Hessisches Landessozialgericht:
Beschluss vom 25. April 2000
Aktenzeichen: L 7/B 38/98 KA, L 7/B 39/98 KA
(Hessisches LSG: Beschluss v. 25.04.2000, Az.: L 7/B 38/98 KA, L 7/B 39/98 KA)
Tenor
Auf die Beschwerde der Beklagten wird der Beschluss des Sozialgerichts Frankfurt am Main vom 27. Mai 1998 geändert.
Der Wert des Streitgegenstandes wird festgesetzt auf DM 8.000.-. Im übrigen werden die Beschwerden der Beklagten und der Klägerin zurückgewiesen.
Gründe
I.
Die Beteiligten stritten in der Hauptsache um die von der Klägerin begehrte Genehmigung einer Zweigpraxis.
Die Klägerin ist seit 1981 als Ärztin für Psychotherapeutische Medizin - Psychoanalyse zur vertragsärztlichen (früher kassenärztlichen) Versorgung zugelassen mit Praxissitz in G.. In den Quartalen IV/95 bis II/96 behandelte die Klägerin ca. 20 gesetzlich versicherte Patienten, bei denen sie ausschließlich Sonderleistungen nach den Gebührenordnungsnummern 865, 871, 877 und 878 abrechnete, und zwar in Höhe von zwischen DM 18.450.- und DM 25.190.-. In zusätzlichen Abrechnungen wurden Leistungen über Krankenschein abgerechnet, und zwar in Höhe von unter DM 3.000.- im Quartal für zwischen 9 und 15 Patienten. Nach Angaben der Klägerin machten Selbstzahler, Privatpatienten und Supervisionen etwa 2/3 des Umsatzes aus.
Im Oktober 1995 beantragte die Klägerin die Genehmigung einer Zweigpraxis in R. in Räumen der von ihr bewohnten H.. Mit Bescheid vom 8. November 1995 lehnte die Beklagte den Antrag ab. Mit Widerspruchsbescheid vom 5. Juli 1996 wies die Beklagte den Widerspruch der Klägerin zurück, da die Versorgungssituation im Wohnbereich der Klägerin sichergestellt sei.
Hiergegen hat die Klägerin am 19. Juli 1996 Klage erhoben und die Genehmigung der Zweigpraxis begehrt u.a. mit dem Hinweis auf die mangelhafte Versorgungssituation der ländlichen Bevölkerung im Vogelsbergkreis. Sie strebe die Einrichtung einer Psychoanalyse Gruppe von 9 Patienten an, die Schwierigkeiten hätten, mit öffentlichen Verkehrsmitteln ihre Praxis in G. zu erreichen, insbesondere am Samstag.
Mit Urteil vom 28. Januar 1998 hat das Sozialgericht Frankfurt am Main die Beklagte unter Aufhebung der angefochtenen Bescheide verurteilt, den Widerspruch der Klägerin neu zu bescheiden. Der Beklagten wurde die Erstattung der außergerichtlichen Kosten der Klägerin auferlegt. In einem Ergänzungsurteil wurde die Klage im übrigen abgewiesen. In der Begründung hat es im wesentlichen ausgeführt, die Beklagte habe ihrer Entscheidung keinen richtig und vollständig ermittelten Sachverhalt zugrunde gelegt und diese auch nicht hinreichend begründet. Die Beklagte müsse die konkrete Versorgungssituation berücksichtigen, insbesondere ob die spezifischen Krankheitsbilder und die lange Dauer der Behandlungen eine wohnortnahe Behandlung bedingten.
