Bundespatentgericht:
Beschluss vom 31. Januar 2011
Aktenzeichen: 20 W (pat) 108/05

(BPatG: Beschluss v. 31.01.2011, Az.: 20 W (pat) 108/05)

Tenor

Auf die Beschwerde der Anmelderin wird der Beschluss der Prüfungsstelle für Klasse H01Q des Deutschen Patentund Markenamts vom 4. August 2005 aufgehoben und das Patent aufgrund folgender Unterlagen erteilt:

Patentansprüche:

Patentansprüche 1 bis 18 eingereicht in der mündlichen Verhandlung vom 31. Januar 2011 Beschreibung:

-Seite 1 vom 21. Juni 2004; -Seite 2, 2a vom 22. Juni 2005, eingegangen im DPMA am 24. Juni 2005; -Seite 3-17, eingereicht in der mündlichen Verhandlung vom 31. Januar 2011;

Zeichnungen:

Figuren 1 bis 10 aus den Anmeldeunterlagen vom 21. 06. 2004 (Bl. 27-30 VA), (Figur 11 ist gestrichen).

Gründe

I.

Die Patentanmeldung 10 2004 029 984.6-55 mit der Bezeichnung "Tragbarer Datenträger" ist im Verfahren vor dem Deutschen Patentund Markenamt von der Prüfungsstelle H 01 Q durch Beschluss vom 4. August 2005 zurückgewiesen worden. Der Zurückweisung lagen die mit Eingabe vom 22. Juni 2005 (eingegangen am 24. Juni 2005) eingereichten Patentansprüche 1 bis 20 zugrunde.

Bezüglich des Wortlauts dieser Ansprüche wird auf die Amtsakte verwiesen.

Die Prüfungsstelle hat ihren Beschluss damit begründet, dass der tragbare Datenträger nach dem damals geltenden Patentanspruch 1 gegenüber der EP 1 308 886 A2, nach der Nummerierung im Prüfungsverfahren Druckschrift 1), nicht mehr neu sei.

Zusätzlich zu dem vorstehend genannten Stand der Technik ist im Prüfungsverfahren vor dem Deutschen Patentund Markenamt noch die Druckschrift 2) US 2004/0 075 613 A ermittelt worden.

Mit ihrer Beschwerde verfolgt die Anmelderin ihre Anmeldung weiter. Im Beschwerdeverfahren hat sie in der mündlichen Verhandlung vom 31. Januar 2011 neue Patentansprüche 1 bis 18 sowie neue Beschreibungsseiten 3 bis 17 eingereicht.

Der Anmeldegegenstand betrifft einen tragbaren Datenträger mit einem integrierten Schaltkreis und einer Antenne, über die eine kontaktlose Kommunikation mit dem integrierten Schaltkreis des tragbaren Datenträgers abgewickelt werden kann. Ein derartiger tragbarer Datenträger kann als Chipkarte ausgebildet sein, bei der der integrierte Schaltkreis und die Antenne in einem gemeinsamen Kartenkörper angeordnet sind (vgl. ursprüngliche Unterlagen Seite 1, Zeilen 8 bis 14). Ausgehend von den vorgegebenen beschränkten Raumverhältnissen in elektrischen Geräten, wie bspw. Mobilfunktelefonen, und möglicher Abschirmung durch umgebende Komponenten (vgl. ursprüngliche Unterlagen Seite 1, Zeilen 14 bis 28), hat es sich die Anmelderin zur Aufgabe gemacht, einen tragbaren Datenträger mit einem integrierten Schaltkreis und einer Antenne so weiter zu entwickeln, dass er auch unter beengten Verhältnissen einsetzbar ist (vgl. urspr. Unterlagen, Seite 2, Zeilen 18 bis 20).

Der in der mündlichen Verhandlung überreichte Patentanspruch 1 lautet (mit eingefügter Merkmalsgliederung):

"1. Tragbarer Datenträger mit einem integrierten Schaltkreis (3), 1.1 der in einem ersten flachstückartigen Bereich (2) angeordnet ist und 1.2 mit einer Antenne (8), 1.2.1die in einem zweiten flachstückartigen Bereich (7) angeordnet und 1.2.2die an den integrierten Schaltkreis (3) angeschlossen ist, dadurch gekennzeichnet, dass 1.3 der zweite flachstückartige Bereich (7) flexibel und einteilig mit dem ersten flachstückartigen Bereich (2) ausgebildet ist."

