Bundespatentgericht:
Beschluss vom 9. Dezember 2010
Aktenzeichen: 30 W (pat) 102/09
(BPatG: Beschluss v. 09.12.2010, Az.: 30 W (pat) 102/09)
Tenor
1.
Auf die Beschwerde des Widersprechenden werden die Beschlüsse der Markenstelle für Klasse 44 des Deutschen Patentund Markenamts vom 5. Mai 2008 und vom 29. Juli 2009 aufgehoben.
2.
Die Löschung der Marke 307 31 108 wird wegen des Widerspruchs aus der Gemeinschaftsmarke 005088869 angeordnet.
Gründe
I.
Die Wort-/Bildmarke ist am 8. Mai 2007 angemeldet, am 26. Juni 2007 unter der Nummer 307 31 108 eingetragen und am 27. Juli 2007 veröffentlicht worden für folgende Dienstleistungen:
"Klasse 35: Geschäftsführung, Unternehmensverwaltung Klasse 44: Medizinische Dienstleistungen".
Gegen die Eintragung hat am 7. September 2007 die Inhaberin der am 3. Mai 2006 angemeldeten und am 26. April 2007 eingetragenen Gemeinschaftsmarke 005088869 Medeco Widerspruch erhoben; deren Verzeichnis der Waren und Dienstleistungen lautet:
"Klasse 5: Zahnfüllmittel und Abdruckmassen für zahnärztliche Zwecke.
Klasse 44: Medizinische und zahntechnische Dienstleistungen eines Dentallabors, Dienstleistungen eines Zahnarztes und/oder Arztes einschließlich Dienstleistungen von Kliniken zur ärztlichen und/oder zahnärztlichen Therapie und Diagnose, ausgenommen medizinische Dienstleistungen zur Herstellung und/oder Vertrieb von pharmazeutischen Erzeugnissen".
Die Markenstelle für Klasse 44 des Deutschen Patentund Markenamts hat im Erstbeschluss eine Verwechslungsgefahr verneint und den Widerspruch zurückgewiesen. Zur Begründung hat die Markenstelle ausgeführt, dass sich zwar angesichts verwendeter Oberbegriffe identische Dienstleistungen gegenüberstehen könnten; beim Vergleich der Markenwörter sei indessen zu berücksichtigen, dass die übereinstimmenden Wortanfänge "Med" als Abkürzung für "Medizin" kennzeichnungsschwach seien; unter diesen Umständen seien die Abweichungen in den Endungen zur Unterscheidung der Marken ausreichend. In bildlicher Hinsicht werde die jüngere Marke durch das Bildelement dominiert. Begriffliche Inhalte der Markenwörter seien nicht gegeben. Unmittelbare und mittelbare Verwechslungsgefahr seien auszuschließen.
Der Widersprechende hat Erinnerung eingelegt und eine gesteigerte Kennzeichnungskraft der Widerspruchsmarke geltend gemacht. Die Erinnerung ist erfolglos geblieben. In der Erinnerungsentscheidung ist ausgeführt, dass die gesteigerte Kennzeichnungskraft nicht im erforderlichen Umfang dargelegt sei. Ergänzend ist zur Begründung ausgeführt, dass auch bei Annahme identischer Dienstleistungen und Prägung der jüngeren Marke durch das Wort Verwechslungsgefahr nicht bestehe.
Der Widersprechende hat Beschwerde eingelegt. Er ist der Auffassung, dass die Markenstelle eine Verwechslungsgefahr zu Unrecht verneint habe. Dem Wort "MEDECUM" komme innerhalb der angegriffenen Marke eine den Gesamteindruck der Marke prägende Stellung zu. Die einfache geometrische Form des Bildelements sei nicht geeignet, den Gesamteindruck der angegriffenen Marke zu prägen. Angesichts identischer Dienstleistungen und erheblicher klanglicher Übereinstimmungen der Markenwörter sei Verwechslungsgefahr gegeben.
Der Widersprechende beantragt sinngemäß, die angefochtenen Beschlüsse des Deutschen Patentund Markenamts aufzuheben und die Löschung der angegriffenen Marke anzuordnen.
Die Inhaberin der angegriffenen Marke beantragt sinngemäß, die Beschwerde zurückzuweisen.
