Bundespatentgericht:
Urteil vom 24. April 2007
Aktenzeichen: 3 Ni 9/05
(BPatG: Urteil v. 24.04.2007, Az.: 3 Ni 9/05)
Tenor
1. Das europäische Patent 0 347 066 wird mit Wirkung für das Hoheitsgebiet der Bundesrepublik Deutschland für nichtig erklärt.
2. Die Beklagte trägt die Kosten des Rechtsstreits und der Nebenintervention.
3. Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 120 % des zu vollstreckenden Betrages vorläufig vollstreckbar.
Tatbestand
Die Beklagte ist Inhaberin des am 1. Juni 1989 angemeldeten und u. a. mit Wirkung für das Hoheitsgebiet der Bundesrepublik Deutschland in der Verfahrenssprache Englisch erteilten europäischen Patents EP 0 347 066 B1 (Streitpatent), das vom Deutschen Patent- und Markenamt unter der Nummer DE 689 21 672 geführt wird. Das Streitpatent betrifft nach der deutschen Übersetzung der europäischen Patentschrift (DE 689 21 672 T2) "Enantiomere und ihre Trennung" und umfasst in der u. a. für die Bundesrepublik Deutschland geltenden erteilten Fassung 7 Patentansprüche, die wie folgt lauten:
Die Klägerinnen und die Nebenintervenientin machen geltend, das Streitpatent sei nicht patentfähig, weil der Gegenstand des Patents nicht neu sei und nicht auf einer erfinderischer Tätigkeit beruhe. Die Klägerin III macht zudem geltend, das auf dem Streitpatent beruhende ergänzende Schutzzertifikat 103 99 030 sei für nichtig zu erklären, weil das Grundpatent mangels Patentfähigkeit nichtig sei, und weiterhin deshalb, weil es entgegen den Vorschriften des Art. 3 (d) der Verordnung EWG Nr. 1768/92 erteilt worden sei.
Zur Begründung ihres Vorbringens stützen sich die Klägerinnen und die Nebenintervenientin unter anderem auf folgende Dokumente, wobei diese seitens des Senats fortlaufend neu nummeriert worden sind:
NK1 US 4 136 193 NK2 EP 0 171 943 A1 NK3 D.F. Smith, Pharmacopsychiatry 18 (1985) 225-230 NK4 D.F. Smith, Neuroscience & Biobehavioral Rev. 10 (1986) 37-46 NK5 D.F. Smith, Nordish Psykiatrisk Tidskrift 40 (1986) 91-94 NK6 I.-W. Wainer, Trends in Analytical Chemistry 6 (1987) 125-134 NK7 Streitwieser, Heathcock "Organische Chemie", VCH Weinheim 1986, S. 127-150 NK8 C.R. Elati et al., Organic Process Research & Development 11 (2007) 289-292 NK9 D. Haupt, J. Chromatography B, 685 (1996) 299-305 NK10 B. Rochat et al., Ther. Drug Monit. 17 (1995) 273-279 NK11 B. Rochat et al., Chirality 7 (1995) 389-395 NK12 J. Chromatography 391 (1987) Heft No. 2, April 3, Anzeige der Daicel Chemical Industries Ltd. betreffend Chiral HPLC Säulen NK13 Firmenschrift Daicel Chemical Industries Ltd., Chiralpak Chiralcel, HPLC column for Optical Resolution, 07/87.
NK14 Jan D. Railton, J. Chromatography 402, (1987) 371-373 K15 H.M. Rauen: Biochemisches Taschenbuch, Springer-Verlag 1956, S. 587 NK16 WO 03/06449 A1 NK17 S.H. Wilen, Topics in Stereochemistry, Wiley-Interscience 1971, S. 107-176, 137.
Die Klägerinnen und die Nebenintervenientin beantragen, das europäische Patent EP 0 347 066 mit Wirkung für das Hoheitsgebiet der Bundesrepublik Deutschland für nichtig zu erklären.
Die Klägerin III beantragt ferner, das auf dem Streitpatent beruhende ergänzende Schutzzertifikat 103 99 030 für nichtig zu erklären.
Die Beklagte beantragt, die Klagen abzuweisen;
hilfsweise verteidigt sie das Streitpatent mit den Patentansprüchen gemäß den mit Schriftsatz vom 12. April 2007 eingereichten Hilfsanträgen 1 bis 3.
Hilfsantrag 1 umfasst drei Patentansprüche folgenden Wortlauts:
"1. Pharmazeutische Zusammensetzung in Einheitsdosierungsform, umfassend als aktiven Bestandteil (+)-1-(3-Dimethylaminopropyl)-1-(4'-fluorphenyl)-1,3-dihydroisobenzofuran-5-carbonitril mit der allgemeinen Formel (I):
I oder dessen nichttoxische Säure-Additionssalze.
2. Pharmazeutische Zusammensetzung in Einheitsdosierungsform nach Anspruch 1, umfassend als aktiven Bestandteil das Säure-Additionssalz der Verbindung (I) wie in Anspruch 1 definiert mit der Pamoasäure.
3. Pharmazeutische Zusammensetzung in Einheitsdosierungsform nach Anspruch 1 oder 2, wobei der aktive Bestandteil in einer Menge von 0,1 - 100 mg pro Einheitsdosis vorliegt."
Hilfsantrag 2 umfasst einen Patentanspruch mit folgendem Wortlaut:
"1. Pharmazeutische Zusammensetzung in Einheitsdosierungsform, umfassend als aktiven Bestandteil (+)-1-(3-Dimethylaminopropyl)-1-(4'-fluorphenyl)-1,3-dihydroisobenzofuran-5-carbonitril mit der allgemeinen Formel (I):
I oder dessen nichttoxische Säure-Additionssalze, wobei der aktive Bestandteil in einer Menge von 10 - 20 mg pro Einheitsdosis vorliegt."
Hilfsantrag 3 umfasst einen Patentanspruch mit folgendem Wortlaut:
"1. Pharmazeutische Zusammensetzung in Einheitsdosierungsform, umfassend als aktiven Bestandteil (+)-1-(3-Dimethylaminopropyl)-1-(4'-fluorphenyl)-1,3-dihydroisobenzofuran-5-carbonitril mit der allgemeinen Formel (I):
I oder dessen nichttoxische Säure-Additionssalze, wobei der aktive Bestandteil in einer Menge von 10 - 20 mg pro Einheitsdosis vorliegt und wobei die Verbindung der allgemeinen Formel (I) erhältlich ist durch:
(a) - Umsetzen der folgenden Diol-Verbindung:
mit einem enantiomerenreinen Säure-Derivat zur Veresterung der primären Alkohol-Gruppe zu einem Ester der folgenden Formel (II):
II worin R eine labile Ester-Gruppe ist,
- Auftrennen der diastereomeren Ester mittels HPLC oder fraktionierter Kristallisation und - Durchführen einer stereoselektiven Ringschlussreaktion des entsprechenden Diastereomers zur Herstellung von Verbindung (I), oder
(b) - Umsetzen der oben genannten Diol-Verbindung mit einer optisch aktiven Säure zum Erhalt der diastereomeren Salze,
- Auftrennen der diastereomeren Salze durch fraktionierte Kristallisation und - Durchführen einer stereoselektiven Ringschlussreaktion des entsprechenden Diastereomers zum Erhalt von Verbindung (I)."
Die Beklagte tritt dem Vorbringen der Klägerinnen und der Nebenintervenientin entgegen und hält das Streitpatent in dem verteidigten Umfang für patentfähig.
Zur Begründung ihres Vorbringens stützt sie sich auf folgende Dokumente:
B-1 S. A. Montgomery "Pocket Pharma: Escitalopram", Current Medicine Group Ltd., London 2005 B-2 Reaktionsschema I B-3 Reaktionsschema II B-4 Versuchsbericht der Fa. Rhodia ChiRex vom 30. Juli 2002 B-5 Schreiben von Prof. Pirkle an Dr. Smith vom 17. Juni 1985 B-6 Erklärung von Dr. K. Gundertofte B-6A deutsche Übersetzung der Erklärung B-6 B-7 EP-B- 1 412 341 B B-8 F.C. Schäfer et al., J. Org. Chem. 26 (1961) 412 B-9 Erklärung von Dr. K. B¿ges¿ mit Anlagen B-9A deutsche Übersetzung der Erklärung B-9 B-10 Erklärung C. Kjerulf-Jensen mit Anlagen B-10A deutsche Übersetzung der Erklärung B-11 Tabelle: Vorzeitiger Markteintritt Generika-Hersteller B-12 Erklärung Prof. Dr. Dötz B-13 Auszug aus Chemical Abstracts, 9. Juni 1980 B-14 T 206/83 "ICI/Herbicides"
B-15 K. B¿ges¿ et al., J. Med. Chem. 31 (1988) 2247-2256 B-16 Auszug aus "Analytiker-Taschenbuch", Bd. 7, 1988 Springer-Verlag, S. 123-136 B-17 Liste der Publikationen von Prof. Blaschke in den Jahren 1980-1990 B-18 Th. Hollenhorst, G. Blaschke, J. Chromatography 585 (1991) 329-332 B-19 T 148/98 vom 11. Dezember 2002 B-20 Übersicht über synthetisierte und untersuchte Verbindungen auf der Suche nach "besseren Verbindungen"
B-21 US RE 34,712 B-22 US-Urteil B-23 Literaturstelle "Major" 2003 B-24 Literaturstelle "Carr" 2003 B-25 Daicel-Pressemitteilung B-26 Artikel Dr. Francotte, 2002 B-27 Erklärung Prof. Davies mit Anlagen B-27A deutsche Übersetzung der Erklärung B-27 B-28 Catalog 870C 1987, Fa. J.T. Baker, B-29 Unterschiede in den NMR-Spektren zwischen Escitalopram-Oxalat (Salz) und Escitalopram-Base B-30 The sensitivity of the nitrile of Citalopram/Escitalopram/Diol to Base/Nucleophiles B-30A deutsche Übersetzung von B-30 B-31 Stellungnahme Prof. Pochapsky zum Versuchsbericht Dr. Riederer B-32 Gutachterliche Stellungnahme von Prof. Pochapsky zur Situation des Durchschnittsfachmanns in 1988 B-33 Schema der möglichen Vorstufen Des Weiteren überreichte die Beklagte als Anlage zu ihren Schriftsätzen bzw. in der mündlichen Verhandlung - Korrekturseiten 4 der Europäischen Patentschrift und der deutschen Übersetzung des Streitpatents,
- Schematische Übersicht über die Anstrengungen der Patentinhaberin zur Trennung von Citalopram in seine Enantiomere,
- Schema: Potentielle Vorstufen für eine stereoselektive Synthese oder Trennung in individuelle Enantiomere,
- Schema: Bei Einsatz der Reaktionsbedingungen von Cannonne et al. (Tosylchlorid, Pyridin) für die Diol-Vorstufe von Citalopram entsteht Säure - Zitat aus dem Schriftsatz der Nichtigkeitsklägerin Tiefenbacher vom 18. April 2007, Seite 10, zweiter Absatz, nebst Formelschema - Übersicht: Attempts to Separate Citalopram Using Chiral Acids - Lab Note Book Entry - Vergleich Übergangszustand im Ringschluss in einem gesättigten gegenüber einem ungesättigten System - Übersetzung eines Auszugs aus einer Mitteilung der Kommission an das Europäische Parlament - sic! 2/1999 "Arzneimittel" - Bundesgericht vom 17. November 1998, S. 153-155.
