Landgericht Köln:
Urteil vom 27. September 2012
Aktenzeichen: 14 S 10/12
(LG Köln: Urteil v. 27.09.2012, Az.: 14 S 10/12)
Tenor
Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Amtsgerichts Köln vom 12. April 2012, Az. 137 C 455/11, wird zurückgewiesen.
Die Kosten des Berufungsverfahrens trägt der Kläger.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Der Kläger darf die Zwangsvollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die Beklagten vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages leisten.
Die Revision wird zugelassen.
Gründe
I.
Wegen des Sachverhalts wird gemäß § 540 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 ZPO auf die tatsächlichen Feststellungen im angefochtenen Urteil Bezug genommen. Danach verlangt der Kläger im Rahmen der ihm verliehenen Rechte als Wahrnehmungsgesellschaft für die Zeit von August 2010 bis Januar 2011 Vergütungsansprüche nach den von ihm aufgestellten Tarifen im Wege des Schadensersatzes und unter dem Gesichtspunkt der ungerechtfertigten Bereicherung gegen die Beklagten, und zwar wegen der in der physiotherapeutischen Praxis der Beklagten im Bereich der Rezeption erfolgten Wiedergabe von Hörfunk.
Das Amtsgericht hat die Klage als unbegründet abgewiesen. Es hat zur Begründung ausgeführt, dass die Wiedergabe des Hörfunks durch die Beklagten nicht öffentlich geschehen sei, da sie nicht für eine Mehrzahl von Mitgliedern im Sinne von § 15 Abs. 3 Satz 1 Urheberrechtsgesetz bestimmt gewesen sei. Die Mitarbeiterin der Beklagten gehöre schon nicht dazu, da sie durch Arbeitsvertrag mit den Beklagten verbunden sei. Eine Öffentlichkeit werde auch nicht dadurch begründet, dass zusätzlich ein Patient, ein Pharmavertreter, ein Briefträger oder eine sonstige Person, etwa ein Handwerker, zugleich mit der Mitarbeiterin im Raum der Anmeldung sei. Im Hinblick darauf, dass das Gericht in anderer Besetzung am 23. Juni 1999, Aktenzeichen 125 C 117/99, die Hörfunkwiedergabe in einer Arztpraxis oder Zahnarztpraxis allein im Empfangsbereich als öffentlich angesehen habe, hat das Amtsgericht die Berufung zugelassen.
Der Kläger ist der Auffassung, dass die Wiedergabe der Rundfunksendungen im Rezeptionsbereich der Praxis der Beklagten für eine Mehrzahl von Personen im Sinne von § 15 UrhG bestimmt sei, wobei zwei gleichzeitig anwesende Personen ausreichten. Auch seien von den Beklagten gerade keine Vorkehrungen getroffen worden, die eine Musikwiedergabe nur für ihre Mitarbeiter ermöglicht hätte. Der Kläger ist ferner der Auffassung, dass ein Erwerbszweck, dem die Musikwiedergabe dienen müsse, nicht zu den Voraussetzungen von § 15 Abs. 3 UrhG gehöre, was auch praktisch vom Kläger gar nicht überprüft werden könne. Die Entscheidung des EuGH SCF sei nicht maßgeblich, da der EuGH sich mit einer Klage einer italienischen Verwertungsgesellschaft hinsichtlich der Verwertungsrechte von Tonträgerherstellern bzgl. einer Wiedergabe von Tonträgern innerhalb einer Zahnarztpraxis zu befassen gehabt habe. Da vorliegend aber auch die Rechte von Urhebern und nicht nur Leistungsschutzrechte betroffen seien, könne nicht prognostiziert werden, ob der EuGH auch im vorliegenden Fall Vergütungsansprüche verneint hätte.
Die Beklagten verteidigen das angefochtene Urteil.
II.
