Bundespatentgericht:
Beschluss vom 26. Februar 2003
Aktenzeichen: 20 W (pat) 46/01
(BPatG: Beschluss v. 26.02.2003, Az.: 20 W (pat) 46/01)
Tenor
1. Die Beschwerde der Patentinhaberin wird zurückgewiesen.
2. Die Rechtsbeschwerde wird zugelassen.
Gründe
I Das Patent 42 22 777 wurde wegen fehlender erfinderischer Tätigkeit widerrufen.
Die Patentinhaberin und Beschwerdeführerin stellt den Antrag, den angefochtenen Beschluß aufzuheben und das Patent aufrechtzuerhalten mit den Patentansprüchen gemäß Hauptantrag vom 13. November 2002, hilfsweise mit den Patentansprüchen gemäß Hilfsantrag I vom 13. November 2002, weiter hilfsweise mit den Patentansprüchen gemäß Hilfsantrag II, überreicht in der mündlichen Verhandlung, jeweils Beschreibung gemäß Patentschrift mit Ersatz von Spalte 1 Zeilen 56 bis 66 durch den in der mündlichen Verhandlung überreichten Textteil, jeweils Zeichnung wie Patentschrift.
Sie erklärt, ich teile das Patent.
Die Einsprechende und Beschwerdegegnerin stellt den Antrag, die Beschwerde zurückzuweisen.
Der Patentanspruch 1 nach Hauptantrag lautet wie folgt:
" 1. Audiosystem mit:
(a) einem FM-Rundfunkempfänger (18, 1) als erste Audiosignalquelle zum Empfangen eines FM-Multiplex-Rundfunksignals,
(b) einem Demodulator (11) zum Extrahieren und Demodulieren eines PTY-Codes einer von dem FM-Rundfunkempfänger (18, 1) empfangenen Rundfunkstation,
(c) einer Mitteilungseinrichtung (16; 7, 8, 9; 17) zur Mitteilung der dem PTY-Code entsprechenden Programmart,
(d) einer Steuereinrichtung (12) zum Steuern der Mitteilungseinrichtung (16; 7, 8, 9; 17),
(e) einer zu dem FM-Rundfunkempfänger unterschiedlichen zweiten Audiosignalquelle (19, 2; 3; 4),
(f) einer Signalquellen-Auswähleinrichtung (5), die entweder die erste Audiosignalquelle (18, 1) oder die zweite Audiosignalquelle (19, 2; 3; 4) zur Wiedergabe selektiert,
(g) wobei die Steuereinrichtung (12) bei Selektion der zweiten Audiosignalquelle (19, 2; 3; 4) den PTY-Code der durch die erste Audiosignalquelle (18, 1) empfangenen Rundfunkstation erfaßt,
(h) eine Änderung der empfangenen Rundfunkstation oder des PTY-Codes oder der selektierten zweiten Audiosignalquelle (19, 2; 3; 4) überwacht und
(i) bei Erfassung einer Änderung dem Benutzer die Programmart der empfangenen Rundfunkstation über die Mitteilungseinrichtung (16; 7, 8, 9; 17) während der Wiedergabe der zweiten Audiosignalquelle (19, 2; 3; 4) mitteilt,
(j) so daß der Benutzer durch Betätigung einer Taste eines Bedienfeldes (15) auf die erste Audioquelle (18, 1) umschalten kann, nachdem der Benutzer die Mitteilung der Programmart erhalten hat."
