Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg:
Beschluss vom 29. Juli 1998
Aktenzeichen: 9 S 1592/98

(VGH Baden-Württemberg: Beschluss v. 29.07.1998, Az.: 9 S 1592/98)

1. Das Rechtsmittelzulassungsverfahren und das anschließende Rechtsmittelverfahren bilden in Ansehung der Prozeßkostenhilfe einen einheitlichen Rechtszug.

2. Für die Frage der Erfolgsaussicht der Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung im Sinne von § 114 ZPO kommt es nicht allein auf das Zulassungsverfahren, sondern auf den Rechtszug insgesamt an. Ein Erfolg des Rechtsmittelzulassungsantrags wird freilich bei den meisten Zulassungsgründen eine hinreichende Erfolgsaussicht des zugelassenen Rechtsmittels indizieren.

3. Entscheidet das Rechtsmittelgericht in Eilverfahren zugleich über die Zulassung der Beschwerde und über die Beschwerde selbst, so kommt eine Bewilligung von Prozeßkostenhilfe nicht in Betracht, wenn zwar die Beschwerde - etwa aus Verfahrensgründen - zuzulassen ist, jedoch - aus Sachgründen - zurückgewiesen werden muß.

Gründe

Der Senat hält auch nach Kenntnisnahme von dem ergänzenden Vortrag des Antragstellers zu seinen persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen daran fest, daß dem Antragsteller Prozeßkostenhilfe für den zweiten Rechtszug nicht zu gewähren war. Dabei läßt er offen, ob und unter welchen näheren Voraussetzungen eine rückwirkende Gewährung von Prozeßkostenhilfe nach Abschluß des Rechtszugs und nach rechtskräftigem Abschluß des Verfahrens überhaupt in Betracht kommt. Ebenso läßt er dahingestellt, ob der Antragsteller die Kosten der Prozeßführung nicht, nur zum Teil oder nur in Raten aufbringen kann (§ 166 VwGO i.V.m. § 114, § 115 ZPO); zwar hat er selbst kein einzusetzendes Einkommen oder Vermögen, doch ist ihm sein Vater unterhaltspflichtig und schuldet grundsätzlich auch die Kosten einer Prozeßführung, die - wie hier - eine persönliche Angelegenheit des unterhaltsberechtigten Antragstellers betrifft (§ 1310 Abs. 2, § 1360a Abs. 4 <entspr.> BGB), und es ist sehr zweifelhaft, ob der Vater seine Leistungsfähigkeit unter Berufung darauf in Zweifel ziehen kann, daß er für das eigengenutzte Familienheim monatliche Zins- und Tilgungslasten von 2.715 DM aufbringen müsse, oder ob diese Kosten in einem auffälligen Mißverhältnis zu seinen Lebensverhältnissen stehen (vgl. § 115 Abs. 1 Satz 3 Nr. 3 ZPO). Auf die angesprochenen Fragen kommt es deshalb nicht an, weil die Rechtsverfolgung keine hinreichende Aussicht auf Erfolg bot (§ 166 VwGO i.V.m. § 114 ZPO).

Das ergibt sich schon daraus, daß der Senat die Beschwerde des Antragstellers in dem genannten Beschluß aus Sachgründen zurückgewiesen hat. Der Antragsteller kann für sich auch nichts anderes aus dem Umstand herleiten, daß er immerhin mit seinem Antrag auf Zulassung der Beschwerde Erfolg hatte. Daraus ergibt sich insbesondere nicht, daß Prozeßkostenhilfe jedenfalls für das Zulassungsverfahren hätte bewilligt werden können.

Prozeßkostenhilfe wird gemäß § 166 VwGO i.V.m. § 119 Satz 1 VwGO für jeden Rechtszug gesondert bewilligt. Das Zulassungsverfahren und das anschließende Rechtsmittelverfahren bilden im Sinne dieser Vorschrift nicht zwei gesonderte Verfahren, sondern einen einheitlichen Rechtszug (ebenso OVG Thüringen, Beschluß vom 23.01.1998 - 3 ZKO 496/97 -, AuAS 1998, 141; Eyermann/Happ, § 124a VwGO Rdnr. 5 a.E.; vgl. für die Revision BVerwG, Beschluß vom 29.11.1994 - 11 KSt 1.94 -, Buchholz 310 § 319 VwGO Abs. 2 Nr. 2; a.A. Hess. VGH, Beschluß v. 08.08.1997 - 12 UZ 4496/96.A -, NJW 1998, 553). Das ergibt sich schon daraus, daß das Zulassungsverfahren über die Eröffnung des Rechtsmittels befindet und im Falle der Zulassung als Rechtsmittelverfahren fortgesetzt wird, ohne daß es noch der Einlegung des Rechtsmittels bedürfte (§ 124a Abs. 2 Satz 4, § 146 Abs. 6 Satz 2 VwGO). Es liegt auch den insoweit einschlägigen kostenrechtlichen Vorschriften jedenfalls für Berufung und Beschwerde durchgängig zugrunde (vgl. § 14 Abs. 3 GKG und Ziffern 2120 und 2500 des Kostenverzeichnisses sowie § 114 Abs. 1, Abs. 4, § 13 Abs. 2 Satz 2, § 14 Abs. 2 Satz 2 BRAGO).

Bilden aber Zulassungsverfahren und Rechtsmittelverfahren in Ansehung der Prozeßkostenhilfe eine Bewilligungseinheit, so kommt es für die Frage der Erfolgsaussicht der Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung (§ 166 VwGO i.V.m. § 114 ZPO) auf den Rechtszug insgesamt an. Prozeßkostenhilfe kann daher grundsätzlich nicht allein deswegen gewährt werden, weil ein Zulassungsantrag als solcher erfolgversprechend erscheint, sofern das zuzulassende Rechtsmittel eine Erfolgsaussicht nicht bietet; eine Bewilligung von Prozeßkostenhilfe kommt dann auch nicht beschränkt auf die durch das Zulassungsverfahren verursachten ausscheidbaren Kosten in Betracht. Die Frage kann sich ohnehin nur stellen, wenn mit der Zulassung des Rechtsmittels über dessen Erfolgsaussicht noch nichts gesagt ist, was insbesondere dann in Betracht kommt, wenn die jeweilige Beurteilungsperspektive unterschiedlich ist (vgl. Rennert, NVwZ 1998, 665). Auch dann wird die Zulassung des Rechtsmittels bei den meisten Zulassungsgründen dessen für eine Gewährung von Prozeßkostenhilfe hinreichende Erfolgsaussicht indizieren. Das ändert indes nichts daran, daß es für die Beurteilung der Erfolgsaussicht auf das Rechtsmittel, nicht auf den Zulassungsantrag ankommt. Entscheidet das Rechtsmittelgericht - wie in gerichtlichen Eilverfahren häufig - zugleich über die Zulassung der Beschwerde und über die Beschwerde selbst, so kommt daher eine Bewilligung von Prozeßkostenhilfe nicht in Betracht, wenn zwar - wie hier - die Beschwerde aus Verfahrensgründen zuzulassen war (vgl. § 146 Abs. 4, § 124 Abs. 2 Nr. 5 VwGO), jedoch aus Sachgründen zurückgewiesen werden mußte.

Einer Kostenentscheidung bedarf es nicht.

Dieser Beschluß ist unanfechtbar.






VGH Baden-Württemberg:
Beschluss v. 29.07.1998
Az: 9 S 1592/98


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