Wegen weiterer Einzelheiten des Vorbringens der Parteien wird auf den Inhalt der Akten Bezug genommen.
Gründe
Die zulässigen Klagen (§§ 81 Abs. 1, 16a Abs. 2 PatG, Art. 15 VO (EWG) Nr. 1768/92) erweisen sich als begründet.
Der geltend gemachte Nichtigkeitsgrund der mangelnden Patentfähigkeit führt zur Nichtigerklärung des Streitpatents (Art. II § 6 Abs. 1 Nr. 1 IntPatÜG, Art. 138 Abs. 1 lit a i. V. m. Art. 54, 56 EPÜ).
Mit dem Streitpatent fällt auch das daraus erteilte Schutzzertifikat 103 99 030 (Art. 15 Abs. 1 lit. c VO (EWG) Nr. 1768/92).
I.
1. Das Streitpatent betrifft (+)-1-(3-Dimethylaminopropyl)-1-(4'-fluorphenyl)-1,3-dihydroisobenzofuran-5-carbonitril, dessen nichttoxische Säureadditionssalze und Verfahren zur Herstellung dieser Verbindungen einschließlich Zwischenprodukte in diesem Verfahren, sowie pharmazeutische Zusammensetzungen umfassend als aktiven Bestandteil (+)-1-(3-Dimethylaminopropyl)-1-(4'-fluorphenyl)-1,3-dihydroisobenzofuran-5-carbonitril (vgl. DE 689 21 672 T2, Anspr. 1 bis 7).
Ausgangspunkt der Erfindung ist die chemische Verbindung Citalopram (INN-Name), die beispielsweise in der US 4 136 193 beschrieben ist und sich nach den Angaben in der Streitpatentschrift als wirksames Antidepressivum erwiesen hat, wobei die gesamte Entwicklungsarbeit mit dem Racemat gemacht wurde. Es sei gezeigt worden, dass die Wirkung des Citaloprams auf der sehr selektiven Inhibierung der Wiederaufnahme von 5-Hydroxy-Tryptamin (Serotonin) beruht. Versuche zur Kristallisierung von diastereomeren Salzen der Citalopram-Enantiomere seien fehlgeschlagen (vgl. DE 689 21 672 T2 S. 2 le. Abs. bis S. 3 Abs. 1).
2. Vor diesem Hintergrund ist die Aufgabe darin zu erkennen, die beiden Enantiomere des Citaloprams in voneinander getrennter Form bereitzustellen, entweder durch Racematspaltung des Enantiomerengemisches von Citalopram oder durch Racematspaltung der sogenannten Diol-Vorstufe 4-[4-(Dimethylamino)-1-(4'-fluorphenyl)-1-hydroxy-1-butyl]-3-hydroxymethyl)benzonitril in seine Enantiomere und der stereospezifischen Umsetzung dieses Zwischenprodukts zu den entsprechenden Citalopram-Enantiomeren, um die pharmakologische Wirkung beider Enantiomere zu untersuchen (vgl. DE 689 21 672 T2 S. 3 Abs. 2).
3. Gelöst wird diese Aufgabe gemäß Patentanspruch 1 durch (+)-Enantiomere des 1-(3-Dimethylaminopropyl)-1-(4'-fluorphenyl)-1,3-dihydroisobenzofuran-5-carbonitrils der allgemeinen Formelsowie dessen nichttoxischer Säureadditionssalze, gemäß Patentanspruch 2 durch das Säureadditionssalz mit der Pamoasäure.
Gemäß Patentansprüchen 3 bis 5 besteht die Lösung in der Bereitstellung von pharmazeutischen Zusammensetzungen in Einheitsdosierungsform umfassend als aktiven Bestandteil die Verbindungen gemäß Patentansprüchen 1 und 2.
Gelöst wird die Aufgabe gemäß den Patentansprüchen 6 und 7 des Weiteren durch ein Verfahren zur Herstellung einer Verbindung gemäß Patentanspruch 1 sowie durch das (-)-Enantiomer der Diol-Zwischenverbindung 4-[4-(Dimethylamino)-1-(4'-fluorphenyl)-1-hydroxy-1-butyl]-3-(hydroxymethyl)benzonitril oder durch deren Ester der allgemeinen Formelin der R eine labile Ester-Gruppe bedeutet.
4. Als Fachmann ist ein erfahrener organischer oder pharmazeutischer Chemiker anzusehen, der mit der Struktur und Aktivität von noch in der Entwicklung sowie bereits im Gebrauch befindlicher pharmazeutischer Wirkstoffe vertraut und in ein Team von Spezialisten eingebunden ist, das sich mit dem Auffinden neuer Wirkstoffe und mit deren Entwicklung befasst (vgl. BGH X ZR 236/01 v. 19. Dezember 2006 - Carvedilol II, Punkt II.2.3; BGH GRUR 2001, 813 III.2.a - Taxol). Diesem Team gehören unter Berücksichtigung der Problemstellung neben organischen und pharmazeutischen Chemikern auch analytisch orientierte Chemiker sowie Pharmakologen an.
II.
Der Gegenstand des Streitpatents in der Fassung gemäß Hauptantrag erweist sich als nicht patentfähig. Die Patentansprüche 1 bis 5 sind gegenüber der vorveröffentlichten Druckschrift US 4 136 193 (NK1) nicht mehr neu. Patentanspruch 7, soweit er das (-)-Enantiomer der Verbindung 4-[4-(Dimethylamino)-1-(4'-fluorphenyl)-1-hydroxy-1-butyl]-3-(hydroxymethyl)benzonitril betrifft, ist durch die EP 0 171 943 A1 (NK2) neuheitsschädlich vorweggenommen. Im Übrigen beruhen der Gegenstand des Anspruchs 6 insgesamt sowie der Gegenstand des Patentanspruchs 7, soweit er die Monoester des (-)-Enantiomeren des 4-[4-(Dimethylamino)-1-(4'-fluorphenyl)-1-hydroxy-1-butyl]-3-(hydroxymethyl)benzonitrils betrifft, gegenüber der Druckschrift EP 0 171 943 A1 (NK2) nicht auf einer erfinderischen Tätigkeit.
1. Eine chemische Verbindung mit einem asymmetrischen Kohlenstoffatom ist in Form eines ihrer Enantiomeren nicht mehr neu, wenn dem Fachmann in einer Vorveröffentlichung ein konkreter Hinweis auf das Enantiomere gegeben wird und er aufgrund dieses Hinweises und seines allgemeinen Fachwissens in der Lage ist, die Verbindung herzustellen. Nicht erforderlich ist, dass die Verbindung tatsächlich bereits hergestellt worden ist (vgl. BGH GRUR 1978, 696, 698 - Aminobenzylpenicillin; BPatG GRUR Int. 1996, 822 - Herbicid wirksames Enantiomer). Die Neuheit der Enantiomeren einer chemischen Verbindung oder die Neuheit der Enantiomeren einer beispielsweise anhand einer Markush-Formel beschriebenen Verbindungsgruppe ist aber auch dann zu verneinen, wenn in einer Vorveröffentlichung lediglich die Herstellung und die chemische Struktur der in Form eines Enantiomerengemisches, speziell als Racemat, anfallenden Verbindung bzw. Verbindungsgruppe beschrieben ist, ohne dass dabei expressis verbis auf die Existenz des betreffenden Enantiomers als Stoff hingewiesen ist. In einem solchen Fall besteht kein Raum für die Anerkennung der Neuheit eines individuellen Enantiomeren, wenn der Fachmann dessen Vorliegen in Form eines Enantiomerengemisches erkennt, das individuelle Enantiomer deshalb ohne Weiteres mitliest und unter Anwendung herkömmlicher Trennverfahren mit zumutbarem Aufwand auch einzeln in die Hand bekommen kann (vgl. hierzu auch Hansen/Hirsch: "Protecting Inventions in Chemistry", Wiley-VCH Verlag GmbH, Weinheim 1997, S. 113 le. Abs. bis S. 118 Abs. 1, insbes. S. 115 le. Abs. bis S. 116 Abs. 1 sowie S. 116 le. Abs. bis S. 117 Abs. 1).
An die Zumutbarkeit des Aufwands, der erforderlich ist, um die qualitativen und quantitativen Analysendaten eines Stoffgemischs zu identifizieren und damit auch die einzelnen - als chemische Verbindung bereits existenten - Bestandteile eines Stoffgemischs zu erhalten, darf dabei kein zu geringer Maßstab angelegt werden. Wie der Bundesgerichtshof in der Entscheidung "Thrombozytenzählung" (GRUR 1986, 372, 374) betont hat, liegt es auf dem Gebiet der Chemie in der Natur der Sache, dass zur Identifizierung nicht deklarierter vorbenutzter Stoffe und Stoffgemische in aller Regel mehr oder weniger umfangreiche, zeit- und arbeitsaufwändige, qualitative und quantitative Untersuchungen durchgeführt werden müssen. Dementsprechend wird die Herstellbarkeit bzw. Zugänglichkeit und damit die Verfügbarkeit des einzelnen Enantiomeren aus einem bereits bekannten Enantiomerengemisch nicht dadurch in Frage gestellt, dass dessen Isolierung aus dem Enantiomerengemisch mit einer Reihe nicht ganz einfacher Überlegungen und Untersuchungen verbunden ist. Sofern sich diese im Rahmen der für den Fachmann üblichen, seinem durchschnittlichen fachmännischen Können zuzurechnenden Routinemaßnahmen halten und von ihm keine übergebührlichen Anstrengungen von bereits erfinderischer Qualität verlangen, ist das einzelne Enantiomere aus dem Enantiomerengemisch als ohne Weiteres zugänglich zu erachten.