Die Berufung ist zulässig, aber nicht begründet. Auch unter Berücksichtigung des Vorbringens des Klägers in 2. Instanz steht dem Kläger gegen die Beklagten kein Anspruch auf eine Vergütung wegen der Wiedergabe des Hörfunks in der Rezeption der physiotherapeutischen Praxis der Beklagten zu, weder unter dem Gesichtspunkt der ungerechtfertigten Bereicherung noch als Schadensersatz.
Maßgeblich für die Begründetheit der Klage und damit auch der Berufung ist, ob die Wiedergabe des Hörfunks durch das Radio im Eingangsbereich der Rezeption der Beklagten eine öffentliche Wiedergabe im Sinne von § 15 UrhG ist. Dies ist zu verneinen.
Gemäß § 15 Abs. 3 S. 1 UrhG ist die Wiedergabe öffentlich, wenn sie für eine Mehrzahl von Mitgliedern der Öffentlichkeit bestimmt ist. Zur Öffentlichkeit gehört nach § 15 Abs. 3 S. 2 UrhG jeder, der nicht mit demjenigen, der das Werk verwertet, oder mit den anderen Personen, denen das Werk in unkörperlicher Form wahrnehmbar oder zugänglich gemacht wird, durch persönliche Beziehungen verbunden ist. Diese Voraussetzungen sind nach der gebotenen Auslegung anhand der europarechtlichen Vorgaben nicht erfüllt.
Für die Auslegung des Begriffs der öffentlichen Wiedergabe ist zunächst festzuhalten, dass § 15 Abs. 3 UrhG durch das Gesetz zur Regelung des Urheberrechts in der Informationsgesellschaft vom 10. September 2003, Bundesgesetzblatt I Seite 1774, in das Urheberrechtsgesetz eingefügt worden ist. Dieses Gesetz diente ausdrücklich der Umsetzung der Richtlinie 2001/29/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 22. Mai 2001 zur Harmonisierung bestimmter Aspekte des Urheberrechts und der verwandten Schutzrechte in der Informationsgesellschaft (Amtsblatt EG Nummer L 167 Seite 10; im Folgenden: Richtlinie 2001/29).
Adressaten des Umsetzungsgebots einer europäischen Richtlinie (Art. 288 S. 3 AEUV) sind die Mitgliedstaaten. Dem Umsetzungsgebot unterliegen dabei nicht allein die gesetzgebenden Körperschaften des Mitgliedstaates, sondern alle Träger der öffentlichen Gewalt einschließlich der Gerichte im Rahmen ihrer Zuständigkeit. Ein nationales Gericht muss demnach, soweit es bei der Anwendung des nationalen Rechts - gleich, ob es sich um vor oder nach der Richtlinie erlassene Vorschriften handelt - dieses Recht auszulegen hat, seine Auslegung soweit wie möglich am Wortlaut und Zweck der Richtlinie ausrichten, um das mit der Richtlinie verfolgte Ziel zu erreichen und auf diese Weise Art. 288 Abs. 3 AEUV nachzukommen (vergleiche dazu etwa EuGH, Urteil vom 14. Juli 1994 - C-91/92 - Dori/Recreb, Rn. 26).
Danach hat die Kammer die gemeinschaftsrechtlichen Grundlagen zur Auslegung des § 15 Abs. 3 UrhG heranzuziehen.
