Oberverwaltungsgericht Nordrhein-Westfalen:
Urteil vom 13. September 2004
Aktenzeichen: 4 A 772/98
(OVG Nordrhein-Westfalen: Urteil v. 13.09.2004, Az.: 4 A 772/98)
Tenor
Das angefochtene Urteil wird geändert.
Der Gebührenbescheid des Beklagten vom 4. Juni 1996 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 8. Juli 1996 wird aufgehoben.
Der Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens beider Instanzen.
Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar. Der Beklagte darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die Klägerin vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe des zu vollstreckenden Betrages leistet.
Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
Die Klägerin betreibt Lebensmittelgeschäfte. Auf Grund eines Vertrages mit der Firma S. Q. of T. GmbH empfängt sie in ihren Filialen sogenannten Ladenfunk, der in den Märkten über eine Lautsprecheranlage hörbar gemacht wird. Der "Ladenfunk" besteht aus Werbebeiträgen, die auf das Warenangebot in dem jeweiligen Geschäft abgestimmt sind, sowie Musik und umfasste jedenfalls zunächst auch Horoskope und Wetterberichte. Die von der Firma S. Q. of T. GmbH für ihre jeweiligen Kunden produzierten Programme werden mittels eines digitalen Distributionssystems über einen Fernmeldesatelliten ausgestrahlt, wobei eine "punktgenau" differenzierte Zuordnung zu den einzelnen Geschäften durch elektronische Adressen erfolgt. Die Programme sind auf Grund der Kodierung nur von dem jeweils bestimmten Empfangsgerät reproduzierbar, das die Firma S. Q. of T. GmbH ihren Kunden zur Verfügung stellt und das den Empfang anderer Sendungen nicht ermöglicht. Der Kunde bestimmt durch entsprechende Aufträge, wann und wie oft die Werbespots abgerufen werden. Einzelne übermittelte Werbespots sind am Empfangsgerät durch Tasten deaktivierbar. Die Verweildauer der Werbespots im Speicher der Empfangsgeräte beträgt in der Regel eine Woche, danach werden sie durch neue Beiträge überschrieben. Wegen der weiteren Einzelheiten des Übertragungsvorgangs wird auf die zu den Akten gereichte Stellungnahme der Firma S. Q. of T. GmbH vom 20. Dezember 2001 Bezug genommen.
Mit Bescheid vom 4. Juni 1996 zog der Beklagte die Klägerin zu Rundfunkgebühren für ein Hörfunkgerät in der Filiale N. für den Zeitraum von Januar bis einschließlich Juni 1996 in Höhe von DM ( Euro) heran. Den gegen den Gebührenbescheid eingelegten Widerspruch wies der Beklagte durch Widerspruchsbescheid vom 8. Juli 1996, der Klägerin am 10. Juli 1996 zugestellt, zurück.
