Landesarbeitsgericht Hamm:
Beschluss vom 1. März 2006
Aktenzeichen: 10 Ta 21/06
(LAG Hamm: Beschluss v. 01.03.2006, Az.: 10 Ta 21/06)
Ein Beschlussverfahren, das das Vorliegen eines Gemeinschaftsbetriebs mehrerer
Unternehmen nach § 18 Abs. 2 BetrVG zum Gegenstand hat, ist in Anlehnung an die Rechtsprechung zur Festsetzung des Gegenstandswerts in Wahlanfechtungsverfahren zu bewerten. Dabei ist maßgeblich auf die Größe des Gemeinschaftsbetriebs nach § 9 BetrVG abzustellen.
Tenor
Auf die Beschwerde der Verfahrensbevollmächtigten der Betriebsräte wird der Beschluss des Arbeitsgerichts Detmold vom 30.12.2005 - 1 BV 20/05 - teilweise abgeändert.
Der Wert des Gegenstands der anwaltlichen Tätigkeit wird auf 26.000,00 € festgesetzt.
Gründe
I.
Im Ausgangsverfahren haben die bei den beteiligten drei Arbeitgeberinnen gebildeten drei Betriebsräte das Vorliegen eines Gemeinschaftsbetriebes geltend gemacht. Bei der zu 4. beteiligten Arbeitgeberin sind ca. 270 Arbeitnehmer, bei der zu 5. beteiligten Arbeitgeberin sind ca. 104 Arbeitnehmer beschäftigt. Der zu 1. beteiligte Betriebsrat besteht aus neun Betriebsratsmitgliedern, die bei den beteiligten Arbeitgeberinnen zu 5. und 6. gebildeten Betriebsräte, die Beteiligten zu 2. und 3., bestehen aus jeweils fünf Betriebsratsmitgliedern. Insgesamt beschäftigen die beteiligten Arbeitgeberinnen ca. 500 Mitarbeiter.
Durch Beschluss vom 16.11.2005 hat das Arbeitsgericht die Anträge der Betriebsräte abgewiesen. Der Beschluss vom 16.11.2005 ist noch nicht rechtskräftig.
Auf Antrag der Verfahrensbevollmächtigten der Betriebsräte ist der Gegenstandswert für das Ausgangsverfahren vom Arbeitsgericht durch Beschluss vom 30.12.2005 auf 24.000,00 € festgesetzt worden.
Gegen diesen Beschluss wenden sich die Verfahrensbevollmächtigten der Betriebsräte mit der am 10.01.2006 beim Landesarbeitsgericht eingegangenen Beschwerde, der das Arbeitsgericht nicht abgeholfen hat.
Die Verfahrensbevollmächtigten der Betriebsräte sind der Auffassung, dass der Gegen- standswert insgesamt mit 75.000,00 € zu bemessen sei. Für den Hauptantrag ergebe sich ein Gegenstandswert von 50.000,00 €, für die Hilfsanträge müsse der halbe Wert zugrunde gelegt werden.
Die Verfahrensbevollmächtigten der Arbeitgeberinnen halten den Beschluss des Arbeitsgerichts vom 30.12.2005 für sachgerecht. Würde ein gemeinsamer Wahlvorstand für alle drei Betriebe gebildet und dementsprechend eine Betriebsratswahl für den angeblich gemeinsamen Betrieb angefochten, ergebe sich kein anderes Ergebnis. Eine Zusammenrechnung der Zahl der einzelnen Betriebsratsmitglieder würden zu nicht nachvollziehbaren Ergebnissen führen.
Wegen des weiteren Sach- und Streitstandes wird auf die Verfahrensakten Bezug genommen.
II.
Die nach § 33 Abs. 3 RVG zulässige Beschwerde ist nur zum Teil begründet. Der Gegenstandswert für das vorliegende Beschlussverfahren war auf 26.000,00 € festzusetzen.
