Landgericht Düsseldorf:
Urteil vom 12. Januar 2011
Aktenzeichen: 12 O 50/10
(LG Düsseldorf: Urteil v. 12.01.2011, Az.: 12 O 50/10)
Tenor
Die Klage wird abgewiesen.
Die Kosten des Rechtsstreits trägt die Klägerin.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 120 % des zu vollstreckenden Betrages.
Tatbestand
Die Klägerin und die Beklagte zu 1) sowie die Beklagte zu 2) als deren Tochter- und Vertriebsgesellschaft sind Wettbewerber im Bereich der Herstellung und des Vertriebs von Freizeitbekleidung.
Von den Beklagten wird seit 1996 unter der Marke "H" u.a. das Hosenmodell "F1" auf dem deutschen Markt vertrieben. Zum Sortiment der Klägerin gehörte u.a. eine Jeans-Hose des Modells "O".
Am 09.06.2006 erwirkten die Beklagten gegen die Klägerin vor dem Landgericht Hamburg eine auf §§ 3, 4 Nr. 9 lit. a, b, 8 Abs. 1, 3 Nr. 1 UWG gestützte einstweilige Verfügung, durch die der Klägerin der weitere Vertrieb des Modells "O" untersagt wurde. Durch Urteil vom 17. August 2006 bestätigte das Landgericht Hamburg diese Verfügung (LG Hamburg 312 O 447/06). In der hieran anschließenden Berufungsinstanz vor dem Oberlandesgericht Hamburg wurde der Antrag auf Erlass der einstweiligen Verfügung von den Beklagten am 14. März 2007 zurückgenommen.
Im Hauptsacheverfahren verurteilte das Landgericht Hamburg die Klägerin mit Urteil vom 27. März 2007 zur Unterlassung und zur Auskunftserteilung sowie zum Schadensersatz. Auf den Berufungsantrag der Klägerin stellte das OLG Hamburg in der Folge fest, dass den Beklagten die begehrten Ansprüche gegen die Klägerin nicht zustehen. Nachdem gegen diese Entscheidung keine Revision zugelassen wurde, legten die Beklagten am 19.12.2007 Nichtzulassungsbeschwerde beim Bundesgerichtshof ein, die der 1. Zivilsenat mit Beschluss vom 13.08.2009 (I ZR 15/08) zurückwies.
Die Klägerin begehrt nunmehr Ersatz des Vollziehungsschadens, und zwar entgangenen Gewinn sowie Kosten für zwei im einstweiligen Verfügungsverfahren eingebrachte GfK-Marktforschungs-Gutachten über die Bekanntheit des Modells "F1" der Beklagten und mögliche Verwechslungen mit dem Modell "O" in Höhe von 14.100,-- Euro.
Erstmalig machte sie den ihr entstandenen Vollziehungsschaden mit Schreiben vom 27.04.2007 gegenüber den Beklagten geltend. Eine konkrete Bezifferung des Schadens in Höhe von 860.759,90 Euro erfolgte mit Schreiben vom 20.08.2009. Mit der Klageschrift vom 29.12.2009 bezifferte die Klägerin die Schadensersatzforderung unter Berücksichtigung anderer Zahlen auf mindestens 491.457,75 Euro.
Die Klägerin trägt vor:
Sie habe aufgrund der einstweiligen Verfügung den Vertrieb des Modells "O" eingestellt und bis zum Ende des sich anschließenden Hauptsacheverfahrens nicht wieder aufnehmen können.
Sie habe seit der Markteinführung des Modells "O" im Februar 2005 bis zum Erlass der einstweiligen Verfügung am 9. Juni 2006 auf dem deutschen Markt mit 25.358 verkauften Exemplaren einen Umsatz von 793.623,98 Euro erzielt. Bei der Reingewinnquote, die mit 15,15 Euro pro Hose anzusetzen sei, entspreche dies einem erzielten Gewinn von 384.173,70 Euro durch den Vertrieb auf dem deutschen Markt bis zur Untersagung durch die einstweilige Verfügung. Bis Dezember 2007, dem für die Berechnung des entgangenen Gewinns maßgeblichen Zeitpunkt, ergebe sich insoweit ein entgangener Gewinn von 477.457,75 Euro. (Wegen der Einzelheiten der Schadensberechnung wird auf die Klageschrift und die überreichten Anlagen K4 - K6 verwiesen.)
Die Klägerin beantragt,
die Beklagten zu verurteilen, ihr den Schaden zu ersetzen, der ihr durch die Vollziehung der ungerechtfertigten einstweiligen Verfügung des Landgerichts Hamburg vom 09.06.2006 (AZ.: 312 O 447/06) entstanden ist; die Ermittlung der tatsächlichen Schadenshöhe wird in das Ermessen des Gerichts gestellt, sollte einen Betrag von 491.457,75 Euro zuzüglich Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 31.08.2009 jedoch nicht unterschreiten.
Die Beklagten beantragen,
die Klage abzuweisen.
Die Beklagten tragen vor:
Die damalige anwaltliche Bevollmächtigte der Klägerin habe bereits in einem Telefonat am 20.06.2006 vor der unstreitig am 06.07.2006 erfolgten förmlichen Zustellung der einstweiligen Verfügung vom 09.06.2010 mitgeteilt, dass das streitgegenständliche Modell unabhängig von der einstweiligen Verfügung aus der Kollektion genommen und der Vertrieb mit Ausnahme der bereits ausgelieferten Modelle eingestellt würde. Angesichts dieses freiwilligen Sortimentswechsels mangele es an einem ersatzfähigen Vollziehungsschaden. Im Übrigen habe die Klägerin auch nach der einstweiligen Verfügung durch marginale Änderungen das Modell "O" ersetzen sowie weitere sehr ähnliche Jeans-Modelle aus ihrer Kollektion ohne Umsatzverlust vertreiben können. Darüber hinaus sei das durch das Landgericht Hamburg mit einstweiliger Verfügung vom 09.06.2006 angeordnete Verbot jedenfalls aus §§ 97 Abs. 1, 23, 2 Abs. 1 Nr. 4 UrhG begründet und damit nicht als von Anfang an ungerechtfertigt anzusehen. Überdies habe die Klägerin etwaige Ansprüche inzwischen verwirkt.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die zwischen den Parteien gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen verwiesen.
Gründe
Die Klage ist unter keinem rechtlichen Gesichtspunkt gerechtfertigt.
1.
Die Klägerin kann den geltend gemachten Betrag nicht unter dem Gesichtspunkt des Vollziehungsschadens nach § 945 ZPO beanspruchen.
a)
Zwar steht aufgrund des Urteils des OLG Hamburg vom 27.03.2007 rechtskräftig fest, dass die einstweilige Verfügung mangels Vorliegen der materiellen