Landgericht Düsseldorf:
Beschluss vom 11. Januar 2012
Aktenzeichen: 33 O 137/07

(LG Düsseldorf: Beschluss v. 11.01.2012, Az.: 33 O 137/07)

Tenor

Der angemessene Abfindungsbetrag auf Grund des in der Hauptversammlung vom 23. Mai 2003 beschlossenen Beherrschungs- und Gewinnabführungsvertrages wird auf 41,52 Euro je Stückaktie der A AG festgesetzt.

Die Kosten des Verfahrens einschließlich der Vergütung der Vertreter der außenstehenden Aktionäre, soweit sie nicht bereits durch den Vergleich vom 20. Januar 2010 geregelt sind, haben die Antragsgegner zu tragen.

Die außergerichtlichen Kosten der Antragsteller tragen die Antragsgegner.

Gründe

I.

Die A AG hat am 09.04.2003 einen Beherrschungs- und Gewinnabführungsvertrag mit ihrer Hauptaktionärin, der B Beteiligungs GmbH GmbH & Co. KG (nachfolgend: B) geschlossen. Die außerordentliche Hauptversammlung der A AG hat am 23.05.2003 dem Beherrschungs- und Gewinnabführungsvertrag zugestimmt sowie die Übertragung der Aktien der Minderheitsaktionäre der A AG auf B gemäß §§ 327 a ff AktG beschlossen. Der Beherrschungs- und Gewinnabführungsvertrag wurde am 04.06.2003 in das Handelsregister der A AG eingetragen. Der Übertragungsbeschluss wurde nach Durchführung eines Freigabeverfahrens gemäß § 327 e Abs. 2 AktG in Verbindung mit § 319 Abs. 6 AktG am 29.01.2004 im Handelsregister der A AG eingetragen.

Der Beherrschungs- und Gewinnabführungsvertrag bestimmt - ebenso wie der Übertragungsbeschluss - eine Barabfindung in Höhe von jeweils 32,50 Euro je auf den Inhaber lautende Stückaktie an die A AG sowie eine jährliche Ausgleichszahlung in Höhe von 2,224 Euro je Stückaktie. Mit dem Spruchverfahren begehren die außenstehenden Aktionäre, darunter die Antragsteller, die gerichtliche Überprüfung der Angemessenheit der im Beherrschungs- und Gewinnabführungsvertrag festgelegten Barabfindung und des Ausgleichs gemäß §§ 304, 305 AktG.

Mit Beschluss vom 01.05.2009 hat das Amtsgericht Wuppertal - 145 IN xxxx - das Insolvenzverfahren über das Vermögen der B eröffnet und Rechtsanwalt CCC zum Insolvenzverwalter bestellt. Mit weiterem Beschluss vom 01.05.2009 hat das Amtsgericht Wuppertal - 145 IN 87/09 - das Insolvenzverfahren über das Vermögen der A AG eröffnet und ebenfalls Rechtsanwalt CCC zum Insolvenzverwalter bestellt. Als Insolvenzverwalter der B hat Rechtsanwalt CCC am 28.05.2009 die Unzulänglichkeit der Masse, alle Masseverbindlichkeiten in voller Höhe erfüllen zu können, angezeigt.

Vor diesem Hintergrund schlossen die Antragsteller in dem vorliegenden Spruchverfahren, bis auf die im Rubrum genannten Antragsteller, zur einvernehmlichen Beendigung des Spruchverfahrens am 20.01.2010 vor dem Landgericht Düsseldorf einen Vergleich mit Rechtswirkungen eines Vertrages zugunsten Dritter, wonach die in dem Beherrschungs- und Gewinnabführungsvertrag festgelegte Barabfindung in Höhe von jeweils 32,50 Euro je auf den Inhaber lautende Stückaktie an der A AG um 12,50 Euro je Aktie erhöht wurde und Rechtsanwalt CCC als Insolvenzverwalter der B den Anspruch als Zahlung dieses Erhöhungsbetrages nebst pauschalierter Zinsen im Rahmen des Insolvenzverfahrens über das Vermögen der B als Insolvenzforderung im Sinne des § 38 InsO anerkannte. Wegen der weiteren Einzelheiten des Vergleichs wird auf das Sitzungsprotokoll vom 20.01.2010 (Bl. 867 ff d. A.) verwiesen.

