Bundespatentgericht:
Urteil vom 14. September 2000
Aktenzeichen: 2 Ni 18/99

(BPatG: Urteil v. 14.09.2000, Az.: 2 Ni 18/99)

Tenor

1.

Die Klage wird abgewiesen.

2.

Die Klägerin trägt die Kosten des Rechtsstreits.

3.

Das Urteil ist für die Beklagte im Kostenpunkt gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 30.000.--DM vorläufig vollstreckbar.

Tatbestand

Die Beklagte ist eingetragene Inhaberin des am 10. November 1994 unter Inanspruchnahme der Priorität der deutschen Patentanmeldung 4403365 vom 4. Februar 1994 angemeldeten, mit Wirkung auch für die Bundesrepublik Deutschland erteilten europäischen Patents 0 666 351 (Streitpatent), das ein Verfahren und eine Vorrichtung zum Sticken auf einer Schiffchen-Stickmaschine betrifft und vom Deutschen Patentund Markenamt unter der Nummer 594 02 665 geführt wird. Das Streitpatent umfaßt 5 Patentansprüche, die in der Verfahrenssprache Deutsch folgenden Wortlaut haben:

"1. Verfahren zum Sticken auf einer Schiffchen-Stickmaschine, die eine angetriebene Fadenliefereinheit und mindestens einen beweglichen Fadenleiter sowie eine Steuereinheit zur Steuerung des Stickgutrahmens und der Fadenliefereinheit sowie zum Antrieb des Fadenleiters, der Nadeln und der Schiffchen aufweist, dadurch gekennzeichnet, dass Fadenleiter und Liefereinheit die für den Eintritt der Nadel in den Stoff und für die Schlingenbildung und für den Durchgang des Schiffchens durch die Schlinge notwendige Fadenmenge und die auf das Stickgut aufzubringende Fadenmenge zur Stichbildung liefern, und dass der Nadelfaden während der gesamten Stichbildung praktisch spannungsfrei gehalten und der Stichanzug allein durch die Abzugskraft des Schiffchenfadens vorgenommen wird.

2.

Verfahren nach Anspruch 1, dadurch gekennzeichnet, dass der Fadenleiter die für den Eintritt der Nadel in den zu bestickenden Stoff und für die Schlingenbildung und für den Durchgang des Schiffchens durch die Schlinge notwendige Fadenmenge liefert, und dass die Fadenliefereinheit die nach der Stichbildung auf dem Stoff verbleibende Fadenmenge liefert.

3.

Vorrichtung zur Durchführung des Verfahrens nach Anspruch 1 oder 2, dadurch gekennzeichnet, dass die Fadenliefereinheit eine motorisch angetriebene Walze (7) umfasst, über welche die Fäden mehrerer Stickstellen laufen, und dass für jede Stickstelle eine Fadenrolle (9) vorhanden ist, welche den Faden (35) durch Reibschluss zwischen Walze (7) und Fadenrolle (9) fördert.

4.

Vorrichtung nach Anspruch 3, dadurch gekennzeichnet, dass die Fadenrollen (9) für jede Stickstelle einzeln, sowohl manuell als auch programmgesteuert einund ausschaltbar sind.

5.

Vorrichtung nach einem der Ansprüche 3 oder 4, dadurch gekennzeichnet, dass im Fadenverlauf von der Fadenliefereinheit bis zur Nadel (21) eine als Fadenwächter (30) ausgebildete stationäre Umlenkung (29) angeordnet ist."

Mit ihrer Nichtigkeitsklage macht die Klägerin geltend, das Streitpatent offenbare die Erfindung nicht so deutlich und vollständig, daß ein Fachmann sie ausführen könne. Damit fehle ihr auch die gewerbliche Anwendbarkeit. Der Gegenstand des Patentanspruchs 1 sei nicht patentfähig, da er nicht neu sei. Jedenfalls aber ergebe er sich für den Fachmann in naheliegender Weise aus dem Stand der Technik. Die Klägerin beruft sich hierzu auf folgende vorveröffentlichte Druckschriften:

1.

Schöner "SPITZEN", Enzyklopädie der Spitzentechniken, Leipzig 1980, S 320 bis 327 (Anlage NK 3a);

2.

