Bundesgerichtshof:
Urteil vom 10. März 2014
Aktenzeichen: AnwZ (Brfg) 60/12

(BGH: Urteil v. 10.03.2014, Az.: AnwZ (Brfg) 60/12)

Tenor

Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des 1. Senats des Anwaltsgerichtshofs des Landes Nordrhein-Westfalen vom 29. Juni 2012 wird zurückgewiesen.

Der Kläger trägt die Kosten des Berufungsverfahrens.

Der Gegenstandswert für das Berufungsverfahren wird auf 12.500 € festgesetzt.

Tatbestand

Der Kläger beantragte am 5. Februar 2010 bei der Beklagten, ihm die Befugnis zum Führen der Fachanwaltsbezeichnung "Bau- und Architektenrecht" zu verleihen. Mit Bescheid vom 17. März 2011 lehnte die Beklagte den Antrag im Wesentlichen mit der Begründung ab, dass der Kläger die besonderen praktischen Erfahrungen nach § 5 Abs. 1 Buchst. I FAO nicht nachgewiesen habe; so habe eines der vorgelegten selbständigen Beweisverfahren (Fall B 3) keinen hinreichenden baurechtlichen Bezug. Entsprechend einem vor dem Anwaltsgerichtshof geschlossenen Vergleich wurde vor dem Fachausschuss der Beklagten am 6. Dezember 2011 ein 95 Minuten dauerndes Fachgespräch zu den Themen "Besonderheiten der Verfahrens- und Prozessführung, insbesondere selbständige Beweisverfahren" sowie "Recht der Architekten und Ingenieure" durchgeführt, um dem Kläger auf diese Weise den Nachweis der erforderlichen praktischen Erfahrungen zu ermöglichen. Mit Bescheid vom 23. Januar 2012 lehnte die Beklagte den Antrag des Klägers erneut ab, weil dieser das Fachgespräch "nicht bestanden" und damit den von der Fachanwaltsordnung geforderten Nachweis weiterhin nicht erbracht habe. Auf die dagegen gerichtete Klage hat der Anwaltsgerichtshof den Bescheid vom 23. Januar 2012 aufgehoben. Dieser stütze sich tragend auf zwei Beanstandungen von im Fachgespräch durch den Kläger gegebenen Antworten, die nach der Niederschrift über den Verlauf des Gesprächs so nicht gegeben worden seien. Die auf Verpflichtung der Beklagten zur Verleihung der Fachanwaltsbezeichnung gerichtete weitergehende Klage hat der Anwaltsgerichtshof abgewiesen und in den Entscheidungsgründen zum Ausdruck gebracht, dass nochmals ein Fachgespräch durchgeführt werden müsse. Der Senat hat die Berufung mit Beschluss vom 21. März 2013 zugelassen.

Gründe

Die zulässige Berufung hat keinen Erfolg. Die Beklagte ist im Ergebnis mit Recht davon ausgegangen, dass die Voraussetzungen für die Verleihung der Befugnis zum Führen der Fachanwaltsbezeichnung nicht erfüllt sind.

1. Nach § 43c Abs. 1 Satz 1 BRAO, § 2 Abs. 1 FAO hat der Antragsteller besondere theoretische Kenntnisse und besondere praktische Erfahrungen nachzuweisen, die demnach erheblich das Maß dessen übersteigen müssen, was üblicherweise durch die berufliche Ausbildung und praktische Erfahrung im Beruf vermittelt wird (§ 2 Abs. 2 FAO). Der Erwerb besonderer praktischer Erfahrungen im Bau- und Architektenrecht setzt dabei nach § 5 Abs. 1 Buchst. l FAO 80 Fälle, davon mindestens 40 gerichtliche Verfahren voraus, unter denen sich mindestens sechs selbständige Beweisverfahren befinden müssen; jeweils mindestens fünf Fälle müssen sich auf die in § 14e Nr. 1 und 2 FAO bezeichneten Bereiche (Bauvertragsrecht, Recht der Architekten und Ingenieure) beziehen.

