Bundespatentgericht:
Urteil vom 11. Oktober 2005
Aktenzeichen: 3 Ni 2/05
(BPatG: Urteil v. 11.10.2005, Az.: 3 Ni 2/05)
Tenor
Das europäische Patent 0 866 221 wird für das Hoheitsgebiet der Bundesrepublik Deutschland insoweit für nichtig erklärt, als es über die folgende Fassung hinausgeht:
1. Kraftstoffverteilerbaugruppe zur Verteilung von unter sehr hohem Druck stehendem Kraftstoff auf Druckleitungen (5), die an mit einem Kraftstoffverteiler (1) verschweißte oder verlötete Anschlussnippel (3) angeschlossen sind, wobei jeder Druckleitung (5) eine radiale Durchgangsbohrung (10) des Kraftstoffverteilers (1) und eine Einsteckbohrung (8) zugeordnet ist, in die der Anschlussnippel (3) vor dem Verschweißen oder Verlöten eingesetzt ist, dadurch gekennzeichnet, dass der Kraftstoffverteiler (1) aus einem gezogenen oder gewalzten Rohr besteht und vor dem Einbringen der Anschlussnippel (3) aufgeweitet oder rundgeknetet ist, dass die Durchgangsbohrung (10) nach außen hin als Aufnahmetrichter (7) ausgebildet ist, in dem ein am Ende der Druckleitung (5) ausgebildeter Stauchkopf (6) anliegt, dass die Einsteckbohrung (8) als die Durchgangsbohrung (10) umgebende, ringförmige Ausnehmung mit einer zur Durchgangsbohrung koaxialen Innenwand ausgebildet, in welche Ausnehmung ein ringförmiges, stirnseitiges Ende des Anschlussnippels (3) vor dem Verschweißen oder Verlöten eingesetzt ist, unddass der Anschlussnippel (3) ein Gewinde aufweist, mit dem eine die Druckleitung (5) umgebende Schraube (4, 9) zur Anpressung des Stauchkopfes an den Aufnahmetrichter 20) verschraubbar ist.
2. Kraftstoffverteilerbaugruppe nach Anspruch 1, dadurch gekennzeichnet, dass der Anschlussnippel (3) ein Innengewinde aufweist, in das die als Pressschraube (4) ausgebildete Schraube eingedreht ist.
3. Kraftstoffverteilerbaugruppe nach Anspruch 1, dadurch gekennzeichnet, dass der Anschlussnippel (3) mit einem Außengewinde versehen ist, auf das die als Überwurfmutter (9) ausgebildete Schraube geschraubt ist, und dass sich die Überwurfmutter an der Stirnseite einer Distanzbuchse (11) abstützt, die im Inneren des Anschlussnippels (3) geführt ist und die andererseits am Stauchkopf (6) pressend anliegt.
4. Kraftstoffverteilerbaugruppe nach einem der Ansprüche 1 bis 3, dadurch gekennzeichnet, dass der Anschlussnippel (3) als Drehteil ausgebildet ist.
5. Kraftstoffverteilerbaugruppe nach einem der Ansprüche 1 bis 4, dadurch gekennzeichnet, dass der Anschlussnippel (3) durch Kondensator-Entladungs-Schweißen mit dem Kraftstoffverteiler (1) verschweißt ist.
6. Kraftstoffverteilerbaugruppe nach einem der Ansprüche 1 bis 5, dadurch gekennzeichnet, dass der Kraftstoffverteiler (1) aus einem Baustahl, einem Einsatzstahl, einem Vergütungsstahl oder einem rostfreien Stahl besteht.
7. Kraftstoffverteilerbaugruppe nach einem der Ansprüche 1 bis 6, dadurch gekennzeichnet, dass jedes axiale Ende des Kraftstoffverteilers (1) durch ein Dichtstück (12) verschlossen ist, das zum Inneren des Kraftstoffverteilers (1) hin ballig ausgebildet ist und das mit dieser balligen Stirnseite an einer entsprechend angepassten Anlagefläche des Kraftstoffverteilers (1) dichtend anliegt.
8. Kraftstoffverteilerbaugruppe nach Anspruch 7, dadurch gekennzeichnet, dass das Dichtstück (12) durch einen Pressnippel (13) im Kraftstoffverteiler (1) gehalten ist.