Schöner/Freier "Stickereitechniken", Fachbuch der Handund Maschinenstickerei, Leipzig 1981, S 63, 78 und 79, 108 bis 112 sowie 242 und 243 (Anlage NK 3b);

3.

britische Patentschrift 177 317 (Anlage NK 4a);

4.

deutsche Patentschrift 692 218 (Anlage NK 5a);

5.

europäische Patentschrift 0 014 897 (Anlage NK 6) und 7. deutsche Patentschrift 34 16 266 (Anlage NK 7).

Die Klägerin beantragt, das europäische Patent 0 666 351 mit Wirkung für das Hoheitsgebiet der Bundesrepublik Deutschland für nichtig zu erklären.

Die Beklagte beantragt, die Klage in vollem Umfang abzuweisen;

hilfsweise verteidigt sie das Streitpatent im Umfang des Patentanspruchs 1 gemäß in der mündlichen Verhandlung überreichtem Hilfsantrag, auf den sich die Ansprüche 2 bis 5 bei ansonsten unverändertem Wortlaut zurückbeziehen sollen. Wegen des Wortlauts des Patentanspruchs 1 nach Hilfsantrag wird auf die Anlage 4 zum Protokoll vom 14. September 2000 Bezug genommen.

Die Beklagte hält die Ansicht der Klägerin, das Streitpatent offenbare die Erfindung nicht vollständig und sei nicht gewerblich anwendbar, für nicht stichhaltig, da sie auf einer falschen Interpretation der Lehre beruhe. Auch im übrigen tritt sie der Auffassung der Klägerin in allen Punkten entgegen und hält das Streitpatent -jedenfalls in seiner hilfsweise verteidigten Fassung -für patentfähig.

Gründe

Die Klage, mit der die in Art. II § 6 Abs 1 Nrn 1 und 2 IntPatÜG, Art. 138 Abs 1 lit a und b EPÜ iVm Art. 87, Art. 54 Abs 1, 2, Art. 56 und 57 EPÜ vorgesehenen Nichtigkeitsgründe der unvollständigen Offenbarung und der mangelnden Patentfähigkeit geltend gemacht werden, ist nicht begründet. Nach Auffassung des Senats enthält das Streitpatent zunächst eine vollständige Lehre, die der hier angesprochene Durchschnittsfachmann, ein Maschinenbauingenieur mit mindestens Fachhochschulabschluß und besonderen Kenntnissen bei mehrjähriger Berufserfahrung auf dem Gebiet der Konstruktion von Stickmaschinen, nachzuarbeiten in der Lage ist. Weiterhin bestehen keine Zweifel an der gewerblichen Anwendbarkeit der patentgemäßen Erfindung, die gegenüber dem im Verfahren befindlichen Stand der Technik neu ist. Schließlich konnte die Klägerin den Senat nicht davon überzeugen, daß der Fachmann auf Grund seines Fachwissens von diesem Stand der Technik ausgehend ohne erfinderisch tätig werden zu müssen, zum Gegenstand des Streitpatents gelangen konnte. Dementsprechend war die Klage abzuweisen, da dem Patentinhaber seine durch die Patenterteilung erlangte Rechtsstellung nur dann wieder genommen werden kann, wenn zweifelsfrei feststeht, daß er sie zu Unrecht erlangt hat (BGH BlfPMZ91, 159 ff, 161 "Haftverband").

I.

