Bundespatentgericht:
Urteil vom 10. Juli 2006
Aktenzeichen: 3 Ni 3/04

(BPatG: Urteil v. 10.07.2006, Az.: 3 Ni 3/04)

Tenor

1.) Das europäische Patent 0 617 614 wird mit Wirkung für das Hoheitsgebiet der Bundesrepublik Deutschland dadurch teilweise für nichtig erklärt, dass die Patentansprüche folgende Fassung erhalten:

1. Verwendung von mindestens einer Verbindung gemäß einer der folgenden Strukturen A und I bis VII:

Grafik der Struktur A worin die ungesättigte Bindung zwischen den Kohlenstoffatomen C9 und C10 eine cis-Konfiguration hat, und eine oder beide ungesättigte Stellen zwischen den Kohlenstoffatomen C11 bis C14 wahlweise eine cis-Konfiguration hat;

"Ring" ist eine cyclische Einheit, wahlweise mit einem oder mehreren Substituenten daran;

Z ist ausgewählt aus Carboxyl (-COOH), Hydroxyalkyl [-(CR'2)n-OH, worin R' jeweils unabhängig ausgewählt ist aus Wasserstoff oder C1-C4-Alkyl und n in den Bereich von 1 bis 4 fällt], Thioalkyl [-(CR'2)n-SH, worin R' und n wie oben definiert sind], Hydroxyalkylphosphat [-(CR'2)n-OP(OM)3, worin R' und n wie oben definiert sind, und M ist Wasserstoff, C1-C4-Alkyl oder eine kationische Spezies wie Na+, Li+, K+], Alkylether einer Hydroxyalkylgruppe [-(CR'2)n-OR', worin R' und n wie oben definiert sind], Alkylthioether einer Thioalkylgruppe [-(CR'2)n-SR', worin R' und n wie oben definiert sind], Ester von Hydroxyalkylgruppen [-(CR'2)n-O-CO-R', worin R' und n wie oben definiert sind], Thioester von Hydroxyalkylgruppen [-(CR'2)n-O-CS-R', worin R' und n wie oben definiert sind], Ester von Thioalkylgruppen -(CR'2)n-S-CO-R', worin R' und n wie oben definiert sind], Thioester von Thioalkylgruppen [-(CR'2)n-S-CS-R', worin R' und n wie oben definiert sind], Aminoalkyl [-(CR'2)n-NR', worin R' und n wie oben definiert sind], N-Acylaminoalkyl [-(CR'2)n-NR'-CO-R'', worin R' und n wie oben definiert sind und R" ein C1-C4-Alkyl oder Benzyl ist], Carbamat [-(CR'2)n-NR'-CO-OR' oder (CR'2)n-O-CO-NR'2, worin R' und n wie oben definiert sind] undjedes R ist unabhängig ausgewählt aus H, Halogen, Alkyl, Aryl, Hydroxy, Thiol, Alkoxy, Thioalkoxy, Amino oder einem der Z-Substituenten;

jeweils zwei oder mehrere R-Gruppen können miteinander unter Bildung einer oder mehrerer der folgenden Ringstrukturen verknüpft sein:

Grafik der Struktur I worin

"Ring", Z und R wie oben definiert sind;

X ist -[(CR2)x-X'-(CR2)y]-, X' ist ausgewählt aus -O-, Carbonyl (>CO), -S-, -S(O)-, -S(O)2-, Thiocarbonyl (>CS), -NR"- oder -CR2-, R, Ring und Z sind wie oben definiert, R" ist Wasserstoff, Alkyl, Hydroxy, Thiol oder Alkoxyacyl (-CO-O-Alkyl);

x ist 0, 1 oder 2, y ist 0, 1 oder 2, undx + y ²2;

Grafik der Struktur II worin X, X', R, R", Z, Ring, x und y wie oben definiert sind;

Grafik der Struktur III A' Stickstoff ist und A X' ist und X, X', R, R", Z, Ring, x und y wie oben definiert sind;

Grafik der Struktur IV wobei A" Kohlenstoff ist und A ist X', B ist X' und X, X', R, R", Z, Ring, x und y sind wie oben definiert;

Grafik der Struktur V worin X" ist -[(CR2)a -X'-(CR2)b]-, X', R, R", Ring und Z sind wie oben definiert, a ist 0, 1, 2, 3 oder 4, b ist 0, 1, 2, 3 oder 4, unda + b ist ³2 aber ²4;

Grafik der Struktur VI worin Y ist -[(CR2)c-X'-(CR2)d]-, X', R, R", Ring und Z sind wie oben definiert, c ist 0, 1, 2 oder 3, d ist 0, 1, 2 oder 3, undc + d ist ³1 aber ² 3.

Grafik der Struktur VII worin X' gleich X oder eine ungesättigte Verbindungsgruppe mit der Struktur ist:

-[Q = CR - J]-

worin Q gleich -N= oder -CR= ist und J ist -CR=CR-, -N=CR-, -CR=N-, -O-, -S- oder -NR"-, wodurch C9 und C10 der Rexoidverbindung in einen aromatischen (oder pseudoaromatischen) Ring eingebunden werden, und X', X, R, R, Ring, Z, a und b sind wie oben definiert, zur Herstellung eines Medikaments für:

- die in vivo-Modulierung des Lipid-Metabolismus,

- die in vivo-Modulierung von Hautverwandten Prozessen des Alterns, Faltenbildung und Akne, und - die in vivo-Modulierung von anderen bösartigen Zellentwicklungen als der akuten promyelocytischen Leukämie, mit der Maßgabe, dass wenn die Verbindung gemäß Struktur A 9-cis Retinsäure, ihre pharmazeutisch verträglichen Salze oder ihre pharmazeutisch verträglichen hydrolysierbaren Ester ist, Zustände, die mit lichtgeschädigter Haut verbunden sind, von Akne verschiedene Störungen, die durch überschüssige Sebum Sekretion verursacht werden, Psoriasis und precanceröse actinische Keratose, precanceröse arsenische Keratosen, precanceröse Leukoplakien ausgeschlossen sind.

2. Verwendung nach Anspruch 1, worin Ring ein Cyclohexylring mit der folgenden Struktur ist:

Grafik der Strukturworinjedes R unabhängig ausgewählt ist aus H, Halogen, Alkyl, Aryl, Hydroxy, Thiol, Alkoxy, Thioalkoxy, Amino oder einem der Z-Substituenten wie in Anspruch 1 angegeben;

jeweils eines von C2, C3 oder C4 kann ersetzt sein durch -O-, Carbonyl (>CO), -S-, -S(O)-, -S(O)2-, Thiocarbonyl (>CS) oder -NR-;

R ist Wasserstoff, Alkyl, Hydroxy, Thiol oder Alkoxyacyl;

unddie cyclische Einheit kommt als gesättigtes 2-en, 3-en, 4-en oder 5-en monoungesättigtes Isomer oder das 2,4-, 2,5- oder 3,5-dien oder ein aromatisches Derivat davon vor.

3. Verwendung nach Anspruch 1, worin Ring ein 5-, 6- oder 7-gliedriger carbocyclischer, heterocyclischer aromatischer oder heteroaromatischer Ring ist.

4. Verwendung nach Anspruch 3, worin Ring ein wahlweise substituiertes gesättigtes, monoungesättigtes oder polyungesättigtes carbocyclisches Cyclopentan, Cyclopenten, Cyclohexan, Cyclohex-2-en, Cyclohex-3-en, Cyclohex-4-en und 2,4-, 2,5- oder 3,5-Cyclohexadien ist.

5. Verwendung nach Anspruch 3, worin Ring Dihydrofuran, Tetrahydrofuran, Dihydrothiopen, Tetrahydrothiophen, Dihydropyran, Tetrahydropyran, Dihydrothiopyran, Tetrahydrothiopyran, Piperidin und Pyrrolidin ist.

6. Verwendung nach Anspruch 3, worin Ring Phenyl, Tolyl, Xylyl, Mesityl, Benzyl, Pyridyl, Thiophenyl oder Furanyl ist.

7. Verwendung nach Anspruch 1, worin Ring eine geminal disubstituierte, monoungesättigte cyclische Einheit ist.

8. Verwendung nach Anspruch 7, worin Ring ein 1,1,5-trisubstituiertes Cyclohex-5-en oder ein 1,1,4,5-tetrasubstituiertes Cyclohex-5-en ist.

9. Verwendung nach Anspruch 1 mit der Ringstruktur I bis VII, worin Z eine Carboxylgruppe ist und Ring ist eine 1,1,5-trisubstituierte Cyclohex-5-en-Struktur oder eine 1,1,4,5-tetrasubstituierte Cyclohex-5-en-Struktur.

10. Verwendung nach Ansprüchen 1 oder 2, worin die Verbindung ausgewählt ist aus 9-cis-Retinoinsäure, 9-Phenyl-9-cisretinoinsäure, 4-Hydroxy-9-cisretinoinsäure, 4-Keto-9-cisretinoinsäure, 9,11-Dicisretinoinsäure und 9-cisblockierten Derivaten von Retinoinsäure, ausgewählt aus den Strukturen I bis VII, worin Z Carboxyl ist und Ring ist ein ß-Jonon oder ß-Jononähnliche Spezies mit der Struktur:

Grafik der Strukturworin A4 ausgewählt ist aus >CH2, >C=O oder >C-OH-

11. Verwendung nach einem der vorhergehenden Ansprüche zur Herstellung eines Medikaments zur Kontrolle der Gene für das zelluläre Retinolbindungsprotein Typ II (CRBPII) und Apolipoprotein-Al.

12. Verwendung nach einem der vorhergehenden Ansprüche zur Herstellung eines Medikaments für die Behandlung von Hodenkrebs und Lungenkrebs.

13. Verwendung von 9-cis-Retinoinsäure zur Herstellung eines Medikaments zur in vivo-Modulation des Lipid-Metabolismus.

14. Verwendung von 9-cis-Retinoinsäure zur Herstellung eines Medikaments zur in vivo-Modulation von Hautbezogenen Prozessen des Alterns, Faltenbildung und Akne mit Ausnahme von Zuständen, die mit lichtgeschädigter Haut verbunden sind.

15. Verwendung von 9-cis-Retinoinsäure zur Herstellung eines Medikaments zur in vivo-Modulation von anderer bösartiger Zellentwicklung als akuter promyelocytischer Leukämie.

16. Verwendung nach einem der vorhergehenden Ansprüche, worin der Dosisspiegel eine Menge umfasst, die wirksam zur Bereitstellung von Blutstromkonzentrationen von 10 nM bis 2 µM der Verbindung ist.