Die Antragsteller beantragen weiterhin,

eine angemessene Abfindung und einen angemessenen Ausgleich festzusetzen.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die eingereichten Schriftsätze der Parteien nebst Anlagen Bezug genommen

II.

Die Anträge auf Erhöhung der angemessenen Abfindung (§ 305 Abs. 1 AktG) sind mit dem sich aus dem Tenor ergebenden Inhalt begründet.

Die angemessene Barabfindung muss die Verhältnisse der Gesellschaft im Zeitpunkt der Hauptversammlung berücksichtigen. Angemessen ist die Abfindung nur dann, wenn dem Aktionär das Verlangen nach Abgabe seiner Aktien gegen einen Betrag ermöglicht wird, der dem wirklichen oder wahren Wert seiner Beteiligung an der Gesellschaft entspricht. Ist der nach § 287 Abs. 1 ZPO zu schätzende Unternehmenswert höher als der Börsenwert, wovon vorliegend auszugehen ist, ist dem Aktionär der höhere Verkehrswert, die Aktie, zuzubilligen,

Die Kammer geht von der Anwendung des IDW S 1 (2005) auch im Hinblick auf die Einführung des Halbeinkünfteverfahrens seit dem 01.01.2001 aus. Der in der Rechtsprechung und der Literatur verbreiteten Ansicht, insbesondere in Ansehung des Halbeinkünfteverfahrens sei die Anwendung des IDW S 1 in der Fassung 2005 geboten, wird von der Kammer in nunmehr ständiger Rechtsprechung nicht geteilt.

Die Kammer folgt insoweit der Auffassung des Oberlandesgerichts Frankfurt am Main, welches in seiner Entscheidung vom 15. Februar 2010 - 5 W 52/05 - ausgeführt hat:

„Zu der Frage, welcher Bewertungsstandard heran zu ziehen ist, hat das Oberlandesgericht Stuttgart zutreffend ausgeführt, dass das Gericht in einem laufenden Spruchverfahren zwar nicht grundsätzlich gehindert ist, eine frühere Unternehmensbewertung im Licht neuerer Erkenntnisse zu überprüfen, es jedoch derartigen unveränderten Auffassungen nicht folgen muss (vgl. OLG Stuttgart, NZG 2007, 112, 116 f: Dort wird für einen Bewertungsstichtag am 15. August 2002 die Heranziehung langfristiger Anleihezinsen zusammen mit der Zinsstrukturkurve zur Ermittlung des Basiszinssatzes befürwortet, die (isolierte) Verwendung des Tax - CAPM hingegen abgelehnt). Dabei geht es vorwiegend um eine Abwägung zwischen zusätzlicher Erkenntnis und hiermit verbundener Verfahrensverzögerung (vgl. hierzu bereits Senat, Beschluss vom 26. August 2009 - 5 W 35/09 -, unveröffentlicht).

Die Besonderheit des hiesigen Falls liegt darin, dass aufgrund der bereits vorliegenden partiellen Neubegutachtung eine Verfahrensverzögerung unter Berücksichtigung des neuen Standard IDW S 1 2005 und damit insbesondere mit der Anwendung des Tax-CAPM nicht verbunden wäre. Andererseits lässt sich umgekehrt aber auch entgegen der Auffassung des Landgerichts nicht abschließend behaupten, die Anwendung des neuen Standards und des Tax-CAPM führe im konkreten Fall zu einer tatsächlich besseren Erkenntnis. So ist bereits vom theoretischen Ansatz her nicht gesichert, dass das Tax-CAPM stets zu besseren Erkenntnissen bei der Abbildung des Halbeinkünfteverfahrens führt (vgl. OLG München, BB 2007, 2395; Grßfeld/Stöver/Tönnes BB - Spezial 7/2005, 2, 10 ff; Hommel/Dehmel/Pauliy, BB - Spezial 7/2005, 13 ff.; Reuter, AG 2007, 1, 5)...

Da der Senat sich zugleich in der Lage sieht unter Einholung eines weiteren Gutachtens den Unternehmenswert unter Zugrundelegung des alten Standards und damit verbunden des CAPM zu berechnen, führt vorliegend die (einheitliche) Berücksichtigung dieses Standards ebenfalls zu keinen Verfahrensverzögerungen.

