Landgericht Hamburg:
Urteil vom 21. November 2008
Aktenzeichen: 312 O 511/08
(LG Hamburg: Urteil v. 21.11.2008, Az.: 312 O 511/08)
Tenor
Die einstweilige Verfügung vom 17.09.2008 wird bestätigt.
Die Antragsgegnerin hat auch die weiteren Kosten des Verfahrens zu tragen.
Tatbestand
Die Parteien streiten nach einem vorausgegangenen Verfügungsverfahren um die Frage, ob die Antragsgegnerin berechtigt ist, gegenüber Ärzten und/oder Apothekern und/oder Endverbrauchern über das von der Antragstellerin vertriebene Medizinprodukt N L zu behaupten, dieses enthalte Insektizide und/oder neurotoxische Insektizide und/oder Gifte.
Die Parteien sind Wettbewerber beim Vertrieb von Produkten zur Bekämpfung von Kopfläusen. Sie beanstandeten in der Vergangenheit bereits mehrfach wechselseitig Werbemaßnahmen der jeweils anderen Seite.
Die Antragstellerin vertreibt das Medizinprodukt N L, das im April 2006 als Medizinprodukt der Klasse I auf dem deutschen Markt eingeführt wurde und seit Juni 2008 Medizinprodukt der Klasse II a ist. Es enthält zu 92 % D...con (Silikonöl), das mit einem physikalischen Wirkmechanismus die Atmung der Insekten angreifen und diese abtöten soll.
Die Antragsgegnerin vertreibt das Arzneimittel I P Lösung, das in 0,5%iger Konzentration in alkoholischer Lösung den Wirkstoff Permethrin enthält. Permethrin ist ein synthetisches Insektizid, das nach seiner Fachinformation (vgl. Anlage ASt 1) bei Säuglingen in den ersten zwei Lebensmonaten nicht angewandt werden soll.
In dem erwähnten vorausgegangenen Verfügungsverfahren ging es um Werbeaussagen der Antragsgegnerin in einem an Apotheker und Kinderärzte gerichtetem Rundschreiben, in dem die beiden Mittel teilweise direkt verglichen wurden.
Mit Urteil vom 19. August 2008 hat die Kammer der Antragsgegnerin unter Androhung der gesetzlichen Ordnungsmittel verboten, im geschäftlichen Verkehr mit den von der Antragstellerin beanstandeten Aussagen für das Arzneimittel "I P" zu werben. Gegen das Urteil ist von der Antragsgegnerin Berufung eingelegt worden.
In der mündlichen Verhandlung vom 19.08.2008 war von Seiten der Antragsgegnerin geltend gemacht worden, die beanstandete Werbung sei u. a. auch deswegen berechtigt, weil die Antragstellerin in der Vergangenheit wiederholt ihr Produkt in diffamierender Absicht im Verkehr als giftig und daher potentiell für Kinder schädlich hingestellt, dagegen das eigene Produkt als giftfrei herausgestellt habe. Aufgrund genauerer Überprüfung habe die Antragsgegnerin nun aber ermitteln können, dass das Produkt N L keineswegs giftfrei sei, vielmehr die Inhaltsstoffe Corymbia citriodora und alpha-Terpineol enthalte, die zwar als Duftstoffe deklariert seien, in der eingesetzten Konzentration aber eine insektizide Wirkung hätten.
Die Antragsgegnerin mahnte die Antragstellerin mit Schreiben ihrer Prozessbevollmächtigten vom 19.8.2008 ab und verlangte eine Unterlassungserklärung dahingehend, dass die Antragstellerin ihr Produkt künftig nicht mehr als insektizidfrei und/oder frei von neurotoxischen Insektiziden und/oder giftfrei und/oder mit der Aussage bewerben möge, es habe ein rein physikalisches Wirkprinzip. Die Antragstellerin verweigerte die Abgabe und befürchtet, die Antragsgegnerin könne ihre Behauptung über eine angeblich insektizide Wirkung von N L auch gegenüber Ärzten und/oder Apothekern und/oder Endverbrauchern verbreiten. Tatsächlich sei eine insektizide Wirkung nicht gegeben, die von der Antragsgegnerin angeführten Studien seien kein tragfähiger Beleg. Die Unbedenklichkeit der Stoffe Ó-Terpineol und Corymbia citriodora werde auch durch die Einstufung als GRAS (generally recognized as safe) durch die US-amerikanische FDA belegt. Jedenfalls sei die für das Produkt der Antragstellerin abträgliche Behauptung keinesfalls wissenschaftlich erwiesen, sodass die Verbreitung entsprechender Behauptungen gemäß §§ 3, 4 Nr. 8 UWG unzulässig sei.