9. Kraftstoffverteilerbaugruppe nach Anspruch 8, dadurch gekennzeichnet, dass der Pressnippel (13) ein Innengewinde (14) aufweist, in das ein Drucksensor eingeschraubt ist.
10. Kraftstoffverteilerbaugruppe nach einem der Ansprüche 1 bis 6, dadurch gekennzeichnet, dass jedes Ende des Kraftstoffverteilers (1) durch eine Dichtkugel (23) verschlossen ist.
11. Kraftstoffverteilerbaugruppe nach Anspruch 10, dadurch gekennzeichnet, dass die Dichtkugel (23) in ihrem Durchmesser größer ist als der Durchmesser der Einführöffnung des Kraftstoffverteilers (1) und dass die Dichtkugel (23) durch Verstemmen oder dergleichen im Kraftstoffverteiler (1) arretiert ist, wobei dann der Kraftstoffverteiler (1) einen umlaufenden Formsitz (21) aufweist, an dem die Dichtkugel (23) dichtend anliegt.
12. Kraftstoffverteilerbaugruppe nach Anspruch 11, dadurch gekennzeichnet, dass die Dichtkugel (23) mittels eines Gewindestopfens (25) gegen einen umlaufenden Ansatz (24) des Kraftstoffverteilers (1) dichtend angepresst ist.
Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
Die Klägerin trägt zwei Drittel, die Beklagte trägt ein Drittel der Kosten des Rechtsstreits.
Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 120% des zu vollstreckenden Betrages vorläufig vollstreckbar.
Tatbestand
Die Beklagte ist eingetragene Inhaberin des am 10. Dezember 1997 unter Inanspruchnahme der Priorität der deutschen Patentanmeldung DE 19744762 vom 10. Oktober 1997 und der deutschen Patentanmeldung DE 19711240 vom 18. März 1997 beim Europäischen Patentamt angemeldeten und ua mit Wirkung für das Hoheitsgebiet der Bundesrepublik Deutschland erteilten europäischen Patents 0 866 221, das vom Deutschen Patent- und Markenamt unter dem Aktenzeichen DE 597 05 182 geführt wird und einen "Kraftstoffverteiler für einen Dieselmotor" betrifft. Nach der Streitpatentschrift (EP 0 866 221 B1) umfasst das Streitpatent in der vom Europäischen Patentamt erteilten Fassung 14 Patentansprüche. Patentanspruch 1 hat folgenden Wortlaut:
1. Kraftstoffverteilerbaugruppe zur Verteilung von unter sehr hohem Druck stehendem Kraftstoff auf Druckleitungen (5), die an mit einem Kraftstoffverteiler (1) verschweißte oder verlötete Anschlussnippel (3) angeschlossen sind, wobei jeder Druckleitung (5) eine radiale Durchgangsbohrung (10) des Kraftstoffverteilers (1) und eine Einsteckbohrung (8) zugeordnet ist, in die der Anschlussnippel (3) vor dem Verschweißen oder Verlöten eingesetzt ist, dadurch gekennzeichnet, dass die Durchgangsbohrung (10) nach außen hin als Aufnahmetrichter (7) ausgebildet ist, in dem ein am Ende der Druckleitung (5) ausgebildeter Stauchkopf (6) anliegt, dass die Einsteckbohrung (8) als die Durchgangsbohrung (10) umgebende, ringförmige Ausnehmung mit einer zur Durchgangsbohrung koaxialen Innenwand ausgebildet ist, in welche Ausnehmung ein ringförmiges, stirnseitiges Ende des Anschlussnippels (3) vor dem Verschweißen oder Verlöten eingesetzt ist, unddass der Anschlussnippel (3) ein Gewinde aufweist, mit dem eine die Druckleitung umgebende Schraube (4,9) zur Anpressung des Stauchkopfes an den Aufnahmetrichter (20) verschraubbar ist.
Wegen des Wortlauts der auf Patentanspruch 1 mittelbar oder unmittelbar zurückbezogenen Patentansprüche 2 bis 14 wird auf die Streitpatentschrift verwiesen.
Die Klägerin macht geltend, der Gegenstand des Streitpatents sei nicht patentfähig, weil er über den Inhalt der europäischen Patentanmeldung in ihrer ursprünglich eingereichten Fassung hinausgehe und darüber hinaus nicht neu sei und nicht auf einer erfinderischen Tätigkeit beruhe.