(2) Jedenfalls in einer solchen Situation ist der alte Standard und mit ihm das CAPM anzuwenden sowie die Annahme der Vollausschüttung zu unterstellen. Dies geht einher mit einer Auffassung in der Literatur, wonach für Bewertungsstichtage, die vor der Änderung der Rahmenbedingungen, die den neuen Standard bedingen, liegen, weiterhin die alte Methode gelten muss (Bungert, WPg 2008, 811, 815). Zugleich entspricht die hier vertretene Auffassung der überwiegend übergerichtlichen Rechtsprechung, wenngleich dem gegenüber die Anwendung neuester Erkenntnis und Standards von der Literatur weitgehend befürwortet wird (vgl. bei BayObLG, NZG 2006, 156, 157; OLG Düsseldorf, Beschluss vom 20. September 2006 - 26 W 8/06 - Juris Rdn. 36 f; ähnlich OLG Stuttgart, NZG 2007, 112, 116; OLG München, Beschluss vom 30.11.2006 - 31 Wx 59/06 -, Juris Rdn. 23 ff; aA im Wesentlichen OLG Celle, Beschluss vom 19.04.2007 - 9 W 53/06 - Juris Rdn 28; Hüttemann, WPg 2008, 822; Dörschell/Franken, DB 2005, 2257; Wasmann/Gayk BB 2005, 55; (unterschiedlich) differenzierend Bungert WPg 2008, 811; Lenz, WPg 2006, 1160).

Dabei ist die Anwendung des alten Standards keine Frage des Vertrauensschutzes. Ein Unternehmen kann ebenso wenig wie der ausgeschiedene Aktionär darauf vertrauen, dass die gesetzlich abgestimmte angemessene Abfindung nur auf einer bestimmten Art und Weise berechnen wird. Insoweit - worauf insbesondere Hüttemann zu Recht hinweist - besteht kein Recht darauf, dass man sich seitens des Gerichts später gewonnenen besseren Erkenntnis verschließt (Hüttemann, WPg 2008, 822, 824). Das gilt in gleicher Weise bei neueren Erkenntnissen zu Kausalitätsfragen im Schadensrecht oder zu neuen Beweismöglichkeiten im Strafrecht.

Auch die Heranziehung des Rechtsgedankens aus Artikel 170 EGBGB ist fraglich, weil es sich bei dem IDW - Standards nicht um Rechtsnormen handelt, die die Gerichte binden könnten, sondern nur um Expertenauffassung aus dem Kreis der Wirtschaftsprüfer (vgl. OLG Stuttgart, NZG 2007, 310, OLG München, Beschluss vom 30.11.2006 - 31 Wx 59/06 - , Juris Rdn. 23).

Maßgeblich ist vielmehr zunächst der Aspekt der Rechtssicherheit. Es besteht eine nicht unerhebliche Unklarheit bei allen Verfahrensbeteiligten, wenn sie bei der Einleitung eines Spruchverfahrens oder - zeitlich davor gelagert - bei dem Beschluss über eine unternehmerische Maßnahme noch nicht abschätzen können, auf welcher Grundlage das Gericht seine Entscheidung über die Angemessenheit der zu gewährenden Abfindung treffen wird.

Hinzu kommt Folgendes: Die Durchführung eines Spruchverfahrens und die Überprüfung der Angemessenheit einer Abfindung haben stets zwei Funktionen zu erfüllen. Zum Einen gilt es, Einzelfallgerechtigkeit zu schaffen, indem für die betroffenen Aktionäre die zutreffende Höhe der Entschädigung festgesetzt wird. Zum Anderen gilt es zusätzlich, durch die Korrektur im konkreten Einzelfall Anreize für Unternehmen zu setzen, zur Vermeidung künftiger gerichtlicher Verfahren keine hinter dem zu treffenden Wert zurückbleibenden Abfindung zu zahlen. Mit Blick auf die zweite Steuerungsfunktion eines Spruchverfahrens ist es kontraproduktiv, nachträglich einen Standard anzuwenden, der bei der Ermittlung der Abfindung durch das Unternehmen noch nicht bekannt war. Nur bei der Vorhersehbarkeit gerichtlicher Entscheidung für die betroffenen Unternehmen besteht regelmäßig die Chance, dass sie sich an das gesetzlich verankerte Gebot der Zahlung einer angemessenen Abfindung halten werden. Eine solche Vorhersehbarkeit ist nicht gegeben, wenn in einem Spruchverfahren Bewertungsstandards zur Anwendung kommen, die zum Bewertungsstichtag nicht bekannt waren.

