Verwaltungsgericht München:
Beschluss vom 7. November 2012
Aktenzeichen: M 8 M 12.4172

(VG München: Beschluss v. 07.11.2012, Az.: M 8 M 12.4172)

Tenor

I. Die Erinnerung wird zurückgewiesen.

II. Die Antragsteller haben die Kosten des Verfahrens gesamtschuldnerisch zu tragen.

Gründe

I.

Die Antragsteller wenden sich gegen den Kostenfestsetzungsbeschluss des Urkundsbeamten des Bayerischen Verwaltungsgerichts München vom 20. August 2012 und begehren die Wiederherstellung des Kostenfestsetzungsbeschlusses vom 2. August 2012. Mit Kostenfestsetzungsbeschluss vom 2. August 2012 hatte der Urkundsbeamte antragsgemäß entsprechend dem Kostenfestsetzungsantrag der Antragsteller vom 27. Juli 2012 die diesen zu erstattenden notwendigen Aufwendungen auf insgesamt 781,83 € festgesetzt. Auf die hiergegen von der Antragsgegnerin erhobene Erinnerung vom 13. August 2012 erließ der Urkundsbeamte den nunmehr streitgegenständlichen Kostenfestsetzungsbeschluss vom 20. August 2012 und setzte die zu erstattenden Aufwendungen auf 490,28 € fest. Mit ihrer Erinnerung hatte die Antragsgegnerin gerügt, dass eine Einigungsgebühr in Höhe von 245 € antragsgemäß festgesetzt worden war. Die Zustimmung der Antragsgegnerin vom 20. Juli 2012 zur Erledigungserklärung des Antragstellers vom 17. Juli 2012 im Verfahren M 8 SN 12.2368 habe als solche keine Einigungsgebühr gemäß Ziffern 1000, 1003 VV-RVG ausgelöst. Rechtsfolge der beiden Erklärungen sei lediglich die Beendigung der Rechtshängigkeit im Verfahren M 8 SN 12.2368 gewesen. Eine Einigung über die in Frage stehenden materiell-rechtlichen Ansprüche sei nicht erzielt worden. Es hätten auch keine diesbezüglichen Gespräche stattgefunden.

Zur Begründung seiner Erinnerung führt der Bevollmächtigte der Antragsteller aus, dass die Streichung einer 1,0-fachen Gebühr unzutreffend erfolgt sei. Die Gebühr sei entweder als Einigungsgebühr oder als Erledigungsgebühr im Sinne der Ziffern 1000, 1002 und 1003 VV-RVG angefallen.

Vorausgegangen seien mehrere telefonische Erörterungen mit dem zuständigen Berichterstatter mit der Zielsetzung, aufgrund der Erklärung der Beigeladenen das Verfahren im einstweiligen Rechtsschutz ohne streitige Gerichtsentscheidung zu erledigen. Der Berichterstatter habe hierzu beiden Seiten eine Erledigungserklärung vorgeschlagen, woran der Prozessbevollmächtigte der Antragsteller mitgewirkt habe und wofür seine Tätigkeit mitursächlich gewesen sei, weshalb die ursprünglich festgesetzte Gebühr angefallen sei.

Mit Schreiben vom 27. August 2012 teilte der Urkundsbeamte mit, dass dem Antrag nicht abgeholfen werde. Die Voraussetzungen für die Erstattungsfähigkeit einer Einigungsgebühr nach Ziffer 1000 i.V.m. Ziffer 1003 VV-RVG seien nicht gegeben.

Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Gerichtsakte Bezug genommen.

II.

Da das Kostenfestsetzungsverfahren nach § 164 VwGO ein von der Kostenlastentscheidung in der Hauptsache abhängiges Nebenverfahren darstellt, hat das Gericht über die Erinnerung gegen einen Kostenfestsetzungsbeschluss in der Besetzung zu entscheiden, in der die zugrunde liegende Kostenentscheidung getroffen wurde (BayVGH Beschluss vom 19.1.2007, Az: 24 C 06.2426, NVwZ-RR 2007, 497 € juris RdNr. 18; Kopp/Schenke, VwGO, 17. Aufl. 2011, § 165 RdNr. 3). Nachdem die Kostengrundentscheidung bzw. der Beschluss mit der Kostengrundentscheidung vom 23. Juli 2012 vom Berichterstatter entschieden worden war und es sich bei der Entscheidung über die Kostenerinnerung um eine Entscheidung über €Kosten€ im Sinne von § 87a Abs. 1 Nr. 5 VwGO handelt, hat über die Kostenerinnerung der Berichterstatter zu entscheiden.