Am 9. August 1996 hat die Klägerin Klage erhoben. Zur Begründung hat sie u.a. ausgeführt: Eine Rundfunkgebührenpflicht für die Empfangsgeräte der Firma S. Q. of T. GmbH bestehe nicht. Die Rundfunkgebühr stelle sich als Gegenleistung für die Versorgung mit öffentlichrechtlichem Rundfunk dar. Dabei könne dahin gestellt bleiben, ob die Rundfunkgebühr abgabenrechtlich eine Gebühr oder ein Beitrag sei. Auch der Tatbestand einer Beitragserhebung sei nicht erfüllt, weil für die Vertragspartner der Firma S. Q. of T. GmbH nicht die Möglichkeit bestehe, öffentlichrechtlichen Rundfunk zu empfangen. Entscheidend sei, dass der Empfang dieses Rundfunks technisch ausgeschlossen sei. Im Übrigen handele es sich bei dem Ladenfunk nicht um Rundfunk im Sinne von § 1 des Rundfunkgebührenstaatsvertrages bzw. § 2 des Rundfunkstaatsvertrages. Es fehle sowohl an einer für die Allgemeinheit bestimmten Darbietung als auch an dem Tatbestandsmerkmal der "Verbreitung". Der Ladenfunk sei nicht für die Allgemeinheit bestimmt, sondern für einen genau abgrenzten Kreis von Empfängern, die Vertragspartner der Firma S. Q. of T. GmbH seien. Allein die Vertragspartner könnten das Programm empfangen und entscheiden, ob sie das Programm hörbar machten. Es komme hinzu, dass sie selbst Einfluss auf den Ablauf des Programms nehmen und durch die zeitversetzte Hörbarmachung auch entscheiden könnten, zu welchem Zeitpunkt es abgespielt werde. Die Hörbarmachung über Lautsprecher in den Geschäftsräumen erfülle ersichtlich nicht den Rundfunkbegriff. Weiter fehle es auch an einer "Verbreitung", da diese nur vorliege, wenn der Sender bestimme, zu welchem Zeitpunkt welches Programm ausgestrahlt werde. Hier sei es jedoch der Entscheidung der Vertragspartner vorbehalten, welche Programmteile sie wann in ihren Märkten zur Ausstrahlung bringen wollten. Auch die Regelungen des Mediendienste-Staatsvertrages sprächen dagegen, dass es sich hier um Rundfunk handele. Gemäß § 2 Abs. 2 Nr. 4 Mediendienste-Staatsvertrag seien Mediendienste, aber nicht Rundfunk u.a. Abrufdienste, bei denen Text-, Ton- oder Bilddarbietungen auf Anforderung aus elektronischen Speichern zur Nutzung übermittelt würden, mit Ausnahme von solchen Diensten, bei denen der individuelle Leistungsaustausch oder die reine Übermittlung von Daten im Vordergrund stehe.
Die Klägerin hat beantragt,
den Gebührenbescheid des Beklagten vom 4. Juni 1996 und den Widerspruchsbescheid vom 8. Juli 1996 aufzuheben.
Der Beklagte hat beantragt,
die Klage abzuweisen.
Zur Begründung hat er u.a. ausgeführt: Der von der Klägerin empfangene Ladenfunk erfülle die Rundfunkmerkmale des § 2 Abs. 1 RfStV. Bestimmtheit für die Allgemeinheit bedeute, dass ein Medium an die Öffentlichkeit im Sinne einer Vielzahl von Empfängern gerichtet sei. Dieses Kriterium sei auch für die einzelne Filiale in N. erfüllt. Der Personenkreis sei vom jeweiligen Einzugsbereich der Filiale abhängig, da jeder als potenzieller Ladenkunde in Betracht komme. Im Übrigen sei auf die Konzeption des Ladenfunks insgesamt abzustellen, da er ein Angebot für Kunden an allen denkbaren Orten, zumindest in mehreren Filialen der Klägerin vorsehe. Es handele sich nicht nur um eine auf die Mindener Filiale bezogene individuelle Dienstleistung. Darauf, dass nur wenige den technischen Zugang zu dem Programm hätten, komme es nicht an. Es handele sich auch um Darbietungen im Sinne der rundfunkrechtlichen Definition. Ausgeschlossen sei vom Begriff der Darbietung alles, was zu öffentlichen Meinungsfindung weder bestimmt noch geeignet sei. Die Mitwirkung an der öffentlichen Meinungsbildung beziehe sich dabei keineswegs nur auf Nachrichtensendungen, politische Kommentare oder Sendereihen über politische Probleme. Jedes Rundfunkprogramm habe durch die Auswahl und Gestaltung der Sendungen eine gewisse Tendenz, und zwar auch insoweit, als es um die Entscheidung gehe, was nicht gesendet werden solle. Auch Werbung sei eine Darbietung in diesem Sinne, ob nun als Meinungsäußerung oder hinsichtlich ihres tatsächlichen Informationsgehalts als Berichterstattung.