Dazu ist zunächst die Richtlinie 2001/29 heranzuziehen. In Art. 3 Abs. 1 der Richtlinie 2001/29 ist geregelt, dass die Mitgliedstaaten vorsehen, dass den Urhebern das ausschließliche Recht zusteht, die drahtgebundene oder drahtlose öffentliche Wiedergabe ihrer Werke einschließlich der öffentlichen Zugänglichmachung der Werke in der Weise, dass sie Mitgliedern der Öffentlichkeit von Orten und zu Zeiten ihrer Wahl zugänglich sind, zu erlauben oder zu verbieten. Die Mitgliedstaaten haben nach Art. 3 Abs. 2 der Richtlinie 2001/29 für folgende Personen das ausschließliche Recht vorzusehen, zu erlauben oder zu verbieten, dass die nachstehend genannten Schutzgegenstände drahtgebunden oder drahtlos in einer Weise der Öffentlichkeit zugänglich gemacht werden, dass sie Mitgliedern der Öffentlichkeit von Orten und zu Zeiten ihrer Wahl zugänglich sind:
a) für die ausübenden Künstler in Bezug auf die Aufzeichnungen ihrer
Darbietungen;
b) für die Tonträgerhersteller in Bezug auf ihre Tonträger;
c) für die Hersteller der erstmaligen Aufzeichnungen von Filmen in Bezug auf das Original und auf Vervielfältigungsstücke ihrer Filme;
d) für die Sendeunternehmen in Bezug auf die Aufzeichnungen ihrer Sendungen, unabhängig davon, ob diese Sendungen drahtgebunden oder drahtlos, über Kabel oder Satellit übertragen werden.
Art. 3 Abs. 3 der Richtlinie 2001/29 lautet schließlich, dass die in den Absätzen 1 und 2 bezeichneten Rechte sich nicht mit den in diesem Artikel genannten Handlungen der öffentlichen Wiedergabe oder der Zugänglichmachung für die Öffentlichkeit erschöpfen.
Die öffentliche Wiedergabe ist gemeinschaftsrechtlich ferner geregelt in der Richtlinie 2006/115/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 12. Dezember 2006 zum Vermietrecht und Verleihrecht sowie zu bestimmten dem Urheberrecht verwandten Schutzrechten im Bereich des geistigen Eigentums (kodifizierte Fassung) - im Folgenden: Richtlinie 2006/115 - wie folgt:
Artikel 8
Öffentliche Sendung und Wiedergabe
(1) Die Mitgliedstaaten sehen für ausübende Künstler das ausschließliche Recht vor, drahtlos übertragene Rundfunksendungen und die öffentliche Wiedergabe ihrer Darbietungen zu erlauben oder zu verbieten, es sei denn, die Darbietung ist selbst bereits eine gesendete Darbietung oder beruht auf einer Aufzeichnung.
(2) Die Mitgliedstaaten sehen ein Recht vor, das bei Nutzung eines zu Handelszwecken veröffentlichten Tonträgers oder eines Vervielfältigungsstücks eines solchen Tonträgers für drahtlos übertragene Rundfunksendungen oder eine öffentliche Wiedergabe die Zahlung einer einzigen angemessenen Vergütung durch den Nutzer und die Aufteilung dieser Vergütung auf die ausübenden Künstler und die Tonträgerhersteller gewährleistet. Besteht zwischen den ausübenden Künstlern und den Tonträgerherstellern kein diesbezügliches Einvernehmen, so können die Bedingungen, nach denen die Vergütung unter ihnen aufzuteilen ist, von den Mitgliedstaaten festgelegt werden.
(3) Die Mitgliedstaaten sehen für Sendeunternehmen das ausschließliche Recht vor, die drahtlose Weitersendung ihrer Sendungen sowie die öffentliche Wiedergabe ihrer Sendungen, wenn die betreffende Wiedergabe an Orten stattfindet, die der Öffentlichkeit gegen Zahlung eines Eintrittsgeldes zugänglich sind, zu erlauben oder zu verbieten.
Die Richtlinie 2006/115 hat die Richtlinie 92/100/EWG des Rates vom 19. November 1992 zum Vermietrecht und Verleihrecht sowie zu bestimmten dem Urheberrecht verwandten Schutzrechten im Bereich des geistigen Eigentums (im Folgenden: Richtlinie 92/100) ersetzt. Deren Art. 8 hat den gleichen Wortlaut wie Art. 8 der Richtlinie 2006/115.
