Landesarbeitsgericht Köln:
Beschluss vom 15. November 2000
Aktenzeichen: 3 TaBV 55/00
(LAG Köln: Beschluss v. 15.11.2000, Az.: 3 TaBV 55/00)
Tenor
Die Beschwerde des Antragstellers gegen den am 11.04.2000 verkündeten Beschluss des Arbeitsgerichts Köln - 17 BV 17/00 - wird zurückgewiesen.
Die Rechtsbeschwerde wird zugelassen.
Gründe
I. Die Beteiligten streiten um die Verpflichtung der Arbeitgeberin zur Erstattung von Rechtsanwaltskosten, die im Zusammenhang mit zwei arbeitsgerichtlichen Beschlussverfahren entstanden sind. Antragsteller ist der aus sieben Mitglied bestehende Betriebsrat der Antragsgegnerin, bei der etwa 250 Arbeitnehmer beschäftigt sind.
Mit Schreiben vom 09. Juli 1999 beantragte die Arbeitgeberin bei dem Betriebsrat die Zustimmung zur außerordentlichen Kündigung des damaligen Betriebsratsvorsitzenden H wegen des Verdachts des Spesen- und Abrechnungsbetruges. Nachdem der Betriebsrat die Zustimmung verweigert hatte, beantragte die Arbeitgeberin bei dem Arbeitsgericht Köln, die Zustimmung des Betriebsrats zur Kündigung von Herrn H zu ersetzen. Das Beschlussverfahren wurde unter dem Aktenzeichen 4 BV 152/99 geführt.
Auch einen erneuten, mit weiteren Pflichtverletzungen begründeten Antrag der Arbeitgeberin, der außerordentlichen Kündigung des Betriebsratsvorsitzenden zuzustimmen, lehnte der Betriebsrat ab. Die Arbeitgeberin leitete daraufhin am 13.09.1999 bei dem Arbeitsgericht Köln ein zweites Zustimmungsersetzungsverfahren (10 BV 175/99) ein.
Der Betriebsrat beschloss in seiner Sitzung vom 04.08.1999, Rechtsanwalt B mit seiner Vertretung in dem Beschlussverfahren 4 BV 152/99 zu beauftragen. Mit Beschluss des Betriebsrats vom 29.09.1999 und 26.11.1999 wurde Rechtsanwalt B mit der Vertretung des Betriebsrats in dem Beschlussverfahren 10 BV 175/99 beauftragt. In dem Beschlussverfahren 4 BV 152/99 vertrat Rechtsanwalt B auch den damaligen Betriebsratsvorsitzenden H . Ende September 1999 legte Rechtsanwalt B das Mandat für Herrn H nieder. In dem Beschlussverfahren 10 BV 175/99 vertrat Rechtsanwalt B ausschließlich den Betriebsrat. Rechtsanwalt B übersandte dem Betriebsrat zwei die Verfahren 4 BV 152/99 und 10 BV 175/99 betreffende Zwischenrechnungen über jeweils 1.914,00 DM (Blatt 48/49 d. A.). Da die Arbeitgeberin die Übernahme der Kosten ablehnte, hat der Betriebsrat beantragt:
1. Die Antragsgegnerin wird verpflichtet, den
Antragsteller von den Kosten der Vertretung
in den arbeitsgerichtlichen Beschlussverfahren
vor dem Arbeitsgericht Köln - Az.: - 4 BV 152/99 -
und - 10 BV 175/99 - freizustellen.
2. Die Antragsgegnerin wird verpflichtet, an den
Verfahrensbevollmächtigten des Antragstellers
3.828,00 DM nebst 4 % Zinsen seit dem
10. Dezember 1999 zu zahlen.
Die Arbeitgeberin hat die Verweigerung der Zahlung damit begründet, dass die Anwaltsverträge, die der Betriebsrat mit Rechtsanwalt B geschlossen habe, wegen Doppelmandatierung nichtig seien.
Das Arbeitsgericht Köln hat den Antrag mit Beschluss vom 11.04.2000 zurückgewiesen. Auf die Gründe des Beschlusses (Blatt 64 ff.) wird Bezug genommen.
Gegen diesen Beschluss wendet der Betriebsrat sich mit der Beschwerde. Er widerspricht der Auffassung des Arbeitsgerichts, in dem Beschlussverfahren 4 BV 152/99 habe zwischen dem Betriebsrat und dem Betriebsratsvorsitzenden ein struktureller Interessengegensatz bestanden, der einer Beauftragung von Rechtsanwalt B durch die beiden Beteiligten - den Betriebsrat und Herrn H - entgegengestanden habe. Vielmehr liege der in § 66 ZPO beschriebene Sachverhalt vor, dass nämlich ein Dritter (der Betriebsratsvorsitzende) ein Interesse am Ausgang eines zwischen anderen Personen anhängigen Rechtsstreits habe. Selbst wenn man annehme, dass eine strukturell von vornherein bestehende Konfliktsituation eine gleichzeitige Tätigkeit für Betriebsrat und Betriebsratsvorsitzenden ausschließe, müsse jedenfalls dann die Möglichkeit einer Mehrfachvertretung bestehen, wenn eine derartige Konfliktsituation nicht eintreten könne, weil der Arbeitgeber schon erkennbar keinen an sich geeigneten Grund im Sinne des § 626 BGB vortrage.