Zur Begründung stützt sich die Klägerin auf folgende Druckschriften:
D1 DE 197 53 977 A1 D1-1 JP 08-342538 D1-2 englische Übersetzung der D1-1 D2 DE 38 17 413 C2 D3 US 5 018 499 D4 DE 40 32 554 C2 D5 JP 03-209093 D5-1 englische Kurzfassung zu D5 D6 EP 0 751 336 A1 D7 Lueger, 4. Aufl., Band 8 1967, Stichwort "elektroerosive Bearbeitung"
D8 Lueger, 4. Aufl., Band 9, 1968, Bd.8, Stichwort "Ultraschall-Bohrmaschine"
D9 JP 7-52373 (Titelblatt).
Die Klägerin beantragt, das europäische Patent 0 906 495 für das Hoheitsgebiet der Bundesrepublik Deutschland für nichtig zu erklären.
Die Beklagte beantragt, die Klage abzuweisen;
hilfsweise verteidigt sie das Streitpatent mit den Patentansprüchen 1 bis 13 in der mit Schriftsatz vom 15. Februar 2005 eingereichten Fassung (Hilfsantrag 1), weiterhin hilfsweise mit den Patentansprüchen 1 bis 12 in der in der mündlichen Verhandlung überreichten Fassung (Hilfsantrag 2).
Wegen des Wortlauts der Patentansprüche gemäß Hilfsantrag 2 wird auf die Anlage zum Protokoll der mündlichen Verhandlung vom 11. Oktober 2005 verwiesen.
Die Beklagte tritt dem Vorbringen entgegen und hält den Gegenstand des Streitpatents in dem verteidigten Umfang für patentfähig.
Gründe
Die zulässige Klage erweist sich als teilweise begründet.
Der geltend gemachte Nichtigkeitsgrund der fehlenden Patentfähigkeit des Patentgegenstandes führt zur teilweisen Nichtigerklärung des Streitpatents in dem sich aus der Urteilsformel ergebenden Umfang. Im übrigen erweist sich die Klage als unbegründet, denn die geltend gemachten Nichtigkeitsgründe gemäß Art II § 6 Abs 1 Nr 1 und Nr 3, Art 138 Abs 1 lit a, Art 139 Abs 2 IntPatÜG, Art 52, 54 und 56 EPÜ liegen insoweit nicht vor.
I.
1. Nach den Angaben der Patentschrift betrifft das Streitpatent eine Kraftstoffverteilerbaugruppe gemäß dem Oberbegriff des Patentanspruchs 1.
In der Patentschrift ist einleitend ausgeführt, aufgrund des hohen Betriebsdrucks in neueren Einspritzsystemen für Dieselmotoren seien die Anforderungen an das Leitungssystem, insbesondere an den als Druckspeicher fungierenden Kraftstoffverteiler bezüglich der Materialfestigkeit sehr hoch. Um diese Anforderungen zu erfüllen, sei es bekannt, den Kraftstoffverteiler aus einem Schmiedestück mit angeformten Anschlussnippeln zur Befestigung von Druckleitungen herzustellen, in dem die Verteilerwege für den Kraftstoff durch Aufbohren eingebracht würden (Streit-PS Abs 0005 u 0006). Die Herstellung eines solchen Kraftstoffverteilers sei sehr aufwendig und kostenintensiv, was sich insbesondere auch deshalb als nachteilig herausstelle, als der Einsatz dieses Kraftstoffverteilers vor allem bei Dieselmotoren für Automobile, die in Großserien gefertigt würden, erfolge (Streit-PS Abs 0007).
Eine Kraftstoffverteilerbaugruppe gemäß dem Oberbegriff des Patentanspruchs 1 sei aus der EP 0 751 336 A1 bekannt. Bei dieser seien die Anschlussnippel in abgestufte Einsteckbohrungen des Kraftstoffverteilers eingesteckt und längs ihres Umfangs mit der Außenfläche des Kraftstoffverteilers verschweißt. Die Druckleitungen seien mit Stauchköpfen in Aufweitungen an den freien Enden der Anschlussnippel mittels Überwurfmuttern eingepresst. Nachteilig sei dort die Schwächung des Kraftstoffverteilers durch die Einsteckbohrungen und die Anbindung der Druckleitungen in verhältnismäßig großem Abstand vom Kraftstoffverteiler (Streit-PS Abs 0010 u 0011).
