Bundespatentgericht:
Urteil vom 14. März 2005
Aktenzeichen: 1 Ni 2/04
(BPatG: Urteil v. 14.03.2005, Az.: 1 Ni 2/04)
Tenor
I. Das europäische Patent 0 654 427 wird mit Wirkung für die Bundesrepublik Deutschland für nichtig erklärt.
II. Die Kosten des Rechtsstreits trägt die Beklagte.
III. Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 120% des zu vollstreckenden Betrages vorläufig vollstreckbar.
TATBESTAND Die Beklagte ist eingetragene Inhaberin des am 16. November 1994 unter Inanspruchnahme der Priorität der französischen Patentanmeldung 9313769 vom 18. November 1993 angemeldeten europäischen Patents 0 654 427 (Streitpatent), das unter anderem mit Wirkung für das Hoheitsgebiet der Bundesrepublik Deutschland erteilt worden ist und insoweit beim Deutschen Patentund Markenamt unter der Nummer 694 10 401 geführt wird.
Das in französischer Sprache veröffentlichte Streitpatent betrifft einen "Bandförderer, insbesondere für einen Transportbetonmischer". Es umfasst 6 Patentansprüche, die sämtlich mit der Nichtigkeitsklage angegriffen werden und in ihrer in der europäischen Patentschrift enthaltenen deutschen Übersetzung folgenden Wortlaut haben:
1. Bandförderer für ein Fahrzeug, das einen Behälter für Granulatoder pulverförmige Produkte trägt, wobei der Behälter eine Abgabeöffnung aufweist und beispielsweise ein Betonmischer ist, mit -einem Chassis, das aus mindestens drei starren Elementen (4, 5, 6) gebildet wird, welche untereinander durch Gelenke verbunden sind, deren Achsen horizontal und parallel zueinander verlaufen, wobei ein erstes (4) dieser Elemente mit Mitteln versehen ist, welche sein Verschwenken um eine mit dem Fahrzeug verbundene vertikale Achse ermöglichen und in der Nähe des Abgabepunktes des Behälters angeordnet sind, und das letzte (6) der Elemente des Chassis an seinem Ende einen Abgabetrichter oder eine Abgaberutsche trägt,
-Stellzylinder (7, 8, 11) die in der Lage sind, auf die Gelenke sowie zwischen dem Fahrzeug (1) und dem ersten Element (4) des Chassis zu wirken, um das Chassis aus einer Transportstellung, in der es mit dem ersten und gegebenenfalls letzten Element des Chassis vertikal oder sehr stark geneigt zur Vertikalen angeordnet ist und in der der Förderer praktisch nicht über die Außenkontur des Fahrzeugs vorsteht, in einer Arbeitsstellung, in der der Abgabetrichter bzw. die Abgaberutsche vom Fahrzeug entfernt ist, zu verstellen,
- einem kontinuierlichen Transportband (14), das durch Rollen
(15) geführt ist, die an dem Chassis gelagert und mindestens an jedem Ende des Chassis sowie in der Nähe jedes Gelenkes angeordnet sind, wobei eine der Rollen eine Rolle zum Antrieb des Bandes ist,
- und Mitteln, die das Transportband unter praktisch konstanter Spannung halten, dadurch gekennzeichnet, daß zumindest das letzte Element (6) des Chassis teleskopierbar ist und in der Transportstellung des Chassis über die durch die Außenkontur des Fahrzeugs vorgegebene maximale Länge hinaus verlängerbar ist.
2.
Bandförderer nach Anspruch 1, dadurch gekennzeichnet, daß mindestens ein weiteres Element (5) des Chassis ebenfalls teleskopierbar ist.
3.
Bandförderer nach Anspruch 1 oder 2, dadurch gekennzeichnet, daß eine Hydraulikzylinder-Steuerung der Teleskopbewegung des letzten Elementes vorgesehen ist.
4.
Bandförderer nach Anspruch 1 oder 2, dadurch gekennzeichnet, daß eine aus Seil und hydraulischem Drehmotor bestehende Steuerung der Teleskopbewegung des letzten Elementes vorgesehen ist.
5.
Bandförderer nach Anspruch 1 oder 2, dadurch gekennzeichnet, daß eine von einer Zahnstange und einem durch einen hydraulischen Drehmotor angetriebenen Ritzel gebildete Steuerung der Teleskopbewegung des letzten Elementes vorgesehen ist.
6.
Bandförderer nach einem der Ansprüche 1 bis 5, bei dem das letzte Element ein vorderes Teil (22) und ein dem vorhergehenden Element nächstes hinteres Teil (20) aufweist, dadurch gekennzeichnet, daß das Rücklauftrum des Förderbandes nacheinander um eine mit dem vorderen Teil fest verbundene Umlenkrolle (31), die das Rücklauftrum um ungefähr 180¡ umlenkt, dann um eine mit dem hinteren Teil fest verbundene weitere Umlenkrolle (29), die das Rücklauftrum erneut um ungefähr 180¡umlenk t, läuft.
