Oberlandesgericht Oldenburg:
Urteil vom 25. Oktober 2001
Aktenzeichen: 1 U 102/01
(OLG Oldenburg: Urteil v. 25.10.2001, Az.: 1 U 102/01)
Tenor
Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil der 16. Zivilkammer (4. Kammer für Handelssachen) des Landgerichts Osnabrück vom 04. Juli 2001 aufgehoben.
Der Beklagten wird unter Androhung eines für jeden Fall der Zuwiderhandlung festzusetzenden Ordnungsgeldes bis zu 500.000,00 DM, ersatzweise Ordnungshaft oder Ordnungshaft bis zu sechs Monaten, zu vollstrecken an ihren Geschäftsführern, untersagt,
a) in der "N. O. Z.", in dem "M. K." und in dem "B. K." sowie in öffentlichen Bekanntmachungen und Mitteilungen, die für einen größeren Kreis von Personen bestimmt sind, Verkaufsveranstaltungen anzukündigen mit der Aussage
"M. M. macht zu ... seinem Umbau ... absolute ... Schnäppchen!",
wenn dies geschieht (wie in der "N. O. Z." vom 10. Mai 2001) in Verbindung mit der Nennung sämtlicher Produktbereiche unter Angabe der jeweils günstigsten Anfangspreise, der Abbildung ganzer Ausstellungswände bzw. der Darstellung von Angebotsbeispielen auf Paletten;
b) Verkaufsveranstaltungen, für die mit den zuvor unter
a) wiedergegebenen Formulierungen geworben wird, durchzuführen.
Die Beklagte hat die Kosten des Rechtsstreits erster und zweiter Instanz zu tragen.
Tatbestand
Von der Darstellung des Tatbestands wird gemäß § 543 Abs. 1 ZPO abgesehen.
Gründe
Die Berufung ist zulässig und begründet.
I.
Das angefochtene Urteil war aufzuheben, denn die einstweilige Verfügung vom 10. Mai 2001 ist zu Recht erlassen worden. Die Beklagte ist nach wie vor verpflichtet, die beanstandete Werbung gemäß § 13 Abs. 2 Nr. 2, § 7 Abs. 1 UWG zu unterlassen. Entgegen der Ansicht des Landgerichts hat der Kläger die einstweilige Verfügung auch rechtzeitig gemäß §§ 936, 929 Abs. 2 ZPO vollzogen.
1. Zur Sicherung der im Gesetz gegen den unlauteren Wettbewerb bezeichneten Ansprüche auf Unterlassung können einstweilige Verfügungen erlassen werden, auch wenn die in den § 935, 940 ZPO bezeichneten Voraussetzungen nicht vorliegen, § 25 UWG. Die Eilbedürftigkeit (Verfügungsgrund) ist daher gegeben und braucht nicht besonders begründet zu werden.
2. Der Verfügungsanspruch auf Unterlassung hat seine Rechtsgrundlage in § 7 Abs. 1 UWG.
a) Der Kläger ist gemäß § 13 Abs. 2 Nr. 2 UWG berechtigt, den Unterlassungsanspruch geltend zu machen, insbesondere ist die vierseitige Anzeige der Beklagten in mehreren Zeitungen geeignet, den Wettbewerb auf dem relevanten Elektro- und Elektronikhandelsmarkt wesentlich zu beeinträchtigen. Das wird von der Beklagten auch nicht in Zweifel gezogen.
b) Mit der in mehreren Tageszeitungen geschalteten Anzeige hat die Beklagte eine Verkaufsveranstaltung im Einzelhandel, die außerhalb des regelmäßigen Geschäftsverkehrs stattfinden, der Beschleunigung des Warenabsatzes dienen und den Eindruck der Gewährung besonderer Kaufvorteile hervorrufen sollte, mithin eine unzulässige Sonderveranstaltung gemäß § 7 Abs. 1 UWG angekündigt und durchgeführt.
