Bundespatentgericht:
Beschluss vom 26. November 2004
Aktenzeichen: 14 W (pat) 26/03

(BPatG: Beschluss v. 26.11.2004, Az.: 14 W (pat) 26/03)

Tenor

1. Der angefochtene Beschluss wird aufgehoben.

2. Das Patent 196 33 895 wird widerrufen.

Gründe

I Mit dem angefochtenen Beschluss vom 3. Februar 2003 hat die Patentabteilung 41 des Deutschen Patent- und Markenamts das Patent 196 33 895 mit der Bezeichnung

"Verwendung von sauren Natriumpolyphosphaten zur Keimhemmung von Schimmel und Hefen"

in vollem Umfang aufrechterhalten.

Dem Beschluss liegen die erteilten Ansprüche 1 bis 7 zugrunde, von denen der Anspruch 1 wie folgt lautet:

Verwendung von sauren Natriumpolyphosphaten zur Keimhemmung von Schimmel und Hefe in Lebensmitteln, dadurch gekennzeichnet, daß das Polyphosphat einen P2O5-Gehalt von 70 bis 77 Gew.-%, einen Na2O-Gehalt von 20 bis 27 Gew.-%, einen Wassergehalt von 2 bis 3 Gew.-% und einem mittleren linearen Kondensationsgrad von 8 bis 20 besitzt, indem man das Phosphat in einer Konzentration von 0,1-1 Gew.-% dem Lebensmittel zufügt.

Die Aufrechterhaltung des Patents wurde im wesentlichen damit begründet, dass die Neuheit der Verwendung von sauren Natriumpolyphosphaten zur Keimhemmung von Schimmel und Hefe in Lebensmitteln gemäß Anspruch 1 gegeben sei, da diese Verwendung aus keiner der im Prüfungs- und Einspruchsverfahren in Betracht gezogenen Druckschriften bekannt sei. Der Gegenstand des Anspruchs 1 weise auch erfinderische Tätigkeit auf, da aus den Druckschriften

(1) DE 16 42 142 A und

(2) DE 43 05 105 C1 nicht herzuleiten sei, dass bestimmte Polyphosphate, wie sie im Anspruch 1 des Streitpatents definiert seien, die Keimhemmung von Schimmel- und Hefepilzen in Lebensmitteln bewirkten.

Gegen diesen Beschluss richtet sich die Beschwerde der Einsprechenden. Sie macht geltend, dass es der Verwendung gemäß Anspruch 1 bereits an der Neuheit gegenüber (2), die die Verwendung der beim Streitpatent eingesetzten sauren Polyphosphate zur bakteriostatischen Behandlung von Fleisch und Geflügel betreffe, fehle, da der Fachmann bei der Nacharbeitung von (2) zwangsläufig die fungizide Wirkung feststelle. Auf jeden Fall beruhe der Gegenstand des Anspruchs 1 nicht auf einer erfinderischen Tätigkeit. Dazu verweist die Einsprechende zusätzlich insbesondere auf die Druckschriften

(5) Scientific and Technical Surveys, The British Food Manufacturing Industries Research Association, No 76, April 1972, S 15-17 und

(6) DE 16 42 141 A.

Aus (1), (6) und dem diese Patentveröffentlichungen betreffenden Aufsatz (5) sei nämlich bekannt, dass den beim Streitpatent verwendeten sauren Polyphosphaten sehr ähnlichen Polyphosphate sowohl eine bakterizide als auch eine fungizide Wirkung zukomme. Der Fachmann könne daher auch bei den aus (2) bekannten, mit dem Streitpatent identischen sauren Polyphosphaten mit bakteriostatischer Wirkung die Keimhemmung von Schimmel und Hefe in Lebensmitteln erwarten und gelange somit in naheliegender Weise zum Gegenstand des Anspruchs 1.

Die Einsprechende beantragt, den angefochtenen Beschluss aufzuheben und das Patent zu widerrufen.

Die Patentinhaberin beantragt, die Beschwerde zurückzuweisen.