Das Verfahren zur Herstellung des tragbaren Datenträgers nach dem Patentanspruch 16 gliedert sich in folgende Merkmale (mit eingefügter Merkmalsgliederung):

"16. Verfahren zur Herstellung eines tragbaren Datenträgers (1), 16.1 wobei ein erster flachstückartiger Bereich (2), in dem ein integrierter Schaltkreis (3) angeordnet wird und 16.2 ein zweiter flachstückartiger Bereich (7), in dem eine Antenne (8) angeordnet wird, 16.3 aus einer gemeinsamen flexiblen Trägerfolie (5) hergestellt werden, dadurch gekennzeichnet, dass 16.4 wenigstens eine weitere Folie (6) ausschließlich außerhalb des zweiten flachstückartigen Bereichs (7) mit der Trägerfolie

(5) dauerhaft verbunden wird."

Wegen des Wortlauts der auf den Patentanspruch 1 rückbezogenen Ansprüche 2 bis 15 und der auf den nebengeordneten Patentanspruch 16 rückbezogenen Ansprüche 17 und 18 wird auf die Gerichtsakte verwiesen.

Die Beschwerdeführerin hält sowohl den tragbaren Datenträger nach dem geltenden Patentanspruch 1 als auch das Verfahren zur Herstellung eines tragbaren Datenträgers nach dem Patentanspruch 16 für patentfähig und beantragt wie entschieden.

Die Beschwerdeführerin ist des Weiteren der Auffassung, dass die Zurückweisung der Anmeldung ohne Beachtung der Regeln der Verfahrensökonomie erfolgt sei, da die Prüfungsstelle keinen weiteren zielführenden Prüfungsbescheid erlassen bzw. keine Anhörung anberaumt habe, wodurch ein Eintritt in das Beschwerdeverfahren und die damit verbundenen Kosten vermeidbar gewesen wären. Sie regt daher an, die Rückzahlung der Beschwerdegebühr zu beschließen.

II.

1.

Die zulässige Beschwerde führt insoweit zum Erfolg, als die Gegenstände der Patentansprüche 1 und 16 in ihrer geltenden Fassung jeweils patentfähig sind im Sinne der §§ 1 bis 5 PatG. Die Anmeldung genügt auch sonst den Anforderungen des § 49 Abs. 1 PatG. Eine Rückzahlung der Beschwerdegebühr war dagegen nicht angezeigt.

2.

Als maßgebenden Fachmann für die Beurteilung der Neuheit und des Zugrundeliegens einer erfinderischen Tätigkeit erachtet der Senat in Übereinstimmung mit der Anmelderin einen Fachhochschulingenieur der Elektrotechnik, der mit dem Entwurf und der Realisierung von Schaltungslayouts befasst ist und bei der verfahrenstechnischen Umsetzung mit einem Fachmann der Kunststoffverarbeitung eng zusammenarbeitet.

3.

Die in der mündlichen Verhandlung überreichte Anspruchsfassung erweist sich als zulässig. Die gegenüber der ursprünglichen Fassung des Patentanspruchs 1 neu mitaufgenommenen Merkmale sind in den ursprünglichen Unterlagen als zur Erfindung gehörig offenbart. So findet sich das Merkmal 1.2.1 in den ursprünglich eingereichten Unterlagen auf S. 3, Zeilen 1 und 2 wieder, das Merkmal 1.3 geht auf die ursprünglich eingereichten Patentansprüche 1 und 8 zurück. Die auf den Patentanspruch 1 direkt oder indirekt rückbezogenen Patentansprüche 2 bis 15, sind wortidentisch zu den ursprünglich eingereichten Patentansprüchen 2 bis 7, 9, 10 und 13 bis 18. Der geltende nebengeordnete Patentanspruch 16 sowie die auf ihn rückbezogenen Patentansprüche 17 und 18 entsprechen in ihrem Wortlaut den ursprünglich eingereichten Patentansprüchen 21 bis 23.

4.

Sowohl der zweifellos gewerblich anwendbare tragbare Datenträger nach dem Patentanspruch 1 als auch das Verfahren zur Herstellung eines tragbaren Datenträgers nach dem Patentanspruch 16 gelten als neu (§ 3 PatG).