2. Der Erfindung liegt die Aufgabe zugrunde, eine Kraftstoffverteilerbaugruppe zu schaffen, die einfach und kostengünstig herstellbar ist, ein geringes Gewicht aufweist und den hohen Belastungsansprüchen insbesondere moderner Dieselmotoren gerecht wird (Streit-PS Abs 0014).
3. Die Merkmale des Gegenstands des Patentanspruchs 1 des Streitpatents lassen sich wie folgt gliedern:
1. Kraftstoffverteilerbaugruppe zur Verteilung von unter sehr hohem Druck stehenden Kraftstoff auf Druckleitungen 1.1 Die Kraftstoffverteilerbaugruppe umfasst einen Kraftstoffverteiler und Druckleitungen 1.1.1 die Druckleitungen sind an Anschlussnippel angeschlossen 1.1.1.1 die Anschlussnippel sind mit einem Kraftstoffverteiler verschweißt oder verlötet 1.2 jeder Druckleitung ist eine Durchgangsbohrung des Kraftstoffverteilers zugeordnet 1.2.1 die Durchgangsbohrung ist eine radiale Durchgangsbohrung 1.3 jeder Druckleitung ist eine Einsteckbohrung zugeordnet 1.3.1 in die Einsteckbohrung ist der Anschlussnippel eingesetzt 1.3.1.1 das Einsetzen des Anschlussnippels in die Einsteckbohrung erfolgt vor dem Verschweißen oder Verlöten 1.4 die Durchgangsbohrung ist nach außen hin als Aufnahmetrichter ausgebildet 1.4.1 in dem Aufnahmetrichter liegt ein am Ende der Druckleitung ausgebildeter Stauchkopf an 1.5 die Einsteckbohrung ist als die Durchgangsbohrung umgebende Ausnehmung ausgebildet 1.5.1 diese die Durchgangsbohrung umgebende Ausnehmung ist ringförmig 1.5.2 diese die Durchgangsbohrung umgebende Ausnehmung weist eine zur Durchgangsbohrung koaxiale Innenwand auf 1.5.3 in die Ausnehmung ist ein stirnseitiges Ende des Anschlussnippels eingesetzt 1.5.3.1 das stirnseitige Ende des Anschlussnippels ist ringförmig 1.5.4 das Einsetzen des Anschlussnippels in die Einsteckbohrung erfolgt vor dem Verschweißen oder Verlöten 1.6 der Anschlussnippel weist ein Gewinde auf 1.6.1 mit dem Gewinde ist eine die Druckleitung umgebende Schraube zur Anpressung des Stauchkopfes an den Aufnahmetrichter verschraubbar.
4. Die Kraftstoffverteilerbaugruppe gemäß dem Patentanspruch 1 nach dem ersten Hilfsantrag weist zusätzlich das folgende Merkmal aus dem erteilten Patentanspruch 6 auf:
1.1.2 der Kraftstoffverteiler besteht aus einem gezogenen oder gewalzten Rohr.
5. Die Kraftstoffverteilerbaugruppe gemäß dem Patentanspruch 1 nach dem zweiten Hilfsantrag weist weiter zusätzlich das folgende Merkmal aus dem erteilten Patentanspruch 7 auf:
1.1.3 der Kraftstoffverteiler ist vor dem Einbringen der Anschlussnippel aufgeweitet oder rundgeknetet.
6. Als Fachmann ist im vorliegenden Fall ein Diplomingenieur des Maschinenbaus mit Erfahrungen in der Konstruktion und Fertigung von Hochdruck-Kraftstoffeinspritzsystemen für Dieselmotoren anzusehen.
II.
1. Der Gegenstand des erteilten Patentanspruchs 1 ist nicht neu. Ob er über den Inhalt der europäischen Anmeldung in der ursprünglich eingereichten Fassung hinausgeht, wovon der Senat nicht ausgeht, kann bei dieser Sachlage dahin gestellt bleiben.
Die nach dem für den Zeitrang des Streitpatents maßgebenden Tag angemeldete und veröffentlichte deutsche Offenlegungsschrift DE 197 53 977 A1 (D1) nimmt die Priorität der japanischen Anmeldung 8-342538 vom 7. Dezember 1996 in Anspruch. Ihr Inhalt gilt somit - soweit er nicht über die Fassung der Voranmeldung hinausgeht - als Stand der Technik, Art 54 Abs 3 EPÜ, Art 139 Abs 2 IntPatÜG. Die japanische Voranmeldung und deren Übersetzung ins Englische, gegen die von der Beklagten keine Einwände erhoben wurden, sind von der Klägerin als Anlagen D1-1 und D1-2 vorgelegt worden.