Da Rechtsanwalt B nunmehr seine Honorarforderung bezüglich des Verfahrens 4 BV 152/99 auf 3.162,28 DM (Blatt 105) und bezüglich des Verfahrens 10 BV 175/99 auf 2.489,36 DM (Blatt 83 d. A.) beziffert hat, beantragt der Betriebsrat nunmehr:
Die Antragsgegnerin wird verpflichtet, an den Verfahrens-
bevollmächtigten des Antragstellers 5.651,64 DM nebst
5 % Zinsen über dem Basiszinssatz seit dem 10. Dezember
1999 zu zahlen.
Die Arbeitgeberin beantragt,
die Beschwerde zurückzuweisen.
II. Die Beschwerde ist unbegründet.
Die Haftung der Arbeitgeberin entfällt nicht bereits deshalb, weil es an wirksamen Betriebsratsbeschlüssen fehlt. Denn die Beauftragung von Rechtsanwalt B erfolgte in der Sache 10 BV 175/99 jedenfalls auf Grund wirksamen Betriebsratsbeschlusses vom 26.11.1999 (Blatt 12 ff.). In der Sache 4 BV 152/99 erfolgte die Beauftragung mit Beschluss vom 04.08.1999.
Die Beschwerde ist aber unbegründet, weil die Geschäftsbesorgungsverträge, die der Betriebsrat mit Rechtsanwalt B geschlossen hat, nach §§ 134 BGB, 43 a Abs. 4 BRAO, 3 Abs. 1 BO nichtig sind.
Nach § 43 a Abs. 4 BRAO darf ein Rechtsanwalt keine widerstreitenden Interessen vertreten. § 3 Abs. 1 BO verbietet ihm eine Tätigkeit, wenn er - gleich in welcher Funktion - eine andere Partei in derselben Rechtssache mit widerstreitenden Interessen bereits beraten oder vertreten hat.
Diese Voraussetzung ist erfüllt. Als der Betriebsrat Rechtsanwalt B für das Beschlussverfahren 4 BV 152/99 beauftragte, war er bereits von dem an dem Verfahren beteiligten Betriebsratsvorsitzenden H zur Wahrnehmung seiner eigenen Interessen mandatiert worden. Zwischen Betriebsrat und Betriebsratsvorsitzendem bestehen, soweit es um ein Beschlussverfahren im Sinne des § 103 BetrVG geht, widerstreitende Interessen im Sinne der §§ 43 Abs. 4 a BRAO, 3 Abs. 1 BO. Das Betriebsverfassungsrecht ist Arbeitnehmerschutzrecht; die Beteiligungsrechte des Betriebsrats, seine Mitbestimmungs- und Mitwirkungsrechte bestehen im Interesse der Arbeitnehmer des Betriebes. Das Zusammenwirken von Arbeitgeber und Betriebsrat dient gemeinsamen Zielen, nämlich dem Wohl des Betriebes und der Belegschaft, § 2 Abs. 1 BetrVG (vgl. Fitting-Kaiser-Heither-Engels, BetrVG, 20. Aufl., Anm. 140 vor § 1, Anm. 1 zu § 1). In diesen Grenzen hat der Betriebsrat sein Recht auszuüben, dem Antrag des Arbeitgebers auf Zustimmung zur außerordentlichen Kündigung von Mitgliedern des Betriebsrats zuzustimmen oder den Antrag zurückzuweisen. Soll § 103 BetrVG die Träger der Betriebsverfassungsorgane vor willkürlichen außerordentlichen Kündigungen schützen und soll dadurch zugleich die Kontinuität der Arbeit dieser Organe gewahrt werden, so geht es letztlich um nichts anderes als die Interessen der Arbeitnehmer des Betriebes. Demgegenüber soll mit der Beteiligung des von dem Antrag des Arbeitgebers betroffenen Betriebsratsmitglieds dessen individualrechtlicher Kündigungsschutz gewährleistet werden. Ersetzt nämlich das Arbeitsgericht rechtskräftig die Zustimmung, so kann der Betroffene zwar noch innerhalb von drei Wochen Kündigungsschutzklage erheben. Da aber regelmäßig derselbe Tatbestand vorliegt und im Urteilsverfahren dieselben Prüfungsmaßstäbe anzulegen sind wie im Beschlussverfahren, ist die Entscheidung des Arbeitsgerichts im Beschlussverfahren präjudiziell für das Urteilsverfahren mit der Folge, dass eine abweichende Sachentscheidung regelmäßig nicht