Bundespatentgericht:
Beschluss vom 26. April 2006
Aktenzeichen: 9 W (pat) 357/03

(BPatG: Beschluss v. 26.04.2006, Az.: 9 W (pat) 357/03)

Tenor

Das Patent wird aufrechterhalten.

Gründe

I.

Gegen das am 1. Februar 2001 angemeldete und am 6. März 2003 veröffentlichte Patent mit der Bezeichnung

"Zylinder für Falzapparate"

ist von der A... AG Einspruch erhoben worden.

Zur Begründung ihres Einspruchs verweist die Einsprechende auf die Druckschrift EP 0 531 648 A1. Gegenüber diesem Stand der Technik sei der Gegenstand des erteilten Patentanspruchs 1 nicht neu. Zumindest beruhe er demgegenüber nicht auf einer erfinderischen Tätigkeit. Die Ausgestaltungen nach den rückbezogenen Unteransprüchen seien ebenfalls aus dieser Druckschrift bekannt oder - zumindest iVm dem Fachwissen des Fachmanns - aus dieser Druckschrift herleitbar.

Die Einsprechende stellt den Antrag, das Patent zu widerrufen.

Die Patentinhaberin stellt den Antrag, das Patent aufrechtzuerhalten.

Sie hält den Gegenstand des erteilten Patentanspruchs 1 für patentfähig gegenüber dem in Betracht gezogenen Stand der Technik.

Der erteilte Patentanspruch 1 lautet:

"Zylinder (1) für Falzapparate von Rotationsdruckmaschinen mit mindestens zwei in Umfangsrichtung gegeneinander verdrehbar ausgestalteten und mit auf ein Falzprodukt einwirkenden Funktionselementen (32;33) bestückten Zylinderteilen (2;3), bestehend aus einem auf einer Welle (7) unverdrehbar gelagerten ersten Zylinderteil (2), einem in Umfangsrichtung verdrehbar auf der Welle (7) gelagerten zweiten Zylinderteil (3), wobei die Welle (7) mit einem Ende axial fixiert in einer Seitenwand (23) in einem als Festlager ausgestalteten Lager (11) gelagert ist und der zweite Zylinderteil (3) axial mit einem Abstand (A) vom ersten Zylinderteil (2) beabstandet ist, dadurch gekennzeichnet, dass der zweite Zylinderteil (3) vom ersten Zylinderteil (2) getrennt in einem vom Lager (11) der Welle (7) unabhängigen als Festlager ausgestalteten Lager (21) gelagert ist."

Rückbezogene Unteransprüche 2 bis 8 sind dem Patentanspruch 1 nachgeordnet.

Im Prüfungsverfahren sind noch folgende weitere Druckschriften berücksichtigt worden:

- DE 38 10 439 C1

- DE-AS 1 561 073

- DE-AS 1 279 033 II.

Die Zuständigkeit des Bundespatentgerichts ist durch PatG §147 Abs. 3 Satz 1 begründet.

Der Einspruch ist zulässig. Er hat aber keinen Erfolg.

1. Das Patent betrifft einen Zylinder für Falzapparate von Rotationsdruckmaschinen.

In der Beschreibungseinleitung der Patentschrift ist sinngemäß ausgeführt, dass aus dem Stand der Technik bekannte Zylinder für Falzapparate mit z. B. Falzmessern bzw. Punkturnadeln als Funktionselemente bestückte, gegeneinander verdrehbare Zylinderteile aufwiesen. Zur Erzielung einer störungsfreien und exakten Positionierbarkeit der Zylinderteile müssten diese in ihrem axialen Abstand zueinander exakt eingestellt und fixiert sein. Die dazu vorgesehenen konstruktiven Lösungen erforderten einen hohen Herstellungsaufwand.

Das dem Patent zugrundeliegende und mit der Aufgabe formulierte technische Problem besteht daher darin, einen Zylinder für Falzapparate der genannten Art zu schaffen, der den Herstellungsaufwand zur axialen Fixierung der Zylinderteile reduziert und die gegenseitige Verdrehung der Zylinderteile zu seiner Einstellbarkeit uneingeschränkt gewährleistet.

Dieses Problem wird durch den Zylinder für Falzapparate mit den in Patentanspruch 1 angegebenen Merkmalen gelöst.