Die Erfindung bezieht sich auf ein Verfahren zum Sticken mit einer Schiffchen-Stickmaschine und auf eine Vorrichtung zur Durchführung dieses Verfahrens. In der Beschreibungseinleitung geht das Streitpatent davon aus, daß bei herkömmlichen Schiffchen-Stickmaschinen mit einzeln schaltbaren Stickstellen die Zufuhr der Nadelfaden so erfolge, daß jeder Faden eine ihm zugeordnete Rolle umschlinge, die bei eingeschalteter Stickstelle mit einer allen Stickstellen gemeinsamen Bremswelle im Eingriff stehe und die beim Ausschalten der betreffenden Stickstelle von dieser Bremswelle entkoppelt werden könne. Eine solche Anordnung sei beispielsweise aus der deutschen Patentschrift 34 16 266 bekannt (S 2, Z 5 bis 9). Zwischen den Rollen und den Sticknadeln seien die Fadenleiter angeordnet, welche die Fadenmenge für die Schlingenbildung lieferten und wieder zurückzögen. Im weiteren sorgten die Fadenleiter durch die Art ihrer Bewegung nach der Bildung eines Stichs für ein Manko im Nadelfaden, welches bewußt herbeigeführt werden müsse, um in den Nadelfäden eine Spannung aufzubauen, die zu einer Drehbewegung der Rollen und der Bremswelle und damit zur Abgabe einer bestimmten Menge von Nadelfaden führe. Gleichzeitig werde mit dieser Fadenspannung im Nadelfaden der gebildete Stich festgezogen. Das Bremsen der Welle sei dabei notwendig, um ein unkontrolliertes Auslaufen der Rollen und der Welle und damit die Abgabe einer zu großen Fadenmenge zu verhindern (S 2, Z 10 bis 16). Ein wesentlicher Nachteil dieser Ausführung liege laut Streitpatent darin, daß die gelieferte Fadenmenge ungenügend genau sei, weil die in den Nadelfäden aufgebaute Spannung und damit die Walzendrehung vom Fadenverbrauch durch die Bildung des vorhergehenden Stichs abhänge. Dadurch sei auch die Anzugsspannung, mit welcher der gebildete Stich festgezogen werde, nicht konstant, was sich in Ungleichmäßigkeiten im Stickbild auswirke. Beim Arbeiten mit Nadelkombinationen (Rapporten), bei denen nur wenige Nadeln arbeiteten, vergrößerten sich die Spannungen in den Nadelfäden weiter, was sich wiederum in einer Zunahme von Fadenbrüchen und einer Beeinträchtigung des Stickbildes auswirke. Im weiteren steige die Spannung in den Nadelfäden mit zunehmender Maschinendrehzahl immer mehr an, weil die Fadenwalze in immer kürzerer Zeit bewegt werden müsse (S 2, Z 17 bis 24).

Weiterhin sei aus der europäischen Patentschrift 0 014 897 eine Vorrichtung bekannt, bei der eine von den Nadelfäden umschlungene Walze mit einem Antrieb versehen sei, der den Zuführungsund Abzugsweg der Walze unabhängig von der Fadenspannung vorgebe und bei der zusätzlich die Fadenleiter entfielen, weil die von diesen freigegebene und wieder zurückgezogene Fadenmenge ebenfalls von der angetriebenen Walze geliefert und zurückgezogen werde (S 2, Z 25 bis 28). Die in dieser Druckschrift angegebene Arbeitsweise der Einrichtung beschränke sich allerdings darauf, den Stickprozeß so nachzubilden, wie dies von herkömmlichen Schiffchen-Stickmaschinen nach der deutschen Patentschrift 34 16 266 bekannt sei. Das Verfahren beruhe weiterhin darauf, während des Prozesses im Nadelfaden eine Fadenspannung aufzubauen. Insbesondere lehre die europäische Patentschrift 0 014 897 auf Seite 4 in Spalte 6, Zeilen 25 bis 28, daß durch ein Zurückdrehen der Walze nach der Stichbildung der gebildete Stich festgezogen werde, indem der Nadelfaden gespannt werde. Dieses Verfahren führe wiederum zu Spannungen in den Nadelfäden, welche die Arbeitsgeschwindigkeit begrenzten und das Auftreten von Fadenbrüchen zur Folge habe. Weiter müsse bei dieser Anordnung bei jedem Stich eine Nadelfadenlänge von etwa 100 Millimetern von der Walze geliefert und wieder zurückgezogen werden, was den Einsatz von Fadenspeichern vor der Walze und zusätzliche Mittel erfordere, die das unkontrollierte Umwickeln der Walze durch die Fäden verhinderten, wenn diese mit hoher Geschwindigkeit auf die Walze auflaufen und von der Walze wieder abgegeben würden. Vor diesem Hintergrund liegt dem Streitpatent das technische Problem ("die Aufgabe) zugrunde, ein Stickverfahren anzugeben, bei dem keine die Arbeitsgeschwindigkeit begrenzenden Fadenspannungen mehr auftreten (S 2, Z 40 und 41). Zur Lösung dieses Problems lehrt Patentanspruch 1 des Streitpatents ein Verfahren zum Sticken mit folgenden Einzelmerkmalen bzw. Verfahrensschritten:

1.