Im Patentanspruch 1 nach Hilfsantrag I ist das Merkmal (h) ersetzt durch:
" (h') bei Betätigung eines PTY-Überwachungsschalters eines Bedienfeldes (15) durch einen Benutzer, eine Änderung der empfangenen Rundfunkstation oder des PTY-Codes oder der selektierten zweiten Audiosignalquelle (19, 2; 3; 4) überwacht und"
Im Patentanspruch 1 nach Hilfsantrag II lautet dieses Merkmal (h') folgendermaßen:
" (h') wobei die Steuereinrichtung (12) den Schaltzustand eines PTY-Überwachungsschalters prüft und bei betätigtem PTY-Überwachungsschalter eines Bedienfeldes (15) durch einen Benutzer, eine Änderung der empfangenen Rundfunkstation oder des PTY-Codes oder der selektierten zweiten Audiosignalquelle (19, 2; 3; 4) überwacht und"
Zusätzlich ist gegenüber den vorausgehenden Anträgen am Ende des Merkmals (j) ergänzt:
" wobei die Steuereinrichtung (12) die Mitteilungseinrichtung (16; 7, 8, 9; 17) bei Änderung des PTY-Codes der empfangenen FM-Rundfunkstation veranlaßt, die dem geänderten PTY-Code entsprechende Programmart automatisch mitzuteilen."
Erörtert wurden ua folgende Entgegenhaltungen:
(D1) DE 39 38 457 A1,
(D3) DE 39 26 984 A1 und
(D4) Shute, S.: RDS - The EBU Radio Data System, Part 1. In: International Broadcast Engineer, May 1987, Seiten 65-67.
Die Patentinhaberin führt aus, der Patentgegenstand sei gegenüber dem Stand der Technik patentfähig. Ihre Auffassung werde insbesondere auch durch die neu formulierte Aufgabe gestützt. Diese lautet, ein Audiosystem mit einem FM-Rundfunkempfänger mit mindestens einer weiteren Audiosignalquelle zu schaffen, welches bei Selektion der weiteren Audiosignalquelle eine Änderung der Programmart und/oder der Empfangsstation des FM-Rundfunkempfängers mitteilt. Schon die Aufgabe sei neu und nicht naheliegend. Bei der Beurteilung der erfinderischen Tätigkeit sei wie in Verfahren vor dem Europäischen Patentamt von einem nächstliegenden Stand der Technik auszugehen, der mit dem Patentgegenstand das angestrebte Ziel gemeinsam habe.
Die Einsprechende vertritt die Auffassung, der beanspruchte Gegenstand beruhe in Anbetracht des durch die im Verfahren befindlichen Druckschriften belegten Standes der Technik unter Berücksichtigung von Hörerwünschen nicht auf erfinderischer Tätigkeit.
II Die Teilungserklärung ist wirksam; im Stammverfahren ist die Sache entscheidungsreif.
1. Die in der mündlichen Verhandlung zu Protokoll abgegebene Teilungserklärung ist form- und fristgerecht. Mit der Teilungserklärung ist für die Behandlung der entstehenden Teilanmeldung die Prüfungsstelle des Patentamts zuständig (BGH GRUR 1999, 148, III.1.d - Informationsträger). Die Erklärung des - bloßen - Inhalts, das Patent werde geteilt, ist auch bestimmt, nachdem der BGH in seiner Entscheidung "Sammelhefter" vom 30. September 2002 (Mitt. 2002, 526 = GRUR 2003, 47) darauf abstellt, die wirksame Teilung eines Patents setze nicht voraus, daß durch die Teilungserklärung ein gegenständlich bestimmter Teil des Patents definiert werde, der von diesem abgetrennt werde. Auch hinsichtlich der durch die Teilung entstehenden neuen Anmeldung kann die Erklärung offen lassen, was Gegenstand der Teilanmeldung sein soll. Denn schon bislang entfaltete eine Teilungserklärung keine gegenständliche Gestaltungswirkung, da mit der Teilanmeldung der gesamte Offenbarungsgehalt der Ursprungsanmeldung ausgeschöpft werden kann (BGH GRUR 1992, 38 - Straßenkehrmaschine, GRUR 1999, 148 - Informationsträger) und insoweit mithin eine gegenständliche Beschränkung nicht eintritt.