17. Verwendung nach einem der vorhergehenden Ansprüche, worin der Dosisspiegel eine Menge enthält die wirksam zur Bereitstellung von Blutstromkonzentrationen von 100 nM bis 200 nM der Verbindung ist.

Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.

2.) Die Klägerin trägt 2/3, die Beklagten tragen 1/3 der Kosten des Rechtsstreits.

3.) Das Urteil ist jeweils gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 120 des zu vollstreckenden Betrages vorläufig vollstreckbar.

Tatbestand

Die Beklagten sind eingetragene Inhaberinnen des am 18. Dezember 1992 unter Inanspruchnahme der Priorität der amerikanischen Patentanmeldung US 80 99 80 vom 18. Dezember 1991 als internationale Patentanmeldung PCT/US 92/11 214 angemeldeten und vom Europäischen Patentamt in der Verfahrenssprache englisch u. a. mit Wirkung für die Bundesrepublik Deutschland erteilten europäischen Patents EP 0 617 614 B1 (Streitpatent), das vom Deutschen Patent- und Markenamt unter der Nummer DE 692 24 660 geführt wird. Das Patent betrifft in der erteilten Fassung "Mittel zur Modulierung von Verfahren durch Retinoid Rezeptoren und dafür nützliche Verbindungen" und umfasst 21 Patentansprüche, von denen der Patentanspruch 1 sowie die nebengeordneten Patenansprüche 13 bis 19 wie folgt lauten:

1. Verwendung von mindestens einer Verbindung gemäß einer der folgenden Strukturen A und I bis VII:

Grafik der Struktur A worin die ungesättigte Bindung zwischen den Kohlenstoffatomen C9 und C10 eine cis-Konfiguration hat, und eine oder beide ungesättigte Stellen zwischen den Kohlenstoffatomen C11 bis C14 wahlweise eine cis-Konfiguration hat;

"Ring" ist eine cyclische Einheit, wahlweise mit einem oder mehreren Substituenten daran;

Z ist ausgewählt aus Carboxyl (-COOH), Carboxyaldehyd (-COH), Hydroxyalkyl [-(CR'2)n-OH, worin R' jeweils unabhängig ausgewählt ist aus Wasserstoff oder C1-C4-Alkyl und n in den Bereich von 1 bis 4 fällt], Thioalkyl [-(CR'2)n-SH, worin R' und n wie oben definiert sind], Hydroxyalkylphosphat [-(CR'2)n-OP(OM)3, worin R' und n wie oben definiert sind, und M ist Wasserstoff, C1-C4-Alkyl oder eine kationische Spezies wie Na+, Li+, K+], Alkylether einer Hydroxyalkylgruppe [-(CR'2)n-OR', worin R' und n wie oben definiert sind], Alkylthioether einer Thioalkylgruppe [-(CR'2)n-SR', worin R' und n wie oben definiert sind], Ester von Hydroxyalkylgruppen [-(CR'2)n-O-CO-R', worin R' und n wie oben definiert sind], Thioester von Hydroxyalkylgruppen [-(CR'2)n-O-CS-R', worin R' und n wie oben definiert sind], Ester von Thioalkylgruppen [-(CR'2)n-S-CO-R', worin R' und n wie oben definiert sind], Thioester von Thioalkylgruppen [-(CR'2)n-S-CS-R', worin R' und n wie oben definiert sind], Aminoalkyl [-(CR'2)n-NR', worin"R' und n wie oben definiert sind], N-Acylaminoalkyl [-(CR'2)n-NR'-CO-R'', worin R' und n wie oben definiert sind und R" ein C1-C4-Alkyl oder Benzyl ist], Carbamat [-(CR'2)n-NR'-CO-OR' oder (CR'2)n-O-CO-NR'2, worin R' und n wie oben definiert sind] undjedes R ist unabhängig ausgewählt aus H, Halogen, Alkyl, Aryl, Hydroxy, Thiol, Alkoxy, Thioalkoxy, Amino oder einem der Z-Substituenten;

jeweils zwei oder mehrere R-Gruppen können miteinander unter Bildung einer oder mehrerer der folgenden Ringstrukturen verknüpft sein;

Grafik der Struktur I worin

"Ring", Z und R wie oben definiert sind;

X ist -[(CR2)x-X'-(CR2)y]-, X' ist ausgewählt aus -O-, Carbonyl (>CO), -S-, -S(O)-, -S(O)2-, Thiocarbonyl (>CS), -NR"- oder -CR2-, R, Ring und Z sind wie oben definiert, R" ist Wasserstoff, Alkyl, Hydroxy, Thiol oder Alkoxyacyl (-CO-O-Alkyl);

x ist 0, 1 oder 2, y ist 0, 1 oder 2, undx + y ²2;

Grafik der Struktur II worin X, X', R, R", Z, Ring, x und y wie oben definiert sind;

Grafik der Struktur III A' Stickstoff ist und A X' ist und X, X', R, R", Z, Ring, x und y wie oben definiert sind;

Grafik der Struktur IV wobei A" Kohlenstoff ist und A ist X', B ist X' und X, X', R, R", Z, Ring, x und y sind wie oben definiert;

Grafik der Struktur V worin X" ist -[(CR2)a-X'-(CR2)b]-, X', R, R", Ring und Z sind wie oben definiert, a ist 0, 1, 2, 3 oder 4, b ist 0, 1, 2, 3 oder 4, unda + b ist ³2 aber ²4;

Grafik der Struktur VI worin Y ist -[(CR2)c-X'-(CR2)d]-, X', R, R", Ring und Z sind wie oben definiert, c ist 0, 1, 2 oder 3, d ist 0, 1, 2 oder 3, undc + d ist ³1 aber ² 3.

Grafik der Struktur VII worin X' gleich X oder eine ungesättigte Verbindungsgruppe mit der Struktur ist:

-[Q = CR - J]-

worin Q gleich -N= oder -CR= ist und J ist -CR=CR-, -N=CR-, - R=N-, -O-, -S- oder -NR"-, wodurch C9 und C10 der Rexoidverbindung in einen aromatischen (oder pseudoaromatischen) Ring eingebunden werden, und X', X, R, R, Ring, Z, a und b sind wie oben definiert, zur Herstellung eines Medikaments für die in vivo-Modulierung des Lipid-Metabolismus, der in vivo-Modulierung von Hautverwandten Prozessen des Alterns, Hautkrebs, Faltenbildung und Akne, der Behandlung von nichtbösartigen Hautfehlfunktionen mit Ausnahme von Haarverlust und der in vivo-Modulierung von anderen bösartigen Zellentwicklungen als der akuten promyelocytischen Leukämie.

13. Verwendung von 9-cis-Retinoinsäure zur Herstellung eines Medikaments für die Behandlung von Keratinisierungsfehlfunktionen.

14. Verwendung von 9-cis-Retinoinsäure zur Herstellung eines Medikaments zur Kontrolle von Pilosebaceus-Strukturen.

15. Verwendung von 9-cis-Retinoinsäure zur Herstellung eines Medikaments zur Inhibierung von Schuppendifferenzierung.

16. Verwendung von 9-cis-Retinoinsäure zur Herstellung eines Medikaments zur in vivo-Modulation des Lipid-Metabolismus.

17. Verwendung von 9-cis-Retinoinsäure zur Herstellung eines Medikaments zur in vivo-Modulation von Hautbezogenen Prozessen des Alterns, Hautkrebs, Faltenbildung und Akne.

18. Verwendung von 9-cis-Retinoinsäure zur Herstellung eines Medikaments zur Behandlung von nichtbösartigen anderen Hautfehlfunktionen als Haarverlust.

19. Verwendung von 9-cis-Retinoinsäure zur Herstellung eines Medikaments zur in vivo-Modulation von anderer bösartiger Zellentwicklung als akuter promyelocytischer Leukämie.

Die Klägerin bestreitet die Patentfähigkeit, weil der Gegenstand des Streitpatents nicht neu sei und nicht auf einer erfinderischen Tätigkeit beruhe. Darüber hinaus macht sie geltend, dass die Priorität i. V. m. den Merkmalen der Patentansprüche 1, 13, 14, 15, 17 und 18 nicht wirksam in Anspruch genommen worden sei. Des weiteren gehe der Gegenstand des Streitpatents über den Inhalt der Anmeldung in der eingereichten Fassung hinaus. Schließlich offenbare das Streitpatent die Erfindung nicht so deutlich und vollständig, dass ein Fachmann sie ausführen könne. Zur Begründung verweist sie auf folgende Druckschriften:

K1: Streitpatent EP 0 617 614 B1 K2: Deutsche Übersetzung DE 692 24 660 T2 K3: Akteneinsicht in das europäische Erteilungsverfahren des Streitpatents K4: Prioritätsdokument US 809980 K5: EP 0 391 033 A2 K6: Rote Liste 1991, Seiten 63 und 106, sowie Einträge Nr. 31 240, 31 245, 31 254 und 31 255 K7: Martindale, The Extra Pharmacopoeia, 27. Auflage (1977), 458 bis 59 K8: US 4 99 4 491 K9: DE 689 02 637 T2 (entspricht EP 0 376 821 B2)

K10: Bryce G. F., Bogdan, N. J. and Brown, C. C., Journal of Investigative Dermatology 1988, 91, 175 bis 180 K11: Römpp's Chemie Lexikon, 8. Auflage (1987), 3567 K12: Orfanos, C. E., Ehlert R. and Gollnik, H., Drugs 1987, 34, 459 bis 503 K13: DE 38 27 467 A2 (entspricht FR-A-2 619 309)

K14: Vergleichende Aufstellung zur Wirkung von Retinoiden K15: Gutachten von Prof. Dr. Ott (einschließlich Anlagen 1 and 2)

K16: Bollag, W. and Ott, F., Dermatology 1999, 199, 308 bis 312 (nachveröffentlicht)

K17: Geiger J.-M., Hommel L., Harms M. and Saurat J.-H., J. Am. Acad. Dermatol. 1996, 34, 513 bis 515 (nachveröffentlicht)

K18: Ott F., Bollag W. and Geiger J.-M., Dermatology 1996, 193, 124 bis 126 (nachveröffentlicht)

K19: EP 0 552 624 A1 K19a: Prioritätsdokument: 823 741 K19b: Prioritätsdokument: 823 786 K19c: Prioritätsdokument: 823 928 K19d: Prioritätsdokument: 824 647 K20: US 3 984 544 K21: Dawson, M. I. and Zhang, X., Current MedicinalChemistry 2002, 9, 623 bis 637 K22: Dawson, M. I., Curr Med. Chem. - Anti-Cancer Agents 2004, 4, 199 bis 230 K23: Programm der Palermo-Konferenz vom 21. bis 24. Oktober 1991 und Abstract des Posters von Doran, T. et al.; Seite 81 K24: Erklärung von Dr. Arthur Levin K25: Erklärung von Dr. Joseph F. Grippo K26: Yen, A., Powers, V. and Fishbaugh, J., Leukemia Res. 1986, 10, 619 bis 629 K27: Yen, A., Powers, V. and Fishbaugh, J., J. Cell Biol. 1984, 99, 153a, Abstract 563 K28: Bollag, W., J. Am. Acad. Derm. 1983, 9, 797 bis 805 K29: Chomienne, C. et al, Blood 1990, 76, 1710- bis 717 K30: WO 93/117755 A1; Veröffentlichung der Anmeldung des Streitpatents EP 617 614 (DE 692 24 660).