2. Entsprechend den Ausführungen des Anwaltsgerichtshofs, die von den Parteien im Berufungsverfahren auch nicht angegriffen worden sind, hat der Kläger den Nachweis der besonderen theoretischen und praktischen Erfahrungen (§§ 4, 5 Abs. 1 Buchst. l FAO) im Wesentlichen erbracht. In Streit steht aber, ob er das in § 5 Abs. 1 Buchst. l FAO vorgeschriebene Mindestquorum von sechs selbständigen Beweisverfahren erreicht hat. Das ist entgegen der Auffassung des Klägers nicht der Fall.

a) Im Ergebnis zutreffend hat nämlich der Anwaltsgerichtshof dem Fall B 3 (selbständiges Beweisverfahren wegen des Überbaus einer Zaunanlage) die Anerkennung versagt. Der Kläger verweist insoweit darauf, dass für die Bearbeitung bauplanungs- und bauordnungsrechtliche Belange relevant gewesen seien; denn das selbständige Beweisverfahren stehe nicht nur im Zusammenhang mit einer zivilrechtlichen Nachbarklage, sondern habe auch auf die Verhinderung der Erteilung einer Baugenehmigung für die Zaunanlage abgezielt. Zudem habe eine denkbare Baurechtswidrigkeit in einem nachgehenden Zivilrechtsstreit relevant werden können. Mit diesem Vortrag vermag der Kläger nicht durchzudringen.

aa) Das durch ihn angestrengte Beweisverfahren kann keiner der in § 14e Nr. 1 bis 4 FAO aufgeführten Materien zugeordnet werden. Namentlich sind die in § 14e Nr. 1 und 2 FAO bezeichneten Kernbereiche des Bauvertragsrechts sowie des Rechts der Architekten und Ingenieure nicht tangiert. Gleiches gilt für das öffentliche Baurecht, das vom Bewerber in seinen Grundzügen beherrscht werden muss (§ 14e Nr. 4 FAO), weswegen Fallbearbeitungen grundsätzlich auch aus diesem Rechtsgebiet herrühren können (vgl. etwa Offermann-Burckart in Henssler/Prütting, BRAO, 4. Aufl., § 5 FAO Rn. 146, 149; s. auch Vossebürger in Feuerich/Weyland, BRAO, 8. Aufl., § 5 FAO Rn. 56). Denn der Kläger hat nicht den Verwaltungsrechtsweg beschritten (vgl. § 98 VwGO i.V.m. §§ 485 ff. ZPO), sondern ist auf dem Gebiet des bürgerlichen Rechts gegen den Grundstücksnachbarn seiner vormaligen Mandantin vorgegangen, um den Überbau zu beseitigen.

Dass das selbständige Beweisverfahren als solches der Vorschrift des § 14e Nr. 5 FAO (Besonderheiten der Verfahrens- und Prozessführung) unterfällt (vgl. Offermann-Burckart, aaO, § 14e FAO Rn. 12), führt zu keinem anderen Ergebnis. Es kann nämlich keinem Zweifel unterliegen, dass die Fertigkeiten in der Verfahrens- und Prozessführung gerade das Fachgebiet Bau- und Architektenrecht betreffen müssen (vgl. auch Scharmer in Hartung, BORA/FAO, 5. Aufl., § 14e FAO Rn. 12), der Bewerber also nicht Beweisverfahren aus jedwedem Rechtsgebiet nachzuweisen berechtigt ist. Dies findet im Wortlaut von § 5 Abs. 1 Buchst. l FAO ("davon mindestens sechs selbständige Beweisverfahren ...") sowie in dem in § 14e Nr. 5 FAO verwendeten Begriff der "Besonderheiten ..." seine Bestätigung.

bb) Allerdings kann es nach ständiger Rechtsprechung genügen, wenn die zugrunde liegende Konstellation einen hinreichenden, d.h. konkret festzustellenden Bezug zum jeweiligen Fachgebiet aufweist; hierfür ist erforderlich, dass Fragen aus dem Rechtsgebiet erheblich sind oder erheblich werden können (BGH, Beschluss vom 6. März 2006 - AnwZ (B) 36/05, NJW 2006, 1513, teilweise nicht abgedruckt in BGHZ 166, 292, Rn. 22, 29 [zum Steuerrecht]; vom 20. April 2009 - AnwZ (B) 48/08, BRAK-Mitt. 2009, 177 Rn. 8 [zum Erbrecht]). Auch daran fehlt es.