Die Druckschrift 1) zeigt in ihrer Fig. 5 einen tragbaren Datenträger bestehend aus einer Trägerkarte 20, auf der eine Antenne 30 aufgebracht ist. In der Trägerkarte befindet sich ein Ausschnitt, in den ein Schnittstellenmodul 10 mit einem integrierten Schaltkreis aufgenommen wird (vgl. Fig. 4A, Schnittstellenmodul 10 mit IC 16 und Spalte 3, Zeilen 45 bis 56) (Merkmal 1.). Während der IC 16 in Anlehnung an die Trägerkarte 20 auf einem flachen Modulkörper aufgebracht ist (vgl. Absatz [0034]], wird die Antenne auf einem flexiblen Film 32 realisiert (vgl. Absatz [0044]), sodass für beide Komponenten zwar unterscheidbare flachstückartige Bereiche ausweisbar sind (Merkmale 1.1 bis 1.2.2.), der zweite flachstückartige Bereich aber nicht einteilig mit dem ersten flachstückartigen Bereich ausgebildet ist (Merkmal 1.3 ).

Aus der Druckschrift 2), vgl. Fig. 11, ist ein Sende/Empfangsmodul 911 bekannt, welches Antennenelemente 10 und 60, Sende/Empfangseinheiten 114 und 116 und einen digitalen Signalprozessor 920, respektive einen IC, beinhaltet (vgl. Absätze [0048] und [0049]). Wie aus der Fig. 10 ersichtlich, sind die Sende/Empfangseinheiten und die Antennenelemente flach auf Rückund Seitenwänden des Gehäuses 103 angeordnet (vgl. Absatz [0041]). Ein tragbarer Datenträger im Sinne der vorliegenden Anmeldung ist damit allerdings nicht realisiert. Sofern die Druckschrift 2) daher überhaupt in Betracht zu ziehen ist, weist sie mit der anspruchsgemäßen Anordnung nur noch die Gemeinsamkeit auf, dass die planare Antennenanordnung 90 (vgl. auch Fig. 8) auf einem flexiblen dielektrischen Substrat ausgebildet ist (vgl. Absatz [0029], erster Satz und Absatz [0041], erster Satz). Diese Antennenanordnung ist, wie in der Fig. 10 dargestellt, über stegartige Fortsätze 12 und 14 mit der ersten Sende/Empfangseinheit 116 verbunden, die erkenntlich nicht auf dem Trägersubstrat der Antenne platziert ist, so dass die Antennenanordnung und die Bauteile der Sende/Empfangseinheit auf zwei unterschiedlichen Trägerstrukturen angeordnet sind (Merkmal 1.3).

Die aus dem Aufbau des tragbaren Datenträgers nach der Druckschrift 1) und der Schaltungsträgeranordnung nach der Druckschrift 2) resultierenden konstruktiven Vorgaben bedingen, dass gleichermaßen auch die für den technologischen Aufbau notwendigen Verfahrensschritte nach dem geltenden Patentanspruch 16 außen vor bleiben, nämlich den ersten und zweiten flachstückartigen Bereich, d. h. den Trägerbereich für die Antenne und den Trägerbereich für den Schaltkreis-IC aus einer gemeinsamen flexiblen Trägerfolie herzustellen (Merkmal 16.3) und wenigstens eine weitere Folie ausschließlich außerhalb des zweiten flachstückartigen Bereichs mit der Trägerfolie dauerhaft zu verbinden (Merkmal 16.4).

5. Sowohl der mit dem Patentanspruch 1 beanspruchte tragbare Datenträger als auch das Verfahren zur Herstellung eines tragbaren Datenträgers nach dem Patentanspruch 16 beruhen auch auf einer erfinderischen Tätigkeit (§ 4 PatG).