Ausgehend von dem Grundsatz der richtlinienkonformen Auslegung ist der Begriff der öffentlichen Wiedergabe in Art. 15 Abs. 3 UrhG nach diesen gemeinschaftsrechtlichen Vorgaben zu bestimmen. Dabei ist zunächst unerheblich, dass der deutsche Gesetzgeber in Umsetzung der Richtlinie 2001/29 - anders als die Richtlinie selbst - eine nähere Definition der öffentlichen Wiedergabe und insbesondere der Öffentlichkeit in § 15 UrhG geregelt hat. Denn die einheitliche Anwendung des Gemeinschaftsrechts und der Gleichheitssatz verlangen, dass die Begriffe einer Vorschrift des Gemeinschaftsrechts, die für die Ermittlung ihres Sinnes und ihrer Tragweite nicht ausdrücklich auf das Recht der Mitgliedstaaten verweist, in der Regel in der gesamten Gemeinschaft autonom und einheitlich auszulegen sind. Es ist mithin nicht Sache der Mitgliedstaaten und damit auch nicht diejenige des deutschen Gesetzgebers, den in der Richtlinie 2001/29 verwendeten, dort aber nicht definierten Begriff "öffentlich" zu definieren (vergleiche dazu EuGH, Urteil vom 17. Dezember 2006 - C-306/05 - SGAE, Rn. 31).
Nach ständiger Rechtsprechung des EuGH (zusammengefasst u.a. im Urteil vom 4. Oktober 2011 - C-403/08 und C-429/08, Football Association Premier League, Rn. 185 ff.) sind daher Sinn und Tragweite dieses Begriffs mit Blick auf die Ziele, die mit dieser Richtlinie verfolgt werden, und den Zusammenhang, in den sich die auszulegende Vorschrift einfügt, zu bestimmen. Dabei ist zunächst wegen des Hauptziels der Richtlinie 2001/29, ein hohes Schutzniveau für die Urheber zu erreichen und diesen damit die Möglichkeit zu geben, für die Nutzung ihrer Werke u. a. bei einer öffentlichen Wiedergabe eine angemessene Vergütung zu erhalten, ein weites Verständnis des Begriffs der öffentlichen Wiedergabe zu Grunde zu legen. Da diese Richtlinie nach ihrem 20. Erwägungsgrund auf den Grundsätzen und Bestimmungen beruht, die in den auf dem Gebiet des geistigen Eigentums geltenden Richtlinien bereits festgeschrieben sind, wie z. B. in der Richtlinie 92/100, die durch die Richtlinie 2006/115 kodifiziert worden ist, müssen in Anbetracht der Erfordernisse der Einheit und Kohärenz der Unionsrechtsordnung die in sämtlichen dieser Richtlinien verwendeten Begriffe dieselbe Bedeutung haben, es sei denn, dass der Unionsgesetzgeber in einem konkreten gesetzgeberischen Kontext einen anderen Willen zum Ausdruck gebracht hat (vergleiche EuGH aaO. Football Association Premier League, Rn. 187 f.). Schließlich ist Art. 3 Abs. 1 dieser Richtlinie nach Möglichkeit im Licht des Völkerrechts auszulegen, insbesondere unter Berücksichtigung der Berner Übereinkunft und des Urheberrechtsvertrags. Die Urheberrechtsrichtlinie dient nämlich dazu, diesen Vertrag durchzuführen, der die Vertragsparteien in seinem Art. 1 Abs. 4 verpflichtet, den Art. 1 bis 21 der Berner Übereinkunft nachzukommen. Dieselbe Verpflichtung ergibt sich auch aus Art. 9 Abs. 1 des Übereinkommens über handelsbezogene Aspekte der Rechte des geistigen Eigentums (EuGH aaO. Football Association Premier League Rn. 188 mit weiteren Nachweisen).
