Bundesgerichtshof:
Beschluss vom 28. November 2005
Aktenzeichen: NotZ 18/05
(BGH: Beschluss v. 28.11.2005, Az.: NotZ 18/05)
Tenor
Auf die sofortige Beschwerde des Antragsgegners wird unter Zurückweisung des Rechtsmittels des Antragstellers der Beschluss des Senats für Notarsachen des Oberlandesgerichts Stuttgart vom 7. April 2005 abgeändert.
Haupt- und Hilfsantrag des Antragstellers werden als unzulässig abgewiesen.
Der Antragsteller hat die Gerichtskosten des Beschwerdeverfahrens zu tragen und die dem Antragsgegner entstandenen notwendigen Auslagen im Beschwerdeverfahren zu erstatten. Die weiteren Beteiligten tragen ihre außergerichtlichen Auslagen selbst.
Der Geschäftswert des Beschwerdeverfahrens wird auf 50.000 € festgesetzt.
Gründe
I.
Der Antragsteller bewarb sich um eine der sechs im Staatsanzeiger Baden-Württemberg vom 19. November 2001 ausgeschriebenen Notarstellen für Rechtsanwälte zur nebenberuflichen Amtsausübung im Bezirk des Amtsgerichts S. . Der Antragsgegner erstellte eine Rangliste der (siebzehn) Bewerber. Der Antragsteller erhielt mit 122,8 Punkten Rang 9. Die sechs weiteren Beteiligten erhielten 137, 135, 135, 133, 128,15 und 125 Punkte und damit Rang 1 bis 6. Dementsprechend teilte der Antragsgegner dem Antragsteller mit Datum vom 18. März 2002 mit, dass vorgesehen sei, die Stellen anderweitig, nämlich an die weiteren Verfahrensbeteiligten, zu vergeben. Hiergegen stellte der Antragsteller Antrag auf gerichtliche Entscheidung. Mit Beschluss vom 8. Oktober 2002 wies das OLG Stuttgart den Antrag zurück. Die vom Antragsteller dagegen gerichtete sofortige Beschwerde wurde vom Bundesgerichtshof durch Beschluss vom 31. März 2003 (NotZ 39/02) zurückgewiesen.
Der Antragsteller legte Verfassungsbeschwerde ein und beantragte gleichzeitig beim Bundesverfassungsgericht den Erlass einer einstweiligen Anordnung. Antragsgemäß gab das Bundesverfassungsgericht mit Beschluss vom 10. April 2003 dem Antragsgegner auf, eine der ausgeschriebenen Anwaltsnotarstellen vorsorglich freizuhalten. Diese Anordnung wurde dem Antragsgegner per Fax übermittelt. Dennoch wurden die weiteren Beteiligten vom Antragsgegner zu Notaren bestellt, und zwar wurde nach dem Vortrag des Antragsgegners die Urkunde allen sechs am 11. April 2003 ausgehändigt, zu einem Zeitpunkt, als die einstweilige Anordnung des Bundesverfassungsgerichts den "handelnden Personen unbekannt" gewesen sei. Mit Beschluss vom 8. Oktober 2004 (1 BvR 702/03 - NJW 2005, 50) gab das Bundesverfassungsgericht der Verfassungsbeschwerde des Antragstellers statt. Es stellte fest, dass die gerichtlichen Beschlüsse des Oberlandesgerichts vom 8. Oktober 2002 und des Bundesgerichtshofs vom 31. März 2003 sowie die Verfügung des Justizministeriums vom 18. März 2002 den Beschwerdeführer in seinem Grundrecht aus Art. 12 Abs. 1 des Grundgesetzes verletzen, hob die Beschlüsse auf und verwies die Sache an das Oberlandesgericht: Die Anwendung der gesetzlichen Vorschriften durch den Antragsgegner, konkretisiert in der AVNot, verfehle die im Hinblick auf die verfassungsrechtlich gewährleistete Berufsfreiheit gebotene chancengleiche Bestenauslese zur Besetzung der freien Notarstelle. Im durch die AVNot gesteuerten Auswahlverfahren komme der spezifischen fachlichen Eignung für das Amt des Notars im Verhältnis zur allgemeinen Befähigung für juristische Berufe und zu den Erfahrungen aus dem Anwaltsberuf eine derart untergeordnete Bedeutung zu, dass die ablehnende Auswahlentscheidung, die sich nach den Vorgaben der AVNot richte, und die sie bestätigenden gerichtlichen Entscheidungen mit Art. 12 Abs. 1 i.V.m. Art. 33 Abs. 2 GG nicht mehr vereinbar seien.