Sie widerspricht dem Vorbringen der Einsprechenden und macht im wesentlichen geltend, dass die Verwendung gemäß Anspruch 1 gegenüber (2) neu sei, denn der Fachmann würde bei der Verwendung zur bakteriostatischen Behandlung von Fleisch und Geflügel gemäß (2) keinen Schimmel und keine Hefe auffinden, da diese bei den Einsatz- und Untersuchungsbedingungen von (2) nicht aufträten und der Fachmann auch nicht danach suche. Die Verwendung gemäß Streitpatent beruhe auch auf einer erfinderischen Tätigkeit. Die im Anspruch 1 definierten Phosphate unterschieden sich signifikant von den in (1) bzw (6) verwendeten Phosphaten. Auf Grund des großen Unterschieds im Aufbau von Schimmel und Hefen als eukariontische Zellen gegenüber Bakterien und in Anbetracht der großen Vielzahl an Polyphosphaten, sei auch in Kombination mit (1), (5) und (6) die erfindungsgemäße Verwendung nicht nahegelegt.

Wegen weiterer Einzelheiten, insbesondere zum Wortlaut der Patentansprüche 2 bis 7, welche besondere Ausführungsformen der Verwendung nach Anspruch 1 betreffen, wird auf den Akteninhalt verwiesen.

II Die Beschwerde der Einsprechenden ist zulässig (PatG § 73); sie führt auch zum Erfolg.

1. Die erteilten und weiterhin geltenden Ansprüche sind zulässig. Sie entsprechen inhaltlich den ursprünglichen Ansprüchen 1 bis 7 und sind auch sonst nicht zu beanstanden, wie bereits im Beschluss der Patentabteilung festgestellt wurde.

2. Die Verwendung von sauren Natriumpolyphosphaten zur Keimhemmung von Schimmel und Hefe in Lebensmitteln nach Anspruch 1 ist neu. In keiner der entgegengehaltenen Druckschriften ist diese Verwendung mit sämtlichen im Anspruch 1 aufgeführten Merkmalen beschrieben.

Gegenüber (1), (5) und (6) unterscheidet sich die Verwendung nach Anspruch 1 bereits durch die eingesetzten sauren Polyphosphate, was auch die Einsprechende nicht bestreitet. Bei der aus (2) bekannten Verwendung der auch gemäß Anspruch 1 des Streitpatents eingesetzten sauren Polyphosphate zur bakteriostatischen Behandlung von Fleisch und Geflügel werden die Phosphate jedenfalls nicht dem Lebensmittel in einer Konzentration von 0,1 - 1 Gew.-% zugefügt, wie es bei der Verwendung gemäß Anspruch 1 erforderlich ist, sondern das Fleisch oder Geflügel wird in eine Lösung des Polyphosphats eingetaucht und abgespült ((2) Ansprüche 1 und 4 iVm S 2 Z 47 bis 54 und Beispiel 1).

3. Die Verwendung von sauren Natriumpolyphosphaten zur Keimhemmung von Schimmel und Hefe in Lebensmitteln nach Anspruch 1 beruht aber nicht auf einer erfinderischen Tätigkeit.

Dem Patent lässt sich als zu lösende Aufgabe entnehmen, ausgehend vom Stand der Technik, wie er unter anderem in (1) und (2) beschrieben wird, ein Mittel gegen Pilzbefall in Lebensmitteln zu finden, vgl. Sp 1 Z 47 bis Sp 2 Z 7 der DE 196 33 895 C1. Diese Aufgabe soll durch die Verwendung spezieller saurer Polyphosphate gemäß Anspruch 1 gelöst werden.

