Bundespatentgericht:
Beschluss vom 16. März 2000
Aktenzeichen: 25 W (pat) 123/99
(BPatG: Beschluss v. 16.03.2000, Az.: 25 W (pat) 123/99)
Tenor
Die Beschwerde der Inhaberin der angegriffenen Marke wird zurückgewiesen.
Gründe
I.
Die Bezeichnung FLUTEXIN ist am 24. April 1997 für
"Arzneimittel"
in das Markenregister eingetragen worden.
Widerspruch erhoben hat die Inhaberin der älteren, am 8. Januar 1959 für
"Arzneimittel"
eingetragenen Marke 720 835 FLUDESTRIN, deren Benutzung nicht bestritten ist.
Die Markenstelle für Klasse 5 des Deutschen Patentamts hat mit Beschluß vom 25. Februar 1999 durch einen Beamten des höheren Dienstes die Verwechslungsgefahr zwischen diesen Marken bejaht und die Löschung der angegriffenen Marke angeordnet. Bei möglicher Warenidentität sei vorerst ein strenger Maßstab bei der Beurteilung der Markenähnlichkeit geboten. Dieser Maßstab werde aber dadurch gemindert, daß neben Fachleuten hier auch allgemeine Verkehrskreise zu berücksichtigen seien, die Waren auf dem Arzneimittel- und Gesundheitssektor mit erhöhter Aufmerksamkeit begegneten. Es bestehe zumindest eine klangliche Verwechslungsgefahr.
Hiergegen richtet sich die Beschwerde der Inhaberin der angegriffenen Marke, die keinen Antrag gestellt hat. Die Markenstelle habe fälschlicherweise allein auf den klanglichen Gesamteindruck abgestellt. Im Schriftbild würden sich die Marken aber erheblich unterscheiden. Auch in klanglicher Hinsicht bestehe keine Verwechslungsgefahr. Dem Bestandteil "Flu-" komme wegen der Vielzahl von "Flu"-Zeichen praktisch keinerlei Kennzeichnungskraft zu, so daß auf die nachfolgenden Bestandteile abgestellt werden müsse, die aber in keiner Weise verwechslungsfähig seien.
Die Inhaberin der angegriffenen Marke beantragt, die Beschwerde zurückzuweisen.
Die Marken seien jedenfalls klanglich hochgradig verwechselbar, was die Markenstelle überzeugend festgestellt habe, so daß es entgegen der Ansicht der Inhaberin der angegriffenen Marke nicht auf die schriftbildliche Verwechslungsgefahr ankomme. Auch insoweit seien die Bezeichnungen aber verwechselbar ähnlich. Selbst wenn die Vorsilbe "Flu-" durch eine gewisse Anzahl von entsprechenden Arzneimittelkennzeichen in ihrer Kennzeichnungskraft geschwächt sei, dürfe sie beim Zeichenvergleich nach dem Gesamteindruck nicht unberücksichtigt bleiben. Dieser Silbe komme auch kein eindeutig beschreibender Hinweis auf die Indikation der Widerspruchswaren zu.
Wegen der Einzelheiten wird auf den angefochtenen Beschluß der Markenstelle für Klasse 5 des Deutschen Patentamts sowie auf die Schriftsätze der Beteiligten Bezug genommen.
II.
Die Beschwerde der Inhaberin der angegriffenen Marke ist zulässig, hat in der Sache jedoch keinen Erfolg.
Die Markenstelle hat auf den nach § 42 Abs 2 Nr 1 MarkenG erhobenen Widerspruch aus der älteren Marke die Löschung der angegriffenen Marke zu Recht gemäß § 43 Abs 2 Satz 1 MarkenG angeordnet. Es besteht auch nach Auffassung des Senats wegen der Identität der Waren und der Ähnlichkeit der Marken die Gefahr von Verwechslungen im Sinne von § 9 Abs 1 Nr 2 MarkenG.