Die Klägerin beantragt, das europäische Patent 0 617 614 mit Wirkung für das Hoheitsgebiet der Bundesrepublik Deutschland in vollem Umfang für nichtig zu erklären;

Die Beklagten verteidigen das Streitpatent mit den mit Schriftsatz vom 2. August 2004 eingereichten Patentansprüchen 1 bis 21, die sich von den erteilten Patentansprüchen insofern unterscheiden, als im Patentanspruch 1 "Carboxyaldehyd (-COH)" für "Z" gestrichen worden ist und der Patentanspruch 14 nunmehr einen Rückbezug auf den Patentanspruch 1 enthält sowie hilfsweise mit den Patentansprüchen gemäß in der mündlichen Verhandlung überreichtem Hilfsantrag und beantragen, insoweit die Klage abzuweisen.

Patentanspruch 1 gemäß Hilfsantrag lautet wie folgt:

1. Verwendung von mindestens einer Verbindung gemäß einer der folgenden Strukturen A und I bis VII:

Grafik der Struktur A worin die ungesättigte Bindung zwischen den Kohlenstoffatomen C9 und C10 eine cis-Konfiguration hat, und eine oder beide ungesättigte Stellen zwischen den Kohlenstoffatomen C11 bis C14 wahlweise eine cis-Konfiguration hat;

"Ring" ist eine cyclische Einheit, wahlweise mit einem oder mehreren Substituenten daran;

Z ist ausgewählt aus Carboxyl (-COOH), Hydroxyalkyl [-(CR'2)n-OH, worin R' jeweils unabhängig ausgewählt ist aus Wasserstoff oder C1-C4-Alkyl und n in den Bereich von 1 bis 4 fällt], Thioalkyl [-(CR'2)n-SH, worin R' und n wie oben definiert sind], Hydroxyalkylphosphat [-(CR'2)n-OP(OM)3, worin R' und n wie oben definiert sind, und M ist Wasserstoff, C1-C4-Alkyl oder eine kationische Spezies wie Na+, Li+, K+], Alkylether einer Hydroxyalkylgruppe [-(CR'2)n-OR', worin R' und n wie oben definiert sind], Alkylthioether einer Thioalkylgruppe [-(CR'2)n-SR', worin R' und n wie oben definiert sind], Ester von Hydroxyalkylgruppen [-(CR'2)n-O-CO-R', worin R' und n wie oben definiert sind], Thioester von Hydroxyalkylgruppen [-(CR'2)n-O-CS-R', worin R' und n wie oben definiert sind], Ester von Thioalkylgruppen [-(CR'2)n-S-CO-R', worin R' und n wie oben definiert sind], Thioester von Thioalkylgruppen [-(CR'2)n-S-CS-R', worin R' und n wie oben definiert sind], Aminoalkyl [-(CR'2)n-NR', worin R' und n wie oben definiert sind], N-Acylaminoalkyl [-(CR'2)n-NR'-CO-R'', worin R' und n wie oben definiert sind und R" ein C1-C4-Alkyl oder Benzyl ist], Carbamat [-(CR'2)n-NR'-CO-OR' oder (CR'2)n-O-CO-NR'2, worin R' und n wie oben definiert sind] undjedes R ist unabhängig ausgewählt aus H, Halogen, Alkyl, Aryl, Hydroxy, Thiol, Alkoxy, Thioalkoxy, Amino oder einem der Z-Substituenten;

jeweils zwei oder mehrere R-Gruppen können miteinander unter Bildung einer oder mehrerer der folgenden Ringstrukturen verknüpft sein;

Grafik der Struktur I worin

"Ring", Z und R wie oben definiert sind;

X ist -[(CR2)x-X'-(CR2)y]-, X' ist ausgewählt aus -O-, Carbonyl (>CO), -S-, -S(O)-, -S(O)2-, Thiocarbonyl (>CS), -NR"- oder -CR2-, R, Ring und Z sind wie oben definiert,

"R" ist Wasserstoff, Alkyl, Hydroxy, Thiol oder Alkoxyacyl (-CO-O-Alkyl);

x ist 0, 1 oder 2, y ist 0, 1 oder 2, undx + y ²2;

Grafik der Struktur II worin X, X', R, R", Z, Ring, x und y wie oben definiert sind;

Grafik der Struktur III A' Stickstoff ist und A X' ist und X, X', R, R", Z, Ring, x und y wie oben definiert sind;

Grafik der Struktur IV wobei A" Kohlenstoff ist und A ist X', B ist X' und X, X', R, R", Z, Ring, x und y sind wie oben definiert;

Grafik der Struktur V worin X" ist -[(CR2)a-X'-(CR2)b]-, X', R, R", Ring und Z sind wie oben definiert, a ist 0, 1, 2, 3 oder 4, b ist 0, 1, 2, 3 oder 4, unda + b ist ³2 aber ²4;

Grafik der Struktur VI worin Y ist -[(CR2)c-X'-(CR2)d]-, X', R, R", Ring und Z sind wie oben definiert, c ist 0, 1, 2 oder 3, d ist 0, 1, 2 oder 3, undc + d ist ³1 aber ² 3.

Grafik der Struktur VII worin X' gleich X oder eine ungesättigte Verbindungsgruppe mit der Struktur ist:

-[Q = CR - J]-

worin Q gleich -N= oder -CR= ist und J ist -CR=CR-, -N=CR-, -CR=N-, -O-, -S- oder -NR"-, wodurch C9 und C10 der Rexoidverbindung in einen aromatischen (oder pseudoaromatischen) Ring eingebunden werden, und X', X, R, R, Ring, Z, a und b sind wie oben definiert, zur Herstellung eines Medikaments für:

- die in vivo-Modulierung des Lipid-Metabolismus,

- die in vivo-Modulierung von Hautverwandten Prozessen des Alterns, Faltenbildung und Akne,

- die Behandlung von nichtbösartigen Hautfehlfunktionen mit Ausnahme von Haarverlust und - die in vivo-Modulierung von anderen bösartigen Zellentwicklungen als der akuten promyelocytischen Leukämie.

mit der Maßgabe, dass wenn die Verbindung gemäß Struktur A 9-cis-Retinsäure, ihre pharmazeutisch verträglichen Salze oder ihre pharmazeutisch verträglichen hydrolysierbaren Ester ist, Zustände, die mit lichtgeschädigter Haut verbunden sind, von Akne verschiedene Störungen, die durch überschüssige Sebum Sekretion verursacht werden, Psoriasis und precanceröse actinische Keratose, precanceröse arsenische Keratosen, precanceröse Leukoplakien ausgeschlossen sind.

Wegen des Wortlauts der Patentansprüche 2 bis 21 gemäß Hilfsantrag wird auf die Anlage zum Sitzungsprotokoll verwiesen.

Die Beklagten treten dem Vorbringen der Klägerin entgegen und halten das Streitpatent in der beschränkten Fassung für patentfähig. Zur Stütze ihres Vorbringens verweisen sie auf folgende Dokumente:

B2: Entscheidung G 0001/03 vom 8. April 2004 B3: Entscheidung G 0002/03 vom 8. April 2004 B4: Tabelle 1 B5: Stellungnahme von Dr. Victor Stevens B5a: Lebenslauf von Dr. Victor Stevens B5b: Ellenberg S., Oncology 1989, 3, 39 bis 46 B5c: "Statistical Power Analysis for the Behavioral Sciences", Cohen J. (1988) S. iii bis XiX B5d: Physician's Desk Reference (2004), 9 Seiten - Produkt Information zu DIFFERIN¨, RETIN-A-MICRO¨ und PANRETIN¨

B5e: Kligman A. M., JAAD 1998, 39, S. 2 bis S. 7 B5f: Kligman A. M., Fulton J. E. and Plewig G., Arch Dermatol. 1969, 99, 469 bis 476 B5g: Proceedings of the 61st Annual Meeting of the American Academy of Dermatology, 2003, Mar 21-26, San Francisco, Baumann l., Vujevich J. ,Halem M. and Kerdel F., Abst: #92 B5h: Aboulafia D. M et al., Arch. Dermatol. 2003, 139, 178 bis 186 B5i: Miles S. A. et al, AIDS 2002,16, 421 bis 429 B5j: Walmsley S. et al., JAIDS Journal of Acquired Immune Deficiency Syndromes 1999, 22, 235 bis 246 B5k: Duvic M. et al., Arch. Dermatol. 2000, 136, 1461 bis 1469 B5l: Bodsworth N. J. et al., Am. J. Clin. Dermatol. 2001, 2, 77 bis 87 B5n: Hanifin J. M. et al, Brit. J. Dermatol. 2004, 150, 545 bis 553 B6: Übersetzung der Stellungnahme von Dr. Stevens B7: Konkordanzliste B8: Auszüge aus dem Europäischen Patentregister und dem Patent- und Gebrauchsmusterregister des Deutschen Patent- und Markenamts B9: Hilfsantrag I B10: Hilfsantrag II B11: Erklärung von Dr. Richard A. Heyman B11A: Deutsche Übersetzung von B11 B11B: Lebenslauf Dr. Richard A. Heyman B12: Erklärung von Dr. Gregor Eichele B12A: Deutsche Übersetzung von B12 B12B: Lebenslauf von Dr. Gregor Eichele B13: Joint Supplemental Preliminary Motion (Douglas E. Olson) vom 19. September 2001 B14: Tabelle B15: Erklärung von Dr. Ron M. Evans B15A: Lebenslauf von Dr. Ron M. Evans B15B: diverse Zeitungsartikel zu 9-cis-Retinsäure B15C: Mangelsdorf D. J. et al., Nature, 1990 (17. Mai 1990), 345, S. 224 bis 229 B15D: Heyman R. A. et al., Cell, 1992 (24. Januar 1992), 68, 397 bis 406 B15E: Erklärung von Dr. Gary A. Truitt B15F: Übersetzung von B15 B16: Raner G. M. et al, Molecular Pharmacology, 1996, 49, 515 bis 522 B17: Kollabrationsstudie zwischen Allergan und Ligand

Gründe

Die zulässige Klage erweist sich als teilweise begründet.