Die Festsetzung des Gegenstandswertes für das vorliegende Beschlussverfahren richtet sich nach § 23 Abs. 3 Satz 2 RVG, wonach der Gegenstandswert in Fällen der vorliegenden Art nach billigem Ermessen zu bestimmen ist. § 23 Abs. 3 Satz 2 RVG (früher: § 8 Abs. 2 BRA-GO) stellt eine Auffangnorm für Angelegenheiten dar, für die Wertvorschriften fehlen. Der Auffangtatbestand des § 23 Abs. 3 Satz 2 RVG ist ebenso wie früher § 8 Abs. 2 BRAGO insbesondere für nichtvermögensrechtliche Streitigkeiten bedeutsam, deren Wert auf anderem Wege nicht bestimmt werden kann. Die Wertfestsetzung nach billigem Ermessen kommt im Anwendungsbereich des § 23 Abs. 3 Satz 2 RVG aber immer erst hinter allen sonstigen Bewertungsfaktoren zum Zuge. Für das arbeitsgerichtliche Beschlussverfahren folgt bereits hieraus, dass die wirtschaftliche Bedeutung des jeweiligen Streitgegenstandes vielfach im Vordergrund stehen muss (LAG Hamm, Beschluss vom 24.11.1994 - LAGE BRAGO § 8 Nr. 27; LAG Hamm, Beschluss vom 12.06.2001 - LAGE BRAGO § 8 Nr. 50; LAG Hamm, Beschluss vom 28.04.2005 - NZA-RR 2005, 435; GK-ArbGG/Wenzel, § 12 Rz. 194, 441 ff.).
Zutreffend gehen die Beteiligten wie auch das Arbeitsgericht für den vorliegenden Fall davon aus, dass es sich bei dem Ausgangsverfahren um eine nichtvermögensrechtliche Streitigkeit im Sinne des § 23 Abs. 3 Satz 2 RVG handelt. Die im arbeitsgerichtlichen Beschlussverfahren anfallenden Streitsachen sind typischerweise nichtvermögensrechtlicher Natur (Wenzel, a.a.O., § 12 Rz. 445). Vermögensrechtliche Ansprüche sind nur solche, die auf Geld oder geldwerte Leistung gerichtet sind, gleichgültig, ob sie aus einem vermögensrechtlichen oder nichtvermögensrechtlichen Grundverhältnis entspringen (LAG Hamburg, Beschluss vom 04.08.1992 - LAGE BRAGO § 8 Nr. 18; Wenzel, a.a.O., § 12 Rz. 313; Vetter, NZA 1996, 122). Eine nichtvermögensrechtliche Streitigkeit liegt vor, wenn es vornehmlich um Fragen der Teilhabe des Betriebsrates an der Gestaltung des betrieblichen Geschehens geht. So liegt der vorliegende Fall. Die beteiligten Betriebsräte haben im Ausgangsverfahren das Vorliegen eines gemeinsamen Betriebes mehrerer Unternehmen geltend gemacht, § 1 Abs. 1 Satz 2, Abs. 2, § 18 Abs. 2 BetrVG. Insoweit handelt es sich um eine nichtvermögensrechtliche Angelegenheit, für die grundsätzlich der Ausgangswert des § 23 Abs. 3 Satz 2 RVG maßgeblich ist.
Entgegen der Rechtsauffassung der Verfahrensbevollmächtigten der Betriebsräte konnte der Gegenstandswert aber nicht auf 75.000,00 € festgesetzt werden. Der Gegenstandswert beträgt vielmehr in Anlehnung an die Rechtsprechung der Beschwerdekammern des erkennenden Gerichts zur Festsetzung des Gegenstandswertes in Wahlanfechtungsverfahren nach § 19 BetrVG 26.000,00 €.
Der Wert des Gegenstandes der anwaltlichen Tätigkeit für ein arbeitsgerichtliches Beschlussverfahren, mit dem eine Betriebsratswahl nach § 19 BetrVG angefochten wird, richtet sich regelmäßig nach der Zahl der zu wählenden Betriebsratsmitglieder, die gemäß § 9 BetrVG durch die Größe des Betriebes bestimmt wird. Dies entspricht der überwiegenden Auffassung der Landesarbeitsgerichte (LAG Berlin, Beschluss vom 17.12.1991 - NZA 1992, 327; LAG Thüringen, Beschluss vom 13.11.1998 - AuR 1999, 146; LAG Brandenburg, Beschluss vom 26.04.1995 - 6 Ta 23/94 -; LAG Köln, Beschluss vom 10.10.2002 - NZA-RR 2003, 493; LAG Schleswig-Holstein, Beschluss vom 09.07.2003 - LAGE BRAGO § 8 Nr. 55). Die zuständigen Kammern des Beschwerdegerichts haben sich dieser Auffassung in ständiger Rechtsprechung angeschlossen (LAG Hamm, Beschluss vom 09.03.2001 - LAGE BRAGO § 8 Nr. 48 a = NZA-RR 2002, 104; LAG Hamm, Beschluss vom 28.04.2005 - NZA-RR 2005, 435; vgl. auch: Wenzel, a.a.O., § 12 Rz. 461, 464). Ein Wahlanfechtungsverfahren, das die Wahl eines elfköpfigen Betriebsrates für einen Gemeinschaftsbetrieb der drei beteiligten Arbeitgeberinnen zum Gegenstand hätte, würde hiernach mit einem Gegenstandswert von 26.000,00 € bewertet.