Das Stickverfahren wird auf einer Schiffchen-Stickmaschine durchgeführt 2.

die eine angetriebene Fadenliefereinheit und 3.

mindestens einen beweglichen Fadenleiter sowie 4.

eine Steuereinheit zur Steuerung 4a) des Stickgutrahmens und 4b) der Fadenliefereinheit, sowie 4c) zum Antrieb des Fadenleiters, 4d) der Nadeln und 4e) der Schiffchen aufweist, wobei 5.

Fadenleiter und Liefereinheit die für den Eintritt der Nadel in den Stoff und für die Schlingenbildung und für den Durchgang des Schiffchens durch die Schlinge notwendige Fadenmenge und die auf das Stickgut aufzubringende Fadenmenge zur Stichbildung liefern, und 6.

der Nadelfaden während der gesamten Stichbildung praktisch spannungsfrei gehalten wird und der Stichanzug allein durch die Abzugskraft des Schiffchenfadens vorgenommen wird.

Die zur Durchführung des patentgemäßen Verfahrens in Patentanspruch 3 vorgesehene Vorrichtung weist zu den Merkmalen 1 bis 4e) folgende weitere Merkmale auf:

7.

die Fadeneinheit umfaßt eine motorisch betriebene Walze, 8.

über die die Fäden mehrerer Stickstellen laufen, 9.

für jede Stickstelle ist eine Fadenrolle vorhanden, a) die den Faden durch Reibschluß zwischen Walze und Fadenrolle fördert.

II.

1. Das Patent gibt dem Fachmann eine vollständige und deutliche Lehre zum technischen Handeln.

Der Einwand der Klägerin, das Patent gebe nicht an, wie der Nadelfaden während der gesamten Stichbildung "praktisch spannungsfrei" zu halten sei und wie dies auch in der Stichanzugsphase möglich sein solle, ist nicht zutreffend. Nach den Ausführungen der Beklagten soll durch die Erfindung verhindert werden, daß der Nadelfaden zwischen der Nadel und der Fadenliefereinheit reißt, was durch eine zu hohe Zugbelastung im Nadelfaden bewirkt werden kann. Diese Zugbelastung soll deshalb möglichst klein gehalten werden, was durch das Merkmal "praktisch spannungsfrei" ausgedrückt werde. In der Beschreibung, S 2 Z 44 -49, ist ausgeführt, daß die Steuereinheit die Fadenliefereinheit und den Fadenleiter derart steuern muß, daß der Nadelfaden unter einem minimalen Zug steht, der ihn zwar gestreckt, aber eben "praktisch" spannungsfrei hält. Dabei erkennt der Fachmann aus dem Begriff "gestreckt ", daß nicht völlige Spannungsfreiheit gemeint sein kann, da zur Aufrechterhaltung dieses Zustands stets eine, wenn auch geringe, Zugspannung erforderlich ist. Die Lieferung des Nadelfadens soll somit nicht durch einen wesentlichen Zug der Nadel am Faden bewirkt werden, sondern allein über die Fadenliefereinheit und den Fadenleiter erfolgen. Der Fadenleiter sorgt auch dafür, daß der Faden nach der Schlaufenbildung und dem Zurückziehen der Nadel straff gehalten wird, indem er den Faden entsprechend zurückzieht. Dieser Sachverhalt ist auch in den Figuren 3a bis 3d deutlich zu erkennen, in denen der vom Nadelöhr zum Fadenleiter führende Teil des Fadens stets gestreckt dargestellt ist. Vom Fachmann ist ohne weiteres zu erwarten, daß er die Steuerung von Fadenliefereinheit und Fadenführer so programmieren oder einstellen kann, daß dieser Zustand in allen Phasen der Stichbildung eingehalten wird.