Die geltend gemachten Nichtigkeitsgründe der mangelnden Neuheit und der fehlenden erfinderischen Tätigkeit führen zur teilweisen Nichtigerklärung des Streitpatents in dem sich aus der Urteilsformel ergebenden Umfang. Im Übrigen erweist sich die Klage als unbegründet, da die geltend gemachten Nichtigkeitsgründe gemäß Art. II 6 Abs. 1 Nr. 1, Nr. 2, Nr. 3 IntPatÜG, Art. 138 Abs. 1 lit. a, b und c EPÜ insoweit nicht vorliegen.

I.

1. Das Streitpatent betrifft die Verwendung von 9-cis-Retinsäure (= 9-cis-Retinoesäure) und Derivaten davon zur Herstellung von Medikamenten zur Modulierung bzw. Kontrolle von Retenoid-Rezeptoren vermittelten Prozessen.

Ein zentrales Problem in der eukaryontischen Molekularbiologie stellt die Aufklärung von Molekülen und Mechanismen dar, die die spezifische Genregulation als Antwort auf exogene Induktoren, wie Hormone oder Wachstumsfaktoren vermitteln. Bekannt ist in diesem Zusammenhang, dass exogene Induktoren die Gentranskription im Zusammenspiel mit intrazellulären Komponenten, wie intrazellulären Rezeptoren und diskreten DNA-Sequenzen, bekannt als Hormon-Reaktionselemente (HREs), modulieren. Eine Gruppe von solchen mit einander verwandten, spezifischen Transkriptionsfaktoren oder "Rezeptoren" stellt dabei die Steroid/Thyroid-Superfamilie dar. Kontrolliert werden deren Mitglieder durch fettlösliche Hormone, zu denen Steroidhormone und Schilddrüsenhormone, aber auch Retinoide gehören. Es konnte gezeigt werden, dass zwei sich unterscheidende, jedoch in vivo auf Retinsäure reagierende Typen von Rezeptoren, nämlich die Retinsäurerezeptoren RAR, RAR und RAR sowie die Retinoid-X-Rezeptoren RXR, RXR und RXR Homologie mit dieser Superfamilie aufweisen und die spezifische Genexpression durch einen ähnlichen ligandenabhängigen Mechanismus regulieren. Ferner wurde gefunden, dass RAR und RXR wechselwirken. Gleichwohl unterscheiden sie sich in ihrem Wirkungsmechanismus. So weisen sie nicht nur eine unterschiedliche Gewebeverteilung auf, sie sind aufgrund ihrer unterschiedlichen Primärstruktur auch auf verschiedene Vitamin-A-Metabolite und synthetische Retinoide unterschiedlich ansprechbar. Schließlich konnten jene Gen-Sequenzen identifiziert werden, die das zellulare Retinolbindungsprotein Typ II (CRBP II) und Apolipoprotein-A1 exprimieren, und dieses zwar in Gegenwart von RXR, nicht aber von RAR, erfolgt. Bisher nicht identifiziert werden konnten jedoch jene Liganden, die gegenüber den Retinoid-X-Rezeptoren eine höhere Selektivität aufweisen als Retinsäure (vgl. Streitpatentschrift S. 3 Z. 11 bis 51).

2. Nach den Angaben der Beklagten liegt davon ausgehend dem Streitpatent die Aufgabe zugrunde, Verbindungen aufzufinden, die mit Retinoid-Rezeptoren wechselwirken, um die damit verbundenen Prozesse zu modulieren.

3. Gelöst wird diese Aufgabe gemäß Patentanspruch 1 durch die Verwendung der dort angegebenen 9-cis-Retinsäure und deren Derivaten gemäß der Strukturen A und I bis VII zur Herstellung eines Medikamentes für:

a) die in vivo-Modulierung des Lipid-Metabolismus, b) die in vivo-Modelierung von Hautverwandten Prozessen des Alterns, Hautkrebs, Faltenbildung und Akne, c) die Behandlung von nichtbösartigen Hautfehlfunktionen mit Ausnahme von Haarverlust undd) die in vivo-Modulierung von anderen bösartigen Zellentwicklungen als der akuten promyelocytischen Leukämie.

Mit dem vorliegenden Patentanspruch 1 wird für die Verwendung von Verbindungen der Strukturen A und I bis VII zur Herstellung jeweils eines Medikaments mit einer der dort angegebenen Indikationen a) bis d) Schutz begehrt. Er umfaßt damit vier Gegenstände, die voneinander unabhängig zu betrachten sind und daher auch jeweils Gegenstand von voneinander unabhängigen, nebengeordneten Patentansprüchen sein könnten. Bestätigung findet diese Lesart durch die nachgeordneten Patentansprüche 16 bis 19, mit denen jeweils die Verwendung von 9-cis-Retinsäure zur Herstellung eines Medikaments mit den vorstehend unter a) bis d) angegebenen Indikationen beansprucht wird. Die Prüfung, inwiefern die Bereitstellung der genannten Gegenstände patentfähig ist, hat daher für jeden dieser Gegenstände zu erfolgen.

II.

Der Patentanspruch 1 gemäß Hauptantrag erweist sich als nicht bestandsfähig.

1. Die Verwendung gemäß Patentanspruch 1 ist gegenüber der vier Prioritäten vom 22. und vom 23. Januar 1992 genießenden europäischen Patentanmeldung 0 552 624 A1 (K19) nicht mehr neu, weil das Streitpatent nicht für alle im Patentanspruch 1 nach Hauptantrag angegebenen Indikationen die US-Priorität 809 980 (K4) vom 18. Dezember 1991 in Anspruch nehmen kann. Die Frage, ob im Hinblick auf die in Patentanspruch 1 enthaltenen Disclaimer der Nichtigkeitsgrund der unzulässigen Erweiterung vorliegt (Art. 138 Abs. 1 lit. c i. V. m. Art. 100c EPÜ), kann daher dahingestellt bleiben.

Prioritätsbegründend kann eine frühere Anmeldung nur dann sein, wenn sie dieselbe Erfindung betrifft (Art. 87 Abs. 1 EPÜ). Das Prioritätsrecht umfasst dabei nur die Merkmale der europäischen Patentanmeldung, die in der Gesamtheit der Anmeldungsunterlagen der früheren Anmeldung als zur Erfindung gehörig offenbart sind (Art. 88 Abs. 3 und 4 EPÜ). Zur Überprüfung wird dabei nach den gleichen Grundsätzen vorgegangen wie bei der Prüfung der ursprünglichen Offenbarung. Diese ist dann gegeben, wenn der Fachmann den Gegenstand der Anmeldung unter Heranziehung des allgemeinen Fachwissens unmittelbar und eindeutig der früheren Anmeldung als Ganzes entnehmen kann, wobei auch all jenes dazu zählt, was für den Fachmann als selbstverständlich oder nahezu unerlässlich zu ergänzen ist und was er bei aufmerksamer Lektüre der früheren Anmeldung ohne weiteres erkennt und in Gedanken mitliest. Es gilt aber, dass eine allgemeine Angabe nicht ohne weiteres bestimmte spezielle nicht ausdrücklich genannte Ausführungsformen offenbart (vgl. Busse PatG 6. Aufl. § 41 Rdn. 18, 22, 29 und 32 i. V. m. § 34 Rdn. 235, 242 und 244 sowie § 41 Rdn. 30 und 32; BGH GRUR 2000, 296 Ls. - "Schmierfettzusammensetzung", BGH GRUR 2002, 146, 148 - "Luftverteiler", BGH GRUR 2004,. 133, 135 - "Elektronische Funktionseinheit" sowie R. Rogge, GRUR 1996 S. 931, 937 re. Sp. Abs. 2).

a) Dieses trifft im vorliegenden Fall zu. Das Streitpatent weist gegenüber der prioritätsbegründenden Anmeldung K4 vom 18. Dezember 1991 einen Überschuss auf, weil für die Indikation b) gemäß Merkmalsanalyse I.3., die in vivo-Modulierung von Hautverwandten Prozessen, "Hautkrebs" als eine Ausführungsform und die Indikation c) gemäß Merkmalsanalyse I.3., "die Behandlung von nichtbösartigen Hautfehlfunktionen mit Ausnahme von Haarverlust", so im Zusammenhang diesen Unterlagen nicht zu entnehmen sind.

Das Dokument K4 betrifft u. a. die Verwendung von Verbindungen in Form von 9-cis-Retinoiden gemäß den Strukturen A und I bis VII zur Modulierung Retenoid-Rezeptor vermittelter Prozesse, wie die in vivo-Modulierung des Lipid-Metabolismus, der in vivo-Modulierung Hautverwandter Prozesse oder die in vivo-Modulierung bösartiger Zellentwicklungen (vgl. Patentansprüche 1 und 5 i. V. m. Beschreibung S. 1 Z. 3 bis 6, S. 4 Z. 6 bis 19 sowie S. 6 Z. 15 bis 30). Im weiteren wird im Zusammenhang mit diesen Indikationen in der Beschreibung erläuternd ausgeführt, dass unter die Hautverwandten Prozesse Erscheinungen wie Akne, Alter, Falten oder ähnliche zu subsumieren sind (vgl. S. 11 Z. 15 bis 25). Somit werden mit dieser Indikation ausschließlich Erscheinungen angegeben, die Veränderungen der Hautstruktur, gegebenenfalls auch in Verbindung mit Entzündungsreaktionen umfassen, jedoch als gutartig einzustufen sind. Der Fachmann wird diese Indikation, dh die in vivo-Modulierung Hautverwandter Prozesse, daher auch ausschließlich unter diesem Gesichtspunkt lesen und nicht ohne weiteres von einer Verwendbarkeit der in Rede stehenden Verbindungen der Strukturen A und I bis VII gemäß Patentanspruch 1 zur Behandlung von Falten, Altershaut und Akne auf die Verwendbarkeit zur Behandlung des mit einem bösartigen Zellwachstum verbundenen Hautkrebses (vgl. dazu auch Streitpatent Beschreibung S. 7 Z. 4 sowie Beispiel 7) schließen. Ebensowenig hat der Fachmann Anlass, bei der Indikation der in vivo-Modulierung von anderen bösartigen Zellentwicklungen als der promyelocytischen Leukämie eine spezifische Offenbarung für Hautkrebs zu sehen.