Unter Würdigung dieser Grundsätze hat der EuGH im Urteil vom 15. März 2012 - C-135/10 - SCF, Rn. 81 ff., seine Rechtsprechung zu den Kriterien zusammengefasst, wonach im konkreten Einzelfall das nationale Gericht zu prüfen hat, ob eine öffentliche Wiedergabe gegeben ist.
Dabei muss zunächst der Nutzer, das sind die Beklagten als Inhaber und Betreiber der Praxis für Physiotherapie im vorliegenden Fall, absichtlich Zugang zu einer Rundfunksendung verschaffen. Diese Voraussetzung ist im vorliegenden Fall erfüllt. Denn die Patienten und auch alle anderen Personen wie Handwerker, Briefträger oder Pharmavertreter, die die Praxis der Beklagten betreten mögen, können die Wiedergabe der Rundfunksendung nur durch das willentliche Tätigwerden der Beklagten wahrnehmen, weil diese den Betrieb des Radios im Bereich der Rezeption ihrer Praxis jedenfalls bewusst zulassen.
Das Merkmal der Öffentlichkeit ist gegeben, wenn eine unbestimmte Zahl potentieller Leistungsempfänger vorhanden ist und diese aus "recht vielen Personen" besteht.
Bei der Beurteilung der "Unbestimmtheit" der Öffentlichkeit zieht der EuGH die Definition des Begriffs "öffentliche Sendung (öffentliche Wiedergabe)" der WIPO heran, womit es sich um die "Zugänglichmachung eines Werkes in geeigneter Weise für Personen allgemein, also nicht auf besondere Personen beschränkt, die einer privaten Gruppe angehören", handeln muss. Damit ist § 15 Abs. 3 S. 2 UrhG, wonach zur Öffentlichkeit jeder gehört, der nicht mit demjenigen, der das Werk verwertet, oder mit den anderen Personen, denen das Werk in unkörperlicher Form wahrnehmbar oder zugänglich gemacht wird, durch persönliche Beziehungen verbunden ist, in diesem Sinne zu verstehen und anzuwenden.
Bereits an dieser Voraussetzung fehlt es im vorliegenden Fall. In der Entscheidung SCF (Urteil vom 15. März 2012 - C-135/10, Rn. 95) hat der EuGH zum parallelen Fall bei den Personen, die in einer Zahnarztpraxis potentieller Leistungsempfänger sind, dieses Merkmal verneint. Dazu hat der EuGH in konsequenter Anwendung seiner Grundsätze dargelegt, dass die Patienten üblicherweise eine Gesamtheit von Personen bilden, deren Zusammensetzung weitgehend stabil ist und die somit eine bestimmte Gesamtheit potentieller Leistungsempfänger darstellen, da andere Personen grundsätzlich keinen Zugang zur Behandlung durch einen Zahnarzt haben. Dies liegt im vorliegenden, von der Kammer zu entscheidenden Fall ganz ähnlich. Denn auch hier haben grundsätzlich nur die Patienten, die zur Physiotherapie die Praxis der Beklagten aufsuchen, Zugang zu den Praxisräumlichkeiten und können nur sie die Runkfunkwiedergabe im Bereich der Rezeption wahrnehmen. Allenfalls einzelne Personen, wozu die von dem Kläger angeführten Handwerker, Briefträger oder auch Pharmavertreter gehören mögen, sind außer den Patienten potentielle Leistungsempfänger der an der Rezeption wiedergegebenen Rundfunksendung. Auch diese gehören aber zu einer klar abgrenzbaren Gruppe, da sie direkt oder indirekt den Betrieb der von den Beklagten betriebenen Praxis für Physiotherapie fördern. Von daher handelt es sich nicht um "Personen allgemein".