Da Benutzungsfragen im vorliegenden Verfahren nicht aufgeworfen sind, ist bei den Waren von der Registerlage auszugehen. Danach können sich die jeweiligen Präparate aufgrund des in beiden Warenverzeichnissen enthaltenen Oberbegriffs "Arzneimittel" auf identischen Produkten begegnen. Da die Waren auch rezeptfrei erhältliche Arzneimittel umfassen können, sind neben Fachleuten auch Endverbraucher als Verkehrskreise uneingeschränkt zu berücksichtigen. Dieser Umstand führt entgegen der in dem angefochtenen Beschluß der Markenstelle vertretenen Ansicht aber nicht zu einer wesentlichen Minderung des bei der Beurteilung der Verwechslungsgefahr gebotenen Maßstabs. Wenngleich beim Erwerb von Arzneimitteln wegen der Bedeutung dieser Waren für die Gesundheit des Menschen auch bei allgemeinen Verkehrskreisen nicht von einer besonderen Flüchtigkeit ausgegangen werden kann, sind insoweit an den zur Verneinung der Verwechslungsgefahr erforderlichen Markenabstand dennoch vielmehr strenge Anforderungen zu stellen. Denn Endverbraucher verfügen im Vergleich zum Fachverkehr nicht über eine durch berufliche Praxis und Erfahrung geschulte Sorgfalt im Umgang mit Arzneimitteln sowie Kenntnisse über Marken und Produkte auf diesem Warengebiet, so daß insoweit weniger kompetente Endabnehmer Markenverwechslungen regelmäßig eher unterliegen als Fachleute.
Bei seiner Entscheidung geht der Senat von einer durchschnittlichen Kennzeichnungskraft und damit einem normalen Schutzumfang der Widerspruchsmarke aus, da entgegenstehende Anhaltspunkte nicht ersichtlich sind. Insbesondere kann allein aufgrund des Umstandes, daß verschiedene Wirkstoffbezeichnungen (INN) und eine Reihe von Drittzeichen ebenfalls den Wortanfang "Flu-" aufweisen, nicht angenommen werden, daß eine ursprüngliche Kennzeichnungsschwäche der Gesamtbezeichnung "FLUDESTRIN" vorliegt. Denn durch die Verbindung mit dem weiteren Bestandteil "-DESTRIN" ist sie als Gesamtwort noch hinreichend phantasievoll gebildet, so daß im Hinblick auf die im Bereich pharmazeutischer Erzeugnisse bestehende Übung, Marken in der Weise zu bilden, daß einzelne Bestandteile Indikation, Art der Zusammensetzung, Wirkung und dergleichen zumindest für Fachleute eindeutig erkennen lassen, hier jedenfalls keine ursprüngliche Kennzeichnungsschwäche der Gesamtbezeichnung anzunehmen ist.
Unter Berücksichtigung der vorgenannten Umstände sind strenge Anforderungen an den zur Vermeidung der Kollisionsgefahr erforderlichen Markenabstand zu stellen, den die angegriffene Marke nicht einhält. Die sich gegenüberstehenden Marken sind nach Auffassung des Senats jedenfalls in klanglicher Hinsicht so stark angenähert, daß eine hinreichend sichere Unterscheidung nicht gewährleistet und die Verwechslungsgefahr im Sinne von § 9 Abs 1 Nr 2 MarkenG zu bejahen ist.
