Oberlandesgericht Celle:
Urteil vom 23. Dezember 2003
Aktenzeichen: 3 U 196/03

(OLG Celle: Urteil v. 23.12.2003, Az.: 3 U 196/03)

Tenor

1. Auf die Berufung des Beklagten wird das am 10. Juli 2003 verkündete Urteil der Einzelrichterin der 4. Zivilkammer des Landgerichts Stade abgeändert und die Klage abgewiesen.

2. Der Kläger hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.

3. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

4. Die Revision wird nicht zugelassen.

Gründe

I. Der Kläger verursachte mit seinem am 19. Mai 1995 zugelassenen Pkw am 30. Juni 1995 einen Verkehrsunfall, bei dem ein Motorradfahrer erheblich verletzt wurde.

Am 5. Juli 1995 beauftragte der Kläger den Beklagten, und zwar auch damit, Fragen des Versicherungsschutzes zu klären.

Die Frist zur Zahlung der Erstprämie ließ der Kläger, der behauptet hat, den Versicherungsschein mit der Zahlungsaufforderung nicht erhalten zu haben, verstreichen, sodass die ..., von der er eine Doppelkarte erhalten hatte, den Versicherungsschutz mit Schreiben vom 16. Oktober 1995 unter Hinweis auf die sechsmonatige Klagefrist versagte.

Den Klaganträgen hat das Landgericht bis auf einen Betrag von 2.047,03 € stattgegeben und den Beklagten verurteilt, insgesamt 19.534,92 € an den Kläger zu zahlen. Mit Zugang des Schreibens der ... vom 11. März 1996 sei für den Beklagten erkennbar gewesen, dass die Versicherung keine Deckung für den Unfall des Klägers leisten würde. Der Beklagte hätte sich nicht damit begnügen dürfen, dieses Schreiben an den Kläger weiterzuleiten. Die Bitte um "kurzfristige Rücksprache" sei nicht genügend gewesen. Dem Beklagten hätte sich die Bedeutung der Ausschlussfrist des § 12 Abs. 3 VVG aufdrängen müssen. Das Unterlassen von Nachfragen beim Kläger bzw. bei der ... sei ihm als Pflichtverstoß anzulasten.

Die Ansprüche des Klägers seien nicht verjährt. Es habe für den Beklagten eine Hinweispflicht gegenüber dem Kläger bestanden, auf einen sekundären Schadensersatzanspruch hinzuweisen. Diese Mitte des Jahres 1999 beginnende Verjährungsfrist sei durch die am 26. Juli 2001 zugestellte Streitverkündungsschrift in 13 O 4138/01 Landgericht Hannover rechtzeitig unterbrochen worden.

Dagegen richtet sich die Berufung des Beklagten. Mit dieser wird geltend gemacht, Haftungsansprüche des Klägers gegen den Beklagten seien verjährt. Die Primärverjährung sei im Juni 1999 abgelaufen. Die Streitverkündung aus dem Jahr 2001 habe schon deshalb nicht zu einer Unterbrechung der Primärverjährung führen können. Für einen Sekundäranspruch fehle es an einem Anlass für den Beklagten zu prüfen, ob er sich regresspflichtig gemacht habe. Der Anwaltsauftrag vom 14. September 1998 habe einen anderen Gegenstand gehabt.

Der Beklagte beantragt,

unter teilweiser Abänderung des am 10. Juli 2003 verkündeten Urteils des Landgerichts Stade (4 O 107/02) die Klage in vollem Umfang abzuweisen.

Der Kläger beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Er verteidigt das angefochtene Urteil. Der Schaden gegenüber der ... sei erst entstanden, als 2001 der Widerrufsvergleich in dem Rechtsstreit 13 O 4138/01 LG Hannover rechtskräftig geworden sei. Auch die in diesem Verfahren gegenüber den Rechtsanwälten ... pp. angefallenen Anwaltsgebühren seien nicht verjährt. Außerdem habe der Beklagte Anlass gehabt, sich mit der Frage auseinanderzusetzen, ob er den Kläger durch seine vorherige Tätigkeit geschädigt habe.

Wegen der Einzelheiten wird auf die gewechselten Schriftsätze der Parteien samt Anlagen, die beigezogenen Akten, das angefochtene Urteil sowie das Protokoll der mündlichen Verhandlung verwiesen.

II.

Die zulässige Berufung des Beklagten ist begründet; sie führt zur Abänderung des angefochtenen Urteils und zur Klagabweisung.

Die Forderung des Klägers gegen den beklagten Rechtsanwalt ist verjährt.