2. Es besteht nach den §§ 60 Abs 1 Satz 3, 39 Abs 3 PatG kein "Schwebezustand" dahingehend, daß nach Abgabe der Teilungserklärung im vorliegenden Einspruchsbeschwerdeverfahren eine Entscheidung über das Stammpatent zunächst nicht möglich ist, solange nämlich nicht feststeht, ob für die Teilanmeldung innerhalb von drei Monaten die nach den §§ 34 bis 36 PatG erforderlichen Anmeldungsunterlagen eingereicht und die gemäß § 39 Abs 2 PatG nachzuzahlenden Gebühren entrichtet sind oder ob die Teilung rückwirkend beseitigt wird, falls die Anmeldungsunterlagen und Gebühren nicht fristgerecht eingehen (Senatsentscheidungen vom 30. 11. 2000, 20 W (pat) 76/99, Mitt. 2001, 121 - Basisstation, und vom 20. 11. 2002, 20 W (pat) 15/01, Mitt. 2003, 63 - Unterbrechungsbetrieb).
Denn die maßgebliche Entscheidungsgrundlage ist von der Teilungserklärung nicht berührt. Es gibt keinen mit der Teilungserklärung abgetrennten Teil, der wieder in das Stammpatent zurückfallen könnte, wenn die Teilungserklärung nach § 39 Abs 3 PatG als nicht abgegeben gilt oder vorzeitig zurückgenommen wird. Ein Schwebezustand besteht lediglich im Hinblick auf das Entstehen der Teilanmeldung. Daß auf sie nichts patentiert wird, was mit dem im Verfahren der Stammanmeldung gewährten oder versagten Patentschutz unvereinbar ist (BGH "Sammelhefter" aaO, II.3.c)bb)), ist im vorliegenden Fall im Prüfungsverfahren zur Teilanmeldung sicherzustellen.
III Die Beschwerde der Patentinhaberin hat keinen Erfolg. Das Patent ist nicht rechtsbeständig, sein Gegenstand nach den §§ 1 und 4 PatG nicht patentfähig. Die Audiosysteme nach den Patentansprüchen 1 gemäß Hauptantrag, Hilfsantrag I und Hilfsantrag II beruhen nicht auf einer erfinderischen Tätigkeit.
1. Die - drei - Gegenstände des Hauptanspruchs nach Hilfsantrag II sind dem Fachmann durch (D3) iVm seinem Fachwissen und Fachkönnen nahegelegt. Fachmann ist ein Elektroingenieur mit Fachhochschulabschluß, der Audiosysteme entwickelt im Sinne von Rundfunkempfängern, die mit weiteren Audiosignalquellen (beispielsweise Kassettenspieler) kombiniert sind, und der dabei namentlich die Vorteile des Radio-Daten-Systems (RDS) nach (D1) oder (D4) nutzt.
a) Der Fachmann versteht die Hauptelemente der Lehre des Anspruchs 1 folgendermaßen:
Es geht um einen FM-Rundfunkempfänger, der mit einer weiteren Audiosignalquelle, wie einem Kassettenspieler oder einem CD-Player, kombiniert ist (Merkmale a, e). Der Rundfunkempfänger kann FM-Multiplex-Signale empfangen und verarbeiten, die Informationen (PTY-Code) über die Programmart ("Program Type") enthalten (Merkmale a, b), wie Nachrichten oder klassische Musik. Die Programmart ist dem Benutzer mitteilbar (Merkmal c), visuell über ein Display (Anspruch 3) oder - um Ablenkung beim Autofahren zu vermeiden - akustisch (Anspruch 2, Sprachsynthese). Die Steuereinrichtung der "Mitteilungseinrichtung" (Merkmal d) erfaßt die Programmart einer empfangenen Rundfunkstation auch bei gewähltem Kassettenbetrieb ("weitere Audiosignalquelle"; Merkmale f, g) und bewirkt - unter Beibehalten des Kassettenbetriebs - deren Anzeige ("Mitteilung"), sobald eine Änderung eingetreten ist (Merkmale h', i, zweites Teilmerkmal von j). Sagt dem Nutzer die mitgeteilte Programmart zu, kann er durch Betätigen einer Taste auf Rundfunkempfang umschalten (erstes Teilmerkmal von j). Überwachung der Programmart und Mitteilung der Änderung erfolgen bei Kassettenbetrieb nicht zwangsweise, sondern - nur - nach Betätigen eines Überwachungsschalters (Merkmal h'). Nach Merkmal h' überwacht und erfaßt die Steuereinrichtung alternativ dreierlei Änderungen: der empfangenen Rundfunkstation, der Programmart oder der gewählten zweiten Audiosignalquelle.
