Bundespatentgericht:
Beschluss vom 15. März 2006
Aktenzeichen: 21 W (pat) 37/02

(BPatG: Beschluss v. 15.03.2006, Az.: 21 W (pat) 37/02)

Tenor

1. Der Beschluss des Patentamts vom 20. Juni 2002 wird aufgehoben.

2. Das Verfahren wird zur weiteren Bearbeitung an das Patentamt zurückverwiesen.

Gründe

I.

Die Patentanmeldung wurde am 14. März 2001 mit der Bezeichnung "Verfahren zur Berechnung von Parametern für frequenz- und/oder amplitudenmodulierte elektromagnetische Pulse" beim Deutschen Patent- und Markenamt eingereicht. Die Offenlegung ist am 28. November 2002 erfolgt.

Die Prüfungsstelle für Klasse G 01 R hat mit Beschluss vom 20. Juni 2002 die Anmeldung zurückgewiesen, da das beanspruchte Verfahren eine mathematische Methode als solche nach § 1 Abs. 2 PatG sei.

Gegen diesen Beschluss richtet sich die Beschwerde der Anmelderin.

Die Anmelderin verfolgt ihre Patentanmeldung mit den Ansprüchen 1 bis 5 vom 9. August 2002, eingegangen am 10. August 2002, weiter.

Der Patentanspruch 1 lautet:

Verfahren zur Bildung frequenz- und/oder amplitudenmodulierter elektromagnetischer Pulse zur Induzierung adiabatischer Transfervorgänge in quantenmechanischen Systemen, bei dem die dynamischen Vorgänge des quantenmechanischen Systems mit einem Hamilton-Operator (H(t)) in einem aktuellen Koordinatensystem beschrieben werden und eine Transformation des Hamilton-Operators (H(t)) von dem aktuellen Koordinatensystem in ein folgendes Koordinatensystem zur Beschreibung der Zeitabhängigkeit der Richtungsänderung des Hamilton-Operators (H(t)) vorgenommen wird, dadurch gekennzeichnet, dass nach der Transformation die Selbstkommutation des Hamilton-Operators (H(t)) zur Zeit t und des Hamilton-Operators (H(t')) zur Zeit t' bestimmt wird, wobei ein Differentialgleichungssystem erhalten wird, aus dem Parameter der elektromagnetischen Pulse berechnet werden.

Im Prüfungsverfahren sind bisher folgende Entgegenhaltungen vom Prüfer genannt worden:

D1 WO 99/35509 A1 D2 US 6 094 049 D3 WO 89/12834 A1.

Zur Begründung der Beschwerde führt die Anmelderin aus, der Gegenstand des Anspruchs 1 sei patentfähig. Insbesondere sei das beanspruchte Verfahren technisch. Das Verfahren sei auf die Bildung frequenz- und/oder amplitudenmodulierter elektromagnetischer Pulse zur Induzierung adiabatischer Transfervorgänge in quantenmechanischen Systemen gerichtet. Die Induzierung solcher adiabatischer Transfervorgänge stelle ein technisches Problem dar, das für verschiedene Anwendungsgebiete, insbesondere Kernspintomographie, kernmagnetische Resonanz-Spektroskopie und Laseroptik von entscheidender Bedeutung sei. Die Qualität von derartigen, auf adiabatischen Transfervorgängen beruhenden Verfahren hänge somit von der Generierung besonders geeigneter adiabatischer Pulse ab. Die für die Anwendungsverfahren benötigten adiabatischen Pulse müssten durch mathematische Methoden bestimmt werden, die im Stand der Technik Näherungscharakter hätten. Demgegenüber liefere das vorliegende Verfahren optimierte Pulse in einer vereinfachten Berechnung. Dabei stehe der Technizität nicht entgegen, dass die Erfindung auf mathematischen Methoden der Quantenmechanik basiere, denn es sei auf die Gesamtheit der Lehre zu achten. Insoweit handele es sich bei dem Gegenstand des Anspruchs 1 nicht um eine mathematische Methode an sich, sondern um die Anwendung eines mathematischen Verfahrens zur Erzielung eines technischen Ergebnisses, nämlich der Generierung technisch sinnvoller elektromagnetischer Pulse.

Die Anmelderin beantragt sinngemäß, den angefochtenen Beschluss aufzuheben unddas Verfahren auf der Basis der Ansprüche 1 bis 5 vom 9. August 2002 zur weiteren Bearbeitung an das Patentamt zurückzuverweisen.