1. Gemäß § 51 b BRAO verjährt der Anspruch des Auftraggebers auf Schadensersatz aus dem zwischen ihm und dem Rechtsanwalt bestehenden Vertragsverhältnis in drei Jahren von dem Zeitpunkt an, in dem der Anspruch entstanden ist, spätestens jedoch in drei Jahren nach der Beendigung des Auftrags. Die Entstehung des Anspruchs (§ 198 BGB a.F./§ 200 BGB n.F.) setzt die neuere Rechtsprechung mit dem Eintritt des Schadens gleich (vgl. BGHZ 119, 69, 73, für den Steuerberater; Vollkommer/Heinemann, Anwaltshaftungsrecht, 2. Aufl., Rn. 626 ff.). Auf eine Kenntnis des Mandanten kommt es nicht an (BGHZ 94, 380, 385). Ein Schaden ist in diesem Sinne dann eingetreten, wenn sich die Vermögenslage des Betroffenen durch die Pflichtverletzung objektiv verschlechtert hat. Dafür genügt es, dass irgendeine Vermögenseinbuße entstanden ist, mag auch die Höhe noch nicht beziffert werden können (BGH, WM 2001, 1677, 1679). Ob die Vermögenseinbuße bestehen bleibt ist irrelevant (BGHZ 119, 69, 71). Es kommt daher entgegen der Ansicht des Klägers, wie sie in der Berufungserwiderung ihren Niederschlag gefunden hat, nicht darauf an, dass im Dezember 2001 ein Vergleich zwischen dem Kläger und der ... geschlossen wurde, wonach der Kläger nur noch 20.000 DM zu zahlen hatte. Es kommt auch nicht darauf an, dass der Kläger erst im Jahr 2000 an die ... Zahlungen (relativ geringen Umfangs) erbrachte, denn auch diese Zahlung ist nicht selbständig zu beurteilen. Sie hat ihren Grund in dem fehlenden Versicherungsschutz des Klägers. Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs gilt, dass der Schaden als Einheit zu betrachten ist; sobald ein Teilschaden entstanden ist und mit der nicht entfernt liegenden Möglichkeit zu rechnen ist, dass weitere, bisher nicht erkennbare, adäquat verursachte Nachteile eintreten werden, beginnt für den Gesamtschaden die Verjährungsfrist zu laufen (BGHZ 119, 69, 71).

Danach ist davon auszugehen, dass mit Ablauf der 6-Monats-Frist nach § 12 Abs. 3 VVG im April 1996 der Schaden eingetreten war. Primärverjährung wäre danach im April 1999 eingetreten. Möglicherweise ist der Schaden bereits früher eingetreten, nämlich 1995 mit der Weigerung der ..., aufgrund der ausgebliebenen rechtzeitigen Zahlung der Erstprämie durch den Kläger ihre Einstandspflicht anzuerkennen. Darauf kommt es aber nicht an.

2. Ein weiterer, sog. sekundärer Ersatzanspruch, der dem Beklagten gemäß §249 BGB die Einrede der Primärverjährung verwehrte (vgl. BGHZ 94, 380, 385), steht dem Kläger nicht zu.

Ein Mandant, dessen primärer Schadensersatzanspruch wegen schuldhafter Verletzung des Anwaltsvertrages verjährt ist, hat dann einen weiteren (sekundären) Ersatzanspruch, wenn der Rechtsanwalt den Schaden in Gestalt der Primärverjährung verursacht hat, indem er im Rahmen der umfassenden vertraglichen Beratungspflicht eine bis zum Mandatsende entstandene (sekundäre) Pflicht, den Auftraggeber auf die Möglichkeit einer eigenen Regresshaftung und deren kurze Verjährung gemäß § 51 b BRAO hinzuweisen, schuldhaft verletzt hat (vgl. BGH, NJW 2000, 1263, 1264). Diese sekundäre Pflicht entsteht, wenn der Rechtsanwalt Anlass hat zu prüfen, ob er durch eine Pflichtverletzung den Mandanten geschädigt hat und ein sorgfältiger Rechtsanwalt dabei seine mögliche Haftpflicht erkennen kann (vgl. BGHZ 94, 380, 386 f.). Mehrere zeitliche Schranken sind hierbei zu achten. Der Anlass zur Prüfung der eigenen Tätigkeit muss nach Begehung des Fehlers und vor Eintritt der Primärverjährung liegen, außerdem besteht die Pflicht nur bis zum Ende des Mandats.

Neben diesem zeitlichen Aspekt setzt der Sekundäranspruch immer eine neue, schuldhafte Pflichtverletzung voraus. Der Umstand, dass der Beklagte entsprechend den nicht angegriffenen Ausführungen des Landgerichts seine Hinweis- und Beratungspflichten gegenüber dem Kläger verletzte, reicht nicht aus, denn darin liegt lediglich die ursprüngliche Pflichtverletzung. Hatte der Beklagte keinen (objektiven) Anlass, eine durch seine Pflichtwidrigkeit verursachte Schädigung des Klägers zu erkennen und diesem die Durchsetzbarkeit des Regressanspruchs zu ermöglichen, so beruht die eingetretene Verjährung nicht auf seinem Verhalten und kann ihm nicht als Verletzung seines Auftrags zugerechnet werden (vgl. BGHZ 94, 380).