Nachdem die Antragsgegnerin sich mit den als Anlagen Ast 8 und Ast 9 in Kopie vorgelegten Schreiben an Vortragende im Rahmen der Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Kinder- und Jugendheilkunde gewandt hatte, erging mit Beschluss vom 17.09.2008 die einstweilige Verfügung der Kammer, mit welcher der Antragsgegnerin unter Androhung der gesetzlichen Ordnungsmittel verboten worden ist,
im geschäftlichen Verkehr für das Arzneimittel I P gegenüber Ärzten und/oder Apothekern und/oder Endverbrauchern zu behaupten,
das Medizinprodukt N L enthalte
Insektizide
und/oder
neurotoxische Insektizide
und/oder
Gifte.
Die Antragsgegnerin hatte ihrerseits bereits am 5.9.2008 beim Landgericht Hamburg einen Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung gestellt. Über den Antrag ist am 6.10.2008 vor der Kammer 8 für Handelssachen verhandelt worden. Mit Urteil vom 31.10.2008 ist der Antragstellerin unter Androhung der gesetzlichen Ordnungsmittel verboten worden, im geschäftlichen Verkehr zu Zwecken des Wettbewerbs das Kopflausmittel N L, solange dieses die Stoffe Ó-Terpineol und/oder Corymbia citriodora enthält, mit der Aussage "rein physikalisches Wirkprinzip" zu bewerben und/oder bewerben zu lassen. Der weitergehende Verfügungsantrag, gerichtet u. a. auf das Verbot der Aussagen insektizidfrei und/oder frei von neurotoxischen Insektiziden und/oder giftfrei ist in dem Urteil zurückgewiesen worden (408 O 162/08). Insoweit ist von der Antragsgegnerin Berufung gegen das Urteil eingelegt worden.
Die Antragsgegnerin wendet sich in ihrem Widerspruch gegen das Verbot vom 17.09.2008. Zur Begründung des Widerspruchs trägt sie folgendes vor:
Die unstreitig in N L enthaltenen Stoffe Ó-Terpineol und Corymbia citriodora würden zwar auch als Duftstoffe eingesetzt. Beide Stoffe wirkten jedoch auch insektizid. Dieses sei mehrfach in wissenschaftlichen Untersuchungen, auf die sich die Antragsgegnerin im Einzelnen stützt, nachgewiesen worden. Überdies ist von der Antragsgegnerin eine Untersuchung durch das unabhängige Institut IS GmbH aus Berlin in Auftrag gegeben worden. Dabei ist die insektizide Wirkung von Ó-Terpineol in der Konzentration von 1 % (wie in N L) und von Corymbia citriodora in der Konzentration von 0,06 % (in N L 0,05 %) untersucht und bestätigt worden. Der Endbericht ist als Anlage AG 10 vorgelegt worden.
Die Antragsgegnerin beantragt,
die einstweilige Verfügung des Landgerichts Hamburg vom 17.09.2008 aufzuheben und den auf deren Erlass gerichteten Antrag zurückzuweisen.
Die Antragstellerin beantragt,
die einstweilige Verfügung zu bestätigen.
Die Antragstellerin macht unter Vertiefung ihres Vorbringens aus der Antragsschrift geltend, dass die von der Antragsgegnerin in Auftrag gegebene Untersuchung durch das Institut IS GmbH aus Berlin nicht geeignet sei, eine insektizide Wirkung von N L zu belegen. Bereits aus dem Umstand, dass für die Untersuchung Kleiderläuse verwendet worden seien, könnten keine verlässlichen Rückschlüsse auf die Wirkung bei Kopfläusen abgeleitet werden. Darüberhinaus werde die Wirkung auch in hohem Maße von dem eingesetzten Lösungsmittel beeinflusst.
