Oberlandesgericht Frankfurt am Main:
Beschluss vom 4. Mai 2011
Aktenzeichen: 6 W 36/11
(OLG Frankfurt am Main: Beschluss v. 04.05.2011, Az.: 6 W 36/11)
1. Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung auf Duldung der Besichtigung nach § 140 c PatG und der Antrag auf Einholung eines Sachverständigengutachtens im selbstständigen Beweisverfahren sind in getrennten Verfahren zu führen und zu bescheiden.
2. Zu den Anforderungen an die Verletzungswahrscheinlichkeit als Voraussetzung für eine Anhörung des Gegners zu erlassende Besichtigungsverfügung
Tenor
Die Beschwerde wird auf Kosten der Antragstellerin zurückgewiesen.
Beschwerdewert: 250.000,- €
Gründe
Die zulässige Beschwerde hat in der Sache keinen Erfolg.
1. Zunächst ist darauf hinzuweisen, dass der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung auf Duldung der Besichtigung einerseits und der Antrag auf Einholung eines Sachverständigengutachtens im selbstständigen Beweisverfahren andererseits in getrennten Verfahren hätten geführt und beschieden werden müssen (vgl. BGH GRUR 2010, 318 - Lichtbogenschnürung, Tz. 8); dies ist schon deswegen erforderlich, weil die Zivilprozessordnung für beide Anträge unterschiedliche Verfahrensarten und insbesondere unterschiedliche Rechtsmittelmöglichkeiten vorsieht. Die demnach an sich gebotene Trennung beider Verfahren kann im Rahmen des vorliegenden Beschwerdeverfahrens allerdings unterbleiben, weil gegen die vom Landgericht vorgenommene Zurückweisung beider Anträge durch Beschluss mit der sofortigen Beschwerde das gleiche Rechtsmittel gegeben ist.
2. Das Landgericht hat den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung auf Duldung der Besichtigung mit Recht zurückgewiesen, weil die Antragstellerin die Voraussetzungen für einen Anspruch nach § 140c I 1 PatG nicht hat glaubhaft machen können.
Der Besichtigungsanspruch setzt eine hinreichende Wahrscheinlichkeit für eine Patentverletzung voraus, was im Rahmen einer umfassenden Abwägung der beiderseitigen Interessen zu prüfen ist (vgl. Schulte/Kühnen, PatG, 8. Aufl., Rn 14 zu § 104c PatG). Welcher Grad an Wahrscheinlichkeit insoweit erforderlich ist, hängt nach Auffassung des erkennenden Senats auch davon ab, wie intensiv die Durchsetzung des konkret geltend gemachten Besichtigungsbegehrens in die Interessen des mutmaßlichen Verletzers eingreift.
Wenn - wie hier - zu diesem Zweck das Betriebsgelände betreten und ein angewandtes komplexes Herstellungsverfahren in allen Einzelheiten - bis hin zur Unterbrechung und Beendigung des Produktionsprozesses - untersucht werden soll, ist ein eher hoher Grad an Verletzungswahrscheinlichkeit zu verlangen. Soll zudem ein solcher Besichtigungsanspruch im Wege der einstweiligen Verfügung (§ 140c III PatG) und ohne vorherige Anhörung des Antragsgegners durchgesetzt werden, müssen dem entscheidenden Gericht ausreichende Anknüpfungspunkte vorgelegt werden, dass es aus eigener Sachkunde die Wahrscheinlichkeit einer Patentverletzung beurteilen und insbesondere den Sachvortrag des Antragstellers hierzu auf seine Plausibilität hin überprüfen kann.
Der danach erforderliche Grad an Verletzungswahrscheinlichkeit ist im vorliegenden Fall selbst dann nicht gegeben, wenn man zu Gunsten der Antragstellerin unterstellt, dass die Antragsgegnerin die Produkte €A€ und €B€ herstellt.
Die Untersuchung des Produktes €A€ durch die Antragstellerin hat ergeben, dass die Merkmale 2 und 3 des nach Anspruch 1 geschützten Verfahrens verwirklicht sind. Die Verwirklichung von Merkmal 1 hängt davon ab, ob das in den Merkmalen 4 und 5 beschriebene Herstellungsverfahren angewandt wird (Anlage AST 21 a zur Antragschrift). Die Frage, wie wahrscheinlich auch die Verwirklichung dieser beiden Merkmale ist, hängt letztlich von der Beurteilung chemischer Zusammenhänge ab, die dem erkennenden Senat jedoch nicht geläufig sind. Auf die Beweislastregelung des § 139 III S. 1 PatG kann sich die Antragstellerin aus den bereits im Nichtabhilfebeschluss des Landgerichts dargelegten Gründen nicht stützen.
Die Unsicherheit in der technischen Beurteilung kann auch durch den umfangreichen Sachvortrag der Antragstellerin zu diesem Punkt nicht ausgeräumt werden, da der Senat diesen Vortrag auf der Grundlage seiner eigenen Sachkunde nicht einzuschätzen und auf seine Plausibilität hin zu überprüfen weiß; dies setzt vielmehr besondere Kenntnisse auf dem Gebiet der Chemie voraus. Beispielhaft wird auf den Vortrag unter Ziffer 67 der Antragsschrift zur (vermeintlichen) Verletzung des Merkmals 4 verwiesen. Dort heißt es u. a.
(Der nachfolgende Textabschnitt wurde aus rechtlichen Gründen unkenntlich gemacht - die Red.)
Diese Behauptung mag für einen auf diesem Gebiet tätigen Chemiker oder Mikrobiologen nachvollziehbar sein, für einen technischen Laien ist sie dagegen nicht ohne weiteres plausibel. Unter diesen Umständen kann jedenfalls ohne eine - von der Antragstellerin nicht gewünschte - vorherige Anhörung der Antragsgegnerin eine hinreichende Verletzungswahrscheinlichkeit nicht als glaubhaft gemacht angesehen werden.
Auf die weitere Frage, ob der erforderliche Verfügungsgrund infolge längeren Zuwartens der Antragstellerin noch gegeben ist, kommt es für die Entscheidung demnach nicht an.
3. Fehlt es demnach an den Voraussetzungen für den Erlass einer Besichtigungsverfügung, ist auch für einen Beweisbeschluss nach § 485 ZPO kein Raum, da das beantragte Sachverständigengutachten nur auf der Grundlage einer Besichtigungsverfügung erstattet werden könnte.
4. Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 I ZPO.
Die Voraussetzungen für eine Zulassung der Rechtsbeschwerde (§ 574 ZPO) sind nicht erfüllt. Soweit der Antrag auf Erlass der Besichtigungsverfügung zurückgewiesen worden ist, ist eine Rechtsbeschwerde nicht statthaft (§§ 574 I 2 i.V.m. 542 II ZPO). Die Zurückweisung das Antrages nach § 485 ZPO wirft keine Fragen nach § 574 II ZPO auf.
OLG Frankfurt am Main:
Beschluss v. 04.05.2011
Az: 6 W 36/11
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