Das vorliegende Beschlussverfahren, das die Feststellung des Vorliegens eines Gemeinschaftsbetriebes der drei beteiligten Arbeitgeberinnen zum Gegenstand hat, kann nicht anders bewertet werden. Dass das vorliegende Verfahren nach § 18 Abs. 2 BetrVG nicht direkt im Zusammenhang mit einer anstehenden Betriebsratswahl eingeleitet worden ist, erscheint für die Wertfestsetzung unerheblich (LAG Hamburg, Beschluss vom 17.12.1996 - LAGE BRAGO § 8 Nr. 37). Sachgerecht auch für das vorliegende Verfahren ist es, bei der Wertfestsetzung an die Zahl der betroffenen Arbeitnehmer anzuknüpfen. Dies sind im vorliegenden Fall ca. 500 Beschäftigte. Bei der Bewertung des zugrunde liegenden Verfahrens ist nämlich darauf Bedacht zu nehmen, dass das Verfahren nach § 18 Abs. 2 BetrVG in einem engen Zusammenhang zum Wahlanfechtungsverfahren nach § 19 BetrVG steht. Die Frage der Zuordnung der Arbeitnehmer zum Betrieb stellt eine wesentliche Vorfrage auch für das Wahlanfechtungsverfahren dar. Es erscheint deshalb sachgerecht, bei der Wertfestsetzung für entsprechende Zuordnungsverfahren an die für
Wahlanfechtungsverfahren nach § 19 entwickelten Grundsätze anzuknüpfen (vgl. LAG Köln, Beschluss vom 24.02.1989 - LAGE BRAGO § 8 Nr. 11; LAG Hamburg, Beschluss vom 17.12.1996 - LAGE BRAGO § 8 Nr. 37). Auch in einem Verfahren nach § 18 Abs. 2 BetrVG erscheint der Rückgriff auf die Stufen des § 9 BetrVG angemessen, weil sich in diesen Stufen und der dort jeweils festgelegten Anzahl der Mitglieder des Betriebsrates die Bedeutung der Angelegenheit wiederspiegelt (LAG Bremen, Beschluss vom 12.05.1999 - LAGE BRAGO § 8 Nr. 43).
Da Rechtsschutzziel der Betriebsräte im vorliegenden Fall die Feststellung des Vorliegens eines Gemeinschaftsbetriebes der drei beteiligten Arbeitgeberinnen ist, bei dem ein elfköpfiger Betriebsrat zu wählen wäre, kommt weder eine Zusammenrechnung derjenigen Werte, die sich im Wahlanfechtungsverfahren eines jeden beteiligten Betriebsrates ergäben, noch eine Zusammenrechnung der derzeitigen Anzahl sämtlicher Betriebsratsmitglieder der beteiligten Betriebsräte und des sich so ergebenden Wertes für einen neunzehnköpfigen Betriebsrat in Betracht.
Zu Recht hat das Arbeitsgericht die in I. Instanz von den Betriebsräten gestellten Hilfsanträge nicht zusätzlich bei der Wertfestsetzung berücksichtigt. Der Hauptantrag und die Hilfsanträge der Betriebsräte betreffen denselben Gegenstand, nämlich ob die Betriebe der beteiligten Arbeitgeberinnen einen Gemeinschaftsbetrieb darstellen (§ 45 Abs. 1 Satz 3 GKG). Ob die Betriebe der Arbeitgeberinnen zu 1. und 2. oder der Arbeitgeberinnen zu 2. und 3. jeweils einen gemeinsamen Betrieb im Sinne des Betriebsverfassungsgesetzes bilden, war auch Gegenstand des Hauptantrages.
Schierbaum /N.
LAG Hamm:
Beschluss v. 01.03.2006
Az: 10 Ta 21/06
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