Ausgehend von diesen Grundsätzen ist der Senat der Überzeugung, dass ein Fachmann die enantiomere Verbindung (+)-1-(3-Dimethylaminopropyl)-1-(4'-fluorphenyl)-1,3-dihydroisobenzofuran-5-carbonitril gemäß Patentanspruch 1 des Streitpatents in der Entgegenhaltung NK1 nicht nur ohne Weiteres und selbstverständlich mitliest, sondern dass er aufgrund seiner Fachkenntnisse und experimentellen Fähigkeiten auch ohne Weiteres in der Lage war, die beiden Bestandteile des Enantiomerengemisches voneinander zu trennen.
a) Die US 4 136 193 (NK1) betrifft substituierte 1-Dimethylaminopropyl-1-phenyldihydroisobenzofurane (Phthalane) und deren Verwendung zur Behandlung von depressiven Zuständen (vgl. NK1 Bezeichnung i. V. m. Anspr. 1 und 13 sowie Sp. 9 und 10 Tabelle), darunter als physiologisch besonders wirksame Ausführungsform das 1-(3-Dimethylaminopropyl)-1-(4'-fluorphenyl)-1,3-dihydroisobenzofuran-5-carbonitril (vgl. NK1 Anspr. 5 i. V. m. Beisp. 3 sowie Sp. 9 und 10 Tabelle Lu 10-171 i. V. m. Sp. 8 Z. 7 bis 21).
Ein Fachmann entnimmt der NK1 ohne Weiteres, dass die darin anhand einer allgemeinen Formel nach Art einer Markush-Formel strukturell dargestellten Verbindungen wegen des in ihrer chemischen Struktur zwar nicht explizit bezeichneten, jedoch für ihn offensichtlich erkennbar vorhandenen asymmetrischen Kohlenstoffatoms als Enantiomere mit R- und S-Konfiguration vorkommen können.
Ob und in welchem Anteilsverhältnis die Enantiomeren im Einzelfall tatsächlich vorliegen, hängt von der Herkunft bzw. den Herstellungsbedingungen des Produkts ab. Naturstoffe mit einem asymmetrischen Kohlenstoffatom liegen wegen der Stereospezifität enzymkatalysierter Reaktionen im Zuge des anabolen und katabolen Stoffwechsels praktisch enantiomerenrein vor mit der Folge, dass in diesen Fällen eines der beiden Enantiomere, trotz bekannter chemischer Strukturformel, nicht ohne Weiteres verfügbar ist und damit noch als neu zu erachten wäre. Dagegen fällt eine chemische Verbindung mit einem asymmetrischen Kohlenstoffatom als Produkt einer chemischen Synthese in Abhängigkeit von der Stereoselektivität der beteiligten Reaktionsschritte in der Regel nicht enantiomerenrein, sondern als Gemisch beider Enantiomere an.
Bedingt durch die in der NK1 beschriebenen, auf nicht stereospezifischen Reaktionen beruhenden Herstellungsverfahren fallen die Zielverbindungen und damit auch das 1-(3-Dimethylaminopropyl)-1-(4'-fluorphenyl)-1,3-dihydroisobenzofuran-5-carbonitril gemäß Ausführungsbeispiel 3 der NK1 zwangsläufig und für den Fachmann selbstverständlich erkennbar in Form ihrer Gemische aus den jeweiligen R- und S-Enantiomeren an. Denn im Zuge der in der NK1 beschriebenen verschiedenen Herstellungsvarianten - zum einen der Ringschluss des Diols der Formel II in Gegenwart eines dehydratisierenden Mittels (vgl. NK1 Sp. 2 Z. 8 bis 46) und zum Anderen die Umsetzung des Benzoisofurans der Formel III mit einem 3-Dimethylaminopropyl-Halogenid (vgl. NK1 Sp. 3 Z. 26 bis Sp. 4 Z. 6) - gelangen Arbeitsweisen zum Einsatz, die keine ausgeprägte Stereoselektivität aufweisen und damit eine Stereospezifität, die zu nahezu 100 % Enantiomerenreinheit führt, nicht erwarten lassen (vgl. NK1 Sp. 4 Beisp. 1, insbes. Z. 56 bis 68; Sp. 6 Beisp. 3, insbes. Z. 38 bis 49 sowie Sp. 7 Z. 1 bis 25). Ob bei der Herstellung der Verbindungen der NK1 eine gewisse Stereoselektivität und damit eine Abweichung von einem racemischen Gemisch bestehend aus jeweils etwa 50 Gewichtsprozent der beiden Enantiomere auftritt, ist aus der NK1 nicht zu entnehmen und kann für die einzelnen, unter die Markush-Formel fallenden Zielverbindungen zahlenmäßig auch nicht vorhergesagt werden. Dies gilt auch für das Enantiomerengemisch des 1-(3-Dimethylaminopropyl)-1-(4'-fluorphenyl)-1,3-dihydroisobenzofuran-5-carbonitrils (vgl. NK1, Beisp. 3).
Damit liegen die Verbindungen der NK1 und somit auch das 1-(3-Dimethylaminopropyl)-1-(4'-fluorphenyl)-1,3-dihydroisobenzofuran-5-carbonitril für den Fachmann ohne Weiteres erkennbar in Form ihrer Enantiomerengemische bestehend aus dem R- und dem S-Enantiomeren bzw. dem (-)- und (+)-Enantiomeren vor. Die streitige Verbindung (+)-1-(3-Dimethylaminopropyl)-1-(4'-fluorphenyl)-1,3-dihydroisobenzofuran-5-carbonitril war deshalb bereits vor dem Zeitrang des Streitpatents ohne Weiteres erkennbar als Stoff existent, wenngleich nur im Gemisch mit ihrem (-)-Enantiomeren. Anzumerken ist, dass die Konfigurationen R und S in jedem Einzelfall mittels Röntgenstrukturanalyse erst nach Auftrennung des Enantiomerengemisches und nach der Bestimmung der optischen Aktivität den (+)- bzw. rechtsdrehenden und den (-)- bzw. linksdrehenden Enantiomeren zugeordnet werden können.
b) Die Entscheidung, ob das (+)-Enantiomere des 1-(3-Dimethylaminopropyl)-1-(4'-fluorphenyl)-1,3-dihydroisobenzofuran-5-carbonitrils durch die NK1 neuheitsschädlich vorweggenommen oder gegenüber der NK1 noch als neu anzusehen ist, hängt weiterhin davon ab, ob es aus dem beschriebenen Enantiomerengemisch auf übliche Weise herstellbar, das heißt isolierbar und damit als Einzelverbindung bereits zugänglich war, oder ob seine Bereitstellung erst mittels der Lehre des Streitpatents gelingen konnte.
Der Senat ist der Ansicht, dass sich das gemäß der NK1 im Gemisch mit seinem (-)-Enantiomeren vorliegende (+)-Enantiomere des 1-(3-Dimethylaminopropyl)-1-(4'-fluorphenyl)-1,3-dihydroisobenzofuran-5-carbonitrils auf eine vor dem Prioritätstag des Streitpatents übliche Weise und mit zu dieser Zeit bereits im Handel verfügbaren Hilfsmitteln aus dem vorbeschriebenen Enantiomerengemisch ohne Weiteres abtrennen lässt. Zu seiner Bereitstellung bedurfte es deshalb nicht erst der Lehre des Streitpatents.
Enantiomerengemische lassen sich bekanntlich unter Einsatz asymmetrischer Hilfsmittel auftrennen. Die dabei regelmäßig zur Anwendung kommenden Methoden gehören zum Grundwissen eines Chemikers. Zu den am Prioritätstag des Streitpatents üblichen Methoden zur Trennung von Enantiomerengemischen unter Einsatz asymmetrischer Hilfsmittel zählen in erster Linie zum Einen die Umsetzung mit einem asymmetrischen Molekül, insbesondere die Bildung diastereomerer Salze und deren nachfolgende fraktionierte Kristallisation, oder die Veresterung oder Amidierung und nachfolgende konventionelle chromatographische Trennung der erhaltenen diastereomeren Derivate, und zum Anderen die direkte Chromatographie des Enantiomerengemisches an chiralen Stationärphasen. Anders als die chromatographische Trennung eines Diastereomerengemisches, die bereits mit konventionellen Stationärphasen und ohne chirale Hilfsmittel gelingt, erfordert die chromatographische Trennung eines Enantiomerengemisches den Einsatz chiraler Stationärphasen.
Der Fachmann, für den in der NK1 das (+)-Enantiomere des 1-(3-Dimethylaminopropyl)-1-(4'-fluorphenyl)-1,3-dihydroisobenzofuran-5-carbonitrils zweifelsfrei erkennbar in Form eines Enantiomerengemisches vorliegt, wird sich zu dessen Isolierung dieser grundlegenden, üblichen Methoden selbstverständlich bedienen und auf diese Weise ohne Weiteres zum Ziel gelangen.
Hinsichtlich der Methode der Bildung diastereomerer Salze durch Umsetzung mit einer üblichen Chiralsäure und nachfolgender fraktionierter Kristallisation hat die Beklagte vorgebracht, dass dieser Weg ungeeignet sei zur Aufspaltung des Enantiomerengemisches des 1-(3-Dimethylaminopropyl)-1-(4'-fluorphenyl)-1,3-dihydroisobenzofuran-5-carbonitrils. Sie habe mehr als 70 chirale Säuren durchgehend erfolglos getestet bzw. testen lassen (vgl. B-4). Demgegenüber hat die Klägerin III unter Bezugnahme auf die nachveröffentlichte Isolierung eines diastereomeren Salzes aus dem gewünschten (+)-Enantiomeren und der linksdrehenden (-)-Dip-Toluyl-Weinsäure dargelegt, dass die Auftrennung des Enantiomerengemisches von 1-(3-Dimethylaminopropyl)-1-(4'-fluorphenyl)-1,3-dihydroisobenzofuran-5-carbonitril mit Dip-Toluyl-Weinsäure als Chiralsäure ohne Weiteres gelinge (vgl. Schrifts. v. 17. April 2007 S. 12 Abs. 2 Punkt 3 bis S. 14 Z. 2 i. V. m. NK8 Elati et al., insbes. S. 292 li. Sp. vorle. Z. ff.).
Es kann dahinstehen, ob in dem vorliegendem Fall die Methode der Bildung diastereomerer Salze mit einer Chiralsäure, wie von der Beklagten behauptet, zur Lösung der dem Streitpatent zugrunde liegenden Aufgabe wider Erwarten des Chemikers ungeeignet ist und nicht zur Auftrennung des Enantiomerengemisches und damit der Bereitstellung des (+)-Enantiomeren des 1-(3-Dimethylaminopropyl)-1-(4'-fluorphenyl)-1,3-dihydroisobenzofuran-5-carbonitrils führt, oder ob die Auftrennung des Enantiomerengemisches mit Dip-Toluyl-Weinsäure als Chiralsäure, wie von der Klägerin III vorgebracht, tatsächlich möglich ist. Denn für den Fall, dass bei der Bildung diastereomerer Salze von Chiralsäuren mit 1-(3-Dimethylaminopropyl)-1-(4'-fluorphenyl)-1,3-dihydroisobenzofuran-5-carbonitril Schwierigkeiten auftreten und sich diese nicht, wie in der NK8 (Elati et al.) gezeigt, mittels der für solche Trennungen üblichen Dip-Toluyl-Weinsäure als Chiralsäure beheben lassen, wird der Fachmann es nicht dabei belassen, sondern statt dessen selbstverständlich die ihm bereits vor dem Prioritätstag etablierte, ihm geläufige Methode der Chiralchromatographie anwenden und sich dabei handelsüblicher und ihm damit ohne Weiteres zur Verfügung stehender chiraler Stationärphasen bedienen.