b) Auch die weitere im Patentanspruch 1 angegebene Indikation, die Behandlung von nicht bösartigen Hautfehlfunktionen, findet keine Stütze in den prioritätsbegründenden Unterlagen. Der Fachmann liest diese als weitere mögliche Verwendbarkeit von Arzneimitteln, die die im Patentanspruch 1 genannten Retinoide enthalten, nicht alleine schon deshalb ohne weiteres mit, weil - wie die Beklagte ausführt - dort als Indikationen die in vivo-Modulierung Hautverwandter Prozesse und bösartiger Zellentwicklungen angegeben worden sind. Handelt es sich im vorliegenden Fall doch um die Anwendung von Wirkstoffen, die zur gezielten Behandlung definierter Krankheitsbilder bereitgestellt werden. Der Fachmann liest daher in Verbindung mit solchen Substanzen gemachte Ausführungen in den jeweiligen Fällen abschließend und wird keine weiteren von den beschriebenen Indikationen abweichende Behandlungsmöglichkeiten als Alternativen ohne weiteres in Erwägung ziehen. Dieses zumal dann, wenn - wie im vorliegenden Fall - die genannten Indikationen in der Nachanmeldung eindeutig zwei von einander getrennte Bereiche bezeichnen. So wird der Fachmann nämlich nicht von vornherein dann, wenn ihm ein Wirkstoff zur Behandlung von Falten, Altershaut oder Akne, d. h. von Hauterscheinungen, die ihren Ursprung in äußeren Faktoren oder auch im Stoffwechselgeschehen haben, vorgeschlagen wird, davon ausgehend auch die Behandlung von Hauterscheinungen mit einschließen, die ihren Ursprung in einer nichtbösartigen Hautfehlfunktion, wie z. B. einer Keratinisierungsfehlfunktion wie Psoriasis, haben. Gleiches gilt im Fall der Behandlung bösartiger Zellentwicklungen. Auch hier bietet sich die Behandlung nichtbösartiger Hautfehlfunktionen nicht einfach als mitzulesende, implizit offenbarte Alternative an.

Die Verwendung der im Patentanspruch 1 angegebenen Verbindungen der allgemeinen Strukturen A und I bis VII zur Herstellung von Arzneimitteln zur in vivo-Modulierung des Hautverwandten Prozesses Hautkrebs sowie zur Behandlung von nichtbösartigen Hautfehlfunktionen werden daher von der prioritätsbegründenden US-Anmeldung 809 980 (K4) weder explizit umfasst, noch sind sie für den Fachmann diesen Unterlagen unmittelbar und eindeutig zu entnehmen, weshalb sie dort auch nicht als zur Erfindung gehörend offenbart sind. Die Priorität dieser früheren Anmeldung kann daher für das Streitpatent insoweit nicht in Anspruch genommen werden.

2. Die von der Klägerin entgegengehaltene, nachveröffentlichte europäische Patentanmeldung 0 552 624 (K19) mit gegenüber dem Anmeldetag des Streitpatents älteren Zeitrang ist daher hinsichtlich dieser Verwendungen, denen der Zeitrang der K4 nicht zuerkannt werden kann, bei der Neuheitsprüfung zu berücksichtigen.

Diese Entgegenhaltung gibt pharmazeutische, 9-cis-Retinsäure enthaltende Zusammensetzungen an. Diese werden u. a. zur Behandlung von Tumoren, wie Hautkrebs, und bei einer übermäßigen Sebum-Sekretion oder der Psoriasis eingesetzt (vgl. Patentansprüche 1, 4, 6, 8 und 9 i. V. m. Beschreibung S. 2 Z. 1 bis 2, 8 bis 19, 31 bis 39, 54 bis 57, S. 3 Z. 14 bis 16 und 27 bis 30). Bei einer gestörten Sebum-Sekretion handelt es sich ebenso wie bei der Psoriasis, die ihren Ursprung in einer Keratinisierungsfehlfunktion hat, um nichtbösartige Hautfehlfunktionen (vgl. z. B. K28 S. 802 re. Sp. Abs. 2). Damit ist der Patentanspruch 1 insoweit nicht mehr neu, als in K19 bereits die Verwendung von 9-cis-Retinsäure zur Behandlung von Hautkrebs und Hautveränderungen beschrieben wird, die auch im Zusammenhang mit den streitpatentgemäß genannten Indikationen der in vivo-Modulierung Hautverwandter Prozesse genannt wird bzw. unter die Indikation der Behandlung nichtbösartiger Hautfehlfunktionen subsumierbar sind.

3. Bezüglich der sich anschließenden Patentansprüche 2 bis 21 hat die Beklagte nicht vorgetragen, inwiefern ihnen ein eigenständig patentfähiger Gehalt zukäme. Vielmehr hat sie bereits schriftsätzlich ausgeführt, dass für den Fall, der Senat erkenne die Priorität vom 18. Dezember 1991 für die in Rede stehenden Merkmale nicht an, ein Hilfsantrag mit geänderten Ansprüchen vorgelegt werde (vgl. Schriftsatz der Beklagten vom 28. März 2006 S. 5 Abs. 1). Nachdem die Patentinhaberin damit zu erkennen gegeben hat, kein Interesse an einer anderen als der ausdrücklich verteidigten Fassung der Patentansprüche zu haben, bestand für den Senat keine Grundlage dahingehend, Patentansprüche zu formulieren und auf ihre Patentfähigkeit zu beurteilen (vgl. BPatG GRUR 1996 44 1. Ls. - "Tetrafluoräthan").

III.

Die von den Beklagten hilfsweise verteidigte Fassung gemäß Hilfsantrag erweist sich im Umfang des Patentanspruches 1 mit den nachgeordneten Patentansprüchen 2 bis 17, wie sie sich mit entsprechender Umnummerierung aus dem Urteilstenor ergeben, als bestandsfähig.

1. Der neue Patentanspruch 1 gemäß dem in der mündlichen Verhandlung vorgelegten Hilfsantrag unterscheidet sich vom Patentanspruch 1 gemäß Hauptantrag insofern, als die im Zusammenhang mit der in vivo-Modulation von Hautbezogenen Prozessen genannte Indikation "Hautkrebs" gestrichen worden ist und er nunmehr die folgende, weitere Maßgabe enthält "dass wenn die Verbindung gemäß Struktur A 9-cis-Retinsäure, ihre pharmazeutisch verträglichen Salze oder ihre pharmazeutisch verträglichen hydrolysierbaren Ester ist, Zustände, die mit lichtgeschädigter Haut verbunden sind, von Akne verschiedene Störungen, die durch überschüssige Sebum Sekretion verursacht werden, Psoriasis und precanceröse actinische Keratose, precanceröse arsenische Keratosen, precanceröse Leukoplakien ausgeschlossen sind."

Auch die nachgeordneten Patentansprüchen 12 und 17 gemäß vorgelegtem Hilfsantrag enthalten die Indikation "Hautkrebs" nicht mehr. Ferner ist im Patentanspruch 17 gemäß Hilfsantrag in der vorgelegten Fassung nunmehr die Verwendung von 9-cis-Retinsäure zur Herstellung eines Medikamentes zur in vivo-Modulation von Hautbezogenen Prozessen vom Schutzbegehren ausgenommen, soweit sie Zustände betreffen, die mit lichtgeschädigter Haut verbunden sind. Im weiteren enthalten die nachgeordneten Patentansprüche 13, 15 und 18 gemäß dem dem Senat vorgelegten Hilfsantrag im Gegensatz zu den entsprechenden Patentansprüchen gemäß Hauptantrag einen Rückbezug auf Patentanspruch 1.

2. Die Gegenstände der Patentansprüche 1 bis 17 in der aus der Urteilsformel ersichtlichen Fassung halten sich im Umfang der ursprünglichen Offenbarung. Weder der Patentgegenstand noch der Schutzbereich des Streitpatentes sind erweitert worden.

a) Die Streichung der in Verbindung mit der allgemeinen Formel A zunächst gleichfalls beanspruchten Aldehyde stellt eine zulässige Beschränkung des Patentbegehrens dar.

b) Keine Bedenken bestehen ferner - auch nach den Grundsätzen der Rechtssprechung des Europäischen Patentamtes (vgl. EPA G 0001/03 v. 8. April 2004, Abl. 2004, 417) - gegen den bereits im Laufe des Prüfungsverfahrens vor dem europäischen Patentamt in den Patentanspruch 1 aufgenommenen Disclaimer, mit dem die in den Unterlagen der Ursprungsanmeldung als Alternative neben zwei weiteren im Zusammenhang mit der in vivo-Modulierung von bösartigen Zellentwicklungen angegebenen Erkrankungen, nämlich Hoden-Krebs und Lungen-Krebs, explizit offenbarte promyelocytische Leukämie (vgl. S. 6. Z. 55 bis 58 und S. 7 Z. 3 bis 6) zur Herstellung der Neuheit gegenüber den Druckschriften K26 und K27 vom Schutz ausgenommen worden ist. Es handelt sich dabei nicht um den Fall eines sog. "undisclosed Disclaimer".

c) Zulässig sind schließlich auch die in den Patentanspruch 1 gemäß vorgelegtem Hilfsantrag zusätzlich aufgenommenen Disclaimer. Die Beklagte hat mit diesen Maßnahmen jene Gegenstände von ihrem Patentbegehren ausgenommen, die in der nachveröffentlichten, aber älteren Stand der Technik darstellenden europäischen Patentanmeldung 0 552 614 (K19) ebenfalls genannt werden und von der Beklagten in Verbindung mit dem Patentanspruch 1 gemäß Hauptantrag als neuheitsschädlich diskutiert worden waren.

Da mit dem Ausschluss der in Rede stehenden Merkmale nach Patentanspruch 1 der Gegenstand gemäß Streitpatent nicht in der Weise beschränkt wurde, dass er sich nunmehr von dem ursprünglich offenbarten Gegenstand unterscheidet, sondern in der Weise, dass von dem offenbarten Gegenstand jeweils ein für sich selbständiger Teil abgetrennt wurde, dient die Aufnahme der in Rede stehenden Negativmerkmale in den Patentanspruch 1 lediglich dazu, die beanspruchte Lehre gegenüber dem Stand der Technik neu zu machen, nicht aber ihr erfinderische Tätigkeit zu verleihen.

3. Die technische Lehre der Gegenstände der Patentansprüche 1 bis 17 in der aus der Urteilsformel ersichtlichen Fassung ist auch so offenbart, dass sie ein Fachmann ausführen kann.