Mit der blickfangmäßig herausgestellten Überschrift auf der ersten Seite: "M. M. macht zu...", hat sie den Eindruck erweckt, dass hier Waren nicht mehr im Rahmen des regelmäßigen Geschäftsbetriebs angeboten werden. Eine solche übersteigerte Werbung mit unwiederholbarer Gelegenheit zum Einkauf, wie es auch das veranstaltende Unternehmen sonst nicht zu bieten vermag, sprengt den Rahmen des "regelmäßigen Geschäftsbetriebs" (vgl. z.B. Baumbach/Hefermehl, Wettbewerbsrecht, 22. Aufl., § 7 UWG Rn 36). Wenn auch der nur durchschnittlich aufmerksame Leser beim Blättern auf die nächste Seite schnell merkt, dass lediglich umgebaut und das Geschäftslokal nicht geschlossen wird, so bleibt doch der Eindruck der Unterbrechung des regelmäßigen Geschäftsverkehrs. Angesichts des Umfangs der Werbung und der Vielzahl der beworbenen Artikel liegt auch eine das normale Maß übersteigende Verkaufstätigkeit vor, die der Beschleunigung des Warenabsatzes im Sinn der genannten Vorschrift dienen sollte. Die Anzeige erweckt den Eindruck der Gewährung besonderer Kaufvorteile. Der Umfang der Werbung soll in Verbindung mit der bewussten Verknüpfung mit dem Umbau des Geschäftslokals den Anschein erzeugen, dass eine nur vorübergehende, besonders günstige Gelegenheit zum Einkauf geboten wird. Ansonsten wäre der Hinweis auf die Besonderheit des Umbaus in dieser Anzeige auch überflüssig gewesen.
Bei der groß angelegten Anzeige handelt es sich schließlich nicht mehr um eine zulässige Werbung mit Sonderangeboten im Sinn von § 7 Abs. 2 UWG. Das sind Angebote begrenzter Warenmengen, die sich gegenständlich als einzelne Waren vom normalen Sortiment abheben. Das ist nicht der Fall, wenn sie von einem nicht unerheblichen Teil der angesprochenen Verkehrskreise dahin verstanden werden, dass im Wesentlichen ein ganzes Sortiment, eine ganze Warensorte oder eine ganze Warengruppe zum Verkauf gestellt wird und/oder sich die Angebote nicht in den regelmäßigen Geschäftsbetrieb des Unternehmens einfügen (BGH GRUR 1962, 42; Baumbach/Hefermehl, a.a.O. § 7 Rn 31).
Obwohl die Beklagte über eine große Angebotspalette verfügt, erweckt die Art und Weise der Anzeige zumindest bei einem nicht unwesentlichen Teil der angesprochenen Verkehrskreise den Eindruck, dass nahezu das ganze Sortiment unter besonders günstigen Bedingungen angeboten wird. Es werden einerseits nicht etwa konkrete Artikel zum Kauf angeboten, sondern eine Vielzahl von nur schlagwortartig bezeichneten Waren genannt, wie z.B. "Mikrowellen ab 120,- DM", "Videorecorder ab 100,- DM", "CD-Player ab 50,- DM" und "Drucker ab 100,- DM". Dieser Eindruck wird andererseits dadurch verstärkt, dass große Abbildungen sowohl von Waren auf Holzpaletten als auch von ganzen Regalwänden gezeigt werden und somit der unbefangene Betrachter meint und meinen soll, nahezu alle geführten Produkte werden nun zu günstigen Preisen angeboten. Diese Wirkung wird nicht dadurch entscheidend relativiert, dass sich auf jeder Seite einmal Hinweise auf "Einzelstücke, Restposten und Auslaufmodelle" befinden. Diese kleinen Aufdrucke verändern den prägenden Eindruck der vierseitigen Anzeige nicht.
c) Der Unterlassungsanspruch ist nicht gemäß § 21 Abs. 1 UWG verjährt, weil seit den beanstandeten Zeitungsanzeigen vom 10. Mai 2001 noch keine sechs Monate verstrichen sind.
3. Die einstweilige Verfügung ist nicht deshalb aufzuheben, weil der Kläger von ihr nicht fristgemäß Gebrauch gemacht hätte.