Der für die Beurteilung insoweit maßgebliche klangliche Gesamteindruck wird dadurch verwechselbar ähnlich gestaltet, daß die Marken "FLUTEXIN" und "FLUDE-STRIN" bei gleicher Sprechsilbenzahl und gleichem Sprech- und Betonungsrhythmus in dem Lautbestand "Fludein" bzw "Flutein" fast identisch übereinstimmen, da die Abweichung zwischen den eng klangverwandten Konsonanten "D" bzw "T" zu Beginn der jeweils zweiten Silbe kaum auffällt. Sie haben damit auch die den klanglichen Gesamteindruck wesentlich beeinflussende (vgl Althammer/Ströbele, MarkenG, 5. Aufl, § 9 Rdn 82) Vokalfolge "U-E-I", den ohnehin regelmäßig besonders beachteten (vgl BGH GRUR 1998, 924 "salvent/Salventerol"; GRUR 1995, 50 "Indorektal/Indohexal") Wortanfang "FLU-" sowie die Endbuchstaben "-IN" gemeinsam. Die Übereinstimmungen am Anfang und Ende der Marken treten im Klangeindruck noch dadurch besonders hervor, daß beide Bezeichnungen auf diesen Bestandteilen betont werden.
Angesichts dieser weitreichenden Gemeinsamkeiten vermag der isoliert betrachtet durchaus deutliche Klangunterschied zwischen den Lauten "-X-" in der angegriffenen Marke bzw "-STR-" in der Widerspruchsmarke deren Gesamtklangbild nicht hinreichend anders zu gestalten, zumal sich diese Abweichungen auf das regelmäßig weniger auffällige Wortinnere beschränken. Hinzu kommt, daß der in der Buchstabenfolge "-STR-" enthaltene "S"-Laut auch in dem wie "ks" gesprochenen "X" der angegriffenen Marke deutlich hörbar anklingt und dadurch eine weitere klangliche Annäherung an die Widerspruchsmarke geschaffen wird. Berücksichtigt man schließlich, daß sich die Markenwörter regelmäßig nicht gleichzeitig gegenübertreten, so daß sich die Verkehrsauffassung meist nur aufgrund eines eher undeutlichen Erinnerungseindrucks bildet und es sich um schon relativ lange Bezeichnungen handelt, bei denen Abweichungen meist weniger ins Gewicht fallen als bei kürzeren Wörtern (Althammer/Ströbele, aaO, Rdn 87), kann eine klangliche Verwechslungsgefahr unter den hier vorliegenden Gesamtumständen nicht verneint werden.
Bei diesem Ergebnis kann dahinstehen, ob sich die Marken auch im Schriftbild verwechselbar nahe kommen.
Schließlich kann entgegen der Ansicht der Inhaberin der angemeldeten Marke hier auch nicht von einer fehlenden Kennzeichnungskraft des gemeinsamen Anfangsbestandteils "FLU-" aufgrund einer Reihe entsprechend gebildeter Drittzeichen und Wirkstoffbezeichnungen ausgegangen werden. Abgesehen davon, daß auch für sich kennzeichnungsschwache oder gar schutzunfähige Elemente einer einheitlichen Marke bei der Beurteilung des jeweiligen klanglichen Gesamteindrucks und der Verwechslungsgefahr angemessen mitberücksichtigt werden müssen (vgl BGH GRUR 1996, 200 "Innovadiclophlont"), kann aufgrund der hier vorliegenden Umstände schon nicht von einer erheblichen Kennzeichnungsschwäche des Markenbestandteils "FLU-" ausgegangen werden. Denn die Anfangssilbe "Flu-" weist für sich nicht auf einen speziellen Wirkstoff (INN) hin und hat auch in den angeführten Kennzeichen keine bestimmte beschreibende Funktion. Vielmehr beziehen sich etwa die Wirkstoffbezeichnungen und die von diesen Wirkstoffbezeichnungen abgeleiteten Produktkennzeichen der Klasse 5 mit diesem Wortelement auf viele verschiedene - von dem in den beiderseitigen Warenverzeichnissen enthaltenen Warenoberbegriff "Arzneimittel" umfaßte - Indikationsgebiete und Warengruppen. So sind etwa die in der Roten Liste 2000 aufgeführten INN mit dem Anfangsbestandteil "Flu-" und die die jeweiligen Wirkstoffe enthaltenden Mittel unterschiedlichen Hauptgruppen (HG) zugeordnet (vgl zB "Fluconazol" (Antimykotika HG 21 und Gynäkologika HG 46), "Fludrocortison" (Halogeniertes Glucocorticoid HG 31), "Flunarizin" (Antihistaminikum HG 14), "Fluorescein" (Diagnostikum HG 35 und Ophthalmika HG 67), "Fluorouracil" (Zytostatikum HG 86 und Dermatika HG 32), "Fluoxetin" (Antidepressivum HG 71), "Flurazepam" (Hypnotikum HG 49), "Flupirtin" (Analgetika HG 05) und "Fluvastatin" (Lipidsenker HG 58). Dabei kann eine Kennzeichnungsschwäche des Markenbestandteils "FLU-" von vornherein nicht auf solche Wortbildungen gestützt werden, in denen dieses Wortelement nicht als eigenständige Silbe enthalten ist (vgl zB die in der Roten Liste 2000 genannten INN bzw Kennzeichen "Flurbiprofen", "Fluctin", "Flui-Amoxicillin", "Fluoretten" und "Fluor-Vigantoletten".