2. Die erteilten Patentansprüche 1 bis 8 sind zulässig.

Die Ausgestaltung nach dem erteilten Patentanspruch 1 ergibt sich aus dem ursprünglichen Patentanspruch 1 iVm Angaben aus der ursprünglichen Beschreibung (Seite 5/10, Zeilen 22-24).

Die erteilten Patentansprüche 2 bis 8 stimmen inhaltlich mit den ursprünglichen Patentansprüchen 2 bis 8 überein.

3. Patentfähigkeit Als Durchschnittsfachmann nimmt der Senat einen Ingenieur der Fachrichtung Maschinenbau an, der bei einem Druckmaschinen-Hersteller/-zulieferer mit der Konstruktion von Zylindern für Falzapparate befasst ist und auf diesem Gebiet über mehrjährige Berufserfahrung verfügt.

3.1 Patentanspruch 1 3.1.1 Der ohne Zweifel gewerblich anwendbare Falzapparat-Zylinder nach dem Patentanspruch 1 ist neu.

Grafik Der Zylinder 6 für einen Falzapparat nach der von der Einsprechenden genannten EP 0 531 648 A1 ist in der nebenstehend in verkleinertem Maßstab wiedergegebenen Figur 5 dieser Druckschrift dargestellt. Der Zylinder weist zwei in Umfangsrichtung gegeneinander verdrehbar ausgestaltete Zylinderteile auf, die jeweils mit auf ein Falzprodukt einwirkenden Funktionselementen 9,10 bestückt sind. Der erste Zylinderteil besteht aus den durch Längsplatten 53 verbundenen Stirnflächen 50,50' und ist auf einer Welle 51 unverdrehbar gelagert (Spalte 11, Zeilen 24-26). Punkturenreihen 9 bilden die Funktionselemente dieses ersten Zylinderteils. Der zweite Zylinderteil besteht aus den Stirnflächen 54,54' mit sie verbindenden Längsplatten 55 und ist verdrehbar auf der Welle gelagert (Spalte 11, Zeilen 34-37). Die Stirnfläche 54 trägt eine in Axialrichtung gesehen sich nach außen erstreckende rohrförmige Erweiterung 56, die ebenfalls drehbar auf der Welle montiert ist. Die Funktionselemente dieses zweiten Zylinderteils werden durch Falzmesser 10 gebildet. An ihrem von der rohrförmigen Erweiterung abgewandten Ende (rechts in Figur 5) ist die Welle 51 in einem Lager gelagert, das offenbar in einer Seitenwand gehaltert ist (vgl. nebenstehend verkleinert wiedergegebene Figur 7 der EP 0 531 648 A1). Mit ihrem gegenüberliegenden Ende erstreckt sich die Welle durch die rohrförmige Erweiterung, welche ihrerseits - offenbar in einer gegenüberliegenden Seitenwand (vgl. Figur 7) - in einem weiteren Lager gelagert ist.

Grafik Diese Ausgestaltung ist unstreitig aus den oben dargestellten Figuren 5 und 7 der EP 0 531 648 A1 iVm mit der zugehörigen Beschreibung entnehmbar.

Die Einsprechende ist der Auffassung, dass das auf dem rechten Wellenzapfen (Figur 5) angeordnete Lager ein Festlager zur axialen Fixierung der Welle und das auf der Erweiterung 56 sitzende Lager ein vom Lager der Welle unabhängiges Festlager sei, das den zweiten Zylinderteil getrennt vom ersten Zylinderteil lagere. Sie meint, dies erschließe sich dem Fachmann ohne weiteres ebenfalls aus den Figuren 5 und 7 der EP 0 531 648 A1 mit der zugehörigen Beschreibung. Außerdem müssten die beiden Zylinderteile axial auch mit einem Abstand voneinander angeordnet sein, schon um die Reibung gering zu halten oder gar Festsitzen zu vermeiden. Die durch den erteilten Patentanspruch 1 gekennzeichnete Ausgestaltung des Zylinders sei demnach unmittelbar aus der EP 0 531 648 A1 ablesbar.