Dieses Verständnis des Anspruchs 1 wird - zumindest hinsichtlich der ersten beiden Alternativen im Merkmal h' - durch die Patentbeschreibung insbesondere zu den Figuren 2 und 3 gestützt und entspricht dem Vortrag der Patentinhaberin in der mündlichen Verhandlung. Ob der Anspruchswortlaut auf dieses Verständnis beschränkt ist - was die Einsprechende insbesondere hinsichtlich der Merkmale i und j bezweifelt - kann ebenso dahingestellt bleiben wie die Frage, ob die von der Patentinhaberin gegenüber den erteilten Unterlagen vorgenommenen Umformulierungen zulässig sind, weil der so verstandene Anspruchsgegenstand jedenfalls unter den Anspruchswortlaut fällt und nicht - in keiner der drei Alternativen - auf einer erfinderischen Tätigkeit beruht.
b) Aus (D3) ist ein Autoradio-Kassettenspieler-Kombinationsgerät bekannt, das einen Verkehrsfunkdecoder 9 aufweist und in der Betriebsstellung Kassettenwiedergabe bei Empfang einer Durchsagekennung des eingestellten Senders für die Dauer der Verkehrsmeldung auf Rundfunkempfang umschaltet (Figur, Beschreibung Sp 1 Z 52 bis 55, Sp 2 Z 30 bis 35). Der Umschalter 5 wählt entweder das NF-Signal des Tuners 2 oder des Kassettenspielers 4 zur Wiedergabe aus (Sp 1 Z 39 bis 57). Danach weist das bekannte Audiosystem die Anspruchsmerkmale a, e und f auf. Der Verkehrsfunkdecoder 9 muß seiner Funktion gemäß in der Lage sein, aus dem Signal des eingestellten Senders die Durchsagekennung zu extrahieren und zu demodulieren. Demgemäß herrscht Übereinstimmung mit dem Merkmal b des Patentanspruchs bis auf den Unterschied, daß der Verkehrsfunkcode (mit Durchsagekennung) verarbeitet wird; beim Patentgegenstand aber der Code für die Programmart (PTY-Code).
Nach (D3) ist weiter ein Display 14 vorgesehen, auf dem - je nach Stellung eines zweiten Umschalters 13 - die Betriebsdaten des Tuners ("Rundfunkfunktionen") oder des Kassettenspielers ("Laufwerkfunktionen") angezeigt werden (Sp 1 Z 59 bis 64; Sp 2 Z 20 bis 29). Empfängt der Tuner 2 (mittels des Verkehrsfunkdecoders 9) eine Durchsagekennung des Senders, wird bei Kassettenwiedergabe die Wiedergabe auf den Tuner umgeschaltet und das Display mit dem Tuner verbunden (Sp 2 Z 30 bis 34). Die Steuerung der beiden Umschalter kann durch einen Mikroprozessor (anspruchsgemäß "Steuereinrichtung") im Bedienteil 3 erfolgen (Sp 2 Z 58 bis 61). Demnach besteht volle Übereinstimmung im Merkmal d (Display 14 ist die "Mitteilungseinrichtung") und teilweise Übereinstimmung in den Merkmalen c und g. Der alleinige Unterschied besteht - analog zu Merkmal b - im erfaßten Code und der damit verbundenen Anzeige ("Mitteilung").