Schließlich folgt der Vorrang des alten, zum Bewertungsstichtag gültigen Standards insbesondere aus der Überlegung, dass die Abfindung sich nach dem Grenzpreis zu richten hat, zu dem der außenstehende Aktionär ohne Nachteil aus der Gesellschaft ausscheiden kann (BGHZ 138, 136, 140). Der Grenzpreis, der letztlich als Verkehrswert des Anteils zu verstehen ist (vgl. etwa Pilz ZGR 2001, 185, 193 f; Stills ZGR 2001, 874, 881), kann sich aber nur auf der Grundlage der damals zugänglichen Erkenntnisse bilden. Stellt sich beispielsweise erst später heraus, dass ein Rohstoff besonders wertvoll ist, liegt diese Erkenntnis jedoch zum maßgeblichen Bewertungsstichtag noch nicht vor, so darf sie bei der Ermittlung des Wertes des Rohstoffes zum damaligen Zeitpunkt keine Berücksichtigung finden, weil es niemanden gegeben hätte, der die damit verbundenen (Grenz) Preis zu zahlen bereit gewesen wäre. Grundlage der Grenzpreisbestimmung wie auch seines Marktäquivalents, des Börsenkurses, ist daher der jeweils gültige Bewertungsstandard und nicht - zum damaligen Zeitpunkt unbekannte - zukünftige Standards. Vorliegende Argumente bedingen, dass in der Regel der zum Wert vom Stichtag gültige Standard heran zu ziehen ist.“

Dieser Ansicht folgt auch das Landgericht Frankfurt (LG Frankfurt-3-5 O 73/04-Beschluss vom 04. August 2010) in einem Verfahren, in dem der Bewertungsstichtag am 08. Juni 2004 lag).