Der gemäß §§ 165, 151 VwGO statthafte Antrag auf gerichtliche Entscheidung (Kostenerinnerung) ist zulässig, aber unbegründet, da der Urkundsbeamte die Kosten im Kostenfestsetzungsbeschluss vom 20. August 2012 zutreffend festgesetzt hat, insbesondere zu Recht keine Einigungsgebühr nach Nr. 1000 der Anlage 1 zu § 2 Abs. 2 RVG (Vergütungsverzeichnis zum Rechtsanwaltsvergütungsgesetz € VV-RVG) angesetzt hat.

Im Kostenfestsetzungsverfahren gemäß § 164 VwGO werden auf der Grundlage der Kostengrundentscheidung nach den §§ 154 ff. VwGO auf Antrag die zu erstattenden Kosten festgesetzt. Erstattungsfähig sind nach § 162 Abs. 1 VwGO die zu zweckentsprechenden Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung notwendigen Aufwendungen des Beteiligten. Der Höhe nach sind gemäß § 162 Abs. 2 Satz 1 VwGO im Falle der Zuziehung eines Rechtsanwalts Aufwendungen im Umfang der gesetzlichen Gebühren und Auslagen notwendig. Maßstab für die Notwendigkeit der Aufwendungen sind die Vorschriften des Rechtsanwaltsvergütungsgesetzes € RVG.

Vorliegend ist in der Sache allein streitig, ob der Urkundsbeamte in seiner Abhilfe in Form des Kostenfestsetzungsbeschlusses vom 20. August 2012 zu Recht eine Einigungsgebühr abgelehnt hat, da eine Einigung im Sinne der Nr. 1000 i.V.m. Nr. 1003 VV-RVG nicht vorgelegen hat. Zudem ist zu entscheiden, ob möglicherweise eine Erledigungsgebühr im Sinne von Nr. 1002 VV-RVG angefallen ist, wie die Antragsteller in ihrem Erinnerungsschriftsatz vom 23. August 2012 geltend machen. Insofern ist es grundsätzlich zulässig, im Kostenerinnerungsverfahren einen berechtigten Einzelposten an Stelle eines unberechtigten nachzuschieben (Olbertz, in: Schoch/Schneider/Bier, Verwaltungsgerichtsordnung, Stand 23. Ergänzungslieferung 2012, § 165 RdNr. 6).

1. Nach Nr. 1000 Abs. 1 Satz 1 VV-RVG entsteht eine Einigungsgebühr, wenn der Streit oder die Ungewissheit über ein Rechtsverhältnis durch Abschluss eines Vertrags unter Mitwirkung des Rechtsanwalts beseitigt wird, es sei denn, der Vertrag beschränkt sich ausschließlich auf ein Anerkenntnis oder einen Verzicht. Der Vertrag kann auch stillschweigend geschlossen werden und ist nicht formbedürftig, sofern dies materiell-rechtlich nicht besonders vorgeschrieben ist. Mit der Einigungsgebühr nach Nr. 1000 VV-RVG wurde die frühere Vergleichsgebühr des § 23 BRAGO ersetzt und gleichzeitig inhaltlich erweitert (vgl. BGH Beschluss v. 13.4.2007 Az: II ZB 10/06 NJW 2007, 2187 € juris RdNr. 6). Während die Vergleichsgebühr nach § 23 BRAGO durch Verweisung auf § 779 BGB ein gegenseitiges Nachgeben voraussetzte, soll die Einigungsgebühr jegliche vertragliche Beilegung eines Streits der Parteien honorieren und dadurch einen Anreiz schaffen, diesen Weg der Erledigung eines Rechtsstreits zu beschreiten. Durch den Wegfall der bis dahin geltenden Voraussetzung des gegenseitigen Nachgebens soll nach dem Willen des Gesetzgebers insbesondere der in der Vergangenheit häufig ausgetragene Streit darüber vermieden werden, welche Abrede noch und welche nicht mehr als gegenseitiges Nachgeben zu bewerten ist (BT-Drs. 15/1971, S. 147, 204). Unter der Geltung des RVG kommt es deswegen nicht mehr auf einen Vergleich im Sinne von § 779 BGB, sondern nur noch auf eine Einigung an (BGH Beschluss vom 13.4.2007 a.a.O. m.w.N.). Durch die zusätzliche Gebühr soll die mit der Einigung verbundene Mehrbelastung und erhöhte Verantwortung des beteiligten Rechtsanwalts vergütet werden; zudem soll die Belastung der Gerichte gemindert werden (BGH Beschluss vom 13.4.2007 a.a.O.; Urteil vom 10.10.2006, Az: VI. ZR 280/05, NJW-RR 2007, 359 € juris RdNr. 5 m.w.N.).