Beim Stand der Technik nach (D3) wird das Display in der Betriebsstellung Kassettenwiedergabe darüber hinaus mit dem Tuner dann verbunden, wenn der Sender-Suchlaufauslöser 16 im Bedienteil 3 (also vom Benutzer) betätigt wird (Sp 2 Z 3 bis 5 und 41 bis 44). Dazu bedarf es naturgemäß der Feststellung, ob der Auslöser 16 betätigt ist, wozu sich zwanglos anbietet, seinen Schaltzustand durch die Steuereinrichtung (Mikroprozessor im Bedienteil 3) zu prüfen. Funktionsnotwendig wird bei einem Sendersuchlauf eine Änderung der empfangenen Rundfunkstation (erste Alternative im Anspruchsmerkmal h') überwacht, erfaßt und - automatisch - mitgeteilt (Display zeigt die "Rundfunkfunktionen" an, wofür vorrangig die Frequenz oder eine andere Kennung eines gefundenen Senders in Betracht kommt). Die Kassettenwiedergabe wird dabei nicht unterbrochen (Sp 2 Z 50 bis 54). Die Anzeige der Rundfunkfunktionen setzt allerdings sofort - insoweit abweichend von den Anspruchsmerkmalen h', i und j (zweites Teilmerkmal) - bei Betätigung des Suchlaufauslösers 16 ein.
Daß nach (D3) der Benutzer durch Betätigung einer Taste im Bedienteil von Kassettenwiedergabe auf Rundfunkempfang umschalten kann, nachdem er die Mitteilung eines empfangbaren Senders erhalten hat (entsprechend erstem Teilmerkmal in Anspruchsmerkmal j), versteht sich von selbst: Mit der Bedieneinheit 3 sind ja die beiden Betriebsstellungen einstellbar (Sp 1 Z 36 bis 41).
c) Dem für die Entwicklung von Autoradios der aus (D3) bekannten Art verantwortlichen Ingenieur sind auch RDS-Rundfunkempfänger und die mit RDS (Radio-Daten-System) verbundenen Leistungsmerkmale gemäß (D1) oder (D4) geläufig. Zu diesen Leistungsmerkmalen gehören - neben anderen, wie Verkehrsinformation (Druckschrift (D4) S 67 mittl. Sp oben) - auch die im RDS-Datenpaket enthaltenen Informationen über die Programmart PTY (vergl (D1), Sp 3 Z 25 bis 42; (D4) S 67 mittl. Sp unten), wie Nachrichten, Sport, klassische Musik usw. Der Fachmann befaßt sich daher nicht nur mit der Lösung von vorgegebenen konkreten technischen Problemen, sondern ist allgemein um konkurrenzfähige Empfangsgeräte bemüht, berücksichtigt dabei tatsächliche oder mögliche Benutzerwünsche und achtet auf optimale Gebrauchsfähigkeit (siehe Senatsbeschlüsse GRUR 2002, 418 - Selbstbedienungs-Chipkarte; BPatGE 38, 250 - Radio-Daten-System; Mitt. 2003, 63 - Unterbrechungsbetrieb). Um geschäftlichen Erfolg bemüht, nach optimalen Lösungen suchend, kommt er dem Wunsch des Benutzers nach nützlicher Information (aber nicht zwangsweise und ohne vom Verkehrsgeschehen ablenkende Reizüberflutung) und nach Komfort entgegen. Er sieht einen PTY-Decoder vor und sorgt für die Anzeige der Programmart als eine der "Rundfunkfunktionen" im Display 14, wenn der Benutzer bei Wiedergabe einer Kassette den Sender-Suchlaufauslöser 16 betätigt (der dann "PTY-Überwachungsschalter" heißen mag). Denn ein Benutzer mag das Hören klassischer Musik vorziehen und daher solange auf den Kassettenspieler ausweichen, bis ein empfangbarer Sender wieder genehme Musik sendet. Hierzu bedarf es entsprechender Mitteilung der Programmart nur dann, wenn eine Änderung eintritt. Damit ist der Fachmann aber ohne erfinderische Überlegungen bereits zum Anspruchsgegenstand gemäß erster Alternative in Merkmal h' gelangt.