Soweit das Oberlandesgericht Stuttgart (- 20 W 2/07 - Beschluss vom 19. Januar 2011 Randnr. 275 ff -) für Bewertungen mit Stichtagen nach dem 01.01.2001 den Empfehlungen des IDW S 1 (2005) folgen will, vermag sich die Kammer dem, in Ansehung der Erwägungen des Oberlandesgerichts Frankfurt nicht anzuschließen. Zwar gilt das Stichtagsprinzip nicht für die angewandte Bewertungsmethode. Entscheidend ist dabei jedoch, und dies ist nach der Auffassung der Kammer der maßgebliche Gesichtspunkt, dass die Beteiligten bei der Einleitung des erfahrungsgemäß langdauernden Spruchverfahrens in der Lage sein müssen abzuschätzen, auf welcher Grundlage das Gericht seine Entscheidung treffen wird. Die Erfahrung zeigt, dass die konsequente Anwendung des IDW S 1 (2005) gegenüber dem IDW S 1 (2000) zu einer Reduzierung des Unternehmenswertes von rund 25 Prozent folgt. Eine Verzögerung eines Spruchverfahrens kann bei einer am Beginn möglicherweise erfolgreichen Beanstandung anhand der von dem sachverständigen Prüfer ermittelten relevanten Werte nach dem lange dauernden Verfahrens mit zwischenzeitlich Rechtsänderungen, Änderungen der Bewertungssystematik, neuer wissenschaftlicher Erkenntnisse dazu führen, dass durch einen im gerichtlichen Verfahren eingesetzten Sachverständigen, der diese neuen Erkenntnisse in Ansatz bringt, ein Unternehmenswert ermittelt wird, der deutlich niedriger ist, als der Wert, den der sachverständige Prüfer festgestellt hat. Daraus ergibt sich, dass eine Verzögerung des Verfahrens, wodurch sie auch immer verursacht worden ist, häufig zu nicht vorhersehbaren Ergebnissen führen kann. Es ist zwar zutreffend, dass der Unternehmenswert nicht exakt mathematisch berechnet werden kann und insoweit ein umfassender und relativ breiter Ermessensspielraum besteht. Es scheint jedoch nicht sachgerecht, die bereits insoweit bestehenden Unwägbarkeiten noch dadurch zu erhöhen, dass je nach Zeitablauf - auch noch andere Empfehlungen des IDW Anwendung finden. Soweit teilweise versucht wird, diese Problematik durch eine Differenzierung in „Methodenanpassungen“ einerseits und „Methodenverbesserungen“ andererseits dogmatisch in den Griff zu bekommen (vgl. dazu Paulsen in Münchener Kommentar zum Aktiengesetz § 305 Randnr. 94 ff) scheint dieses auch keine geeignete Methode, da es dann der Entscheidung bedarf, ob es sich bei der Anwendung des IDW S 1 (2005) im Vergleich zum IDW S 1 (2000) um eine Methodenanpassung oder um eine Methodenverbesserung handelt. Bekanntlich beruhen nicht alle Änderungen des IDW S 1 (2005) gegenüber dem IDW S 1 (2000) auf den notwendigen Anpassungen an das Halbeinkünfteverfahren. Vielmehr lag ein Schwerpunkt der Änderungen auch auf eine Berücksichtigung der Gesichtspunkte Thesaurierungen beim Bewertungsobjekt und die Anlage in Unternehmensanteilen als Alternativinvestition. Darüber hinaus ist zu beachten, dass dem in der Literatur und der Rechtsprechung ständig wiederholten Argument, dass in dem Standard IDW S 1 (2000) die Gesetzesänderung bezüglich des Halbeinkünfteverfahrens noch nicht berücksichtigt wurde, entgegen zu treten ist. Aus dem Anhang des IDW S 1 (2000) folgt, dass in dieser Fassung des IDW S 1 dem Steuersenkungsgesetz, dem der Bundesrat am 14. Juli 2000 zugestimmt und mit dem das Halbeinkünfteverfahren ab dem 1. Januar 2001 eingeführt wurde, bereits Rechnung getragen wurde. Dies bedeutet wiederrum, mit der Einführung des IDW S 1 (2005) ist nicht dem Halbeinkünfteverfahren Rechnung getragen worden sondern der Erkenntnis, dass die Unternehmenswerte zu hoch sein sollen und mit rund 25% niedriger angesetzt werden sollten. Dies Ansicht mag zutreffen oder nicht, führt aber dazu, dass sich die nachträgliche Anwendung des IDW S 1 (2005) auf Fälle deren Stichtag, vor der Bekanntgabe des IDW S 1 (2005) liegen, so dass auch der Vertragsprüfer diesen Standard nicht anwenden konnte, verbietet.

Vorliegend lag zum Bewertungsstichtag, der IDW S 1 in der Fassung vor, die vom Hauptfachausschuss des IDW am 28. Juni 2001 (IDW S 1 2000) verabschiedet worden war. Am 18. Oktober 2005 wurde der IDW S 1 2005 verabschiedet. Danach hat es bei dem Bewertungsstichtag gültigen Standard zu verbleiben.

Zur Abkürzung des aufwendigen Spruchverfahrens und einer kostenintensiven Beweisaufnahme in Ansehung der Insolvenz der A AG und der B hat das Gericht zur Vorbereitung des Vergleiches den Unternehmenswert geschätzt. Die Schätzung beruht auf Annahmen und Erfahrungswerte in gleichgelagerten Verfahren, die bei der erkennenden Kammer anhängig waren oder auch noch anhängig sind. Da eine vertiefte Beweiserhebung nicht möglich war, insbesondere auch keine vollständige Neubewertung, ist das Gericht - auch in Ansehung des Beschlusses des Oberlandesgerichts Düsseldorf - I - 26 W 10/10 (AktE) - gehalten gewesen, nur von den bekannten Kennzahlen auszugehen.