Nach dem zweiten Halbsatz des Abs. 1 der Nr. 1000 VV-RVG reicht allerdings die bloße Annahme eines einseitigen Verzichts oder ein Anerkenntnis für die Entstehung der Einigungsgebühr nicht aus. Hieraus kann allerdings nicht der Schluss gezogen werden, dass bei Abschluss eines sich wechselseitig auf ein Anerkenntnis und einen Verzicht beschränkenden Vertrags grundsätzlich eine Einigungsgebühr nicht entstehe (vgl. BGH Urteil vom 10.10.2006 a.a.O., RdNr. 6 m.w.N.). Die Einigungsgebühr gelangt vielmehr nur dann nicht zur Entstehung, wenn der von den Beteiligten geschlossene Vertrag das Anerkenntnis der gesamten Forderung durch den Schuldner oder den Verzicht des Gläubigers auf den gesamten Anspruch ausschließlich zum Inhalt hat (vgl. BGH Urteil vom 10.10.2006 a.a.O., RdNr. 6 m.w.N.). Die Einigungsgebühr entsteht demnach nur dann nicht, wenn der von den Beteiligten geschlossene Vertrag ausschließlich das Anerkenntnis der gesamten Forderung durch den Schuldner oder den Verzicht des Gläubigers auf den gesamten Anspruch zum Inhalt hat (BGH Beschluss vom 13.4.2007 a.a.O.).

Eine Einigungsgebühr kann auch bei übereinstimmenden Erledigungserklärungen anfallen, wenn gleichzeitig eine Einigung über den in Frage stehenden materiell-rechtlichen Anspruch erzielt wird (vgl. BayVGH Beschluss vom 11.6.2008, AZ: 10 C 08.777 € juris RdNr. 10; VG München Beschluss vom 13.3.2012, Az: M 2 K 12.928 € juris RdNr. 14; Beschluss vom 2.7.2012, Az: M 8 K 12.30424 € juris RdNr. 13). Die Einigungsgebühr setzt die Mitwirkung beim Abschluss eines Vertrages voraus, durch den der Streit der Parteien über ein Rechtsverhältnis beseitigt wird. Dabei setzt eine Einigungsgebühr keinen protokollierten Vergleich, sondern nur eine Einigung über materielle Ansprüche voraus (BayVGH Beschluss vom 11.6.2008 a.a.O.). Dementsprechend kann eine Einigungsgebühr auch anfallen, wenn der Rechtsstreit durch übereinstimmende Erledigungserklärungen der Parteien beendet wird. Zwar stellen die übereinstimmenden Erledigungserklärungen als solche bloße Prozesshandlungen dar, die lediglich die Rechtshängigkeit der bisher streitigen Ansprüche beseitigen. Wenn jedoch gleichzeitig eine Einigung über die in Frage stehenden materiell-rechtlichen Ansprüche erzielt wird, ist eine Einigungsgebühr anzunehmen (BayVGH Beschluss vom 11.6.2008 a.a.O. m.w.N.).