Schon insoweit ist auch für Fachleute in der bloßen Silbe "FLU-" kein hinreichend konkreter beschreibender Gehalt in Bezug auf den Warenbegriff "Arzneimittel" erkennbar, zumal hier auch die weiteren Markenbestandteile "-TEXIN" bzw "-DESTRIN" nicht auf eine bestimmte Indikation oder Bedeutung hinweisen. Erst recht kann diese Anfangssilbe weiterhin im Hinblick darauf nicht als kennzeichnungsschwach eingestuft werden, daß einem Wortelement ein sachbeschreibender Hinweis in der Regel um so weniger entnommen werden kann, je kürzer dieser Markenbestandteil ist. Dies wird jedenfalls bei nur einsilbigen Elementen anzunehmen sein, es sei denn, es liegen konkrete Anhaltspunkte dafür vor, daß der Bestandteil, wie zB "derm" (Haut) oder "cor" (Herz), in der Praxis in einer bestimmten Richtung verwendet und verstanden wird. Für eine derartige, auch nur überwiegende Verwendung der Silbe "FLU-" liegen Anhaltspunkte jedoch nicht vor.
Die Inhaberin der angegriffenen Marke könnte sich in diesem Zusammenhang auch nicht darauf berufen, daß die Widerspruchsmarke wohl tatsächlich für ein Produkt benutzt wird, welches in der Roten Liste 1999 in der Hauptgruppe 76 "Sexualhormone ..." (Nr 76 007) und in der Roten Liste 2000 in der Hauptgruppe 86 "Zytostatika ..." (Nr 86 152) aufgeführt ist und der Wirkstoff INN "Flutamid" ausweislich der genannten Ausgaben der Roten Liste ausschließlich für Präparate der Hauptgruppe 76 (1999) bzw 86 (2000) verwendet wird und insoweit der übereinstimmenden Silbe "FLU-" eine eindeutige warenbeschreibende Bedeutung zukomme. Denn da sie eine hier nach § 43 Abs 1 Satz 1 und Satz 2 MarkenG mögliche Nichtbenutzungseinrede nicht erhoben hat und auch das Warenverzeichnis der angegriffenen Marke nicht auf bestimmte Waren beschränkt hat, ist auf beiden von dem Warenverzeichnis und dem darin jeweils enthaltenen weiten Warenbegriff "Arzneimittel" auszugehen. Unter diesen Umständen reicht der Markenabstand nicht aus, um die Gefahr von Verwechslungen auszuschließen.
Nach alledem war die Beschwerde der Inhaberin der angegriffenen Marke zurückzuweisen.
Zu einer Kostenauferlegung aus Billigkeitsgründen bot der Streitfall keinen Anlaß, § 71 Abs 1 MarkenG.
Kliems Engels Brandt Pü
BPatG:
Beschluss v. 16.03.2000
Az: 25 W (pat) 123/99
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