Das Verwaltungsgericht hat die Klage durch das angefochtene Urteil abgewiesen und zur Begründung u.a. ausgeführt: Der in Streit stehende Ladenfunk sei Rundfunk im Sinne von § 2 Abs. 1 RfStV. Zu den Darbietungen im rundfunkrechtlichen Sinne gehörten auch Werbesendungen, wobei vorliegend auch durch die Auswahl und Zusammenstellung der Musik meinungsbildender Einfluss auf die Hörer ausgeübt werden solle. Die im maßgeblichen Zeitraum gesendeten Wetterberichte und Horoskope unterfielen gleichfalls dem Darbietungsbegriff. Der Ladenfunk richte sich auch an die Allgemeinheit. Dabei sei zu berücksichtigen, dass Empfänger und Adressaten eines Rundfunkprogramms zwar typischerweise, aber nicht notwendig identisch seien. Maßgeblich sei, an wen sich das Programm bestimmungsgemäß richte. Dies seien in dem vorliegenden Fall nicht die Vertragspartner der Firma S. Q. of T. GmbH, sondern die Kunden in den einzelnen Filialen, die eine beliebige Öffentlichkeit und deshalb eine Allgemeinheit im rundfunkrechtlichen Sinne darstellten. Schließlich werde der Ladenfunk mittels elektrischer Schwingungen verbreitet, mit der Folge, dass die ausgestrahlten Sendesignale gleichzeitig von mehreren Empfängern empfangen werden könnten. Auf den Umstand, dass das von der Klägerin bereit gehaltene Empfangsgerät technisch nicht geeignet sei, andere Programme, insbesondere solche des öffentlichrechtlichen Rundfunks, zu empfangen, komme es nicht an. Gegenleistung für die Rundfunkgebühr sei nämlich nicht der Empfang öffentlichrechtlicher Programme, sondern die Teilnahme an der Gesamtveranstaltung Rundfunk, die als öffentlichrechtlicher und privater Rundfunk in einem dualen System stattfinde.
Auf Antrag der Klägerin hat der Senat mit Beschluss vom 27. April 2001 die Berufung gegen das angefochtene Urteil gemäß § 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO zugelassen.
Mit ihrer rechtzeitig eingegangenen Berufungsbegründung macht die Klägerin im Wesentlichen geltend: Das Programm der Firma S. Q. of T. GmbH sei nicht für die Allgemeinheit bestimmt, sondern für einen genau abgegrenzten Kreis von Empfängern, nämlich die Vertragspartner dieser Firma. Nur die Vertragspartner könnten das Programm überhaupt empfangen und es liege allein in ihrer Entscheidung, ob und wann sie das Programm hörbar machten, wobei sie überdies selbst Einfluss auf den Inhalt des Programms nehmen könnten. Die Firma S. Q. of T. GmbH könne die praktische Handhabung durch die Inhaber der Einzelhandelsketten letztlich nicht beeinflussen. Die Hörbarmachung des Ladenfunks im Markt selbst unterfalle demgegenüber ebenso wenig dem Rundfunkbegriff wie etwa das Abspielen eines auf Kassette aufgezeichneten Radioprogramms im Markt. Auch die Erwägung des Verwaltungsgerichts, der Ladenfunk richte sich bestimmungsgemäß an die Kunden in den Filialen, überzeuge nicht. Für wen das Programm bestimmt sei, richte sich nach der Absicht des Veranstalters. Der in Rede stehende Ladenfunk sei aber nicht für eine beliebige Öffentlichkeit bestimmt, also nicht für jedermann zugänglich, der ein entsprechendes Empfangsgerät besitze, sondern werde ausschließlich für die in vertraglichen Beziehungen mit der Firma S. Q. of T. GmbH stehenden Handelsunternehmen veranstaltet und konzipiert. Ein Rundfunkprogramm könne nur für den Rundfunkempfänger bestimmt sein, nicht aber - wie es das Verwaltungsgericht zugrunde gelegt habe - für Dritte wie etwa die in den Märkten anwesenden Kunden. Unabhängig davon sei das Programm der Firma S. Q. of T. GmbH nicht als "Darbietung" im