Dies bedeutet, dass die Ertragszahlen in den maßgeblichen Zeiträumen 2002 - 2006 keiner Überprüfung zugänglich waren. Dies gilt auch, da seitens der im Tenor genannten Antragsteller keinerlei Anhaltspunkte dafür vorgetragen wurden, dass die vom Vorstand der A AG publizierten Planzahlen unzutreffend sind oder gar manipuliert wurden, um an die Minderheitsaktionäre möglichst geringe Zahlungen erbringen zu müssen. Planungen und Prognosen sind in erster Linie ein Ergebnis der jeweiligen unternehmerischen Entscheidung der für die Geschäftsführung verantwortlichen Personen. Diese Entscheidungen müssen auf zutreffenden Informationen und daran orientierten, realistischen und widerspruchsfreien Annahmen aufbauen (Oberlandesgericht Düsseldorf, Beschluss vom 17.11.2008, I-26 W 6/08 AktE, OLG Stuttgart, Beschluss vom 14.02.2008, 20 W 10/06; AG 2007, 596, 597; 705, 706; NZG 2007, 112, 114; AG 2006, 420, 425). Es gibt danach keinerlei Anhaltspunkte, dass die seitens der Gesellschaft und dem Vertragsprüfer dargelegten Zahlen unzutreffend oder unplausibel sind.

Das Gericht hat sich bei seinem Vergleichsvorschlag, der auch in Zusammenarbeit mit den gemeinsamen Vertretern sowie den Antragsgegnern erarbeitet wurde, daher in erster Linie von den nachfolgenden Überlegungen leiten lassen.

Der Unternehmenswert kann nicht fix errechnet werden, er beruht auf einer Vielzahl von Prognosen und Mutmaßungen, die alle zu einer ganz erheblichen Unschärfe der Bewertung des Unternehmens führen. Bereits minimale Änderungen bei einzelnen Parametern führen zu erheblichen Änderungen des Unternehmenswertes und damit auch des Abfindungsbetrages. Da auch die verbliebenen Antragsteller konkrete Einwendungen gegen die Berechnungen der A AG bzw. der B und des Vertragsprüfers nicht erhoben haben (vgl. die Antragsschriften vom 07.07.2003, 21.07.2003 und 26.01.2004) kann das Gericht - ohne die Unterstützung eines Sachverständigen - auch nur eine grobe Plausibilitätsprüfung einzelner Parameter durchführen.

„Der Basiszinssatz bezieht sich auf die aus der Sicht des Stichtages auf Dauer erzielbare Rendite öffentlicher Anleihen. Die mit Spruchverfahren befassten Senate des Oberlandesgerichts Düsseldorf legen daher in ständiger Rechtsprechung und in Übereinstimmung mit der herrschenden Meinung als Basiszinssatz die durchschnittliche Rendite öffentlicher Anleihen zu Grunde. Abzustellen ist auf den Bewertungsstichtag und die darauf bezogenen Ertragserwartungen, nicht auf die Renditen künftiger Perioden“ (OLG Düsseldorf - I 26 W 2/06 AktE - Beschluss vom 6. April 2004, OLG Düsseldorf WM 1988, 1052, 1058; AG 1991, 196; WM 1992, 986, 991; BayObLG AG 1996, 127, 129; Seetzen WM 1994, 45, 48).

Entgegen der Annahme der Antragsgegner im Bericht legt das Gericht bei der Kapitalisierung der Ausschüttungen auf den Stichtag einen einheitlichen Basiszinssatz von 4,88 % zur Vereinfachung zugrunde. Dieser Festlegung des Basiszinsatzes beruht auf den Berechnungen anhand der veröffentlichten Daten zur Zinsstrukturkurve der Deutschen Bundesbank zum Stichtag und einer der Kammer zur Verfügung stehenden Berechnungstabelle.

Weiterhin ist der Risikozuschlag festzusetzen, dieser setzt sich aus dem Produkt der Faktoren Marktrisikoprämie und Betafaktor zusammen. Bezüglich der Höhe der Marktrisikoprämie gibt es eine Vielzahl von Theorien. Auch finden sich zahlreiche kritische Anmerkungen zur Marktrisikoprämie und ihrer Herleitung (vgl. Landgericht Frankfurt 2 -5 O 110/04 - Beschluss vom 13.06.2006 m.w.N.). Entsprechend der weit überwiegenden Ansicht in der Literatur und der Rechtsprechung aber auch aufgrund der der Kammer vorliegenden Begutachtungen gerade aus neuerer Zeit, ist eine Marktrisikoprämie zwischen 4 und 5 % angemessen. Die Kammer hat sich daher entschlossen, da weitere konkrete Ermittlungen auch mit Hilfe eines Sachverständigen nicht möglich sind, die Marktrisikoprämie einheitlich auf 4,5 % festzusetzen.