Wie die Klägerin I unter Bezugnahme auf den vorveröffentlichten Übersichtsartikel zur Chromatographie an chiralen Stationärphasen NK6 (Wainer) dargelegt hat (vgl. Schrifts. v. 23. März 2007 S. 1 bis S. 2 Abs. 1 i. V. m. NK6 (Wainer) S. 128 Tabelle I), waren im Mai 1987 und damit etwa ein Jahr vor dem Prioritätstag des Streitpatents folgende chirale Stationärphasen für die Hochleistungschromatographie (HPLC) kommerziell erhältlich:
- Stationärphasen vom sogenannten Pirkle-Typ vorwiegend auf Basis optisch aktiver Aminosäuren,
- Stationärphasen auf Basis von Cellulosederivaten,
- Cyclodextrine,
- Stationärphasen auf Basis von Proteinen.
Bereits mehr als ein Jahr vor dem Prioritätstag des Streitpatents bestand deshalb die Möglichkeit, sich bei den Anbietern von Chromatographiehilfsmitteln über die verfügbaren chiralen HPLC-Stationärphasen zu informieren und sich diese zu beschaffen, um mit ihrer Hilfe das gemäß NK1 anfallende Gemisch der Enantiomeren des 1-(3-Dimethylaminopropyl)-1-(4'-fluorphenyl)-1,3-dihydroisobenzofuran-5-carbonitril nach orientierenden Versuchen unter vertretbarem experimentellen Aufwand zu trennen.
Dass bei dieser zumutbaren Vorgehensweise das (+)-Enantiomere des 1-(3-Dimethylaminopropyl)-1-(4'-fluorphenyl)-1,3-dihydroisobenzofuran-5-carbonitrils auch tatsächlich zugänglich ist und damit als Einzelstoff bereitgestellt werden kann, belegen die nachveröffentlichten, gutachtlich zu bewertenden Druckschriften NK9 (Haupt), NK10 (Rochat et al.) sowie NK11 (Rochat et al.). Aus diesen Druckschriften geht hervor, dass sich das Enantiomerengemisch des 1-(3-Dimethylaminopropyl)-1-(4'-fluorphenyl)-1,3-dihydroisobenzofuran-5-carbonitrils an AGP-Stationärphase (vgl. NK9 Haupt), an ß-Cyclobond, d. h. an einer Beta-Cyclodextrin-Stationärphase (vgl. NK10 Rochat et al.), und an Chiralcel-OD, d. h. mit Cellulose tris(3,5-dimethylphenylcarbamat)-Stationärphase (vgl. NK11 Rochat et al.), und damit mit Hilfe von gleich drei strukturell unterschiedlichen chiralen Stationärphasen trennen lässt, wobei die zur Anwendung gelangten üblichen Mobilphasen das handwerkliche Können des Fachmanns nicht übersteigen.
2) Die demgegenüber vorgebrachten zahlreichen Argumente der Beklagten können zu keiner anderen Beurteilung führen.
a) Dem Vorbringen der Beklagten, die Auftrennung von Enantiomerengemischen mittels Chromatographie an chiralen Stationärphasen stelle eine zum Prioritätszeitpunkt des Streitpatents insbesondere noch nicht präparativ etablierte Methode dar, sodass der Fachmann auch keinerlei Veranlassung gehabt habe, diese Möglichkeit ernsthaft in Betracht ziehen, und es für ihn zu dieser Zeit deshalb nicht möglich gewesen sei, Citalopram-Enantiomer mit zumutbarem Aufwand zu isolieren und damit bereitzustellen (vgl. Schrifts. v. 27. März 2007 S. 31 le. Abs. bis S. 37 Abs. 2), kann der Senat nicht folgen.
Bereits mehr als ein Jahr vor dem Prioritätstag des Streitpatents waren verschiedene chirale Stationärphasen zur Enantiomerentrennung im Handel erhältlich und von der Fachwelt als für durchaus vergleichbare Trennprobleme als geeignet erachtet worden, wie seitens der Klägerinnen druckschriftlich belegt worden ist (vgl. NK6 Wainer S. 128 Tabelle 1 sowie NK12 Daicel i. V. m. NK13 Daicel, NK14 Railton). Dass es sich bei der chromatographischen Trennung von Enantiomeren an stationären Chiralphasen nicht, wie von der Beklagten dargestellt, um eine relativ junge und damit noch wenig untersuchte Methode handelt, unterstreicht die Ausgabe des Biochemischen Taschenbuchs von H.M. Rauen aus dem Jahr 1956, in der bereits der Hinweis auf die Möglichkeit zur Racematspaltung mittels Chromatographie an chiralen Stationärphasen zu finden ist (vgl. NK15 Rauen S. 587). Gerade weil es - im Übrigen bis heute - keine universell einsetzbare und deshalb für jedes Trennproblem geeignete chirale HPLC-Stationärphase gibt, musste bereits vor dem Zeitrang des Streitpatents ein mit der Lösung des zugrunde liegenden Problem befasstes Team von Fachleuten selbstverständlich nicht nur einen Überblick über die verfügbaren chiralen Stationärphasen besitzen, sondern auch eine Auswahl dieser Handelsprodukte für analytische und sogar präparative Zwecke im Labor bereit halten (vgl. hierzu NK6 Wainer S. 133 li. Sp. le. Abs.). Soweit die Beklagte in diesem Zusammenhang geltend macht, dass an Universitäten oder kleineren Forschungseinrichtungen die Kenntnisse und die Mittel für die Chiralchromatographie nicht verfügbar gewesen seien, kann ihr deshalb nicht gefolgt werden, weil hier objektiv auf die Gegebenheiten und Ziele der mit dem Auffinden und der Entwicklung neuer Wirkstoffe befassten pharmazeutischen Großindustrie abzustellen ist.
Im Übrigen ist die neuheitsschädliche Vorwegnahme eines Stoffes nicht an seine Verfügbarkeit in einer bestimmten Stoffmenge gebunden. Es genügen hierfür Mengen im analytischen Bereich. Im hier zu beurteilenden Fall des betreffenden (+)-Enantiomeren aus seinem bekannten Enantiomerengemisch bedeutet dies, dass eine chirale Trennsäule im analytischen Maßstab ausreicht. Eine präparative Chiralsäule ist nicht erforderlich.
b) Der Einwand der Beklagten, selbst Prof. William Pirkle, ein Experte auf dem Gebiet der chiralen Chromatographie, habe keine Trennung der Citalopram-Enantiomere erwartet (vgl. B-5), und die in ihren eigenen Laboratorien sowie in Laboratorien der Royal Danish School of Pharmacy durchgeführten Trennversuche seien fehlgeschlagen (vgl. B-6 bzw. B-6A) und bestätigten somit die Expertenmeinung, überzeugt nicht.
Dem Schreiben B-5 von Prof. Pirkle ist lediglich zu entnehmen, dass tertiäre Amine ein Problem darstellten und deshalb eine Trennung von Citalopram auf den in seinem Labor vorhandenen Säulen, aller Wahrscheinlichkeit handelt es sich dabei im Hinblick auf den Passus "...our columns..." ausschließlich um Säulen vom sogenannten Pirkle-Typ, wegen fehlender passender Kombination von funktionellen Gruppen voraussichtlich nicht möglich sei. Eine Aussage über die Eignung von im Jahr 1987 im Handel verfügbaren weiteren chiralen Stationärphasen zur Auftrennung des Enantiomerengemisches von 1-(3-Dimethylaminopropyl)-1-(4'-fluorphenyl)-1,3-dihydroisobenzofuran-5-carbonitril lässt sich daraus nicht ableiten.
c) Auch die Erklärung von Dr. Gundertofte (vgl. B-6 bzw. B-6A), die sich auf eigene sowie auf externe Versuche an der Royal Danish School of Pharmacy stützt, vermag die behauptete Unzugänglichkeit der Citalopram-Enantiomere vor dem Prioritätstag des Streitpatents nicht zu belegen. Demnach hat die Beklagte zwischen 1983 und 1987 Versuche mit fünf verschiedenen HPLC-Chiralsäulen durchgeführt bzw. durchführen lassen:
- mit einer Dinitrobenzoylphenylglycin-Säule vom Pirkle-Typ,
- mit einer immoblisierten Proteinsäule vom Hersteller Pharmacia,
- mit einer selbstgepackten Cellulosetriacetat-Säule, Material von Merck, Darmstadt,
- mit einer Beta-Cyclodextrin-Säule nicht genannter Herkunft,
- mit einer mit mikrokristallinem Cellulosetriacetat gepackten Säule.
Sieht man von der Säule vom Pirkle-Typ ab, sind diese Säulen nicht näher beschrieben und mit nicht näher spezifiziertem und damit möglicherweise nicht ohne Weiteres für die HPLC ausgelegtem Material selbst gepackt worden. Insbesondere gilt dies für die Protein-Säule im Hinblick auf die Art des Proteins sowie die Beta-Cyclodextrin-Säule. Im Übrigen fehlen Angaben über die Versuchsbedingungen sowie darüber, mit welcher Intensität und Systematik die Beklagte das Screening zur Auftrennung betrieben hat.
Die dabei, soweit vorgetragen, eingesetzten Säulen sind, was die Verfügbarkeit und Qualität im Zeitraum vor dem 14. Juni 1988, dem Prioritätstag des Streitpatents, anbelangt, als nicht repräsentativ für den Stand der Technik anzusehen. Denn ausweislich des im Jahr 1987 veröffentlichten Übersichtsartikels NK6 (Wainer) standen bereits geraume Zeit vor dem Zeitrang des Streitpatents eine ausreichende Anzahl handelsüblicher, fachkundig gepackter und einer Qualitätskontrolle unterliegender Chiralsäulen zur Verfügung, die unter Variation der üblichen Parameter mobile Phase, pH-Wert und Temperatur und deshalb mit zumutbarem Aufwand ohne Weiteres hätten getestet werden können. Die seitens der Beklagten getroffene Wahl an Chiralsäulen (vgl. B-6 bzw. B-6A) ist demgegenüber als nicht repräsentativ und damit als unzureichend zu bewerten.