rundfunkrechtlichen Sinne anzusehen. Voraussetzung dafür sei, dass eine besondere "Meinungsmacht" mit hinlänglicher Breitenwirkung, Aktualität und Suggestivkraft bestehe. Je geringer die Breitenwirkung, die Aktualität und die Suggestivkraft seien, desto eher sei ein Mediendienst anzunehmen mit der Folge, dass die Anwendung des strengen Ordnungsrahmens für den Rundfunk unverhältnismäßig sei. Vorliegend fehle es insbesondere an der erforderlichen Breitenwirkung. Die Überlegungen des Verwaltungsgerichts zur publizistischen Wirkung des Ladenfunks trügen den konkreten Gegebenheiten und Umständen beim Einkauf im Ladengeschäft nicht Rechnung. Angesichts der begrenzten Verweildauer von Kunden im Ladengeschäft, der Konzentration der Kunden auf den eigentlichen Einkaufsvorgang und des auf Musik, Wetterberichte und die angebotene Produktpalette beschränkten Programminhalts sei der Ladenfunk - wenn überhaupt - von nur sehr geringer publizistischer und meinungsbildender Relevanz. Dabei sei zu berücksichtigen, dass etwa Abrufdienste wie Internet-S. und -TV, Music-On-Demand, Video-On-Demand wegen ihrer geringen Breitenwirkung außerhalb des Rundfunks den Mediendiensten zugeordnet worden seien. Vor diesem Hintergrund erscheine es inkonsequent, den Ladenfunk demgegenüber in den Bereich des Rundfunkrechts einzubeziehen.
Die Klägerin beantragt,
das angefochtene Urteil zu ändern und den Bescheid des Beklagten vom 4. Juni 1996 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 8. Juli 1996 aufzuheben.
Der Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Zur Begründung führt er u.a. aus: Der Ladenfunk sei für die Allgemeinheit, nämlich die jeweils anwesenden Kunden, bestimmt. Nur im Hinblick auf diese Adressaten werde der Ladenfunk produziert und ausgestrahlt. Aus § 20 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 und Satz 3 RfStV ergebe sich, dass der Gesetzgeber bei der Bestimmung des Begriffs "Allgemeinheit" auf die Besucher einer Einrichtung und nicht auf die Einrichtung als solche abstelle. Der Rundfunkstaatsvertrag sehe nämlich auch die in den angeführten Vorschriften genannten Veranstaltungen als Rundfunk an. Die Richtigkeit der den angefochtenen Bescheiden zugrunde liegenden Beurteilung werde dadurch bestätigt, dass etwa auch S. NRW als Rundfunkveranstalter angesehen werde, das lokalen Rundfunkveranstaltern Programme zur Verfügung stelle, die diese für die Allgemeinheit unter ihrem eigenen Namen ausstrahlten. Der Ladenfunk habe auch eine publizistische Relevanz. Dies gelte sowohl für die ausgestrahlte Werbung als auch für die gesendete Musik. Die publizistische Relevanz hänge im Übringen nicht davon ab, wie lange und mit welcher Aufmerksamkeit die jeweiligen Programme verfolgt würden. Auch sei es nicht erforderlich, dass die Darbietung von herausgehobener meinungsbildender Relevanz sei. Immerhin spreche die Firma S. Q. of T. GmbH selbst von einem "der reichweitenstärksten Radiosender Deutschlands" und hebe die Bedeutung des Ladenfunks für Kaufentscheidungen der Kunden in den Märkten hervor.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakten sowie der Verwaltungsvorgänge des Beklagten Bezug genommen.
Gründe
Die vom Senat zugelassene und auch im Übrigen zulässige Berufung ist begründet. Das Verwaltungsgericht hat die Klage zu Unrecht abgewiesen. Die gegen den Gebührenbescheid in der Gestalt des Widerspruchsbescheides gerichtete Anfechtungsklage hat Erfolg. Denn der Bescheid ist rechtswidrig und verletzt die Klägerin in ihren Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).