Eine Lehre, für die Patentschutz verlangt wird, muss wiederholbar sein, d. h. sie muss für den zuständigen Fachmann ausführbar sein. Die Ausführbarkeit ist dann gegeben, wenn die Lehre in ihrer Gesamtheit aufgrund der Angaben in den Patentunterlagen und mit den Fachkenntnissen am Anmeldetag so verwirklicht werden kann, dass der angestrebte Erfolg erreicht wird. Auch müssen geltend gemachte vorteilhafte Wirkungen bei mehreren Erzeugnissen einer Erzeugnisklasse für die gesamte Klasse zutreffen. Dabei ist es zugleich allerdings unerheblich, wenn die Lehre in einzelnen Fällen versagt (vgl. Busse PatG 6. Aufl. § 34 Rdn. 273, 276 und 280).

Die Klägerin bestreitet die Ausführbarkeit, weil zum einen den vorliegenden Unterlagen nicht zu entnehmen sei, dass alle Verbindungen, für deren Verwendung gemäß Patentanspruch 1 Schutz begehrt werde, auch die gewünschte Wirkung aufwiesen und zum anderen auch nicht glaubhaft sei, dass für alle unter die im Patentanspruch 1 angegebenen nebengeordneten vier Gruppen unterschiedlicher Indikationen fallenden Einzelindikationen eine Wirkung zu erwarten sei.

Nach Auffassung des Senates bestehen jedoch keine Bedenken im Hinblick auf die Ausführbarkeit der mit dem Streitpatent beanspruchten technischen Lehre. Wie in der Beschreibung des Streitpatentes ausgeführt wird und von der Beklagten in der mündlichen Vorhandlung dargelegt worden ist, beruht das Wirkprinzip aller im Patentanspruch 1 genannter Verbindungen auf der 9-cis-Konfiguration (vgl. auch Streitpatent S. 4 Z. 17 bis 28 i. V. m. Fig. 3 bis 4b sowie 6, S. 6 Z. 58 bis S. 7 Z. 8 sowie S. 15 Beispiel 2 bis S. 20 Beispiel 9). Selbst wenn, wie ein Vergleich unterschiedlich substituierter Derivate der 9-cis-Retinsäure zeigt, Differenzen im Hinblick auf deren Aktivität und Wirkungsspektrum auftreten (vgl. z. B. Streitpatent Beispiel 13), weisen sie doch alle eine Wirksamkeit auf, die auf dieses definierte, allen Verbindungen gemeinsame Strukturelement zurückzuführen ist. Die Verallgemeinerung im Rahmen des Patentanspruches 1 ist daher glaubhaft.

Dieses trifft ebenso auf die von der Klägerin geltend gemachte mangelnde Ausführbarkeit in Verbindung mit den im Patentanspruch 1 genannten Indikationen zu. Für jede der im Patentanspruch 1 von der Klägerin angegriffenen Indikationen, die jeweils eine, verschiedenen Krankheitsbildern zugrunde liegende Hautreaktion betreffen, hat die Beklagte, sei es in Form der im Streitpatent angegebenen Beispiele 5 bis 9 bzw. in Form nachgereichter Untersuchungsergebnisse, z. B. als Anlagen B5h oder B5g, Versuchsergebnisse vorgelegt. Mit diesen Angaben wird der Fachmann in die Lage versetzt, die Behandlung von mit solchen Hauterscheinungen verbundenen Krankheitsbildern ohne zumutbaren Aufwand durchzuführen. Die von der Klägerin vorgelegten Versuchsergebnisse K15 sind nicht dazu geeignet, die Ausführbarkeit in Frage zu stellen, weil zur Behandlung der dort angegebenen einzelnen Krankheitsformen alleine schon ein für Vergleichsversuche viel zu geringes Patientenkollektiv zur Verfügung stand, handelt es sich dabei z. T. doch nur um einen einzigen Patienten (vgl. auch Anlage B 5b S. 39 Abstract, S. 40 Tab. 1).

4. Die Gegenstände des Patentanspruches 1 sowie der nebengeordneten Patentansprüche 13, 14 und 15 in der sich aus der Urteilsformel ergebenden Fassung sind neu.

a) Die Neuheit der Verwendung von 9-cis-Retinsäure und deren Derivaten gemäß den Strukturen A und I bis VII, wie sie im Patentanspruch 1 angegeben werden, zur Herstellung eines Medikamentes für die Indikationen a) und c) (vgl .Merkmalsanalyse I.3.) ist gegeben, weil in keiner der im Rahmen des Verfahrens diskutierten Druckschriften deren Eignung zur in vivo-Modulierung des Lipid-Metabolismus bzw. von anderen bösartigen Zellentwicklungen als der akuten promyelocytischen Leukämie beschrieben wird. Dies ist auch von der Klägerin selbst nicht in Zweifel gezogen worden.

b) Auch die Indikation b), die in vivo-Modulierung von hautverwandten Prozessen des Alterns, Faltenbildung und Akne (vgl. Merkmalsanalyse I.3.) ist neu. Die Klägerin bestreitet die Neuheit der mit Patentanspruch 1 gemäß vorgelegtem Hilfsantrag beanspruchten Verwendung der Verbindungen der Strukturen A und I bis VII gegenüber dem Dokument K19. Dieses betrifft - wie vorstehend unter II. 2. bereits ausgeführt - Zusammensetzungen, enthaltend 9-cis-Retinsäure oder pharmazeutisch verträgliche Salze bzw. hydrolysierbare Ester davon, die u. a. auch zur Behandlung von Hautschäden bereit gestellt werden (vgl. Patentanspruch 1 i. V. m. Beschreibung S. 3 Z. 11 bis 13). Der Auffassung, der Klägerin, mit diesem Passus werde der Patentanspruch 1 weiterhin neuheitsschädlich getroffen, kann sich der Senat nicht anschließen. Dieser Passus betrifft nämlich nicht eine allgemeine, isoliert für sich stehende Indikationsangabe, die jegliche Hautschäden, ohne weitere Differenzierung betrifft und somit die Gesamtheit aller Hautschäden umfasst. Vielmehr ist dieser in Rede stehende Absatz im Kontext mit den davor stehend gemachten Ausführungen zu lesen. Mit diesen wird dargelegt, dass 9-cis-Retinsäure und pharmazeutisch verträgliche Salze und hydrolysierbare Ester davon im Rahmen einer topischen Verabreichung auf der Haut eines Patienten dazu führen, dass Hautschäden, die durch Licht verursacht worden sind, wie z. B. Faltenbildung, Elastose oder vorzeitige Alterung, rückgängig gemacht werden können und dies zu einer Verbesserung des Erscheinungsbildes der Haut führen kann (vgl. Beschreibung S. 3 Z. 6 bis 10). Im Anschluss daran, d. h. in dem zur Diskussion stehenden Absatz, wird sodann ergänzend dazu ausgeführt, dass mit der topischen Verabreichung des in Rede stehenden Wirkstoffes eine Beschleunigung der Wiederherstellung von Hautschäden erreicht wird und der Haut so ein weicheres und jüngeres Erscheinungsbild verliehen wird (vgl. Beschreibung S. 3 Z. 11 bis 13). Der Bezug zu einer anderen Indikation, als derjenigen, die im vorausgehenden Absatz (vgl. Beschreibung S. 3 Z. 6 bis 10) angegeben ist, kann daraus nicht abgeleitet werden. Dieses gilt um so mehr, als erst der nächste - eine weitere Indikation, nämlich die Sebum Sekretion, betreffende - Absatz, ebenso wie der dem in Rede stehenden vorausgehende mit dem Passus "in Übereinstimmung mit der Erfindung, wurde gefunden, dass 9-cis-Retinsäure...." begonnen wird (vgl. Beschreibung S. 3 Z. 6 und Z. 14). Damit betrifft dieser von der Klägerin zitierte Passus aber lediglich die Behandlung von durch Licht geschädigter Haut, welche aber im Patentanspruch 1 gemäß Hilfsantrag bereits durch Disclaimer ausgenommen worden und damit auch nicht Bestandteil des verteidigten Gegenstandes gemäß Patentanspruch 1 ist.

Die Neuheit wird durch die US-Patentschrift 3 984 544 (K20) ebenfalls nicht in Frage gestellt. Beschrieben werden in diesem Dokument Retinsäureester von Steroiden mit entzündungshemmender Wirkung und deren Verwendung zur Behandlung von Akne, nicht aber die Verwendung der freien 9-cis-Retinsäure oder Derivaten davon wie sie im Patentanspruch 1 mit den Strukturen A und I bis VII angegeben werden (vgl. Patentansprüche 1 und 14).

Die weiteren im Verfahren befindlichen Druckschriften können die Neuheit ebenfalls nicht in Frage stellen. Sie wurden von der Klägerin auch nicht mehr genannt.

c) Die Neuheit der in den nebengeordneten Patentansprüchen 13, 14 und 15 gemäß Urteilsformel beanspruchten Verwendung von 9-cis-Retinsäure zur Herstellung eines Medikaments zur in vivo-Modulation des Lipid-Metabolismus, zur Behandlung von Hautbezogenen Prozessen des Alterns, Faltenbildung und Akne mit Ausnahme von Zuständen, die mit lichtgeschädigter Haut verbunden sind, sowie zur in vivo-Modulation von anderen bösartigen Zellentwicklungen als akuter promyelocytischer Leukämie ist aus vorstehend genannten Gründen ebenfalls gegeben.

5. Die Gegenstände des Patentanspruches 1 mit den nachgeordneten Patentansprüchen 2 bis 17 gemäß Urteilsformel beruhen auch auf einer erfinderischen Tätigkeit.

