverform umgehe die Beklagte zudem die Sondersteuer für alkoholartige Süßgetränke, die gerade zum Schutz junger Menschen vor den Gefahren des Alkohols erhoben werde.
Der Kläger hat die Beklagte mit der Klage darauf in Anspruch genommen, es unter Androhung der üblichen Ordnungsmittel zu unterlassen,
im geschäftlichen Verkehr für das alkoholhaltige Mixgetränke-Pulver ... zu werben oder werben zu lassen wie im Internetauftritt Bl. 3 -5 der Originalakte.
Der im Tatbestand des angefochtenen Urteils wiedergegebene Antrag ist dagegen ersichtlich so zu keiner Zeit gestellt worden.
Die Beklagte hat sich gegen die Klage verteidigt. Sie hat die Ansicht vertreten, ihre Werbung wende sich gerade nicht an Kinder und Jugendliche und verstoße damit auch nicht gegen den JMStV. Das sei schon wegen des Warnhinweises, das Angebot gelte nur für Erwachsene ab 18 Jahren, nicht der Fall. Die Werbung sei auch inhaltlich nicht besonders auf Kinder und Jugendliche zugeschnitten. Allein das Duzen und die Art und Weise der Ansprache seien dafür keine entscheidenden Argumente, weil es sich dabei um eine verbreitete Werbeform handele, die sich insbesondere an jüngere Erwachsene wende, die auch in großer Zahl noch im Hause ihrer Eltern lebten.
Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. Wegen der Begründung wird auf die Entscheidungsgründe des angefochtenen Urteils Bezug genommen.
Der Kläger greift das Urteil mit der Berufung an. Er rügt zunächst, dass das Landgericht nicht hinreichend zwischen den beiden Verbotsalternativen des § 6 Abs. 5 JMStV unterschieden habe. Er wiederholt, dass nach seiner Auffassung hier die Voraussetzungen beider Alternativen erfüllt seien. Zum einen richte sich die Werbung jedenfalls an Jugendliche, soweit darin ein direkter Bezug zur Sondersteuer für Alcopops hergestellt werde. Gerade Alcopops würden aber bevorzugt von Jugendlichen getrunken, weshalb sie mit der Sondersteuer belastet worden seien. Werde aber eine preiswerte Alternative zu diesen besonders besteuerten Alcopops beworben, richte sich die Werbung an die Zielgruppe der Jugendlichen, die bislang Alcopops gekauft hätten. Nach der Einschätzung des Klägers kommt noch hinzu, dass gerade mit dem Hinweis auf die Alternative zu "Papis muffeligen Hobbykeller" gezielt Jugendliche in ihren Lebenssituationen angesprochen würden. Die Tatsache, dass sich manchmal auch junge Erwachsene wie Kinder und Jugendliche benehmen würden, könne an dieser Zielrichtung nichts ändern. Es komme noch hinzu, dass sich die Werbung nicht ausschließlich an Kinder und Jugendliche richten müsse. Zum anderen spreche die Werbung durch die Art der Darstellung auch Kinder und Jugendliche besonders an. Dazu sei es gerade nicht erforderlich, sondern eher schädlich, die Kinder und Jugendlichen ausdrücklich als solche anzusprechen, weil sie unter anderem mit dem Alkoholkonsum erwachsen wirken wollten. Die fotografische Darstellung von Jugendlichen im Rahmen der Werbung für Alkohol würde schon für sich einen Gesetzesverstoß darstellen. Nach Einschätzung des Klägers habe die Beklagte eine Werbesprache verwendet, die die Lebenssituation der Jugendlichen berücksichtige und so daherkomme, dass diese darin ihr Sprachverhalten und ihren Sprachstil wiederfänden, wie die Verwendung der Begriffe " ... hol die Tüte! ... Muttis Spülmittel ... mit ... kommst du zu Pulver ... hier kannst du Sprüchen was das Zeug hält ... Partynator Peter Wackel ... ... dröhnt gut zu ... " zeigten. Derartige Sprüche seien dem Sprachgebrauch von Jugendlichen und nicht dem junger Erwachsener entnommen worden.
Der Kläger beantragt, das angefochtene Urteil abzuändern und die Beklagte in der Weise zur Unterlassung zu verurteilen, wie vom Senat erkannt worden ist.
Die Beklagte beantragt die Zurückweisung der Berufung.
II.
Die Berufung hat Erfolg, weil dem Kläger der geltend gemachte Unterlassungsanspruch wegen eines wettbewerbswidrigen Gesetzesverstoßes der Beklagten zusteht.