Die DE 197 53 977 A1 betrifft in den Ausführungsbeispielen gemäß den Figuren 1, 2, 5 und 6 (ebenso in D1-1) eine Kraftstoffverteilerbaugruppe mit einem rohrförmigen Kraftstoffverteiler und daran angeschweißten oder angelöteten Nippeln und Druckleitungen, die unbestritten die Merkmale 1 bis 1.2, 1.4, 1.4.1, 1.5.3.1 sowie 1.6 und 1.6.1 gemäß der vorstehenden Merkmalsgliederung aufweist.
In der Figur 1 ist eine Anordnung gezeigt, bei der der Nippel auf den Kraftstoffverteiler aufgesetzt ist und die Achse des Nippels die Achse des Kraftstoffverteilers schneidet. Bei der Anordnung gemäß Figur 5 ist der Nippel seitlich gegenüber der Achse des Kraftstoffverteilers versetzt. Das verteilerseitige Ende des hohlzylindrischen Nippels ist bei dieser Anordnung in eine entsprechende ringförmige Nut am Kraftstoffverteiler eingesetzt und am Verteiler angelötet (D1 Sp 6 Z 38 bis 44, D1-2 S 12 Z 22 bis 24). Figur 1 zeigt einen Kraftstoffverteiler entsprechend einer ersten Ausführungsform (D1 Sp 2 Z 45 bis68, Sp 4 Z 39 bis 43, Anspruch 1; D1-2 S 3 Z 5 bis 24, S 13 letzter Abs). Figur 5 ist äquivalent zu Figur 1 und zeigt einen Kraftstoffverteiler entsprechend einer zweiten Ausführungsform (D1 Sp 3 Z 1 bis 24, Sp 4 Z 54 u 55, Anspruch 6; D1-2 S 3 Z 29 bis S 4 Z 12, S 14 Z 12 u 13). Die beiden Ausführungsformen unterscheiden sich nur insoweit, als bei der einen die Verbindungsöffnung zur Achse des Kraftstoffverteilers ausgerichtet ist, während sie bei der anderen dazu seitlich versetzt ist. Hinsichtlich der Befestigung des Nippels am Kraftstoffverteiler sind die auf die betreffenden Ausführungsformen gerichteten Patentansprüche gleichlautend und besagen nur, dass der Nippel (Verbindungsbereich) einstückig mit dem Kraftstoffverteiler oder als gesondertes Teil ausgebildet ist.
Bei dieser Sachlage liest der Fachmann in der Entgegenhaltung ohne weiteres mit, dass auch ein Nippel in einer Anordnung mit die Achse des Kraftstoffverteilers schneidender Achse in eine entsprechende Nut am Kraftstoffverteiler eingesetzt und dort verschweißt oder verlötet werden kann, da für ihn die Art der Nippelbefestigung gemäß den Figuren 1 und 5 austauschbar ist. Damit sind auch die Merkmale 1.3 bis 1.3.1.1, 1.5 bis 1.5.3 und 1.5.4 durch die DE 197 53 977 A1 vorweggenommen.
Die Verbindungsöffnungen (branch hole1-2, 1-22) im Kraftstoffverteiler gemäß der Lehre der älteren Anmeldung haben einen elliptischen Querschnitt (D1-2 S 3 Z 21 u 22, S 4 Z 8 u 9). Im Streitpatent ist über den Querschnitt der Durchgangsbohrungen 10 nichts gesagt. Die Patentinhaberin macht unter Hinweis auf das Buch Fachkunde Metall, 48. Aufl, 1967, S 266 (Anlage 1) geltend, der in der Patentschrift durchgängig verwendete Begriff "Durchgangsbohrung" impliziere einen runden Querschnitt des Verbindungskanals 10, da die Fachwelt unter Bohren ausschließlich eine kreisförmige Schnittbewegung und gleichzeitig eine Vorschubbewegung in Richtung der Drehachse verstehe.