Der diesbezügliche Einwand der Beklagten, der Übersichtsartikel NK6 und auch andere Druckschriften zur chromatographischen Trennung von Enantiomeren mittels chiraler Stationärphasen seien ihr nicht bekannt und durch Recherchen zu einem Zeitpunkt, als elektronische Recherchemöglichkeiten kaum zur Verfügung standen, auch nur schwer auffindbar gewesen, greift nicht. Denn in patentrechtlicher Hinsicht kommt es bei der Beurteilung der Patentfähigkeit nicht darauf an, ob speziell der Erfinder und/oder der Patentinhaber am Prioritätstag über den zugrundezulegenden Stand der Technik und das damit verbundene Fachwissen und Fachkönnen informiert war.
d) Soweit die Beklagte auf die große Zahl der im Hinblick auf die NK6 (Wainer) kommerziell zur Verfügung stehenden Chiralsäulen sowie auf die zahlreichen weiteren einzustellenden Parameter als unzumutbaren Aufwand verweist (vgl. Schrifts. v. 27. März 2007 S. 32 vorle. Abs.), so führt dies zu keiner anderen Bewertung.
Wenngleich sich in der NK6 (Wainer) die Anmerkung findet, dass die Zahl der kommerziell erhältlichen chiralen HPLC-Stationärphasen den Nutzer vor die Qual der Wahl stelle (vgl. NK6 Wainer S. 126 re. Sp. Z. 1 bis 4 i. V. m. S. 133 li. Sp. le. Abs. bis re. Sp. Abs. 1), so ist darin selbst in Verbindung mit der zusätzlich erforderlichen Wahl geeigneter Trennparameter jedenfalls in patentrechtlicher Hinsicht kein unzumutbarer Aufwand zu erkennen.
Denn gemäß der BGH-Entscheidung "Thrombozytenzählung" (GRUR 1986, 372, 374) stellen selbst erforderliche umfangreiche zeit- und arbeitsintensive Untersuchungen eines in seiner Zusammensetzung nicht vorbeschriebenen, jedoch vorbenutzten Stoffgemisches die Offenkundigkeit der Vorbenutzung nicht in Frage.
Der Senat kann nicht erkennen, dass in dem vorliegendem Fall, in dem der Fachmann die qualitative Zusammensetzung des in Rede stehenden Stoffgemisches, nämlich das (+)- und (-)-Enantiomere des 1-(3-Dimethylaminopropyl)-1-(4'-fluorphenyl)-1,3-dihydroisobenzofuran-5-carbonitrils, bereits aus der NK1 entnehmen kann, hinsichtlich des Umfangs und des Zeitaufwands und damit der Zumutbarkeit von Untersuchungen, hier dem Ausprobieren von im Handel verfügbarer Chiralsäulen einschließlich der Parameterwahl, andere strengere Maßstäbe anzulegen sind.
e) Daran ändert auch der Hinweis der Beklagten nichts, es hätten einige weitere potentielle Möglichkeiten zur Bereitstellung des streitigen Enantiomeren zur Verfügung gestanden, aus denen erst zufällig die Wahl eines geeigneten Mittels hätte getroffen werden müssen. Zwar sind weitere Methoden zur Bereitstellung des Enantiomeren, beispielsweise die alternative Anwendung chiraler Mobilphasen bei konventionellen HPLC-Stationärphasen, enzymatische Racematspaltungen oder stereospezifische Semi- oder Totalsynthesen gegebenenfalls vor der Entscheidung über ein Herstellungsverfahren im Produktionsmaßstab einzubeziehen. Solche weiteren Methoden treten für die Beurteilung der Frage nach der grundsätzlichen Verfügbarkeit eines Stoffes, die für die patentrechtliche Neuheitsfrage allein relevant ist, gegenüber einfachen und üblichen Methoden in den Hintergrund, insbesondere dann, wenn eine dieser üblichen Methoden, wie im vorliegenden Fall die Chiralchromatographie, bekanntlich neben der Trennung auch gleichzeitig den Nachweis der Enantiomerenreinheit ermöglicht (vgl. hierzu B-4, S. 10 Enantiomeric Excess Determination).
f) Die Beklagte konnte auch keine stichhaltigen Gründe für ihre Behauptung liefern, es habe sich bei den in NK9 (Haupt) bis NK11 (Rochat et al.) verwendeten chiralen Stationärphasen um Fertigungsprodukte gehandelt, die eine gegenüber den vor 1988 handelsüblichen Produkten gleichen Namens derart verbesserte Qualität aufweisen, sodass überhaupt erst damit die Trennung von Citalopram-Enantiomeren möglich geworden sei (vgl. Schrifts. v. 11. April 2007, insbes. S. 31 le. Abs. bis S. 32 le. Abs.).
Es mag zwar zutreffen, dass die vor dem Prioritätstag des Streitpatents verfügbaren chiralen Stationärphasen in der Folgezeit weiterentwickelt und vor allem in ihrer Trennleistung verbessert wurden. Dass jedoch gleich drei Handelsprodukte auf Basis strukturell grundsätzlich verschiedener Chiralliganden und damit unterschiedlicher asymmetrischer Potenz bei ein und demselben Trennproblem zunächst völlig versagen und nicht einmal eine so ausreichend unterschiedliche Wechselwirkung der beiden Enantiomere des Citaloprams mit den chiralen Stationärphasen stattfindet, dass zumindest ansatzweise eine Peakauflösung zu erkennen ist, und erst mittels einer wenige Jahre später verfügbaren Produktqualität eine Baselinezu-Baseline Trennung möglich wird, ist nicht nachvollziehbar. Insbesondere ist das Auftreten derartiger Qualitätsunterschiede bei gleich drei verschiedenen im Handel erhältlichen chiralen Stationärphasen unwahrscheinlich.
Was den diesbezüglichen Antrag der Beklagten zur Nacharbeitung einer Citalopram-Trennung mit Stationärphase Chiralcel OD aus dem Jahr 1987 betrifft, so ist ein derartiger Beweis nicht nur bereits im Hinblick auf die Verfügbarkeit von Chargen dieses Handelsprodukts aus der Zeit vor 1988, sondern auch wegen einer möglicherweise nicht uneingeschränkten Haltbarkeit dieses Materials über mittlerweile 20 Jahre hinweg nicht zu führen. Jedenfalls war offenbar auch die Beklagte nicht in der Lage, diesen Versuch durchzuführen und dessen Ergebnisse vorzulegen, obwohl sie - unabhängig von der Kenntnis des Inhalts der NK9 (Haupt) bis NK11 (Rochat et al.) - bereits spätestens seit Beginn des Jahres 2003 über die Eignung von Chiralcel OD zur Trennung der Citalopram-Enantiomere Bescheid wusste (vgl. hierzu die Patentanmeldung der Beklagten NK16). Darüber hinaus sprechen auch die Ausführungen der Beklagten in der NK16 dagegen, dass bereits bei geringsten Änderungen der experimentellen Parameter, insbesondere was die Art und Beschaffenheit der chiralen Stationärphase anbelangt, eine Trennung des Stoffgemisches aus dem (+)- und (-)-Enantiomeren des 1-(3-Dimethylaminopropyl)-1-(4'-fluorphenyl)-1,3-dihydroisobenzofuran-5-carbonitrils nicht mehr gelingt.
g) Schließlich ist auch das Vorbringen der Beklagten unbegründet, das Verbinden des Inhalts der NK6 (Wainer) mit dem Inhalt der NK1 sei für die Neuheitsbewertung unzulässig. Denn bei der NK6 (Wainer) handelt es sich um einen Übersichtsartikel in einer anerkannten Fachzeitschrift, der für die Kenntnisse der Fachwelt zum Thema Chiralchromatographie vor dem Erscheinungstag dieses Artikels repräsentativ und unbeeinflusst von dem Gegenstand der Erfindung ist.
Nicht zuletzt im Hinblick auf die wissenschaftlichen Publikationen NK9 (Haupt) bis NK11 (Rochat et al.), die zwar nachveröffentlicht, jedoch gutachtlich zu bewerten sind, kann deshalb auch kein Zweifel daran bestehen, dass sich die Enantiomere des Citaloprams jedenfalls mittels AGP-Stationärphase, ß-Cyclobond sowie Chiralcell OD und damit ausweislich der NK6 (Wainer), NK12 (Daicel), NK13 (Daicel) und NK14 (Railton) im Handel erhältlicher Hilfsmittel unter Einsatz der für diese Chiralphasen empfohlenen üblichen Mobilphasen ohne Weiteres trennen lassen.
3. Auch das (+)-Enantiomere des 1-(3-Dimethylaminopropyl)-1-(4'-fluorphenyl)-1,3-dihydroisobenzofuran-5-carbonitrils in Form seines Salzes mit der Pamoasäure ist bereits durch NK1 neuheitsschädlich vorweggenommen, sodass auch Patentanspruch 2 keinen Bestand hat.
Die in der NK1 beschriebenen Phthalane bzw. Benzoisofurane, darunter, wie zuvor dargelegt, das 1-(3-Dimethylaminopropyl)-1-(4'-fluorphenyl)-1,3-dihydroisobenzofuran-5-carbonitril in seinen beiden Enantiomeren, können ohne Weiteres in Form ihrer Säureadditionssalze isoliert werden, wobei nichttoxische und pharmazeutisch annehmbare Salze im Vordergrund stehen (vgl. NK1 Sp. 1 Z. 53 bis 60 i. V. m. Sp. 2 Z. 47 bis 55, Sp. 6 Beispiel 3, insbes. Sp. 7 Z. 26 bis 29, sowie Sp. 8 Z. 32 bis 49). Unter den in NK1 aufgezählten, für die Salzbildung besonders geeigneten Säuren ist auch die unter dem Namen Pamoasäure geläufige Embonsäure benannt (vgl. NK1 Sp. 2 Z. 54 und 55 sowie Sp. 8 Z. 45). Das sogenannte Pamoat des (+)-Enantiomeren des 1-(3-Dimethylaminopropyl)-1-(4'-fluorphenyl)-1,3-dihydroisobenzofuran-5-carbonitrils ist deshalb aus der NK1 bereits unmittelbar zu entnehmen und bei Bedarf auch ohne Weiteres herstellbar, da die Salzbildung, wie aus der Streitpatentschrift ersichtlich (vgl. EP 0 347 066 B1 S. 6 Z. 30 bis 33), auf übliche Weise gelingt.
4. Die Klägerin III hat des Weiteren vorgebracht, dem Gegenstand gemäß den Patentansprüchen 1 oder 2 fehle es - unabhängig von seiner Zugänglichkeit in enantiomerenreiner Form unter Anwendung üblicher Trennmethoden - bereits insofern an der erforderlichen Neuheit, als diese Patentansprüche nicht nur das reine, sondern auch ein mehr oder minder durch das (-)-Enantiomere "verunreinigtes" (+)-Enantiomeres umfassten und sie deshalb nicht von den mit Überschuss des (+)-Enantiomeren anfallenden Reaktionsprodukten der NK1 abgrenzbar seien. Darauf deute auch die Formulierung "(+)-1-(3-Dimethylaminopropyl)-1-(4'-fluorphenyl)-1,3-dihydroisobenzofuran-5-carbonitril", die lediglich zum Ausdruck bringe, das Enantiomerengemisch liege nicht als Racemat mit einem Drehwert von Null, sondern aufgrund des Vorzeichens (+) mit einem Überschuss des rechtsdrehenden Enantiomeren vor. Andernfalls hätte zusätzlich zum Vorzeichen (+) für rechtsdrehend der Wert der spezifischen Rotation, wie üblicherweise unter Verwendung der Natrium D Linie, []D nebst Messtemperatur und Lösungsmittel angegeben werden müssen (vgl. EP 0 347 066 B1 S. 6 Z. 1 bis 5).