1) Der Antrag des Klägers ist bestimmt genug im Sinne des § 253 Abs. 2 Nr. 2 ZPO, weil er die konkrete Verletzungshandlung in Bezug nimmt und eine Werbung dieser Art verboten wissen will. Ob der Antrag, wenn er so gestellt worden wäre, wie ihn der Tatbestand des angefochtenen Urteils wiedergibt, bestimmt genug wäre, kann dahin stehen, weil der Kläger diesen Antrag nicht übernommen hat, sondern auf seinen schriftsätzlich angekündigten Antrag mit der Bezugnahme auf den Internetauftritt zurückgekommen ist. Der Kläger will erkennbar nur ein Werbeverbot und kein zusätzliches Vertriebsverbot.
2) Ein Unterlassungsanspruch des Klägers ergibt sich hier aus §§ 8 Abs. 1. Abs. 3 Nr. 3, 3, 4 Nr. 11 UWG in Verbindung mit § 6 Abs. 5 JMStV.
a) Der Kläger ist nach § 8 Abs. 3 Nr. 3 UWG berechtigt, im Interesse der Verbraucher denjenigen auf Unterlassung in Anspruch zu nehmen, der gegen § 3 UWG verstößt. Es braucht insofern kein Wettbewerbsverhältnis mit dem Störer zu bestehen. Es müssen allein Verbraucherschutzbelange oder wie hier Belange des Jugendschutzes bei dem Verstoß betroffen sein.
b) Unlauter im Sinne des § 3 UWG handelt nach § 4 Nr. 11 UWG insbesondere, wer einer gesetzlichen Vorschrift zuwiderhandelt, die auch dazu bestimmt ist, im Interesse der Marktteilnehmer das Marktverhalten zu regeln. Vorschriften zum Schutze der Jugend stellen solche Marktverhaltensregelungen zum Schutz der Verbraucher dar. Dazu gehört insbesondere auch der Jugendmedienschutz-Staatsvertrag (vgl. etwa Hefermehl/Köhler, Wettbewerbsrecht, 24. Auflage, § 4 UWG Rdn. 11.180).
c) Die Beklagte hat mit ihrer beanstandeten und auf Blatt 3-5 der Originalakte in Farbe dokumentierten Internetwerbung gegen § 6 Abs. 5 Satz 1 JMStV verstoßen. Dabei kann letztlich dahin stehen, ob sich die Werbung der Beklagten aus der entscheidenden objektiven Sicht der angesprochenen Verkehrskreise zumindest überwiegend an Kinder und Jugendliche richtet. Denn die Werbung spricht jedenfalls durch die Art der Darstellung Kinder und Jugendliche im Sinne der oben genannten Schutzvorschrift besonders an.
aa) Bei der Frage, ob sich eine Werbemaßnahme an Kinder oder Jugendliche richtet, ist auf die angesprochenen Verkehrskreise, also auf die Sicht der Kinder und Jugendlichen abzustellen. Zwar gehören die Angehörigen des Senats dazu ebenso wenig wie der Richter und die Handelsrichter des Landgerichts. Die Mitglieder des Senats können aber die Sicht der Kinder und Jugendlichen nach ihrer Lebenserfahrung ausreichend sicher beurteilen. Es spricht viel dafür, dass sich die Werbung jedenfalls in erster Linie an Jugendliche richtete, weil diese sich von der Werbung angesprochen fühlten. Zum einen macht schon das Objekt der Werbung besonders Jugendliche auf sich aufmerksam. Gerade diese sind nämlich nach dem unwidersprochenen Vorbringen des Klägers die Hauptabnehmer der Alcopops, die als süße alkoholische Getränke eigens auch für diese Zielgruppe entwickelt worden sind. Das hat dazu geführt, dass die Alcopops mit einer Sondersteuer zum Zwecke des Jugendschutzes belegt worden sind. Die Tatsache, dass hier Getränkepulver zur Herstellung von bestimmten Alcopops beworben wird, also gleichsam Alcopops in Tüten beworben werden, die dieser Verbrauchergruppe im Vergleich zu Alcopops in Flaschen aus Preisgründen und Zweckmäßigkeitserwägungen sogar noch entgegenkommen, weckt das Interesse der Jugendlichen an diesem Angebot. Darauf spielt die Werbung selbst auch an, indem sie eigens darauf hinweist, dass die kostentreibende Sondersteuer hier ebenso entfällt wie ein etwaiges Flaschenpfand. Auf die Jugendlichen zielen auch die Aufmachung der Werbung, der Sprachstil und bestimmte Assoziationen zu ihren Lebensumständen ab. Das so geweckte Interesse wird durch die Ansprache und den Sprachstil noch verstärkt. Die verwendeten Sprüche sind so gewählt, dass sie in erster Linie Jugendlichen entgegen kommen und durch die zugleich witzige, aber auch freche und provokante Art bei ihnen weiteres Interesse für das Angebot erwecken, während junge Erwachsene solche Sprüche weit eher als Anlockmittel durchschauen können. Hinzu kommt auch die Anrede "du", die eher auf das unmittelbare Ansprechen von Kindern und Jugendlichen hindeutet, wenn als Werbeadressaten nicht nur Kinder und Jugendliche, sondern auch junge Erwachsene in Betracht kommen (vgl. Harte/Henning/Stuckel, Wettbewerbsrecht, § 4 Nr. 2 Rdn. 9 unter Bezugnahme auf LG München I NJW 2003, 3066, 3068). Ob sich an dieser objektiv zu beurteilenden Ausrichtung der Werbung allein dadurch etwas ändern kann, dass die Beklagte im Rahmen der Werbung durch den Kreis oben rechts ausdrücklich darauf hingewiesen hat, dass sich diese nur an Erwachsene richten soll, und diese Zielrichtung nach der Abmahnung durch den Kläger auf einer Sonderseite erläutert hat, erscheint zweifelhaft. Die Frage bedarf aber letztlich keiner Entscheidung.