Wegen der auf den Anspruch 1 rückbezogenen Ansprüche und weiterer Einzelheiten wird auf den Akteninhalt Bezug genommen.

II.

Die Beschwerde ist zulässig, insbesondere ist sie statthaft sowie form- und fristgerecht eingelegt, § 73 Abs. 1, Abs. 2 PatG. Die Beschwerde hat auch insoweit Erfolg, als sie nach erfolgter Neuformulierung der Patentansprüche zur Aufhebung des Beschlusses und zur Zurückverweisung an das Patentamt führt, § 79 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 PatG.

1. Mit Gliederungspunkten versehen lautet der geltende Anspruch 1:

a) Verfahren zur Bildung frequenz- und/oder amplitudenmodulierter elektromagnetischer Pulse zur Induzierung adiabatischer Transfervorgänge in quantenmechanischen Systemen, b) bei dem die dynamischen Vorgänge des quantenmechanischen Systems mit einem Hamilton-Operator (H(t)) in einem aktuellen Koordinatensystem beschrieben werden und eine Transformation des Hamilton-Operators H(t)) von dem aktuellen Koordinatensystem in ein folgendes Koordinatensystem zur Beschreibung der Zeitabhängigkeit der Richtungsänderung des Hamilton-Operators (H(t)) vorgenommen wird, dadurch gekennzeichnet, c) dass nach der Transformation die Selbstkommutation des Hamilton-Operators (H(t)) zur Zeit t und des Hamilton-Operators (H(t')) zur Zeit t' bestimmt wird, d) wobei ein Differentialgleichungssystem erhalten wird, aus dem Parameter der elektromagnetischen Pulse berechnet werden.

2. Der Patentanspruch 1 ist zulässig, denn er ist in den am Anmeldetag eingereichten Unterlagen - dort im Anspruch 1 in Verbindung mit der Beschreibung - offenbart. Insbesondere sieht der Senat in der Angabe "zur Bildung frequenz- und/oder amplitudenmodulierter elektromagnetischer Pulse" im Rahmen der ursprünglichen Offenbarung eine zulässige sprachliche Umformulierung der "Berechnung von Parametern für frequenz- und/oder amplitudenmodulierte elektromagnetische Pulse", wie sie im ursprünglichen Anspruch 1 angegeben ist. Zulässig ist auch die Schreibweise "H(t)" für den Hamilton-Operator, siehe hierzu beispielsweise die ursprüngliche Beschreibung Seite 6, Zeile 25.