(1) Wenngleich das selbständige Beweisverfahren auf die Ermittlung tatsächlicher Umstände gerichtet ist, Rechtsfragen also nicht zentral inmitten stehen (vgl. etwa MünchKommZPO/Schreiber, 4. Aufl., § 485 Rn. 1 m.w.N.), muss sich der erforderliche Bezug zum Fachgebiet doch in seinem Gegenstand widerspiegeln. Dies trifft nach den durch den Kläger vorgelegten Unterlagen vorliegend nicht zu. Ausweislich des im Beweisverfahren ergangenen Beschlusses des Amtsgerichts B. vom 17. März 2010 waren Belange des öffentlichen Rechts dort völlig unerheblich. Dessen Gegenstand war vielmehr allein die eigentumsrechtlich relevante Frage, ob und in welchem Umfang sich Beton- oder sonstige Bauteile der Zaunanlage auf dem Grundstück der Mandantin befanden. Demnach ist nicht einmal ein mittelbarer Bezug zum öffentlichen Baurecht erkennbar. Die bloß theoretische Möglichkeit, dass in einem trotz des mit dem selbständigen Beweisverfahren verfolgten Zieles der Vermeidung eines Rechtsstreits (§ 485 Abs. 2 Satz 2 ZPO) doch nachgehenden Zivilprozess Fragen des öffentlichen Baurechts unter Umständen auch zur Sprache kommen könnten, kann nicht genügen.

(2) Der Senat braucht daher nicht zu entscheiden, ob im Regelungsbereich des § 5 Abs. 1 Buchst. l FAO zumindest die sechs selbständigen Beweisverfahren nur dann "zählen", wenn sie wenigstens auch konkrete Bezüge zu den Kernbereichen der der Fachanwaltsbezeichnung Bau- und Architektenrecht zugewiesenen Materie (§ 14e Nr. 1 und 2 FAO) enthalten. Dafür spricht, dass der Satzungsgeber mit dem Erfordernis ersichtlich bezweckt hat, die besonderen praktischen Erfahrungen des Bewerbers in diesem gerade im (privaten) Bauvertrags- und Architektenrecht tatsächlich besonders relevanten und oftmals nicht einfachen Verfahren (vgl. etwa Koeble in Kniffka/Koeble, Kompendium des Baurechts, 3. Aufl., 2. Teil, Rn. 41 ff.) zu gewährleisten (vgl. auch Offermann-Burckart, aaO, § 14e FAO Rn. 12; Scharmer, aaO). Darüber hinaus ist das öffentliche Baurecht "klassisches" Aufgabengebiet des Fachanwalts für Verwaltungsrecht (§ 8 Nr. 2 Buchst. a FAO), wohingegen es für das hier relevante Fachgebiet in § 14e Nr. 4 FAO auf die Grundzüge beschränkt wurde (vgl. zu § 5 Abs. 1 Buchst. c, § 10 Nr. 1 FAO a.F. BGH, Beschluss vom 25. Februar 2008 - AnwZ (B) 17/07, NJW-RR 2008, 925 Rn. 10 ff.).

b) Nach der Rechtsprechung des Senats (vgl. Urteil vom 8. April 2013 - AnwZ (Brfg) 54/11, BGHZ 197, 118 Rn. 20 ff.) ist im Anschluss an die Ermittlung der berücksichtigungsfähigen Fälle zu prüfen, welches Gewicht den einzelnen Fällen zukommt, d.h., ob Bedeutung, Umfang und Schwierigkeit einzelner Fälle zu einer höheren oder niedrigeren Gewichtung führen (§ 5 Abs. 4 FAO). Anhaltspunkte für eine Höher- oder Mindergewichtung lassen sich dem Vortrag der Parteien jedoch nicht entnehmen und sind auch sonst nicht ersichtlich.