Dabei lautet der letzte Absatz des Anspruchs 1, der die kennzeichnenden Merkmale enthält in der maßgeblichen französischen Fassung wie folgt:
caracterise en ca qu'au moins le dernier element (6) du chssis est telescopique, et peut s'allonger audel de la longueur maximale imposee par le gabarit du vehicule quand le chssis est en position de transport.
Die Klägerin macht unter anderem geltend, der Gegenstand des Anspruchs 1 sei nicht neu und die Gegenstände der Unteransprüche beruhten nicht auf erfinderischer Tätigkeit. Sie stützt sich bei ihrer Argumentation unter anderem auf die europäischen Anmeldungen EP 0 424 591 A1 (NK3) und EP 0 427 673 A1 (NK4).
Die Klägerin beantragt, das europäische Patent 0 654 427 mit Wirkung für das Hoheitsgebiet der Bundesrepublik Deutschland für nichtig zu erklären.
Die Beklagte beantragt, die Klage abzuweisen, hilfsweise das europäische Patent 0 654 427 mit Wirkung für das Hoheitsgebiet der Bundesrepublik Deutschland mit der folgenden Fassung der Patentansprüche aufrechtzuerhalten: Anspruch 1 gemäß dem mit Schriftsatz vom 7. Juli 2004 überreichten Hilfsantrag. Ansprüche 2 bis 6 wie erteilt mit der Modifikation, dass sie sich auf Anspruch 1 gemäß Hilfsantrag beziehen.
Sie tritt dem Klagevorbringen entgegen und hält den angegriffenen Gegenstand des Streitpatents für patentfähig, insbesondere auch für neu und auf erfinderischer Tätigkeit beruhend.
Wegen Einzelheiten des Vorbringens der Parteien wird auf deren Schriftsätze verwiesen.
Gründe
Die Klage ist zulässig und auch in der Sache begründet.
I.
Der Gegenstand des mit Hauptantrag verteidigten, erteilten Patentanspruchs 1 ist gegenüber dem aus der NK3 Bekannten nicht neu.
In gegliederter Form und bei zutreffender Übersetzung des kennzeichnenden Teils lautet dieser Patentanspruch:
1. Bandförderer für ein Fahrzeug, das einen Behälter für granulatoder pulverförmige Produkte trägt, 1.1.
wobei der Behälter eine Abgabeöffnung aufweist und beispielsweise ein Betonmischer ist, mit:
2.
einem Chassis 2.1. das aus mindestens drei starren Elementen (4, 5, 6) gebildet wird, 2.2. welche untereinander durch Gelenke verbunden sind, deren Achsen horizontal und parallel zueinander verlaufen, 2.3. wobei ein erstes (4) dieser Elemente mit Mitteln versehen ist, welche sein Verschwenken um eine mit dem Fahrzeug verbundene vertikale Achse ermöglichen und 2.4. in der Nähe des Abgabepunktes des Behälters angeordnet sind und 2.5.
das letzte (6) der Elemente des Chassis an seinem Ende einen Abgabetrichter oder eine Abgaberutsche trägt, 3.
Stellzylindern (7, 8, 11), die in der Lage sind, auf die Gelenke sowie zwischen dem Fahrzeug (1) und dem ersten Element (4) des Chassis zu wirken, um das Chassis aus einer Transportstellung, in der es mit dem ersten und gegebenenfalls letzten Element des Chassis vertikal oder sehr stark geneigt zur Vertikalen angeordnet ist und in der der Förderer praktisch nicht über die Außenkontur des Fahrzeugs vorsteht, in eine Arbeitsstellung, in der der Abgabetrichter bzw. die Abgaberutsche vom Fahrzeug entfernt ist, zu verstellen, 4.
einem kontinuierlichen Transportband (14), das durch Rollen (15) geführt ist, die an dem Chassis gelagert und mindestens an jedem Ende des Chassis sowie in der Nähe jedes Gelenkes angeordnet sind, 4.1.
wobei eine der Rollen eine Rolle zum Antrieb des Bandes ist, 5.
und Mitteln, die das Transportband unter praktisch konstanter Spannung halten, dadurch gekennzeichnet, daß
2.6. zumindest das letzte Element (6) des Chassis teleskopierbar und 2.7. über die durch die Außenkontur des Fahrzeugs in der Transportstellung des Chassis vorgegebene maximale Länge hinaus verlängerbar ist.