Nach Art. 4 (Rundfunkgebührenstaatsvertrag) § 2 Abs. 2 Satz 1 des Staatsvertrages über den Rundfunk im vereinten Deutschland (StV) vom 31. August 1991 (GV.NRW S. 408) in Verbindung mit dem Gesetz über die Zustimmung zu diesem Staatsvertrag vom 14. November 1991 (GV.NRW S. 408) - hier anzuwenden in der Fassung des Zweiten Staatsvertrages zur Änderung des Rundfunkstaatsvertrages, dem der Landtag mit Gesetz vom 21. November 1995 zugestimmt hat (GV. NRW S. 1196) - hat jeder Rundfunkteilnehmer für jedes von ihm zum Empfang bereit gehaltene Rundfunkempfangsgerät eine Grundgebühr zu entrichten. Diese Voraussetzung erfüllt die Klägerin in ihrer Mindener Filiale nicht.
Gemäß Art. 4 (Rundfunkgebührenstaatsvertrag) § 1 Abs. 1 Satz 1 StV sind Rundfunkempfangsgeräte im Sinne des Staatsvertrages Einrichtungen, die zur drahtlosen oder drahtgebundenen, nicht zeitversetzten Hör- oder Sehbarmachung oder Aufzeichnung von Rundfunkdarbietungen (Hörfunk und Fernsehen) geeignet sind. Das von der Klägerin zum Empfang des Programms der Firma S. Q. of T. GmbH bereit gehaltene Gerät ist kein derartiges Rundfunkempfangsgerät; denn der damit allein zu empfangende Ladenfunk ist keine Rundfunkdarbietung i.S.d. des Staatsvertrages.
Rundfunk ist gemäß Art. 1 (Rundfunkstaatsvertrag) § 2 Abs. 1 Satz 1 StV die für die Allgemeinheit bestimmte Veranstaltung und Verbreitung von Darbietungen aller Art in Wort, in Ton und in Bild unter Benutzung elektrischer Schwingungen ohne Verbindungsleitung oder längs oder mittels eines Leiters. Der Begriff schließt Darbietungen ein, die verschlüsselt verbreitet werden oder gegen besonderes Entgelt empfangbar sind, sowie Fernsehtext (vgl. auch die entsprechenden Bestimmungen des (früheren) RundfunkG NRW - § 2 Abs. 1 - bzw. des LMG NRW - § 3 Abs. 1 Nr. 1 -).
Dabei kann dahin stehen, ob es sich bei dem Ladenfunk um eine Darbietung im vorgenannten Sinne handelt, das Programm also für die individuelle und öffentliche Meinungsbildung bestimmt sowie geeignet und deshalb von publizistischer Relevanz ist.
Vgl. etwa Ricker/Schiwy, Rundfunkverfassungsrecht, München 1997, S. 67 f.
Denn der Ladenfunk ist jedenfalls nicht im Sinne von Art. 1 (Rundfunkstaatsvertrag) § 2 Abs. 1 Satz 1 StV für die Allgemeinheit bestimmt (1.); ferner fehlt es zugleich an einer rundfunktechnischen Verbreitung (2.), die der Rundfunkbegriff des Staatsvertrages - wie dargetan - ebenfalls voraussetzt.
1. Entgegen der Auffassung des Verwaltungsgerichts bezieht sich der Begriff "Allgemeinheit" im Sinne des Staatsvertrages nicht auf den Hörerkreis, sondern auf den Kreis der Empfänger. "Rundfunk" bedeutet schon seinem Wortlaut nach ein "Rundum"-Funken, also eine Übermittlung nicht gezielt an bestimmte Empfänger wie etwa beim Richtfunk, sondern flächendeckend im Verbreitungsbereich an eine verstreute unbestimmte und beliebige Vielzahl von Empfängern.