möglich ist, weil das Arbeitsgericht im Beschlussverfahren nicht mehr zu der Feststellung kommen kann, es habe kein Grund für eine außerordentliche Kündigung vorgelegen (BAG 10.12.1992 AP Nr. 4 zu § 87 ArbGG 1979, Fitting-Kaiser-Heither-Engels, aaO. Anm. 30 zu § 103). Daraus ergibt sich ein struktureller Gegensatz zwischen den Interessen, die der Betriebsrat und das von der Kündigung bedrohte Betriebsratsmitglied in dem Beschlussverfahren des § 103 BetrVG verfolgen. Dem Betriebsrat kann es bei der Abwehr des von dem Arbeitgeber gestellten Zustimmungsersetzungsantrages nicht darum gehen, das Betriebsratsmitglied in jedem Fall vor einer Kündigung zu schützen. Er wird vielmehr zugleich berücksichtigen müssen, ob der Sachverhalt, auf den der Arbeitgeber die Kündigung stützt, zutrifft oder nicht und dabei die Notwendigkeit einer an der objektiven Interessenlage der Belegschaft orientierten längerfristigen, vertrauensvollen Zusammenarbeit mit dem Arbeitgeber beachten müssen. Solche Gesichtspunkte kann das beteiligte Betriebsratsmitglied außer Acht lassen; es kann - im Rahmen seiner prozessualen Wahrheitspflicht - ausschließlich seine individuellen eigenen Interessen und seinen persönlichen Kündigungsschutz geltend machen. Daraus ergibt sich ein struktureller Widerstreit der Interessen, die Betriebsrat einerseits und betroffenes Betriebsratsmitglied andererseits im Beschlussverfahren des § 103 BetrVG wahrnehmen. Ein Rechtsanwalt, der den Betriebsrat und das von der Kündigung bedrohte Betriebsratsmitglied in dem Zustimmungsverfahren vertritt, verstößt deshalb gegen §§ 43 a Abs. 4 BRAO, 3 Abs. 1 BO. Dabei kann es nicht darauf ankommen, ob ein Kündigungsgrund, wie der Antragsteller im vorliegenden Verfahren geltend macht, von vornherein gar nicht bestanden habe. Denn es ist gerade Aufgabe des Zustimmungsersetzungsverfahrens zu überprüfen, ob ein ausreichender Kündigungssachverhalt gegeben ist.
Unerheblich ist auch, dass Betriebsrat und Betriebsratsvorsitzender mit der Tätigkeit von Rechtsanwalt B für beide Beteiligte einverstanden waren. Denn zum einen ist der Streitstoff zumindest für den Betriebsrat nicht disponibel. Zum anderen besteht das durch § 43 a Abs. 4 BRAO, 3 Abs. 1 BO geschützte Rechtsgut auch in der Funktionsfähigkeit der Rechtspflege, über das die Beteiligten nicht verfügen können (vgl. dazu allgemein Hessler/Prütting/Eylmann, BRAO, 1997, Anm. 149 zu § 43 a). Es kann deshalb nicht darauf ankommen, ob das Verhalten des Rechtsanwalts tatsächlich für den einen oder anderen Teil schädlich ist (vgl. Kleine/Cosack,, BRAO, 3. Aufl. 1997, Anm. 36 zu § 43 a).
Ist ein Geschäftsbesorgungsvertrag, den ein nicht zugelassener Rechtsberater unter Verstoß gegen Art. 1 § 1 Rechtsberatungsgesetz mit einem Rechtssuchenden geschlossen hat, nichtig, so kann nichts anderes für die Verträge gelten, die ein Rechtsanwalt mit Parteien schließt, deren Interessen im Sinne der §§ 43 a Abs. 4 BRAO, 3 Abs. 1 BO divergieren. Die Argumente, mit denen der Bundesgerichtshof die Nichtigkeit des Vertrages begründet, der gegen Art. 1 § 1 Rechtsberatungsgesetz verstößt, treffen auch hier zu. Auch bei einem Verstoß gegen § 43 a Abs. 4 BRAO geht es nicht nur um die Verletzung einer Ordnungsvorschrift, die lediglich das Allgemeininteresse berücksichtigt, sondern um den Schutz der Rechtssuchenden, die Belange der Anwaltschaft und die Funktionsfähigkeit der Rechtspflege.