Am 5. Februar 1998 beantragte die Klägerin die Festsetzung eines Streitwertes in Höhe von DM 120.000.-. Der Umsatz der für Samstag angestrebten Gruppentherapie betrage DM 400.- wöchentlich, die zusätzlichen Einzeltherapien DM 200.- wöchentlich. Bei 50 Wochen ergebe sich ein Jahresumsatz in Höhe von DM 30.000.- und unter Berücksichtigung von 4 Jahren ein Gegenstandswert von DM 120.000.-. Personal- und Sachkosten fielen nicht an. Die Beklagte wies darauf hin, dass die Kosten von 50% bzw. richtiger von 70% abgesetzt werden müssten und bei Vorliegen eines Bescheidungsurteils von der Hälfte des errechneten Wertes auszugehen sei.
Mit Schreiben vom 11. März 1998 hat der Vorsitzende der 27. Kammer des Sozialgerichtes Frankfurt am Main einen Gegenstandswert in Höhe von DM 20.000.- zur Diskussion gestellt unter Hinweis auf den Streitwertkatalog der Verwaltungsgerichtsbarkeit (NVwZ 1991, 1156), wonach die Approbation nach dem zu erwartenden Jahresverdienst, mindestens DM 30.000.- (5-fache des Regelstreitwertes, entspreche jetzt DM 40.000.-) zu bewerten sei. Von dem von der Klägerin genannten Jahresumsatz in Höhe von DM 30.000.- seien Unkosten in Höhe von geschätzt 50% abzusetzen, woraus sich ein Jahresverdienst in Höhe von DM 15.000.- ergebe.
Mit Beschluss vom 27. Mai 1998 hat das Sozialgericht Frankfurt am Main den Gegenstandswert auf DM 20.000.- festgesetzt und zur Begründung auf das Schreiben vom 11. März 1998 Bezug genommen.
Gegen den ihr am 30. Mai 1998 zugestellten Beschluss hat die Klägerin am 8. Juni 1998 Beschwerde eingelegt. Gegen den ihr am 4. Juni 1998 zugestellten Beschluss hat die Beklagte am 15. Juni 1998 Beschwerde eingelegt. Das Sozialgericht hat den Beschwerden nicht abgeholfen.
Die Klägerin hält weiterhin einen Gegenstandswert in Höhe von DM 120.000.- angemessen. Sie trägt vor, sie betreue momentan im Rahmen der Zweigpraxis 9 Patienten, woraus sich ein Umsatz von über DM 1.100.- pro Woche ergebe, der unter Berücksichtigung der einzigen Kosten (Wasser und Strom) zur Vereinfachung mit DM 1.000.- angenommen werden sollte. Unter weiterer Berücksichtigung von Urlaubszeiten und sonstigen Abwesenheiten ergebe sich ein Jahresumsatz in Höhe von DM 45.000.- Nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichtes bezüglich des drei- bis fünffachen Jahresumsatzes sei auch unter Berücksichtigung des vorliegenden Bescheidungsurteils ein Gegenstandswert in Höhe von DM 120.000.- angemessen.
Die Beklagte trägt vor, der von der Klägerin berechnete Gegenstandswert sei unrealistisch. Die voraussichtliche wirtschaftliche Bedeutung der ursprünglich im Streit stehenden Zweigpraxisgenehmigung sei - wenn überhaupt - nur sehr schwer einzuschätzen. Es erscheine deshalb sachgerecht, vom Regelstreitwert des § 8 Abs. 2 Bundesrechtsanwaltsgebührenordnung (BRAGO) auszugehen. Der Rechtsprechung des Hessischen Landessozialgerichts zur Höhe des Gegenstandswertes bei Bescheidungsurteilen folgend, sei dieser Wert noch zu halbieren.
II.
Die Beschwerden sind form- und fristgerecht eingelegt und an sich statthaft, §§ 172, 173 SGG.
Die Beschwerde der Klägerin ist unbegründet. Die Beschwerde der Beklagten ist teilweise begründet.
Der vom Sozialgericht mit dem angefochtenen Beschluss vom 27. Mai 1998 auf DM 20.000.- festgesetzte Wert des Streitgegenstandes war zu ändern und entsprechend dem Antrag der Beklagten niedriger festzusetzen.