Der Kläger meint, der Beklagte habe seinen Fehler erkennen müssen. Der Vortrag des Klägers dazu ist aber wenig konkret. Die Verletzung der sekundären Hinweispflicht (ebenso wie den Zusammenhang zwischen der Verletzung der sekundären Hinweispflicht und dem Eintritt der Primärverjährung) hat aber der Kläger darzutun und zu beweisen (vgl. BGH, WM 1991, 1427, 1429). Der Bundesgerichtshof hat verlangt, dass es sich einem sorgfältig arbeitenden Rechtsanwalt "aufdrängen" musste, einen zur Schadensentstehung führenden Fehler gemacht zu haben (vgl. BGH, NJW 1985, 1151, 1152, unter II.2.b.bb). Die Beispiele in der Rechtsprechung, etwa der Erlass eines Urteils (BGH, NJW 1986, 581, 583) oder der Einwand unzulässiger Rechtsausübung des Gegners gegenüber der eigenen Verjährungseinrede im (Vor-)Prozess (BGH, VersR 1968, 1042, 1043), zeigen, dass es sich um einen "äußeren" Anlass handeln muss, anderenfalls der Rechtsanwalt gezwungen würde, immer wieder von sich aus seine eigene Arbeit prüfend in Frage zu stellen.

An einem solchen "äußeren" Anlass zu einer Zeit, als die Primärverjährung noch lief, fehlt es vorliegend. Wegen des oben beschriebenen zeitlichen Rahmens bleiben der Rechtsstreit 13 O 4138/01 LG Hannover und der in diesem Rechtsstreit geschlossene Vergleich von vornherein außer Betracht. In den zeitlichen Rahmen fällt hingegen, wenn man eine Primärverjährung im April 1999 annimmt, das Schuldanerkenntnis des Klägers gegenüber der ..., das der Beklagte kannte, da er es war, der es der ... übersandte. Damit stellt sich die Frage, wieso es sich dem Beklagten aufgrund dieses Schuldanerkenntnisses hätte aufdrängen müssen, dass er entsprechend den Ausführungen des Landgerichts eine Pflichtverletzung begangen hatte. Allein der Umstand, dass die ... Ansprüche gegen den Kläger geltend machte, reicht gerade nicht. Die Rechtsansicht zum fehlenden Versicherungsschutz und zur Haftung des Klägers hatte die ... von Anfang an vertreten, seit sie nämlich im Sommer 1995 erstmals auf den fehlenden Versicherungsschutz hingewiesen hatte. Das aber war bereits vor der Pflichtverletzung des Beklagten. Überdies stellte, wie auch in der mündlichen Verhandlung bereits im Einzelnen erörtert, das Schuldanerkenntnis für den Beklagten keinen ausreichenden "äußeren" Anlass, sein bisheriges Handeln auf eine eigene Pflichtverletzung hin zu überprüfen und gegebenenfalls den Kläger darauf hinzuweisen, dar. Das Verlangen der ... gegenüber dem Kläger, ein Schuldanerkenntnis abzugeben, passt nahtlos in die von Anfang an von der ... vertretene Rechtsansicht. Wie bereits ausgeführt, hatte sie durchweg die Auffassung vertreten, dass Deckungsschutz nicht bestehe. Aufgrund der Vorschrift des § 3 Nr. 4 PflVG konnte die ... diesen Umstand ersatzberechtigten Dritten freilich nicht entgegenhalten, war mithin darauf angewiesen, Schadensersatz zu leisten und wie geschehen die Leistungen im Regresswege vom Kläger zurückzufordern.

Wann das Mandat zwischen den Parteien beendet war, kann dahingestellt bleiben. Auch eine bevorstehende Beendigung des Mandats ist kein Anlass, im o. g. Sinne zu überprüfen, ob der Mandant über die Möglichkeit eines sekundären Ersatzanspruchs zu belehren war (vgl. BGH, WM 1990, 815, 817).

3. Aus den o. g. Gründen war mit der Kostenfolge aus § 91 Abs. 1 ZPO das angefochtene Urteil abzuändern und die Klage abzuweisen. Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit beruht auf §§ 708 Nr. 10, 713 ZPO.

Anlass, die Revision zuzulassen, bestand nicht, § 543 Abs. 2 Satz 1 ZPO.

Der nicht nachgelassene Schriftsatz des Prozessbevollmächtigten des Klägers vom 18. Dezember 2003 gibt dem Senat keinen Anlass, gemäß § 156 ZPO wieder in die mündliche Verhandlung einzutreten. Die neuen Tatsachen sind schon gemäß §§ 531, 296 a ZPO nicht zu berücksichtigen.






OLG Celle:
Urteil v. 23.12.2003
Az: 3 U 196/03


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