Der Klägerin III ist zwar insofern beizutreten, als bei fehlender Zuordnung und damit Unkenntnis der absoluten Konfiguration der beiden Enantiomeren zur Klarstellung häufig die absolute spezifische Rotation []D für das gereinigte Produkt im Patentanspruch angegeben wird. Für die stoffliche Identität ist in patentrechtlicher Hinsicht auch irrelevant, ob die Beklagte bereits in der Lage war, dem beanspruchten rechtsdrehenden Enantiomeren in gereinigter Form die zutreffende absolute Konfiguration zuzuordnen, oder ob sie sich zum Prioritätszeitpunkt, ebenso wie die Fachwelt bereits vor dem Prioritätstag des Streitpatents (vgl. NK3 Smith S. 226 li. Sp. le. Abs.; NK4 Smith S. 38 li. Sp. Tabelle Verbindung Nr. XXX i. V. m. S. 40 Formel XXX sowie S. 45 li. Sp. Abs. 1; NK5 Smith S. 93 Fig. 1C i. V. m. S. 93 li. Sp. le. Abs. bis re. Sp. Abs. 1), über die absolute Konfiguration des aktiven Enantiomeren noch im Unklaren war.
Unbeachtlich ist des Weiteren, dass in der Streitpatentschrift beide Enantiomere des 1-(3-Dimethylaminopropyl)-1-(4'-fluorphenyl)-1,3-dihydroisobenzofuran-5-carbonitrils einleitend als Erfindungsgegenstand bezeichnet werden, ebenso dass in Beispiel 3, worauf der Berichterstatter in der mündlichen Verhandlung unter Bezugnahme auf die ursprüngliche Anspruchsfassung und das Ergebnis des Prüfungsverfahrens vor dem Europäischen Patentamt hingewiesen hatte, auch das Hydrobromid des Racemats aus der racemischen Diol-Zwischenstufe hergestellt wird, ohne das Racemat nachfolgend weiterzuverarbeiten oder es als Vergleichsprodukt zu kennzeichnen.
Entgegen der Ansicht der Klägerin III ergibt sich aber aus einem Vergleich mit der Formulierung des auf das (-)-Enantiomere des 4-[4-(Dimethylamino)-1-(4'-fluorphenyl)-1-hydroxy-1-butyl]-3-(hydroxymethyl)benzonitrils und damit des enantiomerenreinen Diol-Zwischenprodukts sowie seiner Monoester gerichteten Patentanspruchs 7, dass unter der Formulierung der Patentansprüche 1 bzw. 2 des Streitpatents ausschließlich das (+)-Enantiomere des 1-(3-Dimethylaminopropyl)-1-(4'-fluorphenyl)-1,3-dihydroisobenzofuran-5-carbonitrils in gereinigter Form, nebst seinen Salzen, und nicht etwa auch ein Gemisch mit einem zahlenmäßig nicht festgelegten, aber beträchtlichen Anteil des (-)-Enantiomeren zu verstehen ist.
5. Anders verhält es sich dagegen mit den beanspruchten pharmazeutischen Zusammensetzungen in den Formulierungen der Patentansprüche 3 bis 5 des Streitpatents.
Die Patentansprüche 3 und 4 sind im Hinblick auf den Passus "umfassend als aktiven Bestandteil eine (die) Verbindung wie in Anspruch 1 (2) definiert" schon deshalb durch NK1 neuheitsschädlich vorbeschrieben, weil auch Enantiomerengemische des 1-(3-Dimethylaminopropyl)-1-(4'-fluorphenyl)-1,3-dihydroisobenzofuran-5-carbonitrils, wie unmittelbar gemäß Beispiel 3 der NK1 erhältlich und in seiner arzneilichen Anwendung beschrieben, insbesondere in Form seiner pharmazeutisch annehmbaren Säureadditionsalze, speziell dem Salz mit der Pamoa- bzw. Embonsäure, darunter fallen. Entsprechendes gilt für pharmazeutische Zusammensetzungen in Einheitsdosierungsform in einer Menge von 0,1 bis 100 mg pro Einheitsdosis gemäß Patentanspruch 5 (vgl. NK1 Beispiel 3 i. V. m. Sp. 7 Z. 64 bis Sp. 8 Z. 22). Denn das Enantiomerengemisch gemäß Beispiel 3 der NK1 und damit eine pharmazeutische Zusammensetzung gemäß NK1 enthält sowohl das (+)- als auch das (-)-Enantiomere. Die Erkenntnis, welches der beiden Enantiomeren der arzneilich aktive Wirkstoff ist, ist für die neuheitsschädliche Vorwegnahme einer pharmazeutischen Zusammensetzung in der Formulierung der Patentansprüche 3 bis 5 durch die Lehre der NK1 ohne Belang.
Soweit die Beklagte in der mündlichen Verhandlung zu erkennen gegeben hat, sie würde den Anspruchswortlaut erforderlichenfalls dahingehend klarstellen, dass der aktive Bestandteil das (+)-Enantiomere ist, vermag auch diese Änderung die Neuheit nicht herzustellen. Denn auch in einer derart formulierten pharmazeutischen Zusammensetzung ist das Vorhandensein des inaktiven (-)-Enantiomeren nicht ausgeschlossen, sodass davon auch weiterhin Enantiomerengemische gemäß NK1 mitumfasst sind.
6. Auch das (-)-Enantiomer der sogenannten Diol-Zwischenverbindung 4-[4-(Dimethylamino)-1-(4'-fluorphenyl)-1-hydroxy-1-butyl]-3-(hydroxymethyl)benzonitril sowie dessen Ester gemäß Patentanspruch 7 und das von diesen Zwischenverbindungen ausgehende bzw. über sie führende Verfahren zur Herstellung des (+)-1-(3-Dimethylaminopropyl)-1-(4'-fluorphenyl)-1,3-dihydroisobenzofuran-5-carbonitrils gemäß Patentanspruch 6 sind nicht patentfähig.
Das beanspruchte (-)-Enantiomer des 4-[4-(Dimethylamino)-1-(4'-fluorphenyl)-1-hydroxy-1-butyl]-3-(hydroxymethyl) benzonitril der allgemeinen Formelin der R gleich Wasserstoff bedeutet, ist bereits durch die EP 0 171 943 A1 (NK2) neuheitsschädlich vorweggenommen und deshalb nicht patentfähig.
Die Monoester des (-)-Enantiomeren der vorstehenden allgemeinen Formel, in der R eine labile Ester-Gruppe bedeutet, ergeben sich für einen Fachmann bereits ebenso in naheliegender Weise aus der NK2 wie das über das (-)-Enantiomere sowie dessen Monoester zum (+)-Enantiomeren des 1-(3-Dimethylaminopropyl)-1-(4'-fluorphenyl)-1,3-dihydroisobenzofuran-5-carbonitrils führende Verfahren, sodass die Monoester des Patentanspruchs 7 sowie das Verfahren des Patentanspruchs 6 mangels erfinderischer Tätigkeit nicht patentfähig sind.
a) Verfahren zur Herstellung von 1-(3-Dimethylaminopropyl)-1-(4'-fluorphenyl)-1,3-dihydroisobenzofuran-5-carbonitril sind sowohl in der NK1 als auch in der NK2 beschrieben.
Gemäß der NK1 lassen sich substituierte 1-(3-Dimethylaminopropyl)-1-phenyl-Phthalane bzw. -1,3-dihydroisobenzofurane - neben einer auf einem anderen Herstellungsweg basierenden Variante (vgl. NK1 Sp. 3 Z. 26 bis Sp. 4 Z. 6) - auch aus einer sogenannten Diol-Zwischenstufe durch Ringschluss in Gegenwart eines dehydratisierenden Mittels herstellen (vgl. NK1 Sp. 2 Z. 8 bis 46). Für Cyansubstituierte 1,3-Dihydroisobenzofurane und damit auch für das 1-(3-Dimethylaminopropyl)-1-(4'-fluorphenyl)-1,3-dihydroisobenzofuran-5-carbonitril wird allerdings nicht der Weg über die Diol-Zwischenstufe gewählt (vgl. NK1 insbes. das Ausführungsbeispiel Sp. 6 Z. 20 ff.). Bezüglich des Reaktionsverlaufs des über die Diol-Zwischenstufe führenden Herstellungswegs wird lediglich ausgeführt, dass sehr starke dehydratisierende Mittel wie konzentrierte Schwefelsäure zu unerwünschten Nebenprodukten führen können (vgl. NK1 Sp. 2 Z. 41 bis 46). Angaben über den stereochemischen Verlauf der zyklischen Etherbildung finden sich nicht.
In der NK2 wird ein gegenüber der NK1 verbessertes, über die Diol-Zwischenstufe führendes Verfahren zur Herstellung von 1-(3-Dimethylaminopropyl)-1-(4'-fluorphenyl)-1,3-dihydroisobenzofuran-5-carbonitril in guter Ausbeute und hoher Reinheit beschrieben (vgl. NK2 S. 1 le. Abs. bis S. 2 Abs. 1), bei dem die Diol-Zwischenstufe im letzten Schritt mit 70 % Schwefelsäure für 3 Stunden bei 80oC behandelt wird (vgl. NK2 insbes. S. 4 i. V. m. S. 5 Z. 7 bis 14 sowie S. 7 bis 8, Beispiel 2). Auch hier fehlen Angaben zum stereochemischen Reaktionsverlauf bei der Bildung des zyklischen Ethers.
b) Aufgrund der bei diesen bekannten Verfahren zur Herstellung von 1-(3-Dimethylaminopropyl)-1-(4'-fluorphenyl)-1,3-dihydroisobenzofuran-5-carbonitril allenfalls mit einer gewissen Stereoselektivität, wie die Beklagte selbst ausführt (vgl. Schriftsatz vom 27. März 2007, S. 55 le. Abs. bis S. 56 Abs. 1), jedoch nicht stereospezifisch ablaufenden chemischen Reaktionen ist für einen Fachmann offensichtlich, dass gemäß der Lehre der NK2 die Diol-Zwischenverbindung 4-[4-(Dimethylamino)-1-(4'-fluorphenyl)-1-hydroxy-1-butyl]-3-(hydroxymethyl)benzonitril als Gemisch des (+)- und des (-)-Enantiomeren anfällt, und es ist ihm geläufig, wie er die beiden Enantiomere voneinander trennen kann. Im Bedarfsfall wird er dafür die ihm geläufigen Methoden der Bildung diastereomerer Salze mit Chiralsäuren und nachfolgender fraktionierter Kristallisation oder die Chromatographie an chiralen Stationärphasen unmittelbar und zwangsläufig in Betracht ziehen und damit ohne Weiteres zum Ziel gelangen.