Auf den Antrag der Klägerin war der Wert des Gegenstandes der anwaltlichen Tätigkeit durch Beschluss festzusetzen, § 7 Abs. 1, § 116 Abs. 2 Nr. 1, § 10 Abs. 1 BRAGO.
Nach § 8 Abs. 2 BRAGO ist der Gegenstandswert mangels der Möglichkeit der sinngemäßen Anwendung von § 18 Abs. 2, §§ 19 bis 23, 24 Abs. 1,2,4,5,6, §§ 25, 39 Abs. 2 der Kostenordnung nach billigem Ermessen zu bestimmen.
Die Genehmigung einer Zweigpraxis ist nicht vergleichbar mit der Zulassung als Vertragsarzt bzw. der Approbation (im verwaltungsgerichtlichen Verfahren), da bereits ein Praxissitz besteht bzw. ein Beruf ausgeübt wird. Die einfache Übertragung der Kostenrechtsprechung des Bundessozialgerichts mit dem voraussichtlichen drei- bzw. fünfjährigen Umsatz (abzüglich Kosten; vgl. Beschluss des BSG vom 3. März 1987 - 6 RKa 4/86) ist damit nicht möglich. Der in der Zweigpraxis zu erzielende Umsatz kann nur dann Ausgangspunkt der Berechnung des Gegenstandswertes sein, wenn es sich um zusätzliche Einnahmen handelt, die in der Hauptpraxis bei gleichem Zeiteinsatz nicht zu erzielen wären. Soweit die Klägerin die Einnahmen der Zweigpraxis hochrechnet, spiegelt dies schon deshalb den Wert des vorliegenden Verfahrens nicht wieder, da sie nach ihrem eigenen Vorbringen allenfalls 1/3 ihres Umsatzes aus der gesetzlichen Krankenversicherung erzielt. Es kommt hinzu, dass aus dem gesamten Vorbringen der Klägerin nicht entnommen werden kann, dass sie in ihrer Praxis in G. nicht ausgelastet war und deshalb dringend auf zusätzliche Patienten in der Zweigpraxis angewiesen war. Vielmehr bezog sich die Klägerin auf die unzulängliche Versorgungslage im Umkreis ihres Wohnortes und die einfachere Erreichbarkeit der geplanten Zweigpraxis für ihre Patienten. Dabei handelt es sich jedoch nicht um Gründe, die für die Klägerin von wirtschaftlichem Wert sind. Ohne nähere Anhaltspunkte kann im vorliegenden Fall nur der Auffangwert von DM 8.000.- zugrunde gelegt werden. Auch im Falle einer begehrten Neubescheidung (unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts) ist der Auffangwert dann jedenfalls nicht herabzusetzen (Abgrenzung zum Beschluss HLSG vom 10.8.1995 - L-7/Ka-332/91), wenn sich nicht eine besonders geringe Bedeutung für die Klägerin ergibt. Streitgegenstand im vorliegenden Fall war jedoch nicht die Neubescheidung. Die Klägerin begehrte vielmehr die Aufhebung der angefochtenen Bescheide und Verurteilung der Beklagten zur Genehmigung. Dass sie nur teilweise obsiegt hat (im Sinne der Aufhebung der angefochtenen Bescheide und Verurteilung der Beklagten zur Neubescheidung unter nachträglicher Abweisung der Klage im übrigen) ändert an dem im Klageantrag ausgedrückten weitergehenden Klageziel nichts. Dass in der Kostenentscheidung des Sozialgerichtes die Abweisung der weitergehenden Klage keinen Niederschlag im Kostenausspruch gefunden hat, die Beklagte vielmehr zur vollen Tragung der notwendigen außergerichtlichen Kosten verurteilt wurde, kann nicht zu einer Ermäßigung des Gegenstandswertes führen, wie die Beklagte vorgeschlagen hat.
Hessisches LSG:
Beschluss v. 25.04.2000
Az: L 7/B 38/98 KA, L 7/B 39/98 KA
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