Kammergericht:
Beschluss vom 20. Juni 2005
Aktenzeichen: 1 W 16/04
(KG: Beschluss v. 20.06.2005, Az.: 1 W 16/04)
Ein Mandantengespräch kann auch erforderlich sein bei einer Bank mit Rechtsabteilung, wenn kein Routinegeschäft vorliegt (hier: Widerklage gegen die Bank gestützt auf Durchgriffseinwendungen aus dem Verbraucherkreditgesetz bei verbundenem Geschäft).
Tenor
In Änderung des angefochtenen Beschlusses werden als nach dem Urteil des Landgerichts Berlin vom 26. August 2003 von dem Beklagten an die Klägerin zu erstattende Kosten über den festgesetzten Betrag hinaus weitere 204,26 EUR nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 29. August 2003 festgesetzt.
Die Kosten des Beschwerdeverfahrens hat nach einem Wert von 204,26 EUR der Beklagte zu tragen.
Gründe
Das zulässige Rechtsmittel ist begründet. Das Landgericht hat die geltend gemachten, in Höhe von 204,26 EUR zutreffend berechneten und unstreitigen Fahrtkosten und das Abwesenheitsgeld der H... Prozessbevollmächtigten der Klägerin zur Wahrnehmung des Termins vor dem Landgericht Berlin am 26. August 2003 zu Unrecht abgesetzt. Sie sind als notwendige Kosten der Rechtsverfolgung gemäß § 91 ZPO zu erstatten.
1. Die Klägerin, die ihren Sitz in H... hat, hatte sich im Termin vor dem Amtsgericht S... am 19. März 2003 durch ihre Rechtsabteilung selbst vertreten. Nachdem der Beklagte den dort geschlossenen Vergleich widerrufen und seine Widerklage erweitert hatte, so dass der Rechtsstreit mit Beschluss vom 14. April 2003 an das sachlich zuständige Landgericht Berlin verwiesen werden musste, hat die Klägerin ihre jetzigen H... Prozessbevollmächtigten beauftragt. Diese haben den Termin vor dem Landgericht Berlin vom 26. August 2003 wahrgenommen und machen das Abwesenheitsgeld gemäß § 28 Abs. 3 BRAGO sowie die belegten Fahrtkosten von insgesamt 139,30 EUR geltend.
Die Klägerin trägt vor: Nach Verweisung des Rechtsstreits an das Landgericht Berlin und Beauftragung eines Rechtsanwalts mit der Prozessvertretung sei ein Informationsgespräch notwendig gewesen, auch wenn der Rechtsstreit vor dem Amtsgericht von ihrer Rechtsabteilung geführt worden sei. Dieses Gespräch habe nicht nur zur Einführung des Rechtsanwalts in den Sach- und Streitstand - insbesondere nach dem Widerruf des vor dem Amtsgericht geschlossenen Vergleichs - gedient, sondern sei auch zur Herstellung des Vertrauensverhältnisses zum Rechtsanwalt erforderlich gewesen.
2. Die Rechtspflegerin hat die anwaltlichen Terminreisekosten - die Parteireisekosten zum Termin am 19. März 2003 werden nicht geltend gemacht - abgesetzt und zur Begründung ausgeführt: Die Rechtsabteilung der Klägerin, die die Sache zuletzt bearbeitet habe, sei in der Lage gewesen, den Rechtsanwalt auch ohne persönliches Informationsgespräch umfassend über den Sach- und Streitstoff in Kenntnis zu setzen. Bei der Klägerin als einem überregionalen Unternehmen spiele - anders als vielleicht bei Privatpersonen - die Frage des Vertrauensverhältnisses zum Anwalt keine Rolle und könne jedenfalls eine Erstattungspflicht hinsichtlich des Mehraufwandes nicht begründen.