Der Senat folgt dieser Auffassung nicht. Dabei ist zunächst anzumerken, dass nach Meinung des Senats bei dem Zylinder nach der EP 0 531 648 A1 eine Aussage über dessen konstruktive Gestaltung im Hinblick auf eine axiale Positionierung der Zylinderteile - wenn überhaupt - nur über eine fachmännische Deutung im Wesentlichen der Figur 5 möglich ist. Denn konkrete Angaben zur Lagerung der Zylinderteile sind in der EP 0 531 648 A1 nicht gemacht. Es kommt somit darauf an, was der Fachmann über die vorhandenen Angaben hinaus aus dieser Druckschrift ohne weiteres mitliest.

Der Darstellung der Figur 5 zufolge weist die Erweiterung 56 einen nach innen vorspringenden Abschnitt auf, der in einen durchmesserverringerten Absatz am linken Wellenzapfen hineinragt und beidseitig an den Flanken dieses Absatzes anliegt. Nach Überzeugung des Senats ergibt eine solche Ausgestaltung nur einen Sinn, wenn damit die axiale Fixierung der rohrförmigen Erweiterung 56 relativ zur Welle 51 und damit des zweiten Zylinderteils relativ zum ersten Zylinderteil erreicht werden soll. Bei einer solchen gegenseitigen axialen Fixierung der beiden Zylinderteile können aber nicht mehr beide Wälzlager als Festlager ausgebildet sein, denn dann wäre die Welle 51 beidendig axial fixiert und könnte in axialer Richtung keine Dehnbewegung ausführen. Dies widerspricht jedoch in eklatanter Weise den gängigen Konstruktionsregeln und kommt deshalb nicht in Frage. Eines der beiden Wälzlager ist somit als Loslager anzusehen. Einen anderen Sachverhalt kann der Fachmann aus der EP 0 531 648 A1 nicht ohne weiteres mitlesen.

Der aus der EP 0 531 648 A1 entnehmbare Zylinder unterscheidet sich somit von dem streitpatentgemäßen Zylinder schon dadurch, dass eines der beiden dargestellten Wälzlager ein Loslager ist.

Die Prüfung durch den Senat hat ergeben, dass auch die Zylinder nach den übrigen Druckschriften jeweils für sich nicht sämtliche Merkmale des Zylinders nach dem erteilten Patentanspruch 1 aufweisen. Insbesondere ist aus keiner der Druckschriften eine Lagerung der beiden auf der Welle angeordneten Zylinderteile in jeweils einem vom anderen unabhängigen Festlager entnehmbar.

Mangelnde Neuheit gegenüber diesem Stand der Technik hat die Einsprechende auch nicht geltend gemacht.

3.1.2 Die Lehre nach dem Patentanspruch 1 beruht auf einer erfinderischen Tätigkeit.

Wie bereits oben zur Neuheit angedeutet, sind der EP 0 531 648 A1 keine konkreten Angaben zur Lagerung der Zylinderteile entnehmbar. Auch ist das Problem der axialen Beabstandung und Fixierung der Zylinderteile nicht angesprochen. Nach Meinung des Senats wird der Fachmann diese Druckschrift deshalb nicht als Vorbild für eine auf die Lösung dieses Problems zielende konstruktive Gestaltung der Lagerung nehmen.

Sollte er aus irgendeinem Grunde diese Druckschrift dennoch in Betracht ziehen, so käme er trotzdem nicht auf die streitpatentgemäße Auslegung beider Wälzlager als Festlager. Denn wie den Ausführungen zur Neuheit entnehmbar wird der Fachmann - wegen der gemäß Figur 5 dieser Druckschrift offensichtlich über den Eingriff der rohrförmigen Erweiterung mit dem korrespondierenden Absatz der Welle vorgenommenen Axial-Arretierung der beiden Zylinderteile - von der Auslegung beider Lager als Festlager geradezu abgehalten. Hinzu kommt, dass wegen eben dieses Eingriffs die beiden Lager nicht mehr - wie im erteilten Anspruch 1 gefordert - als unabhängig anzusehen sind. Denn das die rohrförmige Erweiterung aufnehmende Lager ist darstellungsgemäß zumindest gegenüber der Erweiterung unverschieblich, so dass über besagten Eingriff zwischen der Erweiterung und der Welle dieses Lager an die Welle gekoppelt und somit gerade nicht von dieser und ihrer Lagerung unabhängig ist.