In dem beim Oberlandesgericht fortgesetzten Verfahren hat der Antragsteller beantragt, den Antragsgegner zu verpflichten, ihm eine Anwaltsnotarstelle zu übertragen, hilfsweise, über die Bewerbung des Antragstellers unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts erneut zu bescheiden. Der Antragsgegner hat den Standpunkt vertreten, das Verpflichtungsbegehren sei nach der Besetzung sämtlicher ausgeschriebenen Notarstellen unzulässig. Im Übrigen hat er erklärt und im einzelnen erläutert, dass er unter Berücksichtigung der neuen Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts "in Ausübung des uns zukommenden Prognosespielraums" zumindest die weiteren Beteiligten zu 1 und 5 sowie die Bewerber Dr. K. , Dr. Ku. , Dr. Ki. und S. , die die Auswahlentscheidung des Antragsgegners nicht gerichtlich angegriffen haben, für fachlich besser für das Notaramt geeignet halte als den Antragsteller.
Das Oberlandesgericht hat den Hauptantrag zurückgewiesen und auf den Hilfsantrag den Antragsgegner verpflichtet, über die Bewerbung des Antragstellers für eine Notarstelle im Bezirk des Amtsgerichtsbezirks S. erneut zu entscheiden. Dagegen richten sich die sofortigen Beschwerden des Antragstellers, der in erster Linie seinen Hauptantrag weiterverfolgt, und des Antragsgegners, der weiterhin das Verpflichtungsbegehren als unzulässig ansieht.
II.
Die sofortigen Beschwerden beider Beteiligter sind nach § 111 Abs. 4 BNotO i.V.m § 42 BRAO zulässig, begründet ist jedoch nur das Rechtmittel des Antragsgegners. Denn das Verpflichtungsbegehren des Antragstellers ist weder im Hauptantrag noch im Hilfsantrag zulässig. Dem Antragsgegner ist es nach Ernennung des letzten Mitbewerbers aus dem Ausschreibungsverfahren nicht (mehr) möglich, dem Antragsteller auf dessen Bewerbung vom 21. November 2001 eine Stelle als Anwaltsnotar zuzuteilen. Es kommt weder die Einweisung in eine der ursprünglich ausgeschriebenen sechs Stellen noch die Zuweisung einer anderen - weiteren - Stelle in Betracht.
1. Bleibt ein Bewerber auf eine Notarstelle ohne Erfolg, kann er zur Wahrung seines Bewerbungsverfahrensanspruchs einen gerichtlichen Verpflichtungsantrag stellen. Für einen solchen fehlt nach ständiger Rechtsprechung des Senats allerdings das Rechtsschutzinteresse, sobald die Stelle mit einem anderen Bewerber besetzt ist (vgl. nur BGHZ 160, 190, 193 und Beschluss vom 22. November 2004 - NotZ 21/04 - S. 5 f des Umdrucks m.w.N.).
a) Die Zuweisung einer der ursprünglich ausgeschriebenen sechs Stellen würde - da mittlerweile sechs Mitbewerber ernannt wurden - voraussetzen, dass zumindest eine der Ernennungen rückgängig gemacht werden könnte. Dem steht jedoch der Grundsatz der Ämterstabilität entgegen. Die Rechtsposition, welche der Mitbewerber durch seine Bestellung erlangt hat, kann von dem unberücksichtigt gebliebenen Bewerber nicht erfolgreich angefochten werden, da sie nicht mehr revidiert werden kann (vgl. Senat, BGHZ 160, 190, 194 m.w.N.). Zu den in § 50 BNotO abschließend geregelten Amtsenthebungsgründen zählt der Verstoß der Bestellung gegen eine einstweilige Anordnung, auch des Bundesverfassungsgerichts, nicht (BGHZ aaO).
b) Auch die Zuweisung einer anderen - weiteren - Stelle als Anwaltsnotar ist im vorliegenden Verfahren unmöglich. Weder die Zuweisung der nächsten frei werdenden Stelle noch die Schaffung einer zusätzlichen Stelle kommt in Betracht. Seit der Novellierung des Zulassungsrechts im Jahr 1991 ist es nicht mehr möglich, einen zu Unrecht abgelehnten Bewerber für ein Anwaltsnotariat nach der Besetzung der ausgeschriebenen Stelle zusätzlich zu bestellen. Dies ergibt sich daraus, dass die Justizverwaltung eine zusätzliche Notarstelle nur schaffen kann, wenn sie aufgrund der in § 4 BNotO vorgeschriebenen Kriterien ein öffentliches Interesse hieran festgestellt hat. Die zusätzliche Stelle ist nach den §§ 6, 6b BNotO förmlich auszuschreiben und nach für alle Bewerber gleichen Eignungsmaßstäben zu besetzen. Dies hat zur Folge, dass die Bewerbung auf eine ausgeschriebene Stelle sich ausschließlich auf diese Stelle bezieht. Wird die ausgeschriebene Stelle besetzt, ist das durch die Ausschreibung eingeleitete Verfahren beendet. Im vorliegenden Fall hat der Antragsteller zwar darauf hingewiesen, dass mittlerweile im Bereich des Amtsgerichts S. bereits wieder mehrere Notarstellen für Rechtsanwälte zur nebenberuflichen Amtsausübung ausgeschrieben worden seien. Durch die Zuweisung einer dieser Stellen im vorliegenden Verfahren würde aber die gesetzlich normierte Ausschreibungspflicht missachtet werden. Damit wären die Rechte Dritter, nämlich potentieller Mitbewerber beeinträchtigt, die am vorliegenden Verfahren nicht beteiligt sind.