Wird durch eine einstweilige Verfügung ein Unterlassungsgebot ausgesprochen, so bedarf es deren Vollziehung, die in der Regel durch Parteizustellung vorgenommen wird. Das ist für die im Beschlussweg ergangene einstweilige Verfügung allgemein anerkannt. Die Vollziehung ist gemäß §§ 936, 929 Abs. 2 ZPO binnen Monatsfrist zu bewirken. Sinn und Zweck dieser Vorschrift ist es, dem Schuldner alsbald Klarheit darüber zu verschaffen, ob der Gläubiger seine Rechte auch tatsächlich durchsetzen will. Die Parteien streiten darüber, ob die Zustellung an die Beklagte persönlich noch am Tag des Erlasses der einstweiligen Verfügung am 10. Mai 2001 für eine solche Vollziehung ausreichend ist oder eine Zustellung an die Rechtsanwälte B., erforderlich gewesen wäre.
a) § 176 ZPO schreibt vor, dass Zustellungen, die in einem anhängigen Rechtsstreit bewirkt werden sollen, an den für diesen Rechtszug bestellten Prozessbevollmächtigten erfolgen müssen. Die Rechtsanwälte B. pp. haben sich hingegen nicht zweifelsfrei für das einstweilige Verfügungsverfahren als Bevollmächtigte der Beklagten gemeldet. Nachdem der Kläger die Beklagte am 10. Mai 2001 abgemahnt hatte, haben sie noch vor dem Antrag auf Erlass der einstweiligen Verfügung beim Landgericht Osnabrück ein Telefax mit folgendem auszugsweise wiedergegebenen Inhalt an den Bevollmächtigten des Klägers gesandt:
"... in obiger Sache zeigen wir die Vertretung der Fa. M. M. ... GmbH ... an. Ordnungsgemäße Bevollmächtigung wird anwaltlich versichert.
Uns liegt Ihre Abmahnung vom 10.05.2001 vor. Wir dürfen Ihnen mitteilen, dass wir für ein etwaiges Hauptsacheverfahren prozessbevollmächtigt sind. Wir bitten um entsprechende Beachtung.
Mit freundlichen kollegialen Grüßen
Nach Erhalt dieses Schreibens war der Kläger nicht gemäß § 176 ZPO verpflichtet, eine später erwirkte einstweilige Verfügung an diese Rechtsanwälte zustellen zu lassen, denn die Bevollmächtigung bezog sich erkennbar ausschließlich auf ein Hauptsache- und gerade nicht auf ein Eilverfahren. Auch wenn darin die Abmahnung erwähnt und die Vertretung ganz allgemein bekannt gegeben wird, reicht dies im Zusammenwirken mit der ausdrücklichen Erwähnung gerade des Hauptverfahrens nicht aus, um jeden Zweifel an der Bevollmächtigung auch für das Eilverfahren auszuräumen. Erhebliche Zweifel an der Vollmacht lässt darüber hinaus der Umstand aufkommen, dass es sich nicht etwa um eine typische Schutzschrift im einstweiligen Verfügungsverfahren handelt, denn in der Sache bringen die Rechtsanwälte B. pp. nichts vor. Erst dann, wenn sich ein Rechtsanwalt unmissverständlich als Bevollmächtigter für dieses Eilverfahren gemeldet hat, könnte die Verpflichtung bestehen, die Beschlussverfügung - auch - an diesen zuzustellen (so OLG Köln JMBl NRW 2001, 202; OLG Hamburg OLGR Hamburg 2001, 278; OLG Hamburg NJW-RR 1995, 444). Das ist hier jedoch nicht der Fall gewesen.
Es handelte sich auch nicht etwa um ein offensichtliches Versehen in Form einer ungeschickten Formulierung, denn im einstweiligen Verfügungsverfahren ist die Beklagte tatsächlich von anderen Bevollmächtigten, nämlich den Rechtsanwälten S. aus ... sowie in Untervollmacht von den Rechtsanwälten Dr. S., ..., vertreten worden.
b) Das Landgericht und die Beklagte stellen auf die Vorschrift des § 82 ZPO ab, wonach die Vertretungsmacht für den Hauptprozess die Vollmacht für das eine einstweilige Verfügung betreffende Verfahren umfasst und daher eine Zustellung an die Bevollmächtigten zwingend gewesen sei. Dieser Ansicht vermag sich der Senat nicht anzuschließen.