Ausgehend von Übertragungskarten im Kreditkartenformat, wie sie in den Figuren 1 bis 3 in der Druckschrift 1) wiedergegeben sind, ist es Ziel der dortigen Erfindung eine Übertragungskarte zu entwickeln, die in einem dafür vorgesehenen Behältnis verstaut werden kann (vgl. Abschnitt [0014]). Diese Vorgabe wird nach der Lehre der Druckschrift 1) dadurch erreicht, dass von der bisherig einteilig ausgeführten Anordnung von Antenne und Schaltkreis-IC auf einem gemeinsamen einteiligen Kunststoffträger (vgl. einmal mehr Fig. 1 bis Fig. 3) abgewichen wird und Antenne und Schaltkreis-IC trennbar auf hinsichtlich ihrer mechanischen Eigenschaften unterschiedlichen Trägerstrukturen aufgebracht werden (vgl. Bezeichnung, Spalte 1, Abschnitt [0001], Fig. 5, Fig. 9). Die Lehre der Druckschrift 1) weist, im Gegensatz zur Lehre des geltenden Patentanspruchs 1 (nämlich Antenne und Schaltkreis-IC auf einem einteiligen Träger zu platzieren), den Fachmann folglich in eine vollkommen andere technische Zielrichtung, nämlich Antenne und Schaltkreis-IC jeweils auf separaten Trägerstrukturen aufzubringen. Die Druckschrift 1) ist zur Überzeugung des Senats daher nicht geeignet, den Fachmann zu veranlassen, einen tragbaren Datenträger nach den Merkmalen des geltenden Patentanspruchs 1 auszugestalten.

Die gleiche Beurteilung gilt auch für die ohnehin weiter ab liegende Druckschrift 2), bei der, wie unter 4. dargelegt, Antenne und Schaltkreis-IC ebenfalls nicht auf einem einteiligen Träger angeordnet sind.

Da in den Druckschriften 1) und 2) konstruktionsbedingt jeweils eine zum Anmeldegegenstand vollkommen andere technologische Realisierung einer Antennenanordnung mit einem Schaltkreis-IC umgesetzt ist, vermögen die Druckschriften 1) und 2) den Fachmann auch nicht anzuregen, einen verfahrenstechnischen Herstellungsprozess nach den Merkmalen des geltenden Patentanspruchs 16 in Betracht zu ziehen.

6.

Sowohl die auf den Patentanspruch 1 direkt oder indirekt rückbezogenen Patentansprüche 2 bis 15 als auch die auf den Patentanspruch 16 rückbezogenen Patentansprüche 17 und 18 bilden die Gegenstände ihrer jeweiligen Bezugsansprüche in nicht selbstverständlicher Weise weiter und erweisen sich daher ebenfalls als patentfähig.

7.

Aus diesen Gründen war das Patent antragsgemäß zu erteilen.

8.

Eine Rückzahlung der Beschwerdegebühr aus Billigkeitsgründen gem. § 80 Abs. 3 PatG kommt nicht in Betracht, da weder eine sachliche Fehlbeurteilung noch ein Verfahrensfehler durch das Deutsche Patentund Markenamt erkennbar ist. Entgegen der Auffassung der Beschwerdeführerin ist auch kein Verstoß gegen die Verfahrensökonomie erkennbar. Die Zurückweisung der Anmeldung im Prüfungsverfahren durch die Prüfungsstelle des Deutschen Patentund Markenamts ist aus damaliger Sicht in der Sache zu Recht ergangen, eine weitere Bescheidung oder die Durchführung einer -nicht beantragten -Anhörung war nicht geboten. Die Prüfungsstelle ist bei ihrer Bescheidung auf alle patentrechtlich relevanten Aspekte eingegangen und hat zu den damals geltenden Unteransprüchen Stellung genommen. Sie hat insbesondere darauf hingewiesen, dass das Merkmal des Unteranspruchs 8, das Eingang in den zurückgewiesenen Patentanspruch 1 gefunden hat, in Abs. 8 und 9 der Entgegenhaltung 1) beschrieben sei und die Unteransprüche nicht als Grundlage für einen gewährbaren Hauptanspruch geeignet seien. Die Anmelderin und Beschwerdeführerin musste daher bei Aufnahme von Merkmalen aus den im Bescheid abgehandelten Unteransprüchen in den Hauptanspruch damit rechnen, dass die Anmeldung zurückgewiesen wird. Sonstige Umstände, die eine Einbehaltung der Gebühr als unbillig erscheinen ließen, sind nicht erkennbar.

Kleinschmidt Dr. Mittenberger-Huber Gottstein Musiolprö






BPatG:
Beschluss v. 31.01.2011
Az: 20 W (pat) 108/05


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