Diese Einwände sind von der Antragsgegnerin in der mündlichen Verhandlung zurückgewiesen worden, wobei angeführt worden ist, dass auch für die Prüfung von Produkten zur Bekämpfung von Kopfläusen durch das Umweltbundesamt Kleiderläuse verwendet würden, da eine labormäßige Züchtung von Kopfläusen nicht möglich sei.
Zur Vervollständigung des Tatbestandes wird ergänzend auf das schriftsätzliche Vorbringen der Parteien sowie die dazu eingereichten Anlagen und auf das Protokoll der mündlichen Verhandlung vom 18.11.2008 Bezug genommen.
Gründe
Die einstweilige Verfügung vom 17.09.2008 erweist sich auch unter Berücksichtigung des Widerspruchsvorbringens als berechtigt und ist daher zu bestätigen. Im Einzelnen ergibt sich das aus folgenden Erwägungen:
Die Kammer hat zur Begründung der im Beschlusswege erlassenen einstweiligen Verfügung ausgeführt:
Nach dem beiderseitigen Parteivortrag ist es überwiegend wahrscheinlich, dass die Antragstellerin von der Antragsgegnerin gemäß §§ 8 Abs. 1, Abs. 3 Nr. 2, 4 Nr. 8, 3 UWG verlangen kann, nicht über das Produkt N L zu behaupten, dieses enthalte Insektizide, neurotoxische Insektizide und/oder Gifte. Es besteht darum ein Verfügungsanspruch.
Die streitgegenständliche Behauptung ist € dies bedarf angesichts der entgegenstehenden Werbung der Antragstellerin für ihr Produkt keiner weiteren Erörterung € i. S. d. § 4 Nr. 8 UWG geeignet, den Betrieb, das Unternehmen oder den Kredit der Antragstellerin zu schädigen.
Wie sich schon aus dem Wortlaut des § 4 Nr. 8 UWG ergibt, obliegt es nicht der Antragstellerin, sondern der Antragsgegnerin die Wahrheit der streitgegenständlichen Behauptung zu beweisen bzw. zumindest glaubhaft zu machen. Dies ist der Antragsgegnerin mit dem Vortrag in der Schutzschrift und den dazu vorgelegten Unterlagen nicht gelungen.
Die Antragstellerin weist zu Recht darauf hin, dass sich aus der von der Antragsgegnerin vorgelegten Studie von Priestley € soweit diese angesichts ihrer Abfassung in der englischen Sprache für die Kammer verständlich war bzw. in der beigelegten Zusammenfassung übersetzt wurde € nicht konkret eine insektizide Wirkung der von der Antragstellerin genutzten Duftstoffe Corymbia citriodora und alpha-Terpineol ergibt. Es wird lediglich davon gesprochen, dass die Untersuchung die Auffassung unterstützen könne, dass Terpineol und Limonen zum eiabtötenden Effekt eines Drittprodukts beitragen könnten.
Soweit die Antragsgegnerin sich darüber hinaus auf Studien von Yang et al. (Ahn) und eine Veröffentlichung im Acta Derm Venereol 80 beruft, rechtfertigen diese Publikationen die streitgegenständliche Werbaussage nicht, weil nicht dargelegt ist, dass die Antragstellerin Corymbia citriodora und alpha-Terpineol in N L in einer Dosierung verwendet, die für eine insektizide, neurotoxische insektizide und/oder giftige Wirkung sprechen würde. Nachdem es unstreitig ist, dass die US-amerikanische FDA beide Stoffe grundsätzlich als GRAS (generally recognized as safe) einstuft und es nach dem Vortrag der Antragstellerin glaubhaft ist, dass Corymbia citriodora und alpha-Terpineol tatsächlich in Kosmetika als Duftstoffe verwandt werden, hätte die Antragsgegnerin zur Untermauerung ihrer Behauptung zumindest dazu vortragen müssen, dass die von ihr zitierten Studien auch in Bezug auf die von der Antragstellerin verwandte Dosierung von Corymbia citriodora und alpha-Terpineol aussagekräftig sind. Dies hat sie nicht getan.
Im Zeitpunkt der Entscheidung über den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung ist davon auszugehen, dass die Gefahr besteht, die Antragsgegnerin könnte die streitgegenständlichen Behauptungen gegenüber Ärzten, Apothekern oder auch den Endverbrauchern aufstellen.