§ 82 ZPO ergänzt die in § 81 ZPO enthaltene Regelung zum Umfang der Prozessvollmacht und dient wie diese der Rechtssicherheit und Rechtsklarheit im Prozess. Sie erstreckt die Vollmacht für den Hauptprozess auf die in dieser Vorschrift genannten Nebenverfahren. Jedoch wäre es verfehlt, aus dem Inhalt und der Reichweite der Vollmacht mit Blick auf den Normzweck auf eine Pflicht des Gläubigers zur Zustellung der einstweiligen Verfügung an eine bestimmte Person zu schließen.
§ 178 ZPO stellt im Zusammenwirken mit § 176 ZPO klar, dass für Zustellungen an den Prozessbevollmächtigten in einem anhängigen Rechtsstreit zum Rechtszug auch die in Satz 1 bezeichneten Prozesshandlungen und das Verfahren vor dem Vollstreckungsgericht gehören. Weil in diesen Vorschriften das Arrestverfahren und das einstweilige Verfügungsverfahren nicht genannt sind, ist hinreichend deutlich, dass die Eilverfahren eben nicht Bestandteile des Hauptverfahrens sind. Daraus folgt wiederum, dass die §§ 176, 82 ZPO dem Gläubiger zwar das Recht geben, Zustellungen auch an den Bevollmächtigten des Hauptprozesses zu bewirken, ihm aber keine entsprechende Pflicht auferlegen. Dies entspricht der ganz herrschenden Meinung in Rechtsprechung und Literatur, der sich der Senat anschließt (vgl. z.B. OLG Frankfurt MDR 1984, 58; RGZ 45, 364, 366; Zöller-Vollkommer, ZPO, 22. Aufl., § 82 Rn 1; Baumbach/Lauterbach/Albers/Hartmann, ZPO, 59. Aufl., § 82 Rn 1; Thomas-Putzo, ZPO, 23. Aufl., § 178 Rn 2; Münchener Kommentar - v. Mettenheim, ZPO, 2. Aufl., § 82 Rn 3, Stein/Jonas-Roth, ZPO, 21. Aufl., § 178 Rn 4; Musielak-Weth, ZPO, 2. Aufl., § 82 Rn 3; Wieczorek/Schütze-Steiner, ZPO, 3. Aufl., § 82 Rn 1).
Dem Schuldner bleibt es unbenommen, jeweils andere Prozessbevollmächtigte für das einstweilige Verfügungsverfahren und das Hauptverfahren zu bestellen, so wie es die Beklagte hier auch tatsächlich getan hat oder auch das Eilverfahren (zunächst) ohne anwaltlichen Beistand zu betreiben. Der Gläubiger kann regelmäßig nicht ausschließen, dass sein Schuldner von dieser Möglichkeit Gebrauch gemacht hat. Auch deshalb ist es zutreffend, dass § 82 ZPO dem Gläubiger hinsichtlich der Zustellung ein Recht gibt und keine Verpflichtung auferlegt. Ihm darf es nicht zum Nachteil gereichen, wenn er sich insbesondere bei für ihn nicht eindeutig erkennbarem Inhalt der mitgeteilten Vertretungsmacht dazu entschließt, die Beschlussverfügung an den Schuldner persönlich zustellen zu lassen. Damit hat er seinem Gegner eindringlich und unmittelbar vor Augen geführt, dass er von der erwirkten einstweiligen Verfügung auch tatsächlich Gebrauch macht. Mehr kann von ihm nicht erwartet werden.
Die Zustellung erfolgte korrekt, so dass es auf die in der mündlichen Verhandlung angesprochene Möglichkeit der Heilung von Zustellungsmängeln (vgl. dazu OLG Frankfurt NJW-RR 1998, 1684) nicht ankommt.
II.
Aus den genannten Gründen war das angefochtene Urteil mit der Kostenfolge aus § 91 Abs. 1 Satz 1 ZPO aufzuheben und die einstweilige Verfügung - erneut - zu erlassen.
OLG Oldenburg:
Urteil v. 25.10.2001
Az: 1 U 102/01
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