Vgl. etwa Herrmann, Fernsehen und Hörfunk in der Verfassung der Bundesrepublik Deutschland, 1975, S. 43, 46; Berendes, Die Staatsaufsicht über den Rundfunk, 1973, S. 36 f,; Ricker/Schiwy, a.a.O., S. 62, m.w.N. aus der Lit.; vgl. auch OVG NRW, Urteil vom 24. September 1976 - 15 A 1090/74 -, DÖV 1978, 519, wo (kumulativ) die Allgemeinheit der Empfangsmöglichkeit und der Programmadressierung verlangt wird.
Rundfunk ist maßgeblich dadurch gekennzeichnet, dass sich die "Allgemeinheit" die Programminhalte gleichsam durch Knopfdruck, nämlich "durch Ein- und Ausschalten" ,
so BVerfG, Beschluss vom 24. März 1987 - 1 BvR 147, 478/86 -, BVerfGE 74, 297, 352,
verfügbar machen kann. Der mit dem Begriff "Allgemeinheit" in Bezug genommene Personenkreis ist also die Gruppe der (potenziellen) Besitzer von Rundfunkempfangsgeräten im Verbreitungsgebiet eines Rundfunksenders. Die für eine beliebige Vielzahl von Personen bestehende Möglichkeit, die Programmdarbietungen mittels dieser Geräte an verschiedenen Orten im Verbreitungsgebiet des jeweiligen Senders zu empfangen, bestimmt auch in wesentlicher Hinsicht die besondere Bedeutung des Rundfunks als Massenkommunikationsmittel. Dies wird bestätigt durch den systematischen Bezug der durch Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG geschützten Rundfunkfreiheit zu der in Satz 1 der Vorschrift u.a. geschützten Informationsfreiheit. Mit der letztgenannten Norm wird der Zugang zu den Massenmedien als "allgemein zugänglichen Quellen" gewährleistet; dieser allgemeine Zugang besteht beim Rundfunk in der für eine beliebige Vielzahl von Personen bestehenden Empfangsmöglichkeit.
Vgl. Ricker/Schiwy, a.a.O., S. 65 f., m.w.N.
Nach diesen Grundsätzen richtet sich der in Streit stehende "Ladenfunk" deshalb nicht an eine "Allgemeinheit" i.S.v. Art. 1 (Rundfunkstaatsvertrag) § 2 Abs. 1 Satz 1 StV, weil er nur von den jeweiligen Vertragspartnern der Firma S. P.O.S. mittels eines "punktgenau" angesteuerten Empfangsgerätes empfangen werden kann und weder die einzelnen Vertragspartner noch die Gruppe der Vertragspartner eine "Allgemeinheit" im vorbezeichneten Sinne bilden. Die anschließende Hörbarmachung des Programms für die Besucher der Filialen durch den Einsatz von Lautsprechern ist keine rundfunktechnische Darbietung, weil diese Übertragung nicht durch elektrische Schwingungen ohne Verbindungsleitung oder längs oder mittels eines Leiters im Sinne von Art. 1 (Rundfunkstaatsvertrag) § 2 Abs. 1 Satz 1 StV, sondern durch Schallwellen erfolgt. Insoweit liegen die Verhältnisse bei dem hier in Rede stehenden Ladenfunk grundsätzlich anders als bei dem vom Beklagten angesprochenen Rundfunk in "Einrichtungen", der (nunmehr) in Art. 1 (Rundfunkstaatsvertrag) § 20 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 StV (in der vorliegend maßgeblichen Fassung: § 19 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2) in Bezug genommen ist. Die damit angesprochenen Sachverhalte, etwa Hotel- oder Krankenhausfunk,
vgl. zu letzterem auch OVG NRW, Urteil vom 24. September 1976 - 15 A 1090/74-, a.a.O.
sind dadurch gekennzeichnet, dass die Übertragung innerhalb der Einrichtung an den Adressaten anders als beim Ladenfunk nicht akustisch, sondern mittels elektrischer Schwingungen erfolgt, die erst mit Hilfe der etwa in den einzelnen Hotel- oder Krankenhauszimmern befindlichen Empfangsvorrichtungen in akustische Signale umgesetzt werden. Der Einrichtungsbesucher/-insasse ist in diesen Fällen Empfänger, der sich das Programm anders als der Ladenkunde "durch Ein- und Ausschalten" - wie oben vorausgesetzt - verfügbar machen kann. Insoweit kann der Hinweis des Beklagten auf die genannten Bestimmungen des Staatsvertrages über Rundfunk in Einrichtungen nicht durchgreifen.