Den Betafaktor schätzt die Kammer entsprechend den Feststellungen in den vorliegenden Prüfergutachten auf 1,475. Eigene weitere Ermittlungen der Kammer zum Betafaktor sind nicht möglich, da das Gericht über keine Möglichkeiten des Zugangs zu den dazu erheblichen Daten von Bloomberg verfügt. Daraus ergibt sich ein Risikozuschlag von 6,638 %. Zuzüglich des Basiszinssatzes von 4,88 % ergibt sich zunächst ein Kapitalisierungszinssatz von 11,518 %. Setzt man pauschal von diesem Betrag die Einkommenssteuer in Höhe von 35 % ab, ergibt sich ein Kapitalisierungszinssatz nach Steuern für die Phase 1 für die von 2002/2003 bis 2005/2006 von 7,486 %. Für die Phase 2 hat die Kammer identische Werte angenommen, jedoch einen Wachstumsabschlag von 1,5 % festgesetzt. Dieser ist deutlich höher als der durch die Gesellschaften festgesetzte Abschlag und orientiert sich der Höhe nach an der Inflationsrate. Daraus ergibt sich für die Phase 2 ein Kapitalisierungszinssatz nach Steuern von 5,986 %. Die in die Planungsrechnungen aufgenommenen Überschüsse der Gesellschaften hat die Kammer übernommen, da keinerlei Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass insoweit unzutreffende Planannahmen vorliegen.

Daraus ergibt sich folgende Berechnung:

Jahr

Überschüsse

Zins

Barwertfaktor

Barwert

T€

T€

2002/03

13.300

7,486%

0,992519949

13.200,52

2003/04

12.500

7,486%

0,923391406

11.542,39

2004/05

14.400

7,486%

0,859077633

12.370,72

2005/06

16.700

7,486%

0,799243283

13.347,36

ewige Rente

24.300

5,986%

13,35103938

324.430,26

Ertragswert

374.891,25

Sonderwerte

13.800,00

388.691,25

pro Aktie

9.360.893

41,52 €

Diesen Wert von 41,52 Euro wurde dann auf die im Vergleich festgesetzten 45,-- Euro aufgerundet und dabei Zinsen und Kosten sowie auch ersparte Kosten in Ansehung des Verzichtes auf Einholung weiterer Gutachten berücksichtigt. Bei der nunmehr vorliegenden konkreten Festsetzung des Unternehmenswertes ist diese Aufrundung nicht vorzunehmen.

Von der Berechnung eines festen Ausgleiches (§ 304 AktG) hat die Kammer abgesehen, da ein entsprechender Zahlungsanspruch der Antragsteller nicht mehr besteht. Nach Übertragung der Aktien auf den Hauptaktionär haben die Antragsteller die Aktionärsstellung verloren. Damit stand ihnen auch für das Geschäftsjahr 2003/2004 kein Ausgleich mehr zu. Damit erübrigt sich aber auch die Festsetzung und Berechnung eines derartigen Ausgleichsbetrages. Zum derartigen Begehren der Antragsteller fehlt danach das notwendige Rechtsschutzbedürfnis.

Der Zinsanspruch war nicht auszusprechen (vgl. dazu OLG Düsseldorf - I-26 W 6/07 (AktE) - Beschluss vom 25.11.2009).

Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 18 a Abs. 1 FGG in der bis zum 31.08.2003 geltenden Fassung. Es entspricht bis zur Einführung des Spruchgesetzes der Billigkeit, den Antragsgegnern auch die außergerichtlichen Kosten der Antragsteller aufzuerlegen.

Die notwendigen Geschäftswerte für das gerichtliche Verfahren sowie die Vergütung der Vertreter der außenstehenden Aktionäre sind bereits durch den Vergleich festgelegt worden.






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Beschluss v. 11.01.2012
Az: 33 O 137/07


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