Diese Lösung der Aufgabe wird dem Fachmann, einem Lebensmittelchemiker oder Lebensmitteltechnologen, der mit der Konservierung von Lebensmitteln befasst ist, von der Kombination der Druckschriften (2) mit (1) und (6) nahegelegt. Aus (2) geht hervor, dass spezielle saure Polyphosphate mit hohen P2O5-Gehalten, welche aus der in der Beschreibungseinleitung des vorliegenden Patents genannten US-PS 2 774 672 seit langem bekannt sind, zur bakteriostatischen Behandlung von Fleisch oder Geflügel geeignet sind. Diese sauren Polyphosphate weisen gegenüber den in den parallelen Patentveröffentlichungen (1) und (6) beschriebenen sauren Polyphosphaten bei überlappender Kettenlänge nur eine geringfügig unterschiedliche Zusammensetzung auf, wie die Berechnungen der Patentinhaberin in ihrer Eingabe vom 7. September 1999 im Verlauf des Einspruchsverfahrens belegen. Ein Vergleich der in der US-PS (Ansprüche 1 und 3 iVm Sp 7 Z 27 bis 70) angegebenen Formeln mit den in (1) (Ansprüche 1, 2 und 11) und (6) (Ansprüche 1 und 9) angegebenen Formeln für die Polyphosphate zeigt, dass die bei (2) sowie (1) und (6) verwendeten Polyphosphate auch das gleiche Phosphatgerüst aufweisen. Gemäß (1) werden die Polyphosphate den Lebensmitteln zur Konservierung gegen Schimmel und Hefen in Mengen von etwa 0,5 bis etwa 2,0 Gew.-% zugefügt (Anspruch 11 iVm S 3 Abs 2) und gemäß (6) können diese Polyphosphate zum Konservieren von Lebensmitteln gegen die zerstörende Wirkung von Bakterien in gleichen Mengen zugefügt werden (Anspruch 9 iVm S 5 Abs 1). Dem Fachmann war es in Kenntnis dessen daher trotz des unterschiedlichen Aufbaus von Hefen und Schimmelpilzen als eukarionische Zellen gegenüber Bakterien geläufig, dass solche saure Natriumpolyphosphate zur Konservierung von Lebensmitteln sowohl gegen Schimmel und Hefen als auch gegen Bakterien eingesetzt werden können. Es war daher für den Fachmann naheliegend zu prüfen, ob auch die sauren Polyphosphate gemäß (2), die zur bakteriostatischen Behandlung von Fleisch und Geflügel eingesetzt werden, zur Keimhemmung von Schimmel und Hefen in Lebensmitteln geeignet sind. Der Fachmann konnte dann mit Hilfe zuzumutender Versuche, zu deren Durchführung er auch von (5), einer Abhandlung über die bakterizide und fungizide Wirkung insbesondere der in (1) bzw (6) beschriebenen Polyphosphaten angeregt wird (vgl S 16 le Abs und S 17, Abs 4), ohne erfinderisches Zutun zum Gegenstand des Anspruchs 1 gelangen. Die Argumentation der Patentinhaberin, dass die gemäß Anspruch 1 eingesetzten sauren Polyphosphate aus der US-PS bereits seit 1956 bekannt seien und damit der Zeitfaktor für die Annahme erfinderischer Tätigkeit spreche, kann hier nicht durchgreifen. Im vorliegenden Fall versagt der Zeitfaktor für sich allein indessen als Beweisanzeichen für das Vorliegen einer erfinderischen Tätigkeit, da die patentgemäße Lehre aus den oben dargelegten Gründen nahelag (vgl BGH Bl PMZ 1964, 121 "Wimpernfärbestift"). Im übrigen ist die konservierende Wirkung dieser Polyphosphate für Lebensmittel erst seit 1994 aus (2) bekannt, lediglich 2 Jahre vor der Anmeldung des Streitpatents.

4. Der Anspruch 1 hat daher mangels erfinderischer Tätigkeit keinen Bestand.

Die auf den Anspruch 1 rückbezogenen Ansprüche 2 bis 7 teilen das Schicksal des Anspruchs 1 (vgl BGH "Elektrisches Speicherheizgerät" GRUR 1997, 120).

Schröder Harrer Gerster Schuster Ja






BPatG:
Beschluss v. 26.11.2004
Az: 14 W (pat) 26/03


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