3. Beim Gegenstand des geltenden Anspruchs 1 liegt eine technische Erfindung vor. Insbesondere erschöpft sich die Lehre des Anspruchs 1 nicht in einem Berechnungsverfahren, dem mathematische bzw. theoretischphysikalische Aussagen zugrunde liegen. Vielmehr betrifft es einen Algorithmus mit technischem Inhalt, nämlich die Bildung frequenz- und/oder amplitudenmodulierter elektromagnetischer Pulse, mit denen adiabatische Transfervorgänge in quantenmechanischen Systemen induziert werden können, und gibt damit eine Lehre zum technischen Handeln. Dem technischen Charakter steht dabei nicht entgegen, dass der Beitrag der Erfindung zum Stand der Technik in der Selbstkommutation des Hamilton-Operators zur Zeit t und des Hamilton-Operators zur Zeit t' nach der Transformation des Hamilton-Operators und der Berechnung von Parametern der gesuchten elektromagnetischen Pulse aus einem aus der Selbstkommutation gewonnenen Differentialgleichungssystem und somit in der Bereitstellung mathematischer Regeln im Rahmen der Quantenmechanik besteht und damit an sich auf nichttechnischem Gebiet liegt. Denn durch die Angabe "zur Bildung frequenz- und/oder amplitudenmodulierter elektromagnetischer Pulse zur Induzierung adiabatischer Transfervorgänge in quantenmechanischen Systemen" erfolgt nicht bloß eine Zweckangabe, wie in dem angefochtenen Beschluss ausgeführt (Seite 4, vorletzter Absatz), sondern es wird unmittelbar beschrieben, welche elektromagnetischen Pulse mit dem Verfahren gebildet werden. Das Verfahren dient somit der Steuerung eines physikalischen Vorgangs (vgl. auch Busse PatG 6. Auflage, § 1 Rdn. 44 m. w. N.). Wie sich in Verbindung mit der Beschreibung ergibt, sind dabei solche elektromagnetischen Pulse gemeint, die in quantenmechanischen Zwei- und Mehrniveau-Systemen, wie sie etwa bei der Atom- und Molekülspektroskopie durch Laseroptik und magnetische Resonanz und in bildgebenden Verfahren beispielsweise mit Kernspintomographie gegeben sind, einen schnellen adiabatischen Übergang ohne wesentliche diabatische, d. h. kopplungsbedingte Verluste ermöglichen (Beschreibung Seite 3, letzter Absatz sowie Seite 5, zweiter und letzter Absatz). Somit bleiben die mit dem Verfahren nach Anspruch 1 bestimmten elektromagnetischen Pulse in ihrer Bedeutung nicht abstrakt und beliebig, sondern betreffen physikalische Größen, die die Optimierung verschiedener, auf quantenmechanischen Prozessen basierender technischer Verfahren wie etwa Kernspintomographie (Beschreibung Seite 28, Absatz 3), kohärente Laserspektroskopie (Seite 30, 31) ermöglichen (BPatG BlPMZ 1997, 32, Ls. 1 - Viterbi-Algorithmus). Da die Beantwortung der Frage nach der Technizität eine wertende Betrachtung des im Patentanspruchs insgesamt definierten Gegenstandes erfordert (vgl. etwa BGH GRUR 2000, 498, Ls. 1 - Logikverifikation) bleibt für eine Betrachtung des Verfahrens gemäß Anspruch 1 in seiner von den die elektromagnetischen Pulse charakterisierenden Merkmalen entkleideten Form kein Raum. Die im angefochtenen Beschluss zitierte Entscheidung des Bundespatentgericht betrifft zwar ein "Verfahren ... zur Herstellung von Produkten ...", das jedoch auf keine konkrete Anwendung gerichtet ist und keine unmittelbaren Auswirkungen auf einen Herstellungsprozess hervorbringt (BPatG 17 W (pat) 5/00, II 2.).

An dieser Feststellung kann auch die Vielfalt und Verschiedenartigkeit der in den Anmeldungsunterlagen dargelegten technischen Anwendungsgebiete nichts ändern. Denn die Erfindung verlässt nirgends den Rahmen der Lösung einer Klasse gleichartiger Probleme, nämlich der Auswahl bzw. Bestimmung von elektromagnetischen Impulsen, die geeignet sind, in quantenmechanischen Systemen adiabatische Übergänge hervorzurufen.

4. Das Verfahren ist jedoch noch nicht zur Entscheidung reif und die Anmeldung mit dem geltenden Ansprüchen zur weiteren Prüfung an das Patentamt zurückzuverweisen, da die Patentfähigkeit der neuen Ansprüche noch nicht geprüft worden ist. § 79 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 PatG bestimmt, dass das Patentgericht die angefochtene Entscheidung aufheben kann, ohne in der Sache selbst zu entscheiden, wenn die Gründe, die der angefochtenen Entscheidung zugrunde liegen, beseitigt werden und eine neue Sachprüfung erforderlich ist. Danach kann die Anmeldung an das Patentamt zurückverwiesen werden, wenn die Patentfähigkeit noch nicht oder nicht ausreichend Gegenstand der Prüfung war (vgl. Busse PatG, 6. Aufl. § 79 Rdn. 64 und 65; Schulte PatG, 7. Aufl. § 79 Rdn. 19 bis 21 - jeweils m. w. N.). Dies ist vorliegend der Fall. Die bisherige Prüfung der Anmeldung bezog sich nur auf die zwischenzeitlich bejahte Frage nach der Technizität des beanspruchten Verfahrens. Vom Prüfer wurde daher auch lediglich "rein vorsorglich" und pauschal auf Druckschriften D1 bis D3 verwiesen. Die Patentfähigkeit der Gegenstände der Ansprüche wurden somit im Hinblick auf die Druckschriften D1 bis D3 und den vom Anmelder selbst zitierten Stand der Technik noch nicht geprüft.

Da die Anmelderin keinen Antrag auf mündliche Verhandlung gestellt hat und der Senat diese auch nicht für sachdienlich erachtet hat, konnte die Entscheidung über die Beschwerde im schriftlichen Verfahren erfolgen, §§ 78, 79 PatG.






BPatG:
Beschluss v. 15.03.2006
Az: 21 W (pat) 37/02


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