Aus Figur 3d mit zugehöriger Beschreibung ist für den Fachmann auch zu entnehmen, daß der Stichanzug erst dann erfolgen soll, wenn die Nadel an der neuen Einstichstelle in den Stoff eingetreten ist. Durch die hierbei auftretenden mehrfachen Umlenkungen des Nadelfadens wird bewirkt, daß keine nennenswerten Spannungen auf denjenigen Teil des Nadelfadens übertragen werden, der vor dem Nadelöhr liegt. Dies ist aber gerade derjenige Teil des Nadelfadens, der "praktisch spannungsfrei" gehalten werden soll. Die Kraft für den Anzug des Stiches wird hierbei allein durch die Bewegung des Schiffchens geliefert, dessen Fadenbremse die maximale Kraft ohnehin auf einen relativ kleinen Wert begrenzt und bei überschreiten dieses Wertes beginnt, neuen Faden zu liefern, wie dem Fachmann geläufig ist. So findet sich auch in der Beschreibung S 3 Z 54 der Hinweis, daß die Zugkraft, bei der eine Lieferung des Schiffchenfadens erfolgen soll, einstellbar ist. Dies wird von der Klägerin auch nicht bestritten.

Der Senat kann der Beklagten auch darin folgen, daß beim Stichanzug der Schiffchenfaden nur soweit angezogen werden muß, bis er straff ist. Dies kann geschehen, ohne daß hierbei eine merkliche Kraft auf den Nadelfaden ausgeübt wird, zumindest bis zu dem Zeitpunkt bis alles "Lose" aus dem Schiffchenfaden verschwunden ist. Erst dann kann dieser überhaupt eine nennenswerte Kraft auf den Nadelfaden ausüben. Für die Fixierung des Stichs ist jedoch die Straffheit der Fäden schon ausreichend, wie die Klägerin anhand des Bildes 3/159 auf S 326 von NK 3 a erläutert hat. Die dem widersprechenden Einwendungen der Klägerin vermochten den Senat nicht zu überzeugen, da sie die oben dargestellte "Zugentlastung" nicht berücksichtigen: Demgemäß ist auch ohne weiteres nachvollziebar, daß auch besondere Stickarten, wie etwa Moosstich, mit dem patentgemäßen Verfahren durchführbar sind, wie die Beklagte ausführt.

Das Verfahren nach Anspruch 1 ist demnach für den Fachmann ausführbar und somit auch gewerblich anwendbar.

2. Der Gegenstand des Patentanspruchs 1 ist unstrittig neu, denn keine der im Verfahren genannten Druckschriften beschreibt ein Verfahren zum Sticken auf einer Schiffchen-Stickmaschine mit allen im Anspruch 1 aufgeführten Merkmalen.

Diesem Gegenstand liegt auch eine erfinderische Tätigkeit zugrunde.

Als dem Gegenstand des Patentanspruchs 1 nächstkommender Stand der Technik ist die EP 0 014 897 (NK 6) zu sehen, aus der ein Verfahren zum Sticken auf einer Schiffchen-Stickmaschine bekannt ist. Gemäß Figur 2 mit zugehöriger Beschreibung weist diese Stickmaschine eine angetriebene Fadenliefereinheit (Fadenwalze 1) und eine Steuereinheit (s Sp 5 Z 32-46) zur Steuerung des Stickgutrahmens und der Fadenliefereinheit sowie zum Antrieb der Nadeln und der Schiffchen auf. Die Fadenliefereinheit wird hierbei derart gesteuert, daß sie unabhängig von der Fadenspannung sämtliche für die Stichbildung erforderlichen Fadenmengen liefert (Sp 4 Z 6-35 und Sp 6 Z 18-28). Sie stellt somit, wie der Patentgegenstand, die für den Eintritt der Nadeln in den Stoff und für die Schlingenbildung und für den Durchgang des Schiffchens durch die Schlinge notwendige Fadenmenge und die auf das Stickgut aufzubringende Fadenmenge zur Verfügung, ohne daß hierfür eine besondere Fadenspannung erforderlich ist. Für den Fachmann ist damit klar, daß die Fadenspannung beliebig sein kann, da sie zur Lieferung des Fadens keinen Beitrag leisten muß, und deshalb auch möglichst klein gewählt werden kann. Insofern besteht Übereinstimmung mit dem Anspruchsmerkmal "praktisch spannungsfrei", da auch dieses gemäß den Darlegungen der Beklagten ausdrücken soll, daß die Spannung im Nadelfaden keine Bedeutung für die Lieferung des Fadens hat.