Das weitere Kriterium für den Begriff der Öffentlichkeit besteht darin, dass sie aus "recht vielen Personen" bestehen muss. Der EuGH (Urteil SCF aaO., Rn. 86, aber auch schon Urteil vom 7. Dezember 2006 - C-306/05 - SGAE, Rn. 38) versteht diesen Begriff so, dass eine bestimmte Mindestschwelle erreicht werden muss, so dass der Begriff eine allzu kleine oder gar unbedeutende Mehrzahl betroffener Personen ausschließt. Demgemäß ist § 15 Abs. 3 S. 1 UrhG, wonach die Wiedergabe öffentlich ist, wenn sie für eine Mehrzahl von Mitgliedern der Öffentlichkeit bestimmt ist, ebenfalls in diesem Sinne anzuwenden. Das bedeutet, dass der Kläger mit dem Einwand, für eine Mehrzahl von Personen im Sinne von § 15 UrhG sei ausreichend, wenn zwei Personen gleichzeitig anwesend seien, nicht durchdringen kann.
Auch dieses Merkmal ist im vorliegenden Fall nicht gegeben. Wie der EuGH (SCF aaO., Rn. 96) in der zitierten Entscheidung zur Zahnarztpraxis entschieden hat, ist der Kreis der Personen, die gleichzeitig in der Praxis anwesend sind, im allgemeinen sehr begrenzt. Hinzukommt, dass die Patienten aufeinanderfolgen und sie deshalb in aller Regel nicht Hörer desselben Tonträgers sind, insbesondere wenn diese über Rundfunk verbreitet werden. So ist es auch im vorliegenden Fall.
Als drittes Kriterium hält der EuGH (Urteil vom 4. Oktober 2011 - C-403/08 und C-429/08, Football Association Premier League, Rn. 88) für die Beurteilung des Vorliegens einer "öffentlichen Wiedergabe" es nicht für unerheblich, ob eine öffentliche Wiedergabe im Sinne von Art. 3 Abs. 1 der Richtlinie 2001/29 Erwerbszwecken dient. Dieses Merkmal sieht der EuGH (SCF aaO., Rn. 89) für den Begriff der öffentlichen Wiedergabe in Art. 8 Abs. 2 der Richtlinie 92/100 "erst recht" als maßgeblich an.
In allen in der jüngeren Rechtsprechung des EuGH entschiedenen Fällen, in denen er eine öffentliche Wiedergabe bejaht hat, war ein Erwerbszweck gegeben und hat der EuGH gerade auch deshalb die Wiedergabe als öffentlich angesehen. Das betraf insbesondere die Betreiber eines Hotels und einer Gaststätte, die ihren Gästen Zugang zu einer Rundfunksendung verschafft haben (Urteile SGAE aaO.; Football Association Premier League aaO. sowie Urteil vom 15. März 2012 - C-162/10 - Phonographic Performance (Ireland)), in denen der EuGH H in jeweils davon ausgegangen ist, dass sich das Angebot der Dienstleistung bei Hotels etwa auf deren Standard und damit auf den Preis und bei einer Gastwirtschaft auf deren Frequentierung und damit auch auf ihr wirtschaftliches Ergebnis auswirkt. Die Wiedergabe von Hintergrundmusik in der Praxis der Beklagten ist jedoch nicht geeignet, sich auf deren Einkünfte auszuwirken. Die Patienten nehmen die Musik aus dem Radio an der Rezeption nämlich zufällig und unabhängig von ihren Wünschen je nach dem Zeitpunkt ihres Eintreffens in der Praxis war. Sie begeben sich zu dem einzigen Zweck in die Praxis, um die dort angebotenen physiotherapeutischen Anwendungen zu erhalten. Eine Wiedergabe von Rundfunksendungen gehört nicht zu dem Zweck des Besuchs oder dem Ziel der Patienten. Gleiches gilt für etwa die Praxis betretende Handwerker, Pharmavertreter oder Briefträger. Von keiner dieser Personen können sich die Beklagten ein wie auch immer geartetes erhöhtes wirtschaftliches Ergebnis erwarten, wenn sie ihnen Rundfunksendungen über das Radio an der Rezeption wahrnehmbar machen.