Vgl. allerdings Hartstein/Ring/Kreile/ Dörr/Stettner, Rundfunkstaatsvertrag, Stand: 4/2000,B5 § 2 RStV Rdn. 16.
Zusammenfassend formuliert handelt es sich bei der Übermittlung des Ladenfunks von S. P.O.S. an seine Vertragspartner um Individualkommunikation (und deshalb nicht um Rundfunk) und bei der Weitergabe der Programminhalte an die Marktbesucher zwar möglicherweise um Massenkommunikation, aber eben nicht im Wege des Rundfunks, weil sie nicht den technischen Anforderungen des im Staatsvertrag formulierten Rundfunkbegriffs entspricht.
A.A. zur Ausstrahlung von über das Telefonnetz übermittelten Text- und Bildtafeln in Supermärkten: VG des Saarlandes, Urteil vom 18. April 1995 - 1 K 297/92 -, ZUM 1995, S. 642; vgl. dazu auch Kresse/Heinze, Rundfunk im Supermarkt€, ZUM 1995, 608, sowie Müller-Using/Dammermann, Kritik an dem Urteil des Verwaltungsgericht des Saarlandes, ZUM 1995, 611.
2. Ebenso wenig wie sich der Ladenfunk demnach an eine Allgemeinheit im Sinne von Art. 1 (Rundfunkstaatsvertrag) § 2 Abs. 1 Satz 1 StV richtet, wird er im Sinne dieser Bestimmung "verbreitet". Auch der Inhalt dieses Merkmals erschließt sich aus der dargelegten Wortlautbedeutung des Begriffs "Rundfunk" und der besonderen Rolle des Rundfunks als Massenkommunikationsmittel, wie sie oben aufgezeigt worden ist. Eine Verbreitung im hier maßgeblichen Sinne umfasst also nicht die "punktgenaue" Übertragung zu einzelnen Empfangsstationen, wie sie vorliegend erfolgt, sondern setzt voraus, dass das Programm sendetechnisch in einem größeren Umfeld für eine Vielzahl von Empfangsgeräten zur Verfügung steht.
Vgl. Ricker/Schiwy, a.a.O., S. 68 ff.
Auch diese Voraussetzung erfüllt der Ladenfunk nicht.
Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 154 Abs. 1 VwGO. Der Ausspruch über die vorläufige Vollstreckbarkeit der Kostenentscheidung folgt aus § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 Nr. 10 und 711 ZPO.
Die Entscheidung über die Zulassung der Revision beruht auf § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO i.V.m. Art. 1 (Rundfunkstaatsvertrag) § 48 StV in der Fassung des Dritten Staatsvertrages zur Änderung rundfunkrechtlicher Staatsverträge (Dritter Rundfunkänderungsstaatsvertrag) (GV. NRW S. 484) und Art. 99 GG. Der vorliegende Streit betrifft die Auslegung von Art. 1 (Rundfunkstaatsvertrag) § 2 Abs. 1 Satz 1 StV und damit eine Bestimmung "dieses Staatsvertrages" i.S.v. Art. 1 (Rundfunkstaatsvertrag) § 48 StV in der zuvor zitierten Fassung. Die sich dabei stellende Frage, ob Ladenfunk in der vorliegend praktizierten Form dem im Rundfunkstaatsvertrag normierten Rundfunkbegriff unterfällt, hat nach Überzeugung des Senats grundsätzliche Bedeutung i.S.v. § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO.
OVG Nordrhein-Westfalen:
Urteil v. 13.09.2004
Az: 4 A 772/98
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