Der hier zuständige Fachmann - ein Maschinenbauingenieur mit Erfahrungen im Bau von fördertechnischen Anlagen - versteht die beiden kennzeichnenden Merkmale 2.6. und 2.7. im Gesamtzusammenhang der Streitpatentschrift in dem Sinne, dass zumindest das letzte Element des Chassis teleskopierbar ist und dadurch über die maximale Länge des Fahrzeugs, die durch die Außenkontur des Fahrzeugs vorgegeben ist, wenn sich das Chassis in der Transportstellung befindet, verlängert werden kann.
Unbestritten sind die Merkmale 1. bis 5. (dh der Oberbegriff) auch beim Gegenstand der NK3 erfüllt, zumal die Beklagte unter anderem von dieser Schrift bei der Bildung des Oberbegriffs ausgegangen ist (vgl Sp 1 ab Z 47 der Streitpatentschrift). Diese Schrift offenbart nach Auffassung des Senats aber auch die kennzeichnenden Merkmale 2.6. und 2.7.
Nach Anspruch 1 der NK3 (vgl Sp 5 Z 53f) ist bei einem Chassis mit drei Elementen zumindest das letzte Element (head section 3) teleskopisch ausstreck = bzw. verlängerbar (telesopic esctensible). Damit liegt eine fast wörtliche Übereinstimmung mit dem Merkmal 2.6. des Anspruchs 1 des Streitpatents vor. Der Fachmann sieht auch Merkmal 2.7. verwirklicht, insbesondere im Hinblick auf die Ausführungen in Spalte 1, Zeilen 1 bis 25 in Verbindung mit der Legende zu Figur 6 (Sp 3 Abs 1) dieser Schrift.
Wenn die Beklagte geltend macht, nach der NK3 sei ausschließlich das mittlere Element des Chassis (section 2) teleskopierbar, so bezieht sie sich damit allein auf das in der Schrift offenbarte Ausführungsbeispiel, insbesondere nach den Figuren 4 und 5 mit der zugehörigen Beschreibung, welches dem Gegenstand des Anspruchs 5 der Entgegenhaltung entspricht. Durch Anspruch 5 bzw das Ausführungsbeispiel wird eine spezielle Art der Verlängerung des Chassis gelehrt. Anspruch 1 sowie die einleitende Beschreibung (Sp 1 Z 41f) umfassen jedoch nicht nur diese Möglichkeit. Vielmehr entnimmt der die Schrift lesende unvoreingenommene Fachmann insbesondere dem weitergehenden Anspruch 1 nach dessen Wortlaut zuallererst die Möglichkeit, dass das letzte Element des Chassis (head section 3) selbst in sich teleskopisch verlängerbar sein soll. Damit fällt dieses bevorzugte Ausführungsbeispiel der dort offenbarten Erfindung ebenfalls unter deren Anspruch 1, der auch nach der Auffassung der Beklagten viele Möglichkeiten umfasst.
Die Unteransprüche 2 bis 6 enthalten Ausführungsformen, die ebenfalls in der Entgegenhaltung NK3 offenbart sind, die sich für den Fachmann als selbstverständlich ergeben oder im Hinblick auf die Entgegenhaltung NK4 nahe liegen. Da die Beklagte dieser Wertung nicht widersprochen hat, erübrigt sich ein weiteres Eingehen auf diese Ansprüche.
II.
Anspruch 1 nach Hilfsantrag unterscheidet sich lediglich durch den Einschub "par une commande" ("mit Hilfe einer Steuerung") im kennzeichnenden Teil des Anspruchs 1 (nach Hauptantrag) zwischen den Worten "s«allonger" und "audelà". Dieser Einschub soll das Verständnis des Beanspruchten verdeutlichen; er diente im parallelen Verletzungsverfahren zur Verdeutlichung des Unterschiedes zur FR 2 507 529 A1, welche hier im Verfahren als Entgegenhaltung NK1 eingeführt ist.
Da der Gegenstand des Anspruchs 1 durch diesen Einschub im Verständnis des Fachmanns, nicht eingeschränkt, sondern lediglich verdeutlicht bzw klargestellt wird, ist der Hilfsantrag unzulässig (vgl dazu BGH GRUR 1988, 757, 760 -Düngerstreuer). Im Übrigen könnte der Einschub, gerade weil er nur eine Klarstellung enthält, von der fehlenden Neuheit des Anspruchs 1 im Verhältnis zur Schrift NK3 nichts ändern.
III.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 84 Abs 2 Satz 2 PatG iVm § 91 Abs 1 ZPO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 99 Abs 1 PatG iVm § 709 Satz 1 und 2 ZPO.
Dr. Landfermann Dr. Barton Dr. Frowein Ihsen Rauch Pr
BPatG:
Urteil v. 14.03.2005
Az: 1 Ni 2/04
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