3. Soweit der Anwaltsgerichtshof davon ausgegangen ist, dass bei Verfehlen der in der Fachanwaltsordnung für den Erwerb der besonderen praktischen Erfahrungen in § 5 FAO vorgegebenen Mindestquoren das Defizit in einem Fachgespräch kompensiert werden kann, entspricht dies nicht der Rechtsprechung des Senats (vgl. BGH, Urteil vom 16. Dezember 2013 - AnwZ (Brfg) 29/12, AnwBl. 2014, 270 Rn. 28 f. m.w.N.). Während der Erwerb besonderer theoretischer Kenntnisse nach § 4 Abs. 1 FAO nur "in der Regel" den Besuch eines fachanwaltsspezifischen Lehrgangs voraussetzt (vgl. dazu BGH, Beschluss vom 30. Mai 2012 - AnwZ (Brfg) 3/12, BRAK-Mitt. 2012, 243 Rn. 6), sind die Fallzahlen in § 5 FAO vom Satzungsgeber absolut vorgegeben. Der Erwerb besonderer praktischer Erfahrungen im Bau- und Architektenrecht setzt danach nicht im Regelfall, sondern ausnahmslos die Mindestzahl von sechs selbständigen Beweisverfahren voraus (§ 5 Abs. 1 Buchst. l FAO), die der Kläger indessen nicht erreicht hat. Deshalb durfte ein Fachgespräch nicht durchgeführt werden. Der ursprüngliche ablehnende Bescheid der Beklagten, dessen Aufhebung durch das angefochtene Urteil diese jedoch nicht angegriffen hat, erweist sich in der Sache als zutreffend.

Der vor dem Anwaltsgerichtshof ursprünglich geschlossene Vergleich vermag daran nichts zu ändern. Damit sollten nicht Zweifel ausgeräumt werden, ob nach dem Beschrieb des Falles B 3 ein hinreichender baurechtlicher Bezug gegeben war. Die Beklagte hat vielmehr - durch den Anwaltsgerichtshof bestätigt und ohne Rechtsfehler - auch im Bescheid vom 23. Januar 2012 sowie in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat an der schon zuvor von ihr stets vertretenen Auffassung festgehalten, dass der Fall B 3 nicht genüge. Auch sollte nicht eine rechtliche Ungewissheit darüber beseitigt werden, ob ein Defizit der Fallzahlen durch das Fachgespräch kompensiert werden kann. Vielmehr ging es um die Beseitigung der Ungewissheit, ob der Kläger ungeachtet des Verfehlens des Mindestquorums (§ 2 Abs. 1, § 5 Abs. 1 Buchst. l FAO) besondere praktische Erfahrungen im Rechtsgebiet nachzuweisen imstande sein würde. Für diesen Fall sollte sich die Beklagte dahin binden, dem Kläger bei "Bestehen" des Fachgesprächs die Befugnis zum Führen der Fachanwaltsbezeichnung zu verleihen. Jedoch war angesichts der zwingenden Voraussetzungen des § 5 Abs. 1 Buchst. l FAO (vgl. BGH, Beschluss vom 30. Mai 2012 - AnwZ (Brfg) 3/12, aaO) für ein Fachgespräch zu dem angestrebten Zweck kein Raum. Der Vergleich zielte somit auf die Beseitigung einer Ungewissheit, die mit der Unzulässigkeit seines Gegenstandes in keinem Zusammenhang stand (vgl. BVerwG, NJW 1976, 686, 687 f.). Er ging mithin ins Leere, weswegen das Ergebnis des Fachgesprächs weder zugunsten noch zuungunsten des Klägers berücksichtigt werden durfte (vgl. BGH, Beschluss vom 7. März 2005 - AnwZ (B) 11/04, NJW 2005, 2082, 2083). Unter diesen Vorzeichen muss der Senat nicht entscheiden, ob der Vergleich im Blick auf die rechtsirrigen Auffassungen der Parteien bei dessen Abschluss nicht schon als unwirksam nach § 32 Abs. 1 BRAO, § 62 Satz 2 VwVfG i.V.m. § 779 BGB anzusehen wäre (vgl.

BGH, Urteile vom 6. November 2003 - III ZR 376/02, BGHR BGB § 779 Abs. 1 Sachverhalt 2 m.w.N.; vom 21. Dezember 2006 - VII ZR 275/05, NJW 2007, 838; Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, 8. Aufl., § 55 Rn. 53 ff. m.w.N.; Spieth in BeckOK, VwVfG, Stand 1. Januar 2014, § 55 Rn. 56 f.).

4. Die Kostenentscheidung beruht auf § 112c Abs. 1 Satz 1 BRAO, § 154 Abs. 2 VwGO, die Streitwertfestsetzung auf § 194 Abs. 1 Satz 1 BRAO, § 52 Abs. 1 GKG.

Kayser König Fetzer Martini Quaas Vorinstanz:

AGH Hamm, Entscheidung vom 29.06.2012 - 1 AGH 3/12 -






BGH:
Urteil v. 10.03.2014
Az: AnwZ (Brfg) 60/12


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