Die NK 6 führt jedoch nicht weiter in Richtung auf den Gegenstand des Patentanspruchs 1, da sie zwar Fadenleiter als zum Stand der Technik gehörend bei einschlägigen Stichmaschinen erwähnt (Fig 1 mit zugehöriger Beschreibung), aber ausdrücklich lehrt, auf diese zu verzichten (Sp 6 Z 28-31) und die gesamte Fadenlieferung, insbesondere auch das Vorund Zurückziehen des Fadens, nur durch die entsprechend gesteuerte Fadenwalze zu bewirken (Sp 5 Z 59-64). Zum anderen gibt NK 6 keinerlei Hinweis darauf, den Stichanzug allein durch die Abzugskraft des Schiffchenfadens vorzunehmen. Nicht nur, daß sie die Rolle des Schiffchenfadens bei Stichanzug nicht erwähnt, sondern sie weist ausdrücklich darauf hin, daß die Fadenliefereinheit nach der Stichbildung einen entsprechenden Fadenanzug ermöglicht, der ein Kriterium für eine einwandfreie Stickereiware ist (Sp 4 Z 28-35 und Sp 6 Z 64 bis Sp 7 Z 10). Demgegenüber geht die Erfindung in eine völlig andere Richtung, indem sie nicht nur eine gesteuerte, angetriebene Fadenliefereinheit vorsieht, die bei der Zugentlastung des Nadelfadens eine wichtige Rolle spielt, sondern auch noch den Fadenanzug allein von der Abzugskraft des Schiffchenfadens bewirken läßt, was ebenfalls der Zugentlastung des Nadelfadens dient. Hierfür gibt es im gesamten im Verfahren befindlichen Stand der Technik kein Vorbild.

Die GB-PS 177 317 (NK 4a) betrifft eine Fadenliefereinheit für eine Stickereimaschine, bei der eine Fadenlieferwalze und eine oder mehrere Fadenführer derart angetrieben sind, daß die Spannung im Nadelfaden möglichst klein gehalten wird und deren Schwankungen minimiert werden (S 1 Z 13-20 und S 2 Z 58-83)). Die NK 4a geht insofern über die NK 6 hinaus, als sie eine möglichst geringen Nadelfadenspannung und Fadenführer explizit nennt, aber sie kann auch in einer Zusammenschau mit NK 6 nicht zum Gegenstand des Patentanspruchs 1 führen, da sie keinerlei Hinweis auf Schiffchen und deren Rolle beim Stichanzug gibt.

Auch die Fachbücher von Schöner "SPITZEN", Enzyklopädie der Spitzentechniken, Leipzig 1980, S 320 bis 327 (NK 3a) und Schöner/Freier "Stickereitechniken", Fachbuch der Handund Maschinenstickerei, Leipzig 1981, S 63, 78 und 79, 108 bis 112 sowie 242 und 243 (NK 3b) geben keine Anregung in Richtung auf den Anspruch 1. In ihnen sind lediglich allgemeine Darlegungen zur Stichbildung in der Stickereitechnik enthalten. In (NK 3a)ist in Bild 3/159 auf S 326 zwar der Hinweis entnehmbar, daß die Grundformen des Stichs im Zweifadensystem durch die relative Stärke des Anzugs von Nadelbzw Schiffchenfaden bestimmbar ist, wobei auch ein stärkerer Anzug des Schiffchenfadens gezeigt ist (Bild 3/159 b)). Hieraus ergibt sich jedoch keine Anregung dazu, den Anzug allein durch die Abzugskraft des Schiffchenfadens vorzunehmen, wie das Patent es lehrt. Auch NK 3b geht durch den Hinweis, daß der Anzug der beiden Fäden beim Zweifadensystem einzeln reguliert werden könne (S 112 re Sp unter 2.) nicht über NK 3a hinaus, da hier der selbe Sachverhalt beschrieben ist.