d) Das Vorbringen der Patentinhaberin rechtfertigt bei dieser Sachlage keine andere Beurteilung.
aa) Der Forderung, als Ausgangspunkt für die Prüfung auf erfinderische Tätigkeit müsse ein nächstliegender Stand der Technik gewählt werden, der hinsichtlich wesentlicher Merkmale sowie Zweck und Wirkung mit der Erfindung übereinstimme, wogegen ein Dokument, das keinen Bezug zum technischen Problem der Erfindung habe, nicht in Betracht komme, kann nicht gefolgt werden.
Als Hilfsmittel zum Zwecke einer zielgerichteten und effektiven Vorgehensweise bei der Prüfung einer Erfindung auf erfinderische Tätigkeit kommt dem sogenannten "nächstliegenden" Stand der Technik als das erfolgversprechendste Sprungbrett zur Erfindung in vielen Praxisfällen zwar große praktische Bedeutung zu. Wenn nämlich ausgehend von einem Stand der Technik, der mit der beanspruchten Erfindung sowie mit den in der Beschreibung dazu geschilderten Problemen, Wirkungen und Vorteilen ersichtlich und zweifelsfrei inhaltlich das meiste gemeinsam hat, die beanspruchte Erfindung schon nicht naheliegend ist, wird sie es ausgehend von entfernter liegenden Entgegenhaltungen in der Regel auch nicht sein. Eine grundsätzliche Festlegung auf eine bestimmte und einzige Entgegenhaltung als alleinig zulässiger Ausgangspunkt für die Überlegungen des Fachmanns bedeutet dies aber nicht.
Eine solche Festlegung verbietet schon die Vorschrift des § 4 PatG (gleichlautend Art 56 EPÜ), wonach eine Erfindung als auf einer erfinderischen Tätigkeit beruhend gilt, wenn sie sich für den Fachmann nicht in naheliegender Weise aus dem Stand der Technik ergibt. Danach ist der Begriff "aus dem Stand der Technik" allumfassend zu verstehen, und es darf bei der Prüfung, ob eine Erfindung auf erfinderischer Tätigkeit beruht, als Ausgangspunkt für die Überlegungen und das Handeln des Fachmanns gerade nicht ein bestimmter "nächstliegender" Stand der Technik vorentscheidend fixiert und ein anderer ausgeschlossen werden. "Nächstliegender" Stand der Technik in dem Sinne, daß er die weitestgehende inhaltliche Übereinstimmung mit der beanspruchten Erfindung einschließlich deren Wirkungen hat, wäre schon begrifflich das Ergebnis einer rückschauenden - und bei der Prüfung auf erfinderische Tätigkeit unzulässigen - Betrachtung in Kenntnis der Erfindung. Was "nächstliegend" ist, darf nicht schon am Beginn der Prüfung auf erfinderische Tätigkeit abschließend entschieden werden, sondern ergibt sich grundsätzlich erst am Ende der Prüfung. Wenn sich - wie hier - herausstellt, daß ausgehend von dem Stand der Technik nach einer bestimmten Offenbarungsquelle die Erfindung naheliegend ist, dann ist dieser Stand der Technik ein "nächstliegender". Um andererseits zu dem Urteil "auf erfinderischer Tätigkeit beruhend" zu gelangen, darf die Erfindung unabhängig von der Wahl des Ausgangspunkts nicht nahe liegen. Gibt es daher mehrere Entgegenhaltungen, von denen ausgehend der Fachmann möglicherweise in naheliegender Weise zur beanspruchten Erfindung gelangen könnte, so ist jeder dieser Wege zu prüfen.