3. Der Beklagte bezweifelt die Notwendigkeit eines Informationsgesprächs bei Beauftragung der Prozessbevollmächtigten, da der bis dahin von der Rechtsabteilung geführte Rechtsstreit weiter von ihr begleitet und neuer Prozessstoff, der eine Erörterung in einem persönlichen Mandantengespräch erforderlich gemacht habe, nicht eingeführt worden sei.
4. Der Ausgangspunkt des Landgerichts trifft zu: Reisekosten des am Geschäftsort der Partei ansässigen Prozessbevollmächtigten sind gemäß § 91 ZPO nicht erstattungsfähig, wenn dessen Beauftragung nicht zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung erforderlich war, sondern ein am Ort des Prozessgerichts ansässiger Rechtsanwalt hätte beauftragt werden müssen. Zu der Frage, wann dies der Fall ist, hat der Bundesgerichtshof die folgenden Grundsätze entwickelt:
Bei der Prüfung der Notwendigkeit der die Mehrkosten auslösenden Maßnahme im Sinne des § 91 Abs. 1 Satz 1 ZPO kommt es darauf an, ob eine verständige und wirtschaftlich vernünftige Partei sie im Zeitpunkt ihrer Veranlassung als sachdienlich ansehen durfte, wobei eine typisierende Betrachtungsweise geboten ist (vgl., BGH, Beschluss vom 2. Dezember 2004 - I ZB 4/04 - = WRP 2005, 224). Danach ist die Zuziehung eines in der Nähe ihres Wohn- oder Geschäftsortes ansässigen Rechtsanwalts durch die an einem auswärtigen Gericht klagende oder verklagte Partei in der Regel als eine Maßnahme zweckentsprechender Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung anzusehen (grundlegend BGH, Beschluss vom 16. Oktober 2002 - von der Klägerin zitiert -, veröffentlicht u. a. in NJW 2003, 898). Denn ein persönliches Informations- und Beratungsgespräch zwischen Partei und Anwalt mindestens zu Beginn eines Mandates ist in der ganz überwiegenden Mehrzahl der Fälle erforderlich und sinnvoll. Dabei ist dem Bedarf an persönlichem Kontakt zwischen Partei und Anwalt sowie dem Vertrauensverhältnis zwischen der Partei und dem von ihr ausgewählten Anwalt Rechnung zu tragen (BGH, a.a.O.). Das gilt auch bei einem Unternehmen, das laufend Rechtsstreitigkeiten zu führen hat; hier ist dessen Interesse zu berücksichtigen, mit besonders sachkundigen Rechtsanwälten seines Vertrauens am Ort zusammenzuarbeiten (BGH, Beschluss vom 9. September 2004 - I ZB 5/04 - = WRP 2004, 1492; Beschluss vom 2. Dezember 2004 a.a.O.).
Etwas anderes gilt folglich dann, wenn bereits zum Zeitpunkt der Beauftragung des Prozessbevollmächtigten feststeht, dass ein eingehendes Mandantengespräch für die Rechtsverfolgung- oder -verteidigung nicht erforderlich ist. Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs ist das regelmäßig dann der Fall, wenn es sich bei der fraglichen Partei um ein gewerbliches Unternehmen handelt, das über eine eigene, die Sache bearbeitende Rechtsabteilung verfügt (so bereits BGH NJW 2003, 898/901; s. weiter BGH, Beschluss vom 10. April 2003 - I ZB 36/02 - = NJW 2003, 2027; Beschluss vom 18. Dezember 2003 - I ZB 18/03 - = JurBüro 2004, 322). In einem solchen Fall ist davon auszugehen, dass der Rechtsstreit durch die sachkundigen Mitarbeiter der Rechtsabteilung in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht vorbereitet und die Partei daher in der Lage sein wird, einen am Sitz des Prozessgerichts ansässigen Prozessbevollmächtigten umfassend schriftlich zu instruieren. Ein eingehendes persönliches Mandantengespräch ist unter diesen Voraussetzungen weder zur Ermittlung des Sachverhalts noch zur Rechtsberatung erforderlich. Nach der schriftlichen Übermittlung der erforderlichen Informationen können Beratung und Abstimmung des prozessualen Vorgehens dann ebenfalls schriftlich oder telefonisch und unter Verwendung der modernen Kommunikationsformen auch ohne Verzögerung erfolgen (BGH a.a.O.).