Die weiteren noch im Verfahren befindlichen Druckschriften, die DE-PS 692 218 (NK 5a) und DE 34 16 266 (NK 7) wurden von den Parteien in der mündlichen Verhandlung zu Recht nicht mehr aufgegriffen. Sie liegen beide vom Gegenstand des Patentanspruchs 1 noch weiter ab, als die erörterten Druckschriften und stehen dem Gegenstand des Patentanspruchs 1 ebenfalls nicht patenthindernd entgegen.

Der Gegenstand des Anspruchs 1 erfüllt somit alle für die Patenterteilung geforderten Kriterien.

Der Anspruch 2 hat auf Grund seiner Rückbeziehung auf den Anspruch 1 ohne weiteres Bestand.

3. Patentfähigkeit der Vorrichtung.

Der Gegenstand des auf eine Vorrichtung zur Durchführung des Verfahrens nach Anspruch 1 oder 2 gerichteten Anspruchs 3 ist neu, denn keine der im Verfahren genannten Entgegenhaltungen weist eine Fadenliefereinheit mit einer motorisch angetriebenen Walze auf, über welche die Fäden mehrerer Stickstellen laufen und die zur Durchführung des Verfahrens nach einem der Ansprüche 1 oder 2 ausgelegt ist. NK 3a, NK 4a sowie NK 6 und NK 7 zeigen nämlich Fadenlieferwalzen, über die jeweils der Faden nur einer Stickstelle geführt ist und in NK 3b ist eine Fadenlieferwalze nicht erwähnt. NK 5a beschreibt zwar eine Mehrnadel-Gatter-Stickmaschine, bei der die Fäden 61 für mehrere Stickstellen über eine gemeinsame, angetriebene Fadenzuführwalze 37 geführt sind, wobei jedem Faden eine Druckrolle 62 zugeordnet ist, mit deren Hilfe der Faden durch Reibschluß gefördert wird (S 3 Z 62-86), aber diese Vorrichtung ist nicht dazu ausgelegt, für das Verfahren nach Anspruch 1 oder 2 des Streitpatents Verwendung zu finden. Dies scheitert schon daran, daß die Steuerung der Fadenzufuhr und des Schiffchens beim Stichanzug hier auf eine andere Weise erfolgt. So liefert die Einrichtung nach NK 5a, die schon keinen Fadenführer aufweist, nur soviel Faden, wie der Stichweite entspricht (S 3 Z 21-29) und auf den Stichanzug nur durch das Schiffchen allein findet sich keinerlei Hinweis.

Diesem Gegenstand liegt auch eine erfinderische Tätigkeit zugrunde, da keine der genannten Druckschriften es nahelegt, eine Vorrichtung mit den zur Durchführung des Verfahrens nach den Ansprüchen 1 und 2 erforderlichen konstruktiven Einzelheiten auszustatten und bei dieser nur eine Fadenlieferwalze für mehrere Stickstellen vorzusehen und dabei jeder Stickstelle eine Fadenrolle zuzuordnen, welche den Faden durch Reibschluß zwischen sich und der Walze fördert. Dies folgt schon daraus, daß das Verfahren durch den genannten Stand der Technik nicht nahegelegt ist, wie schon im Zusammenhang mit dem Anspruch 1 dargelegt wurde.

Der Anspruch 3 hat demnach Bestand; ebenso die Ansprüche 4 und 5 haben wegen ihrer Rückbeziehung auf den Anspruch 3.

Bei dieser Sachlage kam der "Hilfsantrag" der Beklagten nicht mehr zum Tragen.

III.

Als Unterlegene hat die Klägerin die Kosten des Rechtsstreits gemäß §§ 84 Abs 2 PatG iVm § 91 Abs 1 Satz 1 ZPO zu tragen. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf §§ 99 Abs 1 PatG, 709 ZPO.

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BPatG:
Urteil v. 14.09.2000
Az: 2 Ni 18/99


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