Dieser Auffassung kann sich der Senat nicht anschließen. Die von der Patentinhaberin zitierte Definition beschreibt nur eine - die ursprüngliche - Art und Weise, Bohrungen bzw Durchgangsbohrungen herzustellen. Wie aber zB aus Lueger Lexikon der Technik Band, 4. Aufl 1968, Band 8, Stichwort "elektroerosive Bearbeitung" (D7, insb S 179 reSp zweitletzter Abs u Bildunterschrift zu Bild 1b) und Band 9, Stichwort "Ultraschall-Bohrmaschine" (D8) hervorgeht, werden in der Fachwelt unter Bohrung auch Durchbrüche verstanden, die mit einem nicht rotierenden Werkzeug beliebigen Querschnitts (D7 S 180 reSp Abs 4, D8 S 433 reSp Abs 1) hergestellt werden. Da der Querschnitt der Durchgangsbohrungen im Streitpatent keine Rolle spielt und der Begriff Durchgangsbohrung darin nirgends definiert ist, umfasst der Wortlaut des Patentanspruchs 1 auch Kraftstoffverteilerbaugruppen mit Durchgangsbohrungen elliptischen Querschnitts. Solche Kraftstoffverteiler gehören aber durch die og ältere Anmeldung zu dem bei der Neuheitsprüfung zu berücksichtigenden Stand der Technik.
Schließlich besagen auch die Merkmale 1.5.1 und 1.5.2 nicht, dass die Durchgangsbohrung notwendigerweise einen kreisförmigen Querschnitt hat. Die Angabe, dass die die Durchgangsbohrung umgebende ringförmige Ausnehmung eine zur Durchgangsbohrung koaxiale Innenwand hat, nimmt offensichtlich auf die Längsachse der Durchgangsbohrung Bezug. Sie schließt alle Querschnittsformen - insbesondere kreisförmige und elliptische - der Durchgangsbohrung ein, bei denen die Durchgangsbohrung eine definierte Längsachse hat.
2. Der Gegenstand des Patentanspruchs 1 nach dem ersten Hilfsantrag ist ebenfalls nicht neu.
Dieser Patentanspruch, den die Patentinhaberin vorgelegt hat, um dem Einwand der unzulässigen Erweiterung zu begegnen, unterscheidet sich durch das zusätzlich eingefügte Merkmal, dass der Kraftstoffverteiler aus einem gezogenen oder gewalzten Rohr besteht (Merkmalsgliederung 1.1.2), vom erteilten Patentanspruch 1.
Die Herstellung von Rohren durch Ziehen oder Walzen gehört zu den dem Fachmann wohlbekannten Herstellungsverfahren. Da in der D1 nichts anderes angegeben ist, wird er ohne weiteres unterstellen, dass das Hauptrohrkanalteil 1 (main pipe rail, D1-2) gezogen oder gewalzt ist. Auch der Gegenstand des Patentanspruchs 1 nach dem ersten Hilfsantrag ist somit durch den Inhalt der älteren Anmeldung vorweggenommen.
3. Der Gegenstand des Patentanspruchs 1 nach dem zweiten Hilfsantrag ist unbestritten neu und gewerblich anwendbar. Er beruht auch auf einer erfinderischen Tätigkeit.
In der DE 197 53 977 A1 (D1) ist keine Rede davon, dass der rohrförmige Kraftstoffverteiler (Hauptrohrkanalteil 1) vor dem Anbringen der Anschlussnippel aufgeweitet oder rundgeknetet wir. Der Fachmann hat auch keinen Anlass, solches zu unterstellen. Somit unterscheidet sich der Gegenstand des Patentanspruchs 1 nach Hilfsantrag 2 vom Inhalt der älteren Anmeldung, die bei der Beurteilung der erfinderischen Tätigkeit nicht in Betracht zu ziehen ist.