2. a) Nach der neueren Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts kann allerdings dann, wenn entgegen einer einstweiligen Anordnung ein Mitbewerber befördert wurde, der im vorläufigen Rechtsschutz obsiegende Beamte seinen Bewerbungsverfahrensanspruch im Hauptsacheverfahren durchsetzen; dies setzt nicht die Möglichkeit voraus, die bereits erfolgte Ernennung aufzuheben (BVerwGE 118, 370). Der Betroffene kann danach bei Missachtung einer seinen Bewerbungsverfahrensanspruch sichernden einstweiligen Anordnung verlangen, verfahrensrechtlich und materiellrechtlich so gestellt zu werden, als sei die einstweilige Anordnung beachtet worden. Das Bundesverwaltungsgericht sieht in diesem Fall auch die Möglichkeit und Notwendigkeit, erforderlichenfalls eine benötigte weitere Planstelle zu schaffen (BVerwGE aaO S. 375).
b) Diese Rechtsprechung lässt sich jedoch - was der Senat bisher offen gelassen hat (BGHZ 160, 190, 197 und Beschluss vom 22. November 2004 aaO) - nicht auf das Notarrecht übertragen; es kann daher dahingestellt bleiben, ob hier bei Zugrundelegung der Darstellung des Antragsgegners - wonach die Aushändigung der Urkunden an die Mitbewerber des Antragstellers in Unkenntnis der einstweiligen Anordnung des Bundesverfassungsgerichts vom 10. April 2003 erfolgt ist - überhaupt von einer "Missachtung" der einstweiligen Anordnung durch die Justizverwaltung gesprochen werden kann.
Notarstellen lassen sich nicht ohne weiteres nachträglich "verdoppeln" (vgl. zu diesem Gesichtspunkt im Beamtenrecht, bezogen auf funktionsgebundene Beförderungsämter, Schnellenbach ZBR 2004, 104, 105; allgemein zur haushaltsrechtlichen Problematik Wernsmann, DVBl. 2005, 276, 284). Nach § 4 Satz 1 BNotO werden (nur) so viele Notare bestellt, wie es den Erfordernissen einer geordneten Rechtspflege entspricht. Dabei ist insbesondere das Bedürfnis nach einer angemessenen Versorgung der Rechtsuchenden mit notariellen Leistungen und die Wahrung einer geordneten Altersstruktur zu berücksichtigen (Satz 2). Die Schaffung einer zusätzlichen Stelle unabhängig von den gesetzlichen Erfordernissen einer geordneten Rechtspflege ist nicht möglich. Ein solcher Akt würde im Übrigen möglicherweise in Rechte der bereits bestellten Notare des betreffenden Bezirkes eingreifen. Zwar sind nach ständiger Rechtsprechung des Senats die Bestimmung der Zahl der Amtsinhaber und der Zuschnitt der Notariate der Organisationsgewalt des Staates vorbehalten, die Bedürfnisprüfung geschieht mithin grundsätzlich allein im Interesse der Allgemeinheit. Allerdings hat die Landesjustizverwaltung bei der Ausübung des hier eingeräumten Organisationsermessens nach § 4 BNotO subjektive Rechte von Amtsinhabern insoweit zu wahren, als jedem Notar zur Erfüllung seiner öffentlichen Aufgabe als unabhängiger und unparteiischer Berater ein Mindestmaß an wirtschaftlicher Unabhängigkeit zu gewährleisten ist (Senat, Beschluss vom 20. Juli 1998 - NotZ 31/97 - NJW-RR 1999, 207 und vom 11. Juli 2005 - NotZ 1/05 - zur Veröffentlichung vorgesehen, S. 5 ff des Umdrucks). Insoweit hat der Senat in Einzelfällen Unterlassungsanträge amtierender Notare gegen die Bestellung eines weiteren Notars in ihrem Amtsbereich als zulässig angesehen. Dazu ist zwar nicht ausreichend, dass der amtierende Notar allein auf die drohende Schmälerung seines Gebührenaufkommens hinweist, die mit der Bestellung eines weiteren Notars in seinem Amtsbereich verbunden wäre. Erforderlich ist vielmehr die Gefährdung seiner wirtschaftlichen Unabhängigkeit (Beschluss vom 20. Juli 1998 