Diesem Ergebnis steht die Rechtsauffassung des Klägers nicht entgegen. Insbesondere führt die Auffassung des Klägers, die Entscheidung des EuGH SCF sei eine Einzelfallentscheidung, die eine Verwertungsgesellschaft betreffe, die ausschließlich Verwertungsrechte von Tonträgerherstellern geltend mache, und der Begriff der "öffentlichen Wiedergabe" jeder Richtlinie unterschiedlich zu bewerten sei, nicht zu einer anderen Wertung. Richtig ist zwar, dass der EuGH (auch) in der Entscheidung SCF wie von dem Kläger zitiert danach unterschieden hat, dass Art. 3 Abs. 1 der Richtlinie 2001/29 mit dem Verbotsrecht für Urheber eine teilweise unterschiedliche Zielsetzung zu derjenigen von Art. 8 Abs. 2 der Richtlinie 92/100 verfolgt, wonach nämlich den ausübenden Künstlern und den Tonträgerherstellern ein Recht mit Entschädigungscharakter zusteht und er entschieden hat, dass der Begriff der "öffentlichen Wiedergabe" im Sinne von Art. 8 Abs. 2 der Richtlinie 92/100 eine individuelle Beurteilung erfordert (dies bestätigend auch Urteil vom 15. März 2012 - C-162/10 - Phonographic Performance (Ireland), Rn. 29). Dies ändert jedoch nichts daran, dass im Rahmen einer derartigen Beurteilung die vorstehend aufgeführten und geprüften weiteren Kriterien zu berücksichtigen sind, die unselbständig und miteinander verflochten sind. Sie sind deshalb einzeln und in ihrem Zusammenwirken mit den anderen Kriterien anzuwenden, da sie - je nach Einzelfall - in sehr unterschiedlichem Maße vorliegen können (vergleiche Urteil SCF, Rn. 79; Urteil Phonographic Performance (Ireland), Rn. 30). Daraus folgt, dass die von der erkennenden Kammer im vorliegenden Fall angewandten Kriterien vom EuGH sowohl im Rahmen des Art. 3 Abs. 1 der Richtlinie 2001/29 als auch des Art. 8 Abs. 2 der Richtlinie 92/100 für die Definition des Begriffs "öffentliche Wiedergabe" für maßgeblich erachtet werden. Wie ebenfalls dargelegt ist der EuGH der Auffassung, dass die in sämtlichen dieser Richtlinien verwendeten Begriffe dieselbe Bedeutung haben, wenn nicht der Unionsgesetzgeber in einem konkreten gesetzgeberischen Kontext einen anderen Willen zum Ausdruck gebracht hat und darüber hinaus nach Möglichkeit auch eine Übereinstimmung mit den völkerrechtlichen Verträgen und dem dort ebenfalls verwandten Begriff der öffentlichen Wiedergabe herzustellen ist. Daher waren auch für den vorliegenden Fall diese Kriterien zu prüfen.
Aus dem nicht nachgelassenen Schriftsatz des Klägers vom 19.09.2012 ergibt sich keine andere Wertung.
Die Nebenentscheidungen folgen aus §§ 97 Abs. 1, 708 Nr. 10, 711 ZPO.
Die Revision ist gemäß § 543 Abs. 2 Nr. 2 ZPO zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung zuzulassen, da dies aufgrund unterschiedlicher instanzgerichtlicher Urteile zu vergleichbaren Fallkonstellationen und - soweit ersichtlich - fehlender höchstrichterlicher Klärung der Auslegungskriterien für den Begriff der "öffentlichen Wiedergabe" gemäß § 15 Abs. 2 UrhG erforderlich erscheint.
Berufungsstreitwert: 114,56 EUR
LG Köln:
Urteil v. 27.09.2012
Az: 14 S 10/12
Link zum Urteil:
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