Bei der Verbindungsanordnung für Abzweigrohre an einem Rohrverteiler für unter sehr hohem Druck stehenden Kraftstoff nach der DE 38 17 413 C2 (D2) sind Verbindungsstücke zum Anschluss der Abzweigrohre, dh der Druckleitungen, durch Schweißen an dem Rohrverteiler befestigt (Patentanspruch 1). In der bevorzugten und als einziges Beispiel beschriebenen Ausführung sind die Verbindungsstücke als den Rohrverteiler umschließende Ringe ausgebildet. Verbindungsstücke in Form von Nippeln sind nicht beschrieben. Somit sind die Merkmale 1.3 bis 1.3.1.1 und 1.5 bis 1.5.3 in der Druckschrift nicht offenbart. Die streitpatentgemäße Ausbildung der Befestigung der Anschlussnippel an dem Kraftstoffverteiler durch Einsetzen der Anschlussnippel in ringförmige Ausnehmungen vor dem Verschweißen oder Verlöten wird dem Fachmann durch die Druckschrift auch nicht nahegelegt. Die darin beschriebene Lehre geht nämlich von einer Anordnung aus, bei der Druckleitungen (Abzweigrohre) direkt in Bohrungen an einem Verteiler eingesetzt und mit diesem verschweißt werden. Diese Anordnung wird als problematisch hinsichtlich Dichtigkeit und Festigkeit der Verbindung angesehen (Sp 1 Z 12 bis 35). Dem Fachmann wird durch diese Erwägungen und insbesondere durch die allein beschriebene ringförmige Ausbildung der Anschlussteile, die mit ihren Innenwänden am gesamten Umfang des Verteilerrohrs anliegen und dadurch den Belastungen Stand halten (Sp 3 Z 3 bis 14), eher davon abgeraten, Anschlussteile in Vertiefungen am Verteiler einzusetzen und dort anzuschweißen.
Gegenstand der US-PS 5 018 499 (D3) ist ein Kraftstoffverteiler mit einem rechteckigen Querschnitt, an dessen einer Wand Fassungen (sockets) zur Aufnahme von Kraftstoffinjektoren befestigt sind. Die hohlzylindrischen Fassungen sind in Einsteckbohrungen (counter bore) in der Wand eingesetzt und dort angelötet oder angeschweißt. Die Vorrichtung ist zum Einsatz an Benzinmotoren (Sp 1 Z 19) vorgesehen. Probleme der Festigkeit und Dichtigkeit sind nicht angesprochen. Vielmehr geht es darum, eine präzise Ausrichtung der am Kraftstoffverteiler angebrachten Fassungen mit den Kraftstoffinjektoren sicherzustellen und die Zahl der Bearbeitungsschritte zu reduzieren (Sp 1 Z 37 bis 44 u 64 bis 68, Sp 2 Z 3 bis 11, Sp 4 Z 13 bis 23). Dazu sollen die Einsteckbohrungen die Fassungen vor dem Anlöten zuverlässig an ihrem Platz halten (Sp 2 Z 44 bis 49). Anregungen zur Gestaltung von Leitungsanschlüssen an Kraftstoffverteilern im Hinblick auf Dichtigkeit und Festigkeit bei sehr hohen Kraftstoffdrücken wird der Fachmann in der D3 nicht erwarten und finden. Wegen der ganz unterschiedlichen Einsatzbedingungen und konstruktiven Gestaltungen der Vorrichtungen nach der US-PS 5 018 499 und der DE 38 17 413 C2 führt auch deren gemeinsame Betrachtung nicht zum Gegenstand des Streitpatents.
Die sich auf die gleiche Priorität berufenden Druckschriften DE 40 32 554 C2 (D4) und JP 03-209093 (D5, D5-1) betreffen ganz ähnliche Anordnungen wie die og DE 38 17 413 C2 (D2). Die in der Beschreibung des Streitpatents bereits zum Stand der Technik genannte EP 0 751 336 A1 (D6) beschreibt Anordnungen, bei denen entweder Druckleitungen direkt oder Verbindungsstücke, an deren Enden Druckleitungen anschließbar sind, in abgestufte Bohrungen in einem Kraftstoffverteiler eingesetzt und dort verschweißt sind. Die JP 07-52373 (D9), deren Priorität von der D3 in Anspruch genommen wird, ist unter Hinweis auf ihre Klassifikation nur zum Beleg dafür genannt worden, dass der Gegenstand der D3 nicht auf Anordnungen für Benzin als Kraftstoff und niedrige Drücke beschränkt sei. Diese Druckschriften geben insgesamt zu keinen weitergehenden Überlegungen Anlass.
III.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 84 Abs 2 PatG iVm § 92 Abs 1 ZPO, die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit auf § 99 Abs 1 PatG iVm § 709 Satz 1 und Satz 2 ZPO.
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BPatG:
Urteil v. 11.10.2005
Az: 3 Ni 2/05
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