Vorliegend fehlt es jedoch an einer über die in Form der übereinstimmenden Erledigungserklärung des § 80€Abs. 5€Verfahrens hinausgehende Einigung auch über das zugrunde liegende materiell-rechtliche Rechtsverhältnis. Der Prozessbevollmächtigte der Antragsteller hat weder mit der Antragsgegnerin noch mit der Beigeladenen eine materiell-rechtliche Einigung getroffen, durch den der Streit oder die Ungewissheit über ein Rechtsverhältnis beseitigt worden ist. Im zugrunde liegenden Ausgangsverfahren hat der Bevollmächtigte der Beigeladenen im Schriftsatz vom 6. Juni 2012 erklärt, dass diese von der streitgegenständlichen Baugenehmigung nur Gebrauch machen werde hinsichtlich der Errichtung des Kellergeschosses. Die Arbeiten bezüglich des Erdgeschosses wurden bis zum rechtskräftigen Abschluss der Nachbarklage zurückgestellt. Mit dieser einseitigen Zusage, bis zum rechtskräftigen Abschluss der Nachbarklage im Hauptsacheverfahren nur das Kellergeschoss und nicht die oberirdische Bebauung zu realisieren, wurde das Rechtsschutzinteresse für den Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO in Frage gestellt. Diese Zusage erfolgte einseitig von Seiten der Beigeladenen und ohne jedes weitere Zutun des Prozessbevollmächtigten der Antragsteller. Dieser führte zwar in seinem Schriftsatz vom 16. Juli 2012 aus, dass namens der Mandantschaft das Angebot der Beigeladenen gemäß Schriftsatz vom 6. Juni 2012 angenommen werde. Gleichwohl erfolgte die Zusage der Beigeladenen nicht unter dem Vorbehalt, dass dies ein erst noch anzunehmendes Angebot sei, sondern von vornherein unbedingt und einseitig. Von daher erfolgte eine Einigung ausschließlich hinsichtlich der übereinstimmenden Erledigungserklärungen, ohne dass damit eine Einigung über das materiell-rechtliche Rechtsverhältnis einherging, was aber für den Anfall einer Erledigungsgebühr nicht ausreichend ist.

2. Soweit die Antragsteller sich auf den Anfall einer Erledigungsgebühr gemäß Nr. 1002 VV-RVG berufen, ist auch eine solche nicht angefallen. Nach Nr. 1002 VV-RVG entsteht eine Erledigungsgebühr, wenn sich eine Rechtssache ganz oder teilweise nach Aufhebung oder Änderung des mit einem Rechtsbehelf angefochtenen Verwaltungsakts durch die anwaltliche Mitwirkung erledigt. Das Gleiche gilt, wenn sich eine Rechtssache ganz oder teilweise durch Erlass eines bisher abgelehnten Verwaltungsakts erledigt.

Schon nach dem Wortlaut ist Voraussetzung, dass eine Aufhebung oder Änderung des angefochtenen Verwaltungsakts erfolgt. Selbst wenn man diesen Fällen den Fall gleichstellen will, dass der durch den Verwaltungsakt Begünstigte auf die Ausnutzung und damit tatsächliche Realisierung des ihn begünstigenden Verwaltungsakts zeitweise verzichtet, fehlt es gleichwohl an einer anwaltlichen Mitwirkung von Seiten des Prozessbevollmächtigten der Antragsteller hieran. Die einseitige Zusage der teilweisen Nichtausnutzung der Baugenehmigung durch die Beigeladene erfolgte einseitig und damit ohne Mitwirkung des Prozessbevollmächtigten der Antragsteller. Die Erledigung des Verfahrens nach § 80 Abs. 5 VwGO war damit nicht kausal auf seine Mitwirkung zurückzuführen.

Die Erinnerung der Antragsteller gegen die erfolgte Kostenfestsetzung bleibt somit ohne Erfolg.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO. Eine Gerichtsgebühr wird, da das Verfahren nach § 66 Abs. 8 Satz 1 Gerichtskostengesetz gerichtskostenfrei ist, im erstinstanzlichen Erinnerungsverfahren nicht erhoben, so dass eine Streitwertfestsetzung entbehrlich ist.






VG München:
Beschluss v. 07.11.2012
Az: M 8 M 12.4172


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