Dabei wird er zunächst die Methode der diastereomeren Salzbildung bemühen und als Chiralsäure zunächst die besonders häufig verwendete Weinsäure und deren Derivate einsetzen. Auf diese Weise gelangt er schon mit geringem Aufwand unter Verwendung des (+)-Dip-Toluyltartrats, wie das Beispiel 2 des Streitpatents zeigt (vgl. EP 0 347 066 B1 S. 6 Z. 10 bis 21), zum diastereomeren Salz mit dem (-)-Enantiomeren des 4-[4-(Dimethylamino)-1-(4'-fluorphenyl)-1-hydroxy-1-butyl]-3-(hydroxymethyl)benzonitrils, aus dem die freie Aminbase auf übliche Weise gewonnen werden kann.
Bei dieser Vorgehensweise erübrigte es sich, auf die demgegenüber wesentlich elegantere übliche Methode der Chromatographie an chiralen Stationärphasen zurückzugreifen.
Selbst wenn es, wie die Beklagte nunmehr entgegen der ursprünglichen Offenbarung der streitpatentgemäßen Lehre (vgl. EP 0 347 066 B1 S. 4 Z. 49 bis 52) vorbringt, tatsächlich zutreffen sollte, dass allein der Einsatz von Dip-Toluylweinsäure als Chiralsäure eine Trennung des Gemisches aus dem (+)- und dem (-)-Enantiomeren des 4-[4-(Dimethylamino)-1-(4'-fluorphenyl)-1-hydroxy-1-butyl]-3-(hydroxymethyl)benzonitrils ermögliche, während alle übrigen, auch die in der Beschreibung des Streitpatents neben Dip-Toluylweinsäure zunächst als geeignet erachteten Chiralsäuren erfolglos seien (vgl. Schrifts. v. 27. März 2007 S. 50 le. Abs. Punkt 7.3 bis S. 54 Abs. 2), führt dies zu keinem anderen Ergebnis bei der Beurteilung der Neuheit. Denn bekanntlich zählt Dip-Toluylweinsäure neben Di-Benzoylweinsäure und Weinsäure selbst zu den bei Enantiomerentrennungen besonders häufig zur Anwendung gelangten Chiralsäuren und erweitert das Anwendungsspektrum der Weinsäure (vgl. hierzu NK17 Wilen S. 137 B. Resolving Agents for Bases bis einschließlich vorle. Abs.). Nicht gefolgt werden kann deshalb auch der Ansicht der Beklagten, es handele sich dabei um ein willkürliches Herausgreifen aus einer Vielzahl von Chiralsäuren (vgl. Schrifts. v. 27. März 2007 S. 54 Abs. 1). Selbst wenn im vorliegenden Fall einige orientierende Versuche nicht ausreichen und insbesondere hinsichtlich eines zur fraktionierten Kristallisation geeigneten Lösungsmittels bzw. Lösungsmittelgemisches umfangreiche zeit- und arbeitsintensive Untersuchungen notwendig sein sollten, ist hierin noch nicht ein Aufwand zu erkennen, der das Zumutbare übersteigt (vgl. BGH-Thrombozytenzählung).
Darüber hinaus ist es für die Frage der Trennbarkeit des aus der NK2 bekannten Enantiomerengemisches des 4-[4-(Dimethylamino)-1-(4'-fluorphenyl)-1-hydroxy-1-butyl]-3-(hydroxymethyl)benzonitrils und damit der Zugänglichkeit des streitigen (-)-Enantiomeren in patentrechtlicher Hinsicht irrelevant, dass es sich bei Dip-Toluylweinsäure, im Gegensatz zur Weinsäure selbst, um ein teures und deshalb für ein Trennverfahren im industriellen Maßstab nicht in Frage kommendes Reagenz handelt (vgl. Schrifts. v. 27. März 2007 S. 53 Abs. 3).
Wegen der im Gegensatz zum Endprodukt des Patentanspruchs 1 unstreitigen Ausführbarkeit der Abtrennung des (-)-Enantiomeren des Zwischenprodukts gemäß Patentanspruchs 7 mittels Dip-Toluylweinsäure als Chiralsäure (vgl. EP 0 347 066 B1 S. 6 Beispiel 2 Z. 14 bis 21) erübrigte es sich, auf die Frage der Trennbarkeit mittels Chromatographie an üblichen chiralen Stationärphasen einzugehen.
Bezüglich weiterer Einzelheiten des für die Neuheitsfrage des beanspruchten enantiomeren Zwischenprodukts relevanten patentrechtlichen und technischen Sachverhalts sowie diesbezüglicher Einwände der Beklagten wird, soweit entsprechend anwendbar, vollumfänglich auf die vorstehenden Ausführungen zum Endprodukt (+)-1-(3-Dimethylaminopropyl)-1-(4'-fluorphenyl)-1,3-dihydroisobenzofuran-5-carbonitril unter den Punkten II.1 bis II.2 g) verwiesen.
Das (-)-Enantiomer des 4-[4-(Dimethylamino)-1-(4'-fluorphenyl)-1-hydroxy-1-butyl]-3-(hydroxymethyl)benzonitrils ist damit durch die NK2 vorweggenommen, Patentanspruch 7 insoweit mangels Neuheit nicht gewährbar.
c) Der Teilgegenstand des Patentanspruchs 7, soweit er die labilen Mono-Ester des (-)-Enantiomers des 4-[4-(Dimethylamino)-1-(4'-fluorphenyl)-1-hydroxy-1-butyl]-3-(hydroxymethyl)benzonitrils betrifft, sowie von diesen Mono-Estern sowie von dem Diol ausgehende oder über sie führende Verfahren gemäß Patentanspruch 6 ergeben sich für den Fachmann in naheliegender Weise aus der NK2, sodass neben Patentanspruch 6 auch Patentanspruch 7 bezüglich obigen Teilgegenstands mangels erfinderischer Tätigkeit keinen Bestand hat.
Bei der Beurteilung der erfinderischen Tätigkeit ist von der hier maßgeblichen Teilaufgabe auszugehen, die darin zu erkennen ist, einen Verfahrensweg zu finden, der es ermöglicht, auf stereospezifische Weise oder mit hoher Stereoselektivität zu dem (+)-Enantiomeren des 1-(3-Dimethylaminopropyl)-1-(4'-fluorphenyl)-1,3-dihydroisobenzofuran-5-carbonitrils zu gelangen.
Die Lösung dieser Aufgabe durch ein Verfahren umfassend als Verfahrensschritt die stereoselektive Umwandlung des (-)-Enantiomeren des 4-[4-(Dimethylamino)-1-(4'-fluorphenyl)-1-hydroxy-1-butyl]-3-(hydroxymethyl)benzonitrils oder eines seiner Monoester in das (+)-Enantiomere des 1-(3-Dimethylaminopropyl)-1-(4'-fluorphenyl)-1,3-dihydroisobenzofuran-5-carbonitrils gemäß Patentanspruch 6 sowie durch einen Monoester mit einer labilen Estergruppe gemäß Patentanspruch 7, wobei diese Monoester wiederum Zwischenprodukte darstellen auf dem Weg vom (-)-Enantiomeren des 4-[4-(Dimethylamino)-1-(4'-fluorphenyl)-1-hydroxy-1-butyl]-3-(hydroxymethyl)benzonitrils zu dem Endprodukt (+)-1-(3-Dimethylaminopropyl)-1-(4'-fluorphenyl)-1,3-dihydroisobenzofuran-5-carbonitril, war indessen für einen Fachmann ausgehend von dem in der NK2 beschriebenen Stand der Technik naheliegend.
c1) Das in der NK2 beschriebene und gegenüber der NK1 verbesserte Verfahren führt in guter Ausbeute und mit hoher Reinheit über das Diol-Zwischenprodukt zu (+)-1-(3-Dimethylaminopropyl)-1-(4'-fluorphenyl)-1,3-dihydroisobenzofuran-5-carbonitril (vgl. NK2 S. 1 le. Abs. bis S. 2 Abs. 1), wobei das Diol-Zwischenprodukt im letzten Schritt mit 70 % Schwefelsäure für 3 Stunden bei 80oC behandelt wird (vgl. NK2 insbes. S. 4 i. V. m. S. 5 Z. 7 bis 14 sowie S. 7 bis 8, Beispiel 2). Angaben bezüglich der Stereochemie des Reaktionsverlaufs beim Ringschluss unter Bildung des zyklischen Ethers fehlen. Im Hinblick auf das Enantiomerengemisch des 4-[4-(Dimethylamino)-1-(4'-fluorphenyl)-1-hydroxy-1-butyl]-3-(hydroxymethyl)benzonitrils als Ausgangsprodukt sowie die Reaktionsbedingungen wird auch das 1-(3-Dimethylaminopropyl)-1-(4'-fluorphenyl)-1,3-dihydroisobenzofuran-5-carbonitril als Enantiomerengemisch erhalten.
Der Chemiker erkennt sofort und damit ohne Weiteres, dass die in der NK2 beschriebene, durch die Schwefelsäure bewirkte zyklische Veretherung (vgl. NK2 S. 4 Reaktionschema) nach einem SN1-Mechanismus und damit nicht stereospezifisch abläuft. Zur Bereitstellung eines demgegenüber stereospezifischen Verfahrens kommt der mit der chemischen Synthese des (+)-Enantiomeren des 1-(3-Dimethylaminopropyl)-1-(4'-fluorphenyl)-1,3-dihydroisobenzofuran-5-carbonitrils befasste Fachmann dagegen nicht umhin, auf die Ethersynthese nach Williamson zurückzugreifen. Denn ihm ist bereits aufgrund seiner organischpräparativen Basiskenntnisse geläufig, dass die Etherbildung allgemein und die Bildung zyklischer Ether im Besonderen - alternativ zur Methode mittels Säure gemäß der Lehre der NK2 - auch nach Williamson durchgeführt werden kann und dass dieser Syntheseweg nach einem SN2 Mechanismus und daher stereospezifisch abläuft (vgl. z. B. NK7 Streitwieser, Heathcock S. 288 Mitte bis S. 289 Mitte).