Die Inhaberin der angegriffenen Marke hält mit näheren Ausführungen die Entscheidung der Markenstelle für zutreffend; bei Vergleich der Marken insgesamt scheide Verwechslungsgefahr schon im Hinblick auf den in der angegriffenen Marke enthaltenen, unterscheidungskräftigen Bildbestandteil aus; zudem komme der Wortstamm "Medec" sehr häufig vor, so dass die Endungen das relevante Unterscheidungsmerkmal enthielten.
Wegen der weiteren Einzelheiten wird ergänzend auf den Akteninhalt Bezug genommen.
II.
Die zulässige Beschwerde des Widersprechenden hat in der Sache Erfolg. Zwischen den Vergleichsmarken besteht in klanglicher Hinsicht eine markenrechtlich relevante Verwechslungsgefahr im Sinne von § 9 Abs. 1 Nr. 2 MarkenG. Die angegriffene Marke ist daher gemäß § 42 Abs. 2 Nr. 1 MarkenG i. V. m. § 43 Abs. 2 Satz 1 MarkenG, § 125b Nr. 1 MarkenG zu löschen.
Die Beurteilung der Verwechslungsgefahr im Sinne von § 9 Abs. 1 Nr. 2 MarkenG ist unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls umfassend vorzunehmen. Dabei ist von einer Wechselwirkung zwischen den Beurteilungsfaktoren der Waren-/Dienstleistungsidentität oder -ähnlichkeit, der Markenidentität oder -ähnlichkeit und der Kennzeichnungskraft der Widerspruchsmarke in der Weise auszugehen, dass ein geringerer Grad der Ähnlichkeit der Waren/Dienstleistungen durch einen höheren Grad der Ähnlichkeit der Marken oder der Kennzeichnungskraft der älteren Marke ausgeglichen werden kann und umgekehrt (vgl. EuGH GRUR Int. 2000, 899, 901 Nr. 40 -Marca/Adidas; GRUR 2005, 1042, 1044 Nr. 27 -THOMSON LIFE; GRUR 2006, 237, 238 Nr. 18 f. -PICASSO; BGH GRUR 2008, 258, 260 Nr. 20 -INTERCONNECT/T-InterConnect; GRUR 2009, 484, 486 Nr. 23 -Metrobus; GRUR 2010, 235 Nr. 15 -AIDA/AIDU).
Beim Vergleich der sich gegenüberstehenden Waren bzw. Dienstleistungen ist von der Registerlage auszugehen.
Die Markenstelle hat zutreffend festgestellt, dass "Medizinische und zahntechnische Dienstleistungen eines Dentallabors, Dienstleistungen eines Zahnarztes und/oder Arztes einschließlich Dienstleistungen von Kliniken zur ärztlichen und/oder zahnärztlichen Therapie und Diagnose, ausgenommen medizinische Dienstleistungen zur Herstellung und/oder Vertrieb von pharmazeutischen Erzeugnissen", für die die Widerspruchsmarke registriert ist, unter den Oberbegriff "Medizinische Dienstleistungen" der angegriffenen Marke subsumiert werden können. Damit können sich vorliegend identische Dienstleistungen gegenüberstehen.
Die Dienstleistungen der Klasse 44 der Widerspruchsmarke können ferner Gegenstand der durch einen Oberbegriff bestimmten Dienstleistungen der Klasse 35 der angegriffenen Marke sein. Insoweit ist von enger Ähnlichkeit der sich gegenüberstehenden Dienstleistungen auszugehen. Ob auch zwischen den Waren der Widerspruchsmarke und den Dienstleistungen der angegriffenen Marke Ähnlichkeit besteht, bedarf unter diesen Umständen keiner weiteren Erörterungen.