Die Verwendung von Verbindungen der Strukturen A und I bis VII zur Herstellung eines Medikamentes mit den Indikationen a), b) und d) gemäß der Merkmalsanalyse I.3. ist angesichts des vorliegenden Standes der Technik nicht als nahe liegend anzusehen.

a) Patentanspruch 1 gemäß Urteilsformel Zum Prioritätszeitpunkt des Streitpatentes war - wie in dem Übersichtsartikel von Werner Bollag im Journal of the American Academy of Dermatology, 1983, Vol. 9, S. 797 bis 805 (K28) ausgeführt wird - die therapeutische Wirksamkeit von Retinoiden bei der Behandlung von Akne ebenso bekannt, wie in der Tumortherapie (vgl. S. 802 li. Sp. Abs. 2 bis re. Sp. Abs. 2 und S. 803 Abs. 3 i. V. m. S. 803 re. Sp. Fig. 4) ). In diesem Zusammenhang wird dort jedoch auch darauf hingewiesen, daß eine Vielzahl dieser Verbindungen biologisch getestet worden ist (vgl. S. 800 li. Sp. Abs. 3), deren Anwendung aber stets mit schweren Nebenwirkungen einhergeht (vgl. S. 798 re. Sp. Abs. 2, S. 803 re. Sp. Abs. 2, S. 804 li. Sp. Abs. 1 letzter Satz, S. 804 li. Sp. / re. Sp. übergreifender Absatz). Darüber hinaus hatten sich bis zu diesem Zeitpunkt in der Onkologie nur wenige Verbindungen aus der Gruppe der Retinoide in der klinischen Anwendung als mehr oder weniger erfolgreich erwiesen (vgl. S. 803 Abs. 3). Dieses, obwohl Retinoide Verbindungen darstellen, die in Zellkulturen die Differenzierung und Proliferation maligner Zellen beeinflussen (vgl. S. 802 li. Sp. Abs. 1). So werden gemäß der Entgegenhaltung K28 nur 13-cis-Retinsäure, Methoxyalltrans-Retinsäureethylester und Arotinoidethylester als Wirkstoffe beschrieben, deren Anwendung im Zuge der Behandlung eines Hautverwandten Prozesses, wie der Akne, und in der Onkologie mit einem erwähnenswerten Nutzen verbunden ist (vgl. S. 797 Abstract, S. 800 re. Sp. Z. 9 bis 17, Z. 29 bis 40 sowie Z. 45 bis 47, S. 801 li. Sp. Abs. 1 und 2 sowie S. 804 li. Sp. Abs. 2 i. V. m. S. 801 Tabelle I.). Dabei handelt es sich aber nur um lediglich drei Verbindungen aus der Vielzahl bekannter und getesteter Retinoide, einschließlich einer großen Zahl von Stereoisomeren der alltrans-Retinsäure. Darüber hinaus weisen diese Verbindungen weder im Hinblick auf ihre Isomerie noch im Hinblick auf ihr Substitutionsmuster zumindest eine alle drei Wirkstoffe betreffende Gemeinsamkeit auf. Das in K28 zusammengefasste Wissen um die therapeutische Verwendbarkeit von Retinoiden ist daher nicht dazu geeignet, dem Fachmann in irgendeiner Weise Anregungen dahingehend zu vermitteln, gerade 9-cis-Retinsäure oder Derivate davon als einen Wirkstoff in Betracht zu ziehen, der hinsichtlich der vorstehend genannten Wirkungen ein von der überwiegenden Mehrzahl der bekannten Vertreter aus der Gruppe der Retinoide in vorteilhafter Weise abweichendes Verhalten aufweist. Die im Zusammenhang mit der Verwendung von 9-cis-Retinsäure bei der Behandlung von Hautverwandten Prozessen wie der Akne oder von malignen Zellen erhaltenen sehr guten Ergebnisse - wie sie aus der gutachterlich zu wertenden europäischen Patentanmeldung K19 zu ersehen sind - waren in Kenntnis des Standes der Technik für den Fachmann daher nicht zu erwarten gewesen. So werden unter Einsatz erheblich geringerer Wirkstoffdosen bei der Behandlung von Akne vergleichbare Erfolge erzielt wie mit alltrans-Retinsäure und 13-cis-Retinsäure. Diese Anwendung ist aber aufgrund des erheblich besseren therapeutischen Indexes mit einer beachtlichen Verringerung der Nebenwirkungen verbunden (vgl. K19 S. 8/9 übergreifender Absatz). Es war für den Fachmann in Kenntnis von K 28 ebenso nicht von vornherein zu erwarten gewesen, dass sich die guten, in Zellkulturen erhaltenen Ergebnisse - wie wiederum gutachterlich aus K19 zu ersehen ist - in einer erfolgreichen Behandlung bösartiger Zellentwicklungen wie des Kaposi Sarkoms bestätigten lassen würden (vgl. Anlagen B5h bis B5l). Die Ausführungen in K28, in der Tumortherapie sei die klinische Anwendung der Retinoide noch nicht weit fortgeschritten (vgl. S. 803/S. 804 re. / li. Sp. übergreifender Absatz) und nur wenige Vertreter dieser Substanzgruppe zeigten in begrenztem Maße Erfolge, vermitteln ihm nämlich nicht die Lehre, die dort für wenige Vertreter der Retinoid-Wirkstoffgruppe beschriebenen Ergebnisse seien ohne weiteres auch auf andere, weitere Mitglieder dieser Gruppe übertragbar.

Dieses Dokument vermag dem Fachmann aber auch nicht nahe zu legen, 9-cis-Retinsäure zur in vivo-Modulierung des Lipid-Metabolismus (Indikation a) gemäß Merkmalsanalyse I.3.) einzusetzen. Sind diesem Dokument doch an keiner Stelle Anhaltspunkte dahingehend zu entnehmen, dass Retinoide diese Stoffwechselfunktion so wie aus der Streitpatentschrift S. 4 Z. 39 bis 41 i. V. m. Fig. 6 und S. 6 Z. 58 bis S. 7 Z. 2 zu ersehen ist, beeinflussen können.

Anregungen, 9-cis-Retinsäure wie im Patentanspruch 1 angegeben zu verwenden, werden dem Fachmann auch nicht in einer Zusammenschau von K28 mit den weiteren von der Klägerin in der mündlichen Verhandlung genannten Entgegenhaltungen gegeben.

Die europäische Patentanmeldung K5 gibt kosmetische oder dermatologische Zusammensetzungen zur Behandlung von Haut-Störungen an, die als Wirkstoff Retinal, d. h. Vitamin A-Aldehyd, oder Derivate davon enthalten (vgl. Patentanspruch 1 i. V. m. Beschreibung S. 2 Z. 1 bis 11). Beschrieben wird die in diesem Dokument angegebene Wirksamkeit jedoch in erster Linie anhand des alltrans-Retinals, das in diesem Zusammenhang auch als die übliche Form des Vitamin A-Aldehyds hervorgehoben wird (vgl. S. 2 Z. 38 sowie Beispiele 1, 2 sowie 4 bis 8). Von den dort ebenfalls genannten, insgesamt möglichen stereoisomeren Formen wird dagegen einzig das 13-cis-Isomere in einem Beispiel genannt (vgl. S. 2 Z. 37/38 und 53/54 sowie Beispiel 3). Damit vermittelt dieses Dokument dem Fachmann nicht die Lehre, dass es sich bei dem 9-cis-Isomeren des Vitamin A-Aldehydes um einen Wirkstoff handelt, bei dessen Anwendung mit besseren Resultaten gerechnet werden kann als mit den übrigen dort genannten Verbindungen. Um so weniger vermittelt es die Lehre, dass 9-cis-Retinsäure dazu geeignet sein könnte, zur Lösung der dem Streitpatent zugrunde liegenden Aufgabe beizutragen. Dieses trifft um so mehr zu, als in diesem Dokument darüber hinaus darauf hingewiesen wird, dass Retinol, Retinal und alltrans-Retinsäure durchaus verschieden Wirkungsspektren aufweisen (vgl. S. 2 Z. 31 bis 36).

Die Lehre des Streitpatentes, sofern sie die Indikation b) betrifft, erschließt sich dem Fachmann auch nicht in einer Zusammenschau des Dokumentes K28 mit der US 3 984 544 (K20). Diese nennt Retinsäureester von Steroiden als entzündungshemmende Wirkstoffe, wobei als Retinsäuren deren unterschiedliche isomeren Formen, so auch die 9-cis-Retinsäure verwendet werden können (vgl. Patentanspruch 1 i. V. m. Beschreibung Sp. 2 Z. 29 bis 39). Darauf verweisend vertritt die Klägerin die Auffassung, nachdem die entzündungshemmende Wirkung von Retinoiden dem Fachmann aus K28 allgemein bekannt sei, sei es für den Fachmann nahe liegend, ausgehend von der mit K20 vermittelten Lehre auf eine entsprechende Wirkung auch der 9-cis-Retinsäure rückzuschließen. Dies träfe um so mehr zu, als sich der Ester auf der Haut spalte und somit auch gemäß K20 nur die freie Säure wirke. Der Fachmann wird aber in Kenntnis dieser Druckschrift alleine schon deshalb 9-cis-Retinsäure nicht als einen zur Akne-Behandlung geeigneten Wirkstoff in Betracht ziehen, weil gemäß K20 ein Versuch, der die gleichzeitige Applikation des freien Steroides und der freien alltrans-Retinsäure betraf, zeigte, dass in diesem Fall eine erhebliche Entzündungsreaktion zu beobachten war. Ein entzündungshemmender Effekt trat dagegen nur in Verbindung mit der Verabreichung des dort beschriebenen Retinsäureesters des Steroids auf (vgl. Sp. 9 Z. 2 bis 26).

Keine andere Betrachtungsweise hinsichtlich des die Indikation d) betreffenden Gegenstandes gemäß Streitpatent vermag der wissenschaftliche Beitrag in Leukemia Research, 1986, 10, S. 619 bis 629 (K26) zu vermitteln. Zwar wird in diesem die Fähigkeit zur Zelldifferenzierung und Inhibierung der Proliferation von HL-60 Zellen, d. h. humanen promyelocytischen Leukämiezellen, durch 9-cis-Retinsäure beschrieben (vgl. S. 619 "Abstract"). Eigenschaften, die dem Fachmann im Zusammenhang mit Retinoiden auch bekannt sind. Ihm werden damit jedoch lediglich Anhaltspunkte dahingehend vermittelt, dass Retinoide in vitro auf bösartige Veränderungen dieser Zellen Einfluss nehmen können (vgl. K28 S. 802 re. Sp. Abs. 1 und 2). Davon ausgehend, aber auf eine Fähigkeit der 9-cis-Retinsäure zur in vivo-Modulierung von anderen bösartigen Zellentwicklungen als der akuten promyelocytischen Leukämie zu schließen, ist nicht nahe liegend. Denn es ist nicht nur bekannt, dass lediglich mit 13-cis-Retinsäure und Methoxyalltransretinsäureethylester ermutigende Ergebnisse bei der Behandlung bestimmter präcancerogener Zustände und Tumorformen erhalten worden sind, sondern auch, dass die meisten anderen Tumorformen nicht oder nur unzulänglich auf eine entsprechende Behandlung reagieren, wobei - wie vorstehend bereits ausgeführt - deren klinische Anwendungen noch nicht sehr weit fortgeschritten ist (vgl. K28 S. 803/S. 804 re./li. Sp. übergreifender Absatz).

Die mit dem Patentanspruch 1 in der im Tenor angegebenen Fassung beanspruchten Lehren erschließen sich dem Fachmann auch nicht ohne weiteres durch eine Zusammenschau des Dokumentes K28 mit einer der weiteren im Verfahren befindlichen, von der Klägerin in der mündlichen Verhandlung nicht mehr aufgegriffenen Entgegenhaltungen. Gehen diese doch nicht über den Inhalt der bereits diskutierten Dokumente hinaus.