Diesen Ausnahmefall hält die Rechtspflegerin des Landgerichts für gegeben, da die Klägerin über eine Rechtsabteilung verfügt, die den Rechtsstreit auch tatsächlich bis zur Beauftragung der jetzigen Prozessbevollmächtigten nach Verweisung an das Landgericht bearbeitet hat. Dabei hat die Rechtspflegerin aber den Besonderheiten des vorliegenden Falls nicht hinreichend Rechnung getragen:
Die zitierte Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs stellt für typische Fallgestaltungen Regeln auf, die eine Beachtung der Besonderheiten des Einzelfalls nicht ausschließen. Selbst bei Vorhandensein einer Rechtsabteilung kann eine sachgerechte und die Interessen der Partei vollständig wahrende Prozessführung nämlich die mündliche Besprechung tatsächlicher und rechtlicher Fragen mit dem Prozessbevollmächtigten erforderlich machen, wenn der zu beurteilende Fall Besonderheiten aufweist und es sich daher nicht um Routinegeschäft handelt (BGH Beschluss vom 25. März 2004 - I ZB 28/03 - unter Hinweis auf den Beschluss vom 18. Februar 2003 - XI ZB 10/02 - = JurBüro 2003, 427; s. a. den Beschluss vom 9. September 2004 a.a.O.). So liegt es hier:
Die den Fall zunächst als Routinefall bearbeitende Rechtsabteilung der Klägerin hat die Bearbeitung abgegeben, als sich im Verlaufe des Rechtsstreits abzeichnete, dass es sich nicht - mehr - um ein Routinegeschäft handelte. Der Beklagte hatte den Vergleich vor dem Amtsgericht widerrufen und die Widerklage erheblich erweitert, um die Sache vor das sachlich zuständige Landgericht zu bringen. Er berief sich auf das Vorliegen eines verbundenen Geschäfts, für das der Einwendungsdurchgriff aus dem Verbraucherkreditgesetz gelte. In diesem Stadium des Prozesses bedurfte es nicht nur der Übermittlung der bisher gewechselten Schriftsätze der Parteien und der sonstigen schriftlichen Unterlagen, sondern insbesondere auch der Unterrichtung über den Verlauf des Termins vor dem Amtsgericht am 19. März 2003, den die Klägerin ohne Anwalt wahrgenommen hatte. Der Prozessbevollmächtigte der Klägerin hat durch seine dahingehende Erklärung auch hinreichend glaubhaft gemacht, dass dem Termin vor dem Landgericht am 26. August 2003, den er persönlich wahrgenommen hat, ein persönliches Mandantengespräch vorausgegangen ist. Ein solches Gespräch durfte die Klägerin zur Vorbereitung des Termins, in dem die Sache vor dem Landgericht erstmals mündlich verhandelt wurde, für erforderlich halten.
Unter diesen Umständen kommt es auf den von der Klägerin weiter angeführten Grund, das Mandantengespräch sei auch zur Herstellung des Vertrauensverhältnisses zum Rechtsanwalt erforderlich gewesen, nicht entscheidend an. Dieser Gesichtspunkt wird vom Bundesgerichtshof als zusätzliches Argument angeführt, um die Notwendigkeit eines persönlichen Gesprächs aus der Sicht des Mandanten zum Zeitpunkt der Beauftragung des Prozessbevollmächtigten zu begründen. So liegt es auch hier.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 91 ZPO.
KG:
Beschluss v. 20.06.2005
Az: 1 W 16/04
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