Gefolgt werden kann der Markenstelle auch darin, dass die Widerspruchsmarke "Medeco" über eine durchschnittliche Kennzeichnungskraft verfügt. Gegenüber dem lateinischen Wort "medicus" (deutsch: Arzt) kommt der Widerspruchsmarke ein individualisierender Charakter zu, so dass sich hieraus keine Einschränkung der Kennzeichnungskraft der Widerspruchsmarke ergibt; auch soweit die Buchstaben "Med" einen Hinweis auf "Medizin" darstellen können, führt dies nicht zu einer relevanten Schwächung der Gesamtmarke "Medeco", die sich als Fachbegriff für "Heilung" oder "Medizin" im Inland nicht nachweisen lässt; dazu tritt "Med" schon von der Silbenbildung her nicht eigenständig hervor. Für die Zuerkennung einer erhöhten Kennzeichnungskraft fehlt es an einer ausreichenden Darlegung der hierfür erforderlichen Tatsachen. Die Voraussetzungen einer erhöhten Kennzeichnungskraft müssen bereits im Zeitpunkt der Anmeldung der angegriffenen Marke vorgelegen haben und im Zeitpunkt der Entscheidung über den Widerspruch noch fortbestehen (vgl. Ströbele/Hacker MarkenG 9. Aufl. § 9 Rdn. 121, 147 m. w. N.). Zur Feststellung der gesteigerten Verkehrsbekanntheit sind im Einzelfall alle relevanten Umstände zu berücksichtigen. Die Anzahl von Klinikstandorten, also deren geografische Verbreitung, ist nicht allein entscheidend; weiterhin sind der von der Marke gehaltene Marktanteil, die Intensität, und Dauer der Markenverwendung, die dafür aufgewendeten Werbemittel und die dadurch erreichte Bekanntheit in den beteiligten Verkehrskreisen von Bedeutung. Insoweit lassen objektive Statistiken oder demoskopische Befragungen sowie Angaben über Werbeaufwendungen zuverlässige Schlüsse auf die Verkehrsbekanntheit einer Marke zu (vgl. Ströbele/Hacker a. a. O. § 9 Rdn. 114 m. w. N.). Dazu fehlt es am Tatsachenvortrag und an Nachweisen.
Im Zusammenhang mit den genannten Faktoren führt die Einschätzung dazu, dass bei den Vergleichsmarken eine markenrechtlich relevante Gefahr von Verwechslungen zu besorgen ist. Dies gilt selbst dann, wenn zu Gunsten der Inhaberin der angegriffenen Marke nur von durchschnittlichen Anforderungen an den Markenabstand ausgegangen wird.
Soweit allgemeine Verkehrskreise zu berücksichtigen sind, ist davon auszugehen, dass grundsätzlich nicht auf einen sich nur flüchtig mit der Ware/Dienstleistung befassenden, sondern auf einen durchschnittlich informierten, aufmerksamen und verständigen Durchschnittsverbraucher abzustellen ist, dessen Aufmerksamkeit je nach Art der Ware bzw. der in Anspruch genommenen Dienstleistung unterschiedlich hoch sein kann (vgl. BGH MarkenR 2000, 140 -ATTACHÉ/TISSERAND; BGH GRUR 1998, 942, 943 li. Spalte -ALKA-SELTZER; EuGH MarkenR 1999, 236, 239 Nr. 24 -Lloyd/Loint's) und der insbesondere allem, was mit der Gesundheit zusammenhängt eine gesteigerte Aufmerksamkeit beizumessen pflegt (vgl. BGH GRUR 1995, 50, 53 -Indorektal/Indohexal).
Maßgebend für die Beurteilung der Markenähnlichkeit ist der Gesamteindruck der Vergleichsmarken, wobei von dem allgemeinen Erfahrungssatz auszugehen ist, dass der Verkehr eine Marke so aufnimmt, wie sie ihm entgegentritt, ohne sie einer analysierenden Betrachtungsweise zu unterwerfen (vgl. Ströbele/Hackera.
a. O. § 9 Rdn. 111). Der Grad der Ähnlichkeit der sich gegenüberstehenden Zeichen ist dabei im Klang, im (Schrift-)Bild und im Bedeutungs-(Sinn-)Gehalt zu ermitteln, wobei für die Annahme einer Verwechslungsgefahr regelmäßig bereits die hinreichende Übereinstimmung in einer Hinsicht genügen kann (st. Rspr., vgl.
z.
B. BGH a. a. O. Nr. 18 - AIDA/AIDU m. w. N.; Ströbele/Hacker a. a. O. § 9 Rdn. 183 m. w. N.).
Stellt man die Marken in ihrer Gesamtheit gegenüber, so verhindert der in der jüngeren Marke enthaltene Bildbestandteil, der in der Widerspruchsmarke keine Entsprechung hat, Verwechslungen in jeder Hinsicht.