Deshalb muß die Prüfung auf erfinderische Tätigkeit grundsätzlich verschiedene Ausgangspunkte in Betracht ziehen, und es gibt keinen "falschen nächstliegenden" Stand der Technik. Dies entspricht - entgegen der Meinung der Patentinhaberin - auch der Vorgehensweise des Europäischen Patentamts bei der - nicht nur schematischen - Anwendung des "Aufgabe-Lösungs-Ansatzes". So heißt es in der Entscheidung T 0967/97-3.5.1 v. 25. 10. 2001, es wäre ein Zuwenig, wenn die erfinderische Tätigkeit grundsätzlich und in schematischer Weise auf der Grundlage eines einzigen, nächstliegenden Stands der Technik oder einer ähnlichen Vorauswahl von Entgegenhaltungen beurteilt würde. Die Verneinung der erfinderischen Tätigkeit beruhe auf einem partikulär bejahenden Urteil über das Naheliegen der Erfindung. In einem solchen Fall bedürfe es keiner besonderen Begründung für eine Vorauswahl von Entgegenhaltungen, auch wenn dem Fachmann mehrere gangbare Lösungswege zur Verfügung stünden; Gegenstand der Begründung sei alleine, aufzuzeigen, daß sich die Erfindung für den Fachmann in bezug auf (mindestens) einen Weg in naheliegender Weise aus dem Stand der Technik ergebe (Entscheidungsgründe 3.2, Mitt. 2002, 315 - Chipkarte; vergl. auch Schulte PatG 6. Aufl § 4 Rdn 35 Buchstabe e).
Ein Stand der Technik könnte nur dann für den Ausgangspunkt der Prüfung als völlig ungeeignet anzusehen sein, wenn er als Grundlage für eine sinnvolle Tätigkeit des Fachmanns zum Zeitpunkt der Erfindung in keiner Weise in Betracht kommt. Dies könnten sehr alte Beschreibungen nicht mehr gebräuchlicher Technik sein (dazu Rechtsprechung der Beschwerdekammern des Europäischen Patentamts 4. Aufl. 2001, S. 121 mwN) oder technisch nicht ernstzunehmende Darstellungen, die der Fachmann zwar bei weiteren Überlegungen einbeziehen mag, aber nicht schon als Ausgangspunkt für eine technische Weiterentwicklung ansehen kann. Ein solcher Fall liegt hier aber nicht vor. Bei der letztlich als Ausgangspunkt herangezogenen (D3) handelt es sich um die Offenlegungsschrift zu einer Patentanmeldung aus dem Jahre 1989 (veröffentlicht im Februar 1991; Zeitrang des Streitpatents ist Juli 1991), die ein Autoradio-Kassettenspieler-Kombinationsgerät einer namhaften Anmelderin zum Gegenstand hat. Genau so bietet sich der "RDS-Rundfunkempfänger mit einer Einrichtung zur länderspezifischen Auswertung von RDS-Daten" nach (D1) an (veröffentlicht im Mai 1991).
bb) Auch der Vortrag, die patentgemäße "Aufgabe" sei neu und eine entscheidende Stütze der erfinderischen Tätigkeit, vermag weder zu überzeugen noch weckt er Zweifel.
Es trifft zwar zu, daß nicht selten schon das Erkennen und die Analyse der Ursachen von Nachteilen des Stands der Technik die entscheidenden Schritte zur Begründung erfinderischer Tätigkeit sind, während demgegenüber die Lösung dann eher einfach erscheint. Um einen derartigen Sachverhalt handelt es sich hier aber nicht.
