Oberlandesgericht Hamm:
Beschluss vom 5. August 1999
Aktenzeichen: 2 (s) Sbd. 6 - 150/99

(OLG Hamm: Beschluss v. 05.08.1999, Az.: 2 (s) Sbd. 6 - 150/99)

Tenor

Der Antragstellerin wird anstelle ihrer gesetzlichen Ge-bühren in Höhe von 43.160,00 DM eine Pauschvergütung in Höhe von 80.000,00 DM (in Worten: achtzigtausend Deutsche Mark) bewilligt.

Der weitergehende Antrag wird abgelehnt.

Gründe

Die Antragstellerin war seit ihrer Bestellung am 8. März 1996 bis zu ihrer Entpflichtung am 24. September 1998 als Pflichtverteidigerin für den Angeklagten C im sogenannten "C3-Verfahren" tätig, bei dem es sich um eines der umfangreichsten und spektakulärsten Wirtschaftsstrafverfahren der deutschen Rechtsgeschichte handelt, wie der Senat bereits in zahlreichen Beschlüssen betreffend Vorschüsse auf eine künftige Pauschvergütung dargelegt hat (vgl. den grundlegenden Beschluß vom 25. April 1996 in 2 (s) Sbd. 4 - 49/96 = Anw.Geb. Spezial 1996, 125).

Den ursprünglich sieben Angeklagten wurde in erster Linie Betrug zum Nachteil verschiedener Banken mit einem Schaden in Milliardenhöhe zur Last gelegt. Der Angeklagte C soll in 160 besonders schweren Fällen Beihilfe zum Betrug geleistet haben.

Die im April 1995 erhobene Anklage vom 30. März 1995 umfaßt rund 860 Seiten. Seit dem 26. April 1996 findet vor der Wirtschaftsstrafkammer des Landgerichts Bielefeld die Hauptverhandlung statt, die bezüglich des Angeklagten C, der nach zwischenzeitlicher Haftverschonung seit Februar 1998 flüchtig ist und an der Hauptverhandlung nicht mehr teilnimmt, noch nicht beendet ist.

Die Antragstellerin begehrt nunmehr mit näherer Begründung für ihre Tätigkeit in diesem Verfahren als bestellte Verteidigerin des Angeklagten C eine Pauschvergütung in Höhe von 285.000,- DM. Damit übersteigt ihre Forderung die ihr zustehenden gesetzlichen Gebühren um mehr als das Sechseinhalbfache

und auch die Höchstgebühren eines Wahlverteidigers, die mit 87.020,- DM etwa dem Doppelten der gesetzlichen Gebühren entsprechen, noch um mehr als das Dreifache.

Wegen der Einzelheiten wird auf die Ausführungen der Antragstellerin in ihrer Antragsschrift nebst dortigen Anlagen sowie auf ihre Erwiderung vom 30. Juli 1999 auf die Stellungnahme des Vertreters der Staatskasse vom 14. Juli 1999 verwiesen.

Der Senat ist aufgrund des ihm vorliegenden Aktenmaterials in der Lage, abschließend über den Antrag zu entscheiden.

Abweichend von der genannten und im übrigen zutreffende Stellungnahme, auf die Bezug genommen wird, geht der Senat davon aus, dass die Antragstellerin an 113 Hauptverhandlungstagen der insgesamt 140 Tage, die bis zum 8. Juli 1998 stattgefunden haben, teilgenommen hat. Danach hat sie bis zu ihrer Ent-

pflichtung am 24. September 1998 nicht mehr an der Hauptver-

handlung teilgenommen.

Zugunsten der Antragstellerin geht der Senat im Hinblick auf ihre Ausführungen im Schriftsatz vom 30. Juli 1999 davon aus, dass sie auch an dem Hauptverhandlungstermin vom 1. Oktober 1996 (30. Hauptverhandlungstag) zumindest teilweise teilgenommen hat, zumal dies auch bezüglich der von ihr angegebenen Uhrzeiten mit den Aufzeichnungen der Geschäftsstelle der Strafkammer übereinstimmt. Soweit ihr verspätetes Erscheinen im Hauptverhandlungsprotokoll dieses Tages nicht vermerkt ist, kann aufgrund der sonstigen Angaben letztlich nicht ausgeschlossen werden, dass dies nur versehentlich unterblieben ist.

Mit den Verfahrensbeteiligten stimmt der Senat darin überein, dass es sich um ein außergewöhnlich umfangreiches Strafverfahren handelt, in dem eine Reihe besonders schwieriger tatsächlicher und rechtlicher Fragen zu klären war. Sowohl der Aktenumfang als auch die Verhandlungsdauer mit einer Beiordnungszeit von rund 2 1/2 Jahren, die besonders komplexe Beweisaufnahme und der in Anwesenheit der Antragstellerin erfolgten Vernehmung von 88 zum Teil mehrfach vernommener Zeugen und von drei Sachverständigen rechtfertigen es, die vorliegende Sache innerhalb der bereits besonders umfangreichen und besonders schwierigen Verfahren im oberen Bereich anzusiedeln.