Denn inzwischen hat sie dies in den von der Antragstellerin vorgelegten Schreiben vom 08.09.2008 an Prof. H. vom Department of Community Health der Universität von Cearà Brasilien und PD Dr. B. vom Zoologischen Institut der Christian-Albrechts-Universität in Kiel in Vorbereitung der Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Kinder- und Jugendmedizin (DGKJ) hinsichtlich der Formulierung "Insektizid" und "neurotoxisch" bereits getan.
Dies rechtfertigt den Schluss, die Antragsgegnerin könne sich auch weiterhin in der von der Antragstellerin gerügten Weise über das Produkt N L äußern.
Im Ergebnis hält die Kammer an dieser Beurteilung fest. Hinsichtlich des zuletzt genannten Problems einer bestehenden Begehungsgefahr kann es nach dem Ergebnis der mündlichen Verhandlung vom 18.11.2008 dahinstehen, ob sich aus den Schreiben vom 08.09.2008 an Prof. H. und PD Dr. B. eine Gefahr dafür ableiten lässt, dass die Antragsgegnerin entsprechende Aussagen auch gegenüber Ärzten, Apothekern oder auch den Endverbrauchern verbreiten würde. Der Prozessbevollmächtigte der Antragsgegnerin hat ausdrücklich klargestellt, dass die Antragsgegnerin mit entsprechenden Aussagen auch im Wettbewerb auftreten möchte.
Bei der Beurteilung der Aussagen ist als Ausgangspunkt zu beachten, dass u. a. aufgrund eines von der Zeitschrift Öko-Test durchgeführten vergleichenden Warentests verschiedener Produkte zur Bekämpfung von Kopfläusen, bei welchem I P als bestes der untersuchten Präparate nur mit dem Prädikat "ausreichend" bewertet wurde, eine besondere Sensibilisierung bezüglich giftiger Inhaltsstoffe im Verkehr vorherrscht. Dabei besteht € ob begründet oder nicht € die Besorgnis, dass solche Inhaltsstoffe nicht nur zur € gewünschten € zuverlässigen Bekämpfung der Schädlinge beitragen, sondern auch zu unerwünschten Nebenwirkungen für die menschliche Gesundheit. Die in dem Prädikat "ausreichend" zum Ausdruck kommende Skepsis gegenüber der Unbedenklichkeit des insektiziden Inhaltsstoffs Permethrin in I P hat die Antragstellerin in der Vergangenheit marketingmäßig ausgenutzt. Ob dabei im Einzelfall in unzulässiger Weise das Nebenwirkungsrisiko bei I P übertrieben dargestellt worden ist, ist für das vorliegende Verfahren nicht von Bedeutung. Die Antragsgegnerin ist jedenfalls mangels irgendwelcher tragfähiger Belege nicht berechtigt, als Reaktion auf die Werbung der Antragstellerin im Verkehr zu verbreiten, aufgrund der Inhaltsstoffe Corymbia citriodora und alpha-Terpineol bestünden für N Letztlich dieselben Risiken bezüglich unerwünschter Nebenwirkungen für die menschliche Gesundheit. Nichts anderes würde aber bewirkt, wenn die Antragsgegnerin im Verkehr gegenüber Ärzten, Apothekern oder Endverbrauchern behaupten würde, das Medizinprodukt N L enthalte Insektizide, neurotoxische Insektizide oder Gifte.
Die Kammer schließt sich dabei ausdrücklich der Argumentation im Urteil der Kammer 8 für Handelssachen an, wo mit Recht darauf abgestellt worden ist, dass nicht ansatzweise eine schädliche Wirkung der hier fraglichen Inhaltsstoffe auf den Menschen belegt worden ist. Dem steht die verbreitete Verwendung als Duft- und Aromastoffe und die Einstufung als GRAS (generally recognized as safe) durch die US-amerikanische FDA entgegen.
Im Ergebnis ist daher das Verbot der einstweiligen Verfügung zu bestätigen.
Die Entscheidung über die Kosten beruht auf § 91 ZPO.
Eine Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit ist auf Grund der Natur des einstweiligen Verfügungsverfahrens als Eilverfahren entbehrlich.
LG Hamburg:
Urteil v. 21.11.2008
Az: 312 O 511/08
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