Die von der Patentinhaberin in der mündlichen Verhandlung neu formulierte "Aufgabe" enthält - ebenso wie die nach der Patentschrift - schon die wesentlichen Elemente der Lösung, wenn sie verlangt, ein Audiosystem zu schaffen, "welches bei Selektion der weiteren Audiosignalquelle eine Änderung der Programmart und/ oder der Empfangsstation des FM-Rundfunkempfängers mitteilt". Das ist der Kern der Anspruchsmerkmale h', i und j (zweites Teilmerkmal), der hinsichtlich der erfinderischen Leistung im Rahmen der "Aufgabe" nicht anders zu bewerten ist als im Rahmen der beanspruchten Erfindung. Ohne Lösungsaspekte verbleibt als "Aufgabe", ein Audiosystem mit einem FM-Rundfunkempfänger und mit mindestens einer weiteren Audiosignalquelle zu schaffen, das gute (gegenüber dem Stand der Technik nach (D3) oder (D1) verbesserte) Gebrauchsfähigkeit aufweist. Eine solche Veranlassung zum Handeln besteht für die Fachwelt zumindest auf dem Gebiet der Konsumelektronik aber stets, ohne daß es hierfür eines druckschriftlichen Nachweises bedarf (vergl. Keukenschrijver/Busse PatG 5. Aufl. § 4 Rdn 129 und 133 mwN). Im übrigen wird auf die "Aufgaben" in (D3) (die Anzeige über den Betriebszustand des Gerätes sei noch verbesserungsfähig, Sp 1 Z 22 bis 28) und (D1) (die Anzeige der im RDS-Datensignal enthaltenen Informationen sei automatisch den Erfordernissen des jeweiligen Landes anzupassen, Sp 1 Z 51 bis 57) ebenso hingewiesen wie auf die Betonung der Benutzerfreundlichkeit eines Autoradios in der das Radio-Daten-System (RDS) grundlegend beschreibenden Literaturstelle (D4) (S. 67 re Sp "RDS and the Intelligent Radio Receiver").
e) Damit hat der Anspruch 1 nach Hilfsantrag II schon wegen der seiner ersten Alternative fehlenden Patentfähigkeit keinen Bestand. Aber auch einer Beschränkung auf die zweite oder dritte Alternative gemäß Merkmal h' müßte der Erfolg versagt bleiben.
Ist ein Autofahrer überwiegend regional unterwegs oder hat er eine Vorliebe für einen bestimmten Sender, kann seinem Wunsch nach Mitteilung einer geänderten Programmart allein durch Überwachung des gerade eingestellten Senders nachgekommen werden. Es liegt im Belieben des Fachmanns, diese zweite Alternative anzubieten und dafür einen gesonderten "PTY-Überwachungsschalter" vorzusehen, dessen Betätigung wie die des Suchlaufauslösers dem Willen des Benutzers überlassen ist. Einen gesonderten Überwachungsschalter zieht der Fachmann auch schon deswegen in Erwägung, weil er zugleich den Komfort ermöglicht, den Sendersuchlauf nach der ersten Alternative unabhängig und gezielt mit oder ohne Anzeige der Programmart veranlassen zu können.
Schaltet der Benutzer sein hochwertiges Autoradio mit zwei zweiten Audiosignalquellen (Kassettenspieler und CD-Spieler) als dritter Alternative von der einen auf die andere um, bietet es sich an, ihn bei diesem Wechsel an die Programmart der empfangenen Rundfunkstation zu erinnern.
2. Die weiter gefaßten Patentansprüche 1 des Hauptantrags und des Hilfsantrags I enthalten jeweils die Gegenstände des Patentanspruchs 1 nach Hilfsantrag II und sind daher ebenfalls nicht rechtsbeständig.
IV Anlaß für die Zulassung der Rechtsbeschwerde sind die mit der Abgabe der Erklärung zur Teilung des Patents aufgetretenen Rechtsfragen.
Dr. Anders Dr. Hartung Martens Dr. Zehendner Fa
BPatG:
Beschluss v. 26.02.2003
Az: 20 W (pat) 46/01
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