Andererseits darf das vorgegebene Gesamtgefüge der gesetzlichen Gebühren für den Pflichtverteidiger nicht außer Acht gelassen werden. Auch soll durch die Gewährung einer Pauschvergütung nach § 99 BRAGO der Pflichtverteidiger nicht etwa einem Wahlverteidiger gleichgestellt, sondern es sollen lediglich außergewöhnliche und unzumutbare Belastungen des Pflichtverteidigers vermieden werden. Daraus folgt, dass die Zubilligung einer Pauschvergütung in Höhe oder gar über der Höchstgebühr für einen Wahlverteidiger nur in ganz seltenen Ausnahmefällen in Betracht kommt, etwa, wenn die Angelegenheit, in der der Antragsteller beigeordnet wurde, seine Arbeitskraft über eine sehr lange Zeit fast ausschließlich in Anspruch genommen hat. Dies entspricht der ständigen Rechtsprechung des Senats (vgl. u.a. Senatsbeschluß vom 21. März 1993 in JurBüro 1994, 101). Im Hinblick auf die gerade für die Antragstellerin relativ geringe Terminsdichte kann dies jedoch für sie nicht bejaht werden.

Gleichwohl hat der Senat unter Berücksichtigung der zahlreichen Besonderheiten des vorliegenden außergewöhnlichen Strafverfahrens der Antragstellerin eine Pauschgebühr nahe der Wahlanwaltshöchstgebühren bewilligt. Dies ergibt sich im einzelnen aus folgenden Erwägungen:

Insbesondere die intensive Vorbereitung der am 26. April 1996 begonnenen Hauptverhandlung nach der erst am 8. März 1996 erfolgten Beiordnung hat für die mit der Sache bis dahin nicht befaßte Antragstellerin angesichts des außerordentlichen Umfangs des Aktenmaterials einen ganz erheblichen Arbeitsaufwand erfordert. Darüber hinaus hat die Vor- und Nachbereitung der einzelnen Hauptverhandlungstage und auch die Abstimmung mit

den beiden weiteren (Pflicht-)Verteidigern des Angeklagten C die Antragstellerin zusätzlich in erheblichem Umfang in Anspruch genommen.

Andererseits bedeutete es während der Hauptverhandlung für die Antragstellerin auch eine Erleichterung, dass für ihren Mandanten noch weitere Verteidiger zur Verfügung standen. Von den bis zum 8. Juli 1998 stattgefundenen Hauptverhandlungstagen hat die Antragstellerin an 27 Tagen gar nicht teilgenommen. Von den von ihr insgesamt wahrgenommenen 113 Hauptverhandlungstagen war die Antragstellerin an 57 Tagen für meist mehrere Stunden vorübergehend nicht anwesend. Durchschnittlich betrug ihre vorübergehende Abwesenheit an diesen 57 Tagen rund 2 Stunden, wobei sie an 12 dieser Tage mehr als 3 1/2 Stunden der Hauptverhandlung fernblieb. Gleichwohl steht ihr für jeden der Hauptverhandlungstage eine gesonderte gesetzliche Gebühr zu. Diese Umstände machen deutlich, dass die Antragstellerin auch neben ihrer Tätigkeit für das ohne Frage außergewöhnlich umfangreiche vorliegende Verfahren - zumindest während der Zeit der Hauptverhandlung - noch die Möglichkeit hatte, in nicht unerheblichem Umfang andere Mandate wahrzunehmen und einigermaßen flexibel ihre übrige Arbeitszeit einzuteilen.

So war die Antragstellerin auch in der Lage, neben ihrer Verteidigung im vorliegenden Verfahren von November 1996 bis Ende 1997 in einem ebenfalls besonders umfangreichen Verfahren zu verteidigen, was durch Senatsbeschluß vom 15. Dezember 1998

(2 (s) Sbd. 5 - 229 - 231/98) durch Gewährung einer Pausch-

vergütung bestätigt worden ist. In jenem Verfahren vor der

3. Strafkammer des Landgerichts Bielefeld war sie im März 1997 zur Pflichtverteidigerin bestellt worden und hat bei einer Durchschnittsdauer von fast 6 Stunden an insgesamt 17 Haupt-

verhandlungstagen teilgenommen.

Ferner ist zu berücksichtigen, dass sich die Antragstellerin aufgrund ihres vorzeitigen Ausscheidens aus dem Verfahren nicht mehr auf den Schlußvortrag vorbereiten mußte und auch eine Auseinandersetzung mit einem späteren Urteil entfällt. Insoweit unterscheidet sich der vorliegende Sachverhalt erheblich von demjenigen im genannten Senatsbeschluß vom 21. März 1993, auf den die Antragstellerin in ihrer Antragsschrift hingewiesen hat.

Wenn der Senat gleichwohl hier eine Pauschvergütung in der Nähe der Wahlanwaltshöchstgebühren festgesetzt hat, liegt dies in erster Linie darin begründet, dass aufgrund der enormen Fülle des Aktenmaterials und aufgrund des Umfangs der Vorbereitung auf die Hauptverhandlung die Antragstellerin ihren Angaben zufolge jedenfalls zeitweilig andere anwaltliche Verpflichtungen kaum übernehmen und wahrnehmen konnte.

Unter Berücksichtigung aller in Betracht kommenden Umstände und des gesamten Vorbringens der Antragstellerin erschien dem Senat daher eine Pauschvergütung in Höhe von 80.000,- DM angemessen, so dass sie - unter Ablehnung des weitergehenden Antrags - in der genannten Höhe festgesetzt worden ist.

Auf diesen Betrag sind die bereits durch Senatsbeschlüsse vom 14. August 1996, 10. April 1997 und 27. April 1998 gewährten Vorschüsse in Höhe von insgesamt 27.000,- DM auf eine künftige Pauschvergütung sowie die darüber hinaus bereits gezahlten Vorschüsse in Höhe von 43.160,- DM auf die gesetzlichen Gebühren anzurechnen.






OLG Hamm:
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Az: 2 (s) Sbd. 6 - 150/99


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