Die Einsprechende meint, der Fachmann müsse diese Konstruktion aber wegen des durchmesserverringerten Absatzes der Welle und der Einschnürung der rohrförmigen Erweiterung als aufwendig in der Herstellung erkennen. Er sei somit veranlasst, den betreffenden Wellenzapfen durchgehend mit gleichbleibendem Durchmesser und entsprechend auch die Erweiterung auszubilden. Da dann der Formschluss zwischen Welle und Erweiterung und somit die axiale Fixierung an dieser Stelle fehlen würde, liege die Auslegung der beiden Wälzlager als Festlager nahe.

Auch hierin vermag der Senat der Einsprechenden nicht zu folgen. Denn die EP 0 531 648 A1 lehrt, die axiale Fixierung über den gegenseitigen Eingriff der beiden Zylinderteile herzustellen und eines der beiden Wälzlager als Loslager auszulegen. Dieses Prinzip kann auch bei der von der Einsprechenden unterstellten, oben angegebenen konstruktiven Änderung ohne weiteres beibehalten werden, nämlich durch Verlegung des Formschlusses der beiden Zylinderteile an eine andere Stelle des Zylinders. Beispielsweise könnten die Stirnflächen 50,50' des ersten Zylinderteils auf der Welle weiter nach innen versetzt werden. Eine axiale Arretierung könnte dann zwischen den Stirnflächen des Wellenabsatzes mit großem Durchmesser und den entsprechenden Stirnseiten der Erweiterung 56 sowie der Stirnfläche 54' vorgenommen werden. Zur Abkehr von dem Prinzip der axialen Fixierung der beiden Zylinderteile durch gegenseitigen Eingriff hätte der Fachmann somit keinen Anlass. Dieser ergibt sich auch nicht ohne weiteres aus dem fachmännischen Können, denn zur Umgestaltung einer als Loslager ausgelegten Lagerung zum Festlager bedarf es nicht nur eines anderen Wälzlagers, sondern auch einer Umgestaltung des dieses aufnehmenden Sitzes. Solches würde eine nicht unerhebliche konstruktive Änderung erforderlich machen, die zu vermeiden der Fachmann stets bemüht ist.

Auch die übrigen, von der Einsprechenden nicht aufgegriffenen Druckschriften können die streitpatentgemäße Lösung nicht nahelegen.

Bei dem aus der DE 38 10 439 C1 entnehmbaren Sammel- und Falzzylinder 9 sind gegeneinander verdrehbare Kurvenscheiben 23/62,25/61 an einem feststehenden Lagergehäuse 19 angeordnet. Diese werden von am Zylinder 9 angeordneten Rollenhebeln 15,16 abgetastet, die die Funktionselemente 10,12 betätigen. Gegeneinander verdrehbare Zylinderteile, deren erster unverdrehbar und deren zweiter verdrehbar auf der Welle gelagert sind, sind hier nicht erkennbar. Infolgedessen kann diese Druckschrift auch keine Anregung zur Ausgestaltung der Lagerung entsprechender Zylinderteile und damit zur streitpatentgemäßen Ausgestaltung des Zylinders geben.

Bei den aus der DE-AS 1 561 073 und der DE-AS 1 279 033 entnehmbaren Konstruktionen ist die den einen Zylinderteil (Greiferteil) tragende Welle 3 des Zylinders in hohlzylindrischen Ansätzen des anderen Zylinderteils (Falzmesserteil) gelagert. Der Falzmesserteil ist über die hohlzylindrischen Ansätze aufnehmende Wälzlager in den Seitenwänden I,II gelagert. Voneinander unabhängige Lagerungen der beiden Zylinderteile und erst recht als Festlager ausgelegte separate Lager für Welle und verdrehbaren Zylinderteil sind diesen Druckschriften nicht entnehmbar.

Aus alledem folgt, dass auch eine beliebig geartete Zusammenschau des in Betracht gezogenen Standes der Technik nicht naheliegend zum Gegenstand des streitpatentgemäßen Patentanspruchs 1 führen kann. Solches hat die Einsprechende im Übrigen auch nicht geltend gemacht.

Patentanspruch 1 hat demnach Bestand.

3.2 Unteransprüche Mit dem Zylinder nach dem Patentanspruch 1 sind auch die Gegenstände der rückbezogenen Unteransprüche 2 bis 8 patentfähig, die vorteilhafte Weiterbildungen des Zylinders nach dem Patentanspruch 1 betreffen und zumindest keine Selbstverständlichkeiten darstellen.






BPatG:
Beschluss v. 26.04.2006
Az: 9 W (pat) 357/03


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