Von der Nichtigkeit ergriffen wird auch der Anwaltsvertrag, den der Betriebsrat mit Rechtsanwalt B bezüglich der Sache 10 BV 175/99 schloss. Zwar vertrat Rechtsanwalt B seinerzeit nicht mehr den Betriebsratsvorsitzenden. Es ging aber erneut um die Zustimmung des Betriebsrats zur außerordentlichen Kündigung von Herrn H und damit bei der gebotenen weiten Interpretation um dieselbe Rechtssache im Sinne des § 3 Abs. 1 BO, weil in dem Zustimmungsersetzungsverfahren der gesamte Kündigungssachverhalt, und zwar auch soweit er bereits Gegenstand eines anderen Verfahren war, im Sinne einer Gesamtbewertung aller Umstände mit berücksichtigt werden muss.
Ein Anspruch des Betriebsrats auf Freistellung ergibt sich auch nicht unter dem Gesichtspunkt der ungerechtfertigten Bereicherung. Ist der Anwaltsvertrag nichtig, so kann der Auftraggeber im Sinne des § 812 BGB auf Kosten des Rechtsanwalts eine anwaltliche Leistung erlangt haben, deren Wert nach der Gebührenordnung für Rechtsanwälte zu bemessen ist (Riedel/Süßbauer, BRAGO, 8. Aufl. 2000, Anm. 15 zu § 1). Wäre der Betriebsrat in diesem Sinne ungerechtfertigt bereichert, käme es in Betracht, dass der Arbeitgeber ihn von dem Anspruch des Rechtsanwalts B aus § 812 BGB freizustellen hätte, sofern einem Anspruch des Rechtsanwalt B nicht § 817 BGB entgegenstände (vgl. zu diesem Gesichtspunkt auch OLG München NJW 1997, 1313, 1314). Der Betriebsrat besitzt indessen keine eigene Rechtspersönlichkeit. Er ist nicht rechtsfähig und auch nicht vermögensfähig (Fitting-Kaiser-Heither-Engels aaO. Anm. 168 zu § 1, GK-Kraft 6. Aufl. 1997 Anm. 1 zu § 1; BAG 24.04.1986 AP Nr. 7 zu § 87 BetrVG 1972). Daraus ergibt sich: Hat ein Betriebsrat - wie hier - einen Vertrag abgeschlossen, so haften zunächst die Betriebsratsmitglieder, die selbst tätig waren, und andere Betriebsratsmitglieder, in deren Vollmacht der Vertrag geschlossen wurde. Sie haben dann, soweit die Kostentragungspflicht des Arbeitgebers reicht, gegen den Arbeitgeber ein Freistellungs- und Erstattungsanspruch; eine unmittelbare Haftung des Arbeitgebers Dritten gegenüber aus § 40 BetrVG kommt nicht in Betracht (GK-Kraft aaO. Anm. 76). Deshalb kann sich ein eventueller Anspruch des Rechtsanwalt B aus Leistungskondition (§812 Abs. 1 S. 1 1. Alt. BGB) nicht gegen die Arbeitgeberin selbst richten. Bei der Leistungskondition besteht ein Anspruch grundsätzlich nur innerhalb des Leistungsverhältnisses. Der Leistende kann sich zum Ausgleich einer ungerechtfertigten Vermögensverschiebung nur an den Leistungsempfänger, nicht an einen Dritten halten (Palandt-Thomas, 55. Aufl. 1995 Anm. 41 zu § 812). Leistungsempfänger war nicht die Arbeitgeberin, sondern der Betriebsrat. Ein Bereicherungsanspruch könnte sich daher nur gegen den Betriebsrat richten, der indessen - wie ausgeführt - nichts rechtsfähig und nicht vermögensfähig ist und daher auch nicht als Haftungsgegner für vermögensrechtliche Ansprüche in Betracht kommt. Der Betriebsrat als solcher kann nicht Schuldner privatrechtlicher Ansprüche sein (GK-Kraft aaO. Anm. 76). Haften aus dem Vertrag, den der Betriebsrat schließt, unmittelbar nur die Betriebsratsmitglieder selbst, die tätig wurden oder in deren Vollmacht der Vertrag abgeschlossen wurde, so kann sich bei Nichtigkeit des Vertrages ein Anspruch aus ungerechtfertigter Bereicherung unter dem Gesichtspunkt der Leistungskondition nur gegen diese Mitglieder richten. Sie sind aber persönlich nicht ungerechtfertigt bereichert, weil die anwaltliche Dienstleistung nicht ihnen gegenüber, sondern gegenüber dem Betriebsratsgremium erfolgte.
Die Zulassung der Rechtsbeschwerde erfolgte nach § 92 ArbGG.
(Dr. Klempt) (auf der Heiden) (Dresbach)
LAG Köln:
Beschluss v. 15.11.2000
Az: 3 TaBV 55/00
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