Somit stellt die Bereitstellung der im Patentanspruch 1 in dem im Tenor genannten Umfang beanspruchten Verwendungen von Verbindungen der Strukturen A und I bis VII zur Herstellung von Medikamenten mit den Indikationen a), b) und d) gemäß Merkmalsanalyse I.3. eine erfinderische Leistung dar. Die Gegenstände gemäß Patentanspruch 1 gemäß Hilfsantrag in dem im Tenor genannten Umfang werden daher vom Stand der Technik nicht nahe gelegt.

b) Für die auf Patentanspruch 1 rückbezogenen nebengeordneten Patentansprüche 13 bis 15 gemäß Urteilsformel, die auf die Verwendung von 9-cis-Retinsäure zur Herstellung eines Medikamentes mit einer der Indikationen a), b) und d) gemäß Merkmalsanalyse I.3. gerichtet sind, gelten die vorstehend dargelegten Gründe entsprechend.

c) Auch die mittelbar oder unmittelbar auf den Patentanspruch 1 in dem im Tenor genannten Umfang rückbezogenen Patentansprüche 2 bis 12, 16 und 17, die auf besondere Ausführungsformen der im Patentanspruch 1 genannten Strukturen A und I bis VII gerichtet sind, deren Verwendung zur Herstellung von Medikamenten, die die Gene für das zelluläre Retinolbindungsprotein Typ II (CRBPII) und Apolipoprotein-A1, d. h. damit auch den Lipid-Metabolismus, kontrollieren, betreffen und deren Dosierung in den in Rede stehenden Medikamenten, haben mit dem Patentanspruch 1 in dem im Tenor genannten Umfang Bestand.

IV.

Erfolg hat die Klage dagegen, soweit sie sich gegen die Verwendung von Verbindungen der Strukturen A und I bis VII zur Herstellung eines Medikamentes mit der Indikation c) der Merkmalsanalyse I.3., der Behandlung von nichtbösartigen Hautfehlfunktionen mit der Ausnahme von Haarverlust, richtet, denn insoweit beruht das Streitpatent nicht auf einer erfinderischen Leistung.

1.) Wie in dem Übersichtsartikel K28 dargelegt, führt der Mangel an Vitamin A (= Retinol) zu Keratinisierungsfehlfunktionen (vgl. S. 797 re. Sp. / S. 798 li. Sp. übergreifender Absatz i. V. m. S. 799 re. Sp. Fig. 3). Die Eigenschaft, solchen Fehlfunktionen entgegen zu wirken, wird - wie in diesem Dokument weiter ausgeführt wird - nicht nur Vitamin A alleine zugeschrieben, sondern der gesamten Wirkstoffklasse der Retinoide (vgl. K28 S. 798 li. Sp. Z. 5 bis 12 i. V. m. S. 802 re. Sp. Abs. 2 sowie S. 803 re. Sp. Fig. 4). Nachdem die Anwendung dieser Verbindungen jedoch mit schweren Nebenwirkungen verbunden ist, ist die mit diesen Wirkstoffen befasste Forschung - den Angaben in K28 weiter folgend - primär darauf ausgerichtet, Retinoide mit einem gegenüber der Vielzahl der anderen Vertreter dieser Wirkstoffklasse besseren therapeutischen Index, d.h. mit einer im Vergleich mit der Gesamtheit der Retinoide besseren Wirksamkeit bei gleichzeitig geringeren Dosen, bereitzustellen (vgl. S. 798 li. Sp. Z. 12 bis re. Sp. Abs. 2 und S. 803 li. Sp. Abs. 3 bis re. Sp. Abs. 2). Hinweise dahingehend aber, die in Rede stehenden, den Keratinisierungsfehlfunktionen entgegen wirkenden Eigenschaften seien nicht als den Retinoiden inhärent vorauszusetzen, sind diesem Dokument nicht zu entnehmen.

Gemäß strittigem Patentanspruch 1 wird nun Schutz für die Verwendung von 9-cis-Retinsäure oder Derivaten davon zur Herstellung eines Medikamentes für die Behandlung nichtbösartiger Hautfehlfunktionen mit Ausnahme von Haarverlust begehrt, wobei in der Streitpatentschrift die Keratinisierungsfehlfunktionen als einzige unter die Indikation c) gemäß Merkmalsanalyse I.3. zu subsumierende Fehlfunktionen genannt werden (vgl. S. 7 Z. 4/5 sowie Beispiele 5 und 9). Die Wirksamkeit der 9-cis-Retinsäure wird auch mit den Beispielen 5 und 9 belegt. Dabei erweist sich jedoch die antikeratinisierende Wirksamkeit dieser Verbindung als vergleichbar bzw. sogar geringfügig geringer als jene der in K28 auch im Zusammenhang mit dieser Funktion beschriebenen alltrans-Retinsäure (vgl. Beispiele 5 und 9). Dieses Ergebnis war für den Fachmann angesichts der vorstehend dargelegten Sachlage aber zu erwarten gewesen (vgl. Busse PatG 6. Aufl. § 4 Rdn. 17). Wird ihm mit K28 doch die Lehre vermittelt, dass er bei der Anwendung der gesamten Wirkstoffklasse der Retinoide grundsätzlich mit einer die Keratinisierungsfunktion beeinflussenden Wirkung rechnen kann. Bestätigung erfährt diese Auffassung, dass der Fachmann keine Veranlassung hatte, die mit K28 vermittelte Lehre im Hinblick auf die Wirksamkeit der Retinoide bei Keratinisierungsfehlfunktionen in einschränkender Weise zu lesen, im Übrigen auch durch das Schrifttum. So ist z. B. aus den Entgegenhaltungen K9 und K13 ebenfalls zu ersehen, dass der Fachmann im Zusammenhang mit der Behandlung von Keratinisierungsfehlfunktionen alle Retinoide als gleichwertig betrachtete, insbesondere auch die stereoisomeren Formen (vgl. K9 Patentansprüche 10 bis 12 und K13 Patentansprüche 1, 3 und 4).

Inwiefern über diese allgemein zu erwartende Fähigkeit der 9-cis-Retinsäure hinaus auch definierte Erkrankungsformen, deren akutes Auftreten wie auch deren Verlauf nicht nur von diesem einen Faktor, sondern üblicherweise vom Zusammenwirken mehrerer, jeweils spezifischer Faktoren beeinflusst wird, in nicht zu erwartender Weise erfolgreich behandelbar sind - was gegebenenfalls als Beweisanzeichen für das Vorliegen einer erfinderischen Tätigkeit gewertet werden könnte - geht aus den vorliegenden Unterlagen nicht hervor. Der von der Beklagten im Laufe des Nichtigkeitsverfahrens vorgelegte Bericht über die Behandlung von Psoriasis (vgl. Anlage B17) kann dabei ebenso wenig zu einer anderen Beurteilung der Sachlage führen, wie der Bericht über die Behandlung eines chronischen Handekzems (vgl. Anlage B5m). Die mit der Anwendung von 9-cis-Retinsäure bei Psoriasis erhaltenen Ergebnisse müssen außer Betracht bleiben, weil die Behandlung dieser nichtbösartigen Hautfehlfunktion vom nunmehrigen Patentbegehren ausgenommen ist. Die im Zusammenhang mit der Behandlung eines chronischen Handekzems erhaltenen Ergebnisse können deshalb nicht in die Entscheidung mit einbezogen werden, weil hier eine Entzündung behandelt wird und 9-cis-Retinsäure als entzündungshemmender Wirkstoff agiert (vgl. Anlage B5w S. 545 Summary - Background sowie S. 552 re. Sp. Abs. 2 bis 4). Entzündungen aber sind die Folge einer Abwehrreaktion des Immunsystems auf äußerlich oder innerlich ausgelöste Reize der Haut, mit der Funktion, den Schädigungsreiz zu beseitigen oder zu reparieren (vgl. auch K28 S. 802 re. Sp. Abs. 2, letzter Satz sowie Anlage B5w S. 545 li. Sp. Abs. 1 bis S. 546 Abs. 1). Sie stellen aber keine nichtbösartige Fehlfunktion der Haut dar, wie z. B. eine Keratinisierungsfehlfunktion.

Die im Patentanspruch 1 gemäß Hilfsantrag vorgeschlagene Verwendung von Verbindungen der Strukturen A und I bis VII zur Herstellung eines Medikamentes zur Behandlung von nichtbösartigen Hautfehlfunktionen erforderte daher aus vorstehend dargelegten Gründen kein erfinderisches Zutun.

2.) Damit sind auch die rückbezogenen Patentansprüche 13, 14, 15 und 18 gemäß Hilfsantrag nicht bestandsfähig, denn sie enthalten keinen eigenständigen erfinderischen Gehalt. Dieser wurde von der Beklagten auch nicht geltend gemacht.

Für die Gegenstände der Patentansprüche 13, 14 und 18, die die Verwendung von 9-cis-Retinsäure zur Herstellung eines Medikaments für die Behandlung von Keratinisierungsfehlfunktionen, zur Kontrolle der Pilosebaceus-Strukturen bzw. nichtbösartigen anderen Hautfehlfunktionen als Haarverlust betreffen, trifft die vorstehend dargelegte Argumentation voll inhaltlich zu. Dieses gilt deshalb gleichermaßen für die Verwendung von 9-cis-Retinsäure zur Kontrolle der Pilosebaceus-Strukturen, weil auch im Zusammenhang mit diesen speziellen Hautregionen gemäß Beispiel 5 nichts anderes aufgezeigt werden konnte, als die angesichts des Standes der Technik für Retinoide zu erwartende antikeratinisierende Wirkung.

Dies gilt ebenso für die gemäß Patentanspruch 15 beanspruchte Verwendung zur Inhibierung von Schuppendifferenzierungen, nachdem die übermäßige Produktion von Hautschuppen - wie die Klägerin von der Streitpatentinhaberin unwidersprochen vorgetragen hat - lediglich Folge einer Keratinisierungsfehlfunktion, wie z. B. der Hyperproliferation von Keranozyten, ist.

V.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 84 Abs. 2 PatG i. V. m. § 92 Abs. 1 ZPO, die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit auf § 99 Abs. 1 PatG i. V. m. § 709 Satz 1 und Satz 2 ZPO.






BPatG:
Urteil v. 10.07.2006
Az: 3 Ni 3/04


Link zum Urteil:
https://www.admody.com/urteilsdatenbank/6fabbd4b6ef1/BPatG_Urteil_vom_10-Juli-2006_Az_3-Ni-3-04




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