bb) Denn entscheidend ist, dass die Art der Darstellung der Internetwerbung der Beklagten Kinder und Jugendliche aus den oben genannten Erwägungen auch besonders anspricht. Die poppige Aufmachung und die verwandte Werbesprache zielen in ihrer Art weit mehr auf Jugendliche ab, die rebellieren und sich erwachsen fühlen wollen, als auf Erwachsene, die immer noch jugendlich erscheinen wollen. In der Werbesprache werden nicht nur den Jugendlichen vertraute und für die angenehmeren Seiten ihres Lebens stehenden Begriffe wie "Party" und "Diskothek" sondern auch bestimmte Sprüche verwandt, wie sie die Berufungsbegründung aufzählt. Gerade in diesem Zusammenhang ist von Bedeutung, dass solche Sprüche den Jugendlichen bekannt vorkommen, auf sie "cool" wirken und sie gerade deshalb unmittelbar ansprechen. Ob die Werbung daneben auch junge Erwachsene erreicht, ändert nichts an der dadurch bedingten besonderen Ansprache der Jugendlichen.
cc) Die Abwägung der öffentlichen Belange des Jugendschutzes mit den Grundrechten der Beklagten auf Freiheit der Berufsausübung und Meinungsfreiheit führt zu keinem anderen Ergebnis. Wie schon das Landgericht ausgeführt hat, dient der zwischen den Bundesländern geschlossene Staatsvertrag nach seinem § 1 dem Schutz der Kinder und Jugendlichen vor Angeboten in elektronischen Informations- und Kommunikationsmedien, die ihre Entwicklung oder Erziehung beeinträchtigen oder gefährden. Im Rahmen dieses Schutzzweckes verbietet § 6 Abs. 5 JMStV gerade auch bestimmte Formen der Werbung für alkoholische Getränke. Dieses gewichtige öffentliche Interesse rechtfertigt es, der Beklagten zu untersagen, ihre Werbung für ihre alkoholischen Getränke so zu gestalten, dass sich gerade die Jugendlichen aus ihrer Sicht davon besonders angesprochen fühlen. Damit ist kein allgemeines Werbeverbot für die Produkte der Beklagten verbunden. Sie ist dadurch nicht gehindert, junge Erwachsene im Alter von 20 bis 30 Jahren auch gezielt anzusprechen. Sie muss dabei nicht nur mit einem Hinweis, sondern auch im Rahmen der Werbung selber nur hinreichend deutlich machen, dass es ihr dabei um den Vertrieb an junge Erwachsene geht, auch wenn Alcopops üblicherweise auch und gerade von Jugendlichen gekauft werden. Nur wenn dies deutlich genug gemacht wird, will der Gesetzgeber im Interesse der Beklagten in Kauf nehmen, dass auch dann immer noch Jugendliche angesprochen werden könnten.
d) Der Gesetzesverstoß ist hier auch geeignet, den Wettbewerb zum Nachteil der Mitbewerber und Verbraucher im Sinne des § 3 UWG nicht nur unerheblich zu beeinträchtigen. Ein Verstoß gegen die Werbebeschränkungen des Jugendmedienschutz-Staatsvertrages ist gerade nicht als geringfügig anzusehen, wie schon der obigen Abwägung zu entnehmen ist. Hier geht es um gewichtige Belange des Jugendschutzes. Die Jugendlichen werden dabei auch als Marktteilnehmer geschützt. Ein solcher Verstoß, der dem Verletzer auch gegenüber den gesetzestreuen Mitbewerbern Vorteile verschafft und gerade bei Werbung im Internet Anlass zu Nachahmungen geben kann, beeinträchtigt auch schon deshalb den Wettbewerb im Sinne der Marktteilnehmer erheblich.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 91 Abs.1 ZPO.
Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus §§ 708 Ziffer 10, 711 ZPO.
OLG Hamm:
Urteil v. 19.10.2006
Az: 4 U 83/06
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