und vom 11. Juli 2005 aaO m.w.N.). Dieser Aspekt ist zwar vor allem für das hauptberufliche Notariat von Bedeutung, darf aber auch im Anwaltsnotariat nicht außer Acht gelassen werden (vgl. Schmitz-Valckenberg, in Eylmann/Vaasen, BNotO/BeurkG, 2. Aufl., § 4 BNotO Rn. 7 und 11). Ob vorliegend die wirtschaftliche Unabhängigkeit amtierender Notare gefährdet wäre, braucht im vorliegenden Verfahren nicht geklärt zu werden. Durch eine rechtskräftige Entscheidung wäre den möglicherweise Betroffenen jede Möglichkeit abgeschnitten, ihre Rechte geltend zu machen. Darüber hinaus könnte eine neu geschaffene Notarstelle nach den oben bereits genannten Grundsätzen nicht einfach einem Bewerber zugeteilt werden, der in einem auf eine andere Stelle bezogenen früheren Ausschreibungs- oder gerichtlichen Verfahren "übergangen" worden war. Sie müsste vielmehr ausgeschrieben werden. Jedes andere Verfahren könnte wiederum das Grundrecht anderer (auch neuer) - möglicherweise leistungsstärkerer - Bewerber aus Art. 12 Abs. 1 GG i.V.m. Art. 33 Abs. 2 GG verletzen.
c) Es ist auch nicht so, dass auf der Grundlage der Rechtsauffassung des beschließenden Senats die "Schaffung vollendeter Tatsachen" vor Abschluss eines Verfahrens des vorläufigen Rechtsschutzes folgenlos bliebe. Wird eine Konkurrentenstreitigkeit durch die vorzeitige Ernennung eines Mitbewerbers vereitelt, so kann darin eine selbständige Amtspflichtverletzung liegen, die Auswirkungen auf die Verteilung der Darlegungs- und Beweislast hat, soweit es um die Beantwortung der Frage geht, ob die Bewerbung des Rechtsbehelfsführers bei pflichtgemäßer Durchführung des Auswahlverfahrens hätte Erfolg haben müssen (vgl. BGHZ 129, 226, 232 ff).
d) Dieser Beurteilung lässt sich nicht entgegensetzen, die Bindungswirkung der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 8. Oktober 2004 (aaO S. 51) stehe entgegen. Das Bundesverfassungsgericht bejaht bei der Prüfung der Zulässigkeit der Verfassungsbeschwerde ein Rechtschutzinteresse für das Begehren des Antragstellers, "das auf Feststellung der Verfassungsverletzung und auf Neubescheidung seiner Bewerbung oder - im Falle der Unmöglichkeit - auf Schadensersatz gerichtet ist". Genauso offen ist die Schlussbemerkung, es sei nicht auszuschließen, dass der Antragsteller "bei einer solchen Neubewertung im Ausgangsverfahren Erfolg haben kann"; mit der Frage, welcher Art der Erfolg des Antragstellers im Ausgangsverfahren gegebenenfalls sein könnte, hat das Bundesverfassungsgericht nicht näher befasst. Auch die im Beschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 26. Oktober 2004 (1 BvR 2207/04) enthaltene Wendung, der Beschwerdeführer könne "eine fachgerichtliche Überprüfung seines Bewerbungsverfahrensanspruchs in materieller Hinsicht erreichen", schließt nicht aus, dass eine Überprüfung - nur - im Amtshaftungsprozess den verfassungsrechtlichen Anforderungen genügt.
e) Dem Antrag des Antragstellers, den Gemeinsamen Senat anzurufen, war nicht zu entsprechen. Die Abweichung von der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts beruht auf Besonderheiten des Notarrechts, über die ausschließlich der beschließende Senat zu befinden hat.
Die Verpflichtungsanträge des Antragstellers waren daher auf die Beschwerde des Antragsgegners in Abänderung des angefochtenen Beschlusses als unzulässig abzuweisen.
Schlick Streck Wendt Doye Bauer Vorinstanz:
OLG Stuttgart, Entscheidung vom 07.04.2005 - Not 1/04 -
BGH:
Beschluss v. 28.11.2005
Az: NotZ 18/05
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