In klanglicher Hinsicht ist allerdings von dem allgemein anerkannten Erfahrungssatz auszugehen, dass der Verkehr dem Wort als einfachster und kürzester Bezeichnungsform die prägende Bedeutung zumisst (vgl. Ströbele/Hacker a. a. O. § 9 Rdn. 332 m. w. N.). Das gilt auch für Fälle, in denen das Wort größenmäßig hinter dem Bild zurücktritt. Dafür, dass hier ausnahmsweise von einer Prägung durch das Bildelement ausgegangen werden muss, fehlen Anhaltspunkte. Das Wort "MEDECUM" weist, wie oben ausgeführt, normale Kennzeichnungskraft auf; davon, dass das Bild, bei dem es sich um kaum benennbares Phantasiegebilde handelt, die Marke derart beherrscht, dass das Wort kaum mehr beachtet wird, kann angesichts der hier gegebenen Darstellung der Größenverhältnisse nicht ausgegangen werden (vgl. BPatG GRUR 1994, 124, 125 -Billy the Kid).
Stehen sich danach die Wörter "MEDECUM" und "Medeco" gegenüber, besteht angesichts der Übereinstimmungen in den ersten fünf Buchstaben in klanglicher Hinsicht Verwechslungsgefahr -was wie oben ausgeführt -bereits für eine Löschung der angegriffenen Marke ausreicht; auch unter Zugrundelegung durchschnittlicher Anforderungen an den Markenabstand wirken die Abweichungen in den allgemein weniger beachteten Wortenden ("-Um" gegenüber "o") der Gefahr von Verwechslungen nicht mehr entgegen, zumal auch die gegenüberstehenden Vokale "u" und "o" als dunkle Vokale sich klanglich nicht deutlich voneinander abheben.
Vor allem in der europäischen Rechtsprechung finden sich zwar Erwägungen, dass die klangliche Zeichenähnlichkeit in der rechtlichen Beurteilung der Verwechslungsgefahr in den Hintergrund tritt, soweit die betreffenden Waren bzw. Dienstleistungen überwiegend auf Sicht gekauft werden (EuG GRUR Int. 2003, 1017, 1019 Nr. 55 -BASS-PASH; EuG MarkenR 2004, 162, 167 Nr. 51 -ZIRH/SIR; EuGH GRUR 2006, 313, 414 Nr. 21 -ZIRH/SIR); hinsichtlich der hier vorliegenden Dienstleistungsmarken lässt sich indessen nicht feststellen, dass sie vor allem visuell wahrgenommen werden.
Zudem ist in der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs hervorgehoben, dass auch dem "Kauf auf Sicht" häufig mündliche Nachfragen, Empfehlungen und auch Gespräche unter Verbrauchern vorausgehen, bei denen klangliche Verwechslungen von Marken stattfinden können (vgl. BGH GRUR 1999, 241, 244 -Lions). Ebenfalls nicht vernachlässigt werden darf die akustische Werbung. Abgesehen davon wird erfahrungsgemäß selbst bei einer nur optischen Wahrnehmung einer Marke gleichzeitig der klangliche Charakter des den Gesamteindruck prägenden Markenwortes unausgesprochen mit aufgenommen und damit die Erinnerung an klanglich ähnliche Marken geweckt, die von früheren Begegnungen bekannt sind. Die klangliche Verwechslungsgefahr wird insoweit nicht durch ein unmittelbares Hören, sondern durch die ungenauen Erinnerungen an den Klang einer der beiden Marken ausgelöst (vgl. BPatGE 23, 176, 179 -evit/ELIT; Ströbele/Hacker a. a. O. § 9 Rdn. 188 m. w. N.). Dies gilt entsprechend für Dienstleistungen.
Es bleibt daher bei dem Grundsatz, dass es für die Feststellung der Verwechslungsgefahr ausreichend ist, dass nur in einer Richtung Markenähnlichkeit besteht.
Die Beschwerde hat daher Erfolg; die angegriffene Marke ist in vollem Umfang zu löschen, Zu einer Kostenauferlegung (§ 71 Abs. 1 MarkenG) bestand kein Anlass.
Knoll Winter Hartlieb Cl
BPatG:
Beschluss v. 09.12.2010
Az: 30 W (pat) 102/09
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