Der Fachmann weiß aber auch, dass die Anwendung der Ethersynthese nach Williamson auf das gemäß NK2 erhältliche Enantiomerengemisches des 4-[4-(Dimethylamino)-1-(4'-fluorphenyl)-1-hydroxy-1-butyl]-3-(hydroxymethyl)benzonitrils zwar stereospezifisch verläuft, dabei jedoch nicht das enantiomerenreine Produkt liefern kann, und er ist sich deshalb ferner dessen bewusst, dass er enantiomerenreines Zyklisierungsprodukt nach der Methode von Williamson nur erhalten kann, wenn er bereits enantiomerenreines Ausgangsprodukt einsetzt.
Da dem Fachmann aus der NK2, wie vorstehend unter Punkt 5b ausgeführt, die beiden Enantiomeren des 4-[4-(Dimethylamino)-1-(4'-fluorphenyl)-1-hydroxy-1-butyl]-3-(hydroxymethyl)benzonitrils in getrennter Form ohne Weiteres zugänglich sind, bedurfte es für ihn keines erfinderischen Zutuns, um ausgehend von dem (-)-Enantiomeren mittels einer Grundoperation der organischenpräparativen Synthese, wie es die Williamsonsche Ethersynthese darstellt, zu dem gewünschten (+)-Enantiomeren des 1-(3-Dimethylaminopropyl)-1-(4'-fluorphenyl)-1,3-dihydroisobenzofuran-5-carbonitrils, dem (+)-Citalopram, zu gelangen. Die dabei einzusetzenden Reagenzien, die Base, die eine der beiden Alkoholgruppen intermediär in das Alkoxid-Ion überführt, sowie das Säurehalogenid, das mittels intermediärer Veresterung der anderen Alkoholgruppe die geeignete Austrittsgruppe, die sogenannte "leaving group" bereitstellt, insbesondere die hierfür besonders geeigneten üblichen Sulfonsäureesterchloride, sind dem Chemiker ohnehin geläufig.
Entsprechendes gilt für das Verfahren unter Einbindung der Monoester, auch wenn in der NK2 Monoester des Diols nicht einmal erwähnt sind. Denn gemäß der Ethersynthese nach Williamson wird der betreffende Alkohol in Gegenwart einer starken Base und damit in Form des Alkoxid-Ions entweder mit dem betreffenden Alkylhalogenid oder Alkylsulfonsäureester umgesetzt (vgl. NK7 S. 288 le. Abs.). Im Fall einer zyklischen Veretherung bedeutet dies nichts anderes, als dass das betreffende Diol, im vorliegenden Fall das 4-[4-(Dimethylamino)-1-(4'-fluorphenyl)-1-hydroxy-1-butyl]-3-(hydroxymethyl)benzonitril, mit einem Sulfonsäureesterhalogenid in Gegenwart der erforderlichen Base unter gegebenenfalls nur intermediärer Bildung des Monoesters mit dem Sulfonsäureesterhalogenid umzusetzen ist.
Weitergehende Maßnahmen sieht das Verfahren gemäß Patentanspruch 6 auch nicht vor, im Hinblick auf den Passus "...oder einen seiner Monoester..." insbesondere auch nicht die Festlegung, an welcher der beiden Alkoholgruppen des Diols die labile Estergruppe, d. h. die Austrittsgruppe bzw. leaving group, sitzen soll.
Einem Verfahren gemäß Patentanspruch 6 mangelt es deshalb an der erforderlichen erfinderischen Tätigkeit, sodass dieser Anspruch keinen Bestand hat.
c2) Dass die labile Estergruppe aber nicht an irgendeiner der beiden Alkoholgruppen des Diols sitzen darf, damit die Ethersynthese nach Williamson zum gewünschten Ziel führt, ist dem Fachmann bewusst. Denn bekanntlich ist der nukleophile Angriff des Alkoxid-Ions nur an einem primären Substrat erfolgreich, d. h. die labile Estergruppe, die die Austrittsgruppe darstellt, muss sich in vorliegendem Fall, wie in Formel II des Patentanspruchs 7, an der primären in 3-Stellung des Benzonitril-Rests sitzenden CH2OH-Gruppe befinden (vgl. z. B. NK7 Streitwieser, Heathcock S. 288 le. Abs. bis 289 Mitte). Der Fachmann konnte deshalb nicht umhin, den als Zwischenstufe auftretenden labilen Monoester, beispielsweise das Methansulfonat entsprechend dem Beispiel 2 des Streitpatents (vgl. EP 0 347 066 B1 S. 6 Z. 22 bis 27), an der primären Alkoholgruppe des Diols, wie in Formel II des Patentanspruchs 7, vorzusehen.
Damit mangelt es auch den labilen Estern des (-)-Enantiomeren des 4-[4-(Dimethylamino)-1-(4'-fluorphenyl)-1-hydroxy-1-butyl]-3-(hydroxymethyl)benzonitrils, die Zwischenprodukte in dem Verfahren gemäß Patentanspruch 6 darstellen, an der erforderlichen erfinderischen Tätigkeit, sodass Patentanspruch 7 bereits insoweit keinen Bestand hat.
c3) Die Ansicht der Beklagten, die Möglichkeit potentieller Nebenreaktionen habe ihn bereits davon abgehalten, ein Verfahren ausgehend von der Diol-Stufe überhaupt in Erwägung zu ziehen, erst recht nicht eine andere Ethersynthese als die in der NK2 beschriebene, teilt der Senat nicht. Denn zum einen steht ausschließlich die Diol-Zwischenstufe wegen der gegenüber der NK1 eine Verbesserung darstellenden NK2 unmittelbar im Blickfeld des Fachmanns, und zum Anderen handelt es sich bei der Williamsonschen Ethersynthese um eine Grundoperation der organischenpräparativen Chemie, deren synthetischer Bedeutung sich jeder Chemiker bewusst ist. Nebenreaktionen, die aufgrund anderer Synthesewege der NK1 zu erwarten sind, treten im Hinblick auf die demgegenüber als Verbesserung ausgewiesene Lehre der NK2 in den Hintergrund.
Insbesondere greift auch der Einwand der Beklagten nicht, aufgrund der für den Fachmann erkennbaren sterischen Besonderheiten der hier vorliegenden speziellen Reaktion (vgl. hierzu Schrifts. v. 19. April 2007 S. 4 le. Abs. Punkt 5. bis S. 9 Z. 3, insbes. S. 8 le. Abs. bis S. 9 Z. 3, i. V. m. B-27) wäre die Methode nach Williamson für ihn nicht in Frage gekommen, da er von einem stereospezifischen Ringschluss nicht habe ausgehen können. Wie seitens der Klägerinnen in der mündlichen Verhandlung anhand sterischer Molekülmodelle der Diol-Zwischenstufe überzeugend dargelegt wurde, treffen die seitens der Beklagten unter Bezugnahme auf das Gutachten von Prof. Davies (vgl. B-27) vorgebrachten Bedenken jedenfalls für das in Rede stehende und hier maßgebliche Diol-Zwischenprodukt sowie dessen Monoester nicht zu.
III.
Was die Hilfsanträge 1 bis 3 anbelangt, so ist der angegriffene Patentgegenstand auch in diesen geänderten Fassungen nicht gewährbar.
1. Die Patentansprüche 1 bis 3 gemäß Hilfsantrag 1 stimmen dem Inhalt nach mit den Patentansprüchen 3 bis 5 in der erteilten Fassung bzw. der Fassung des Hauptantrags überein, sodass auf die vorstehenden Nichtigkeitsgründe unter Punkt II.4 in Verbindung mit den Punkten II.1 bis 3 verwiesen wird.
2. Der einzige Patentanspruch des Hilfsantrags 2 stellt eine Kombination des Patentanspruchs 3 gemäß Hauptantrag und einer auf 10 bis 20 mg Einheitsdosis präzisierten pharmazeutischen Zusammensetzung dar. Eine auf diese Weise eingeschränkte Dosierung an aktivem Wirkstoff ist ebenfalls bereits durch den gemäß NK1 für das zu verabreichende Enantiomerengemisch angegebenen Mengenbereich (vgl. NK1 Sp. 7 Z. 64 bis Sp. 8 Z. 6) neuheitsschädlich getroffen.
3. Was den einzigen Patentanspruch des Hilfsantrags 3 anbelangt, so ist die durch ein Productby-Process Merkmal gekennzeichnete pharmazeutische Zusammensetzung ebenfalls nicht gewährbar. Denn das neu aufgenommene Productby-Process Merkmal führt weder zu einer stofflichen Abgrenzung des bereits durch die NK1 neuheitsschädlich vorweggenommenen (+)-Enantiomeren des 1-(3-Dimethylaminopropyl)-1-(4'-fluorphenyl)-1,3-dihydroisobenzofuran-5-carbonitrils noch zu einer stofflichen Abgrenzung der beanspruchten pharmazeutischen Zusammensetzung von einer pharmazeutischen Zusammensetzung gemäß der NK1, die bereits auch das (+)-Enantiomere als aktiven Bestandteil umfasst hat. Auf die vorstehenden Ausführungen unter den Punkten II.1 bis II.5 wird vollumfänglich verwiesen.
IV.
Bei dieser Sachlage war auf die weiteren von den Klägerinnen und der Nebenintervenientin eingeführten Druckschriften ebenso wenig einzugehen wie auf die von der Beklagten eingereichten Druckschriften und Erklärungen, aus denen sich keine Anhaltspunkte ergeben, die den Senat hätten zu einem anderen Ergebnis gelangen lassen können.
Bei der eingereichten Korrekturseite 4 der Streitpatentschrift und dem diesbezüglichen Antrag auf Berichtigung handelt es sich allenfalls um eine Klarstellung, die in dem Wortlaut der Patentansprüche nicht zum Tragen kommt und daher zu keiner anderen Entscheidung führen kann.
V.
Wegen der sich gemäß Art. 15 Abs. 1 c) VO (EWG) Nr. 1768/92 bereits aus der Nichtigkeit des Grundpatents ergebenden Nichtigkeit des Schutzzertifikats 103 99 030 kann dahingestellt bleiben, ob die Ansicht der Klägerin III zutrifft, dass das Schutzzertifikat auch gemäß Art. 15 Abs. 1 a) i. V. m. Art. 3 d) VO (EWG) Nr. 1768/92 für nichtig zu erklären sei, weil es für einen bereits zuvor zugelassenen Wirkstoff, allerdings in Form des Enantiomerengemisches, und damit entgegen der Vorschrift des Art. 3 (d) der Verordnung (EWG) Nr. EWG Nr. 1768/92 erteilt worden sei.
VI.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 84 Abs. 2 PatG i. V. m. § 91 Abs. 1 ZPO, die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit auf § 99 Abs. 1 PatG i. V. m. § 709 Satz 1 und Satz 2 ZPO.
Dr. Schermer Richter Brandtist mit Wirkungzum 1. Juli 2007 beurlaubt wordenund daher an der Unterschriftsleis-
tung gehindert.
Dr. Schermer Dr. Egerer Dr. Maksymiw Zettler Pü
BPatG:
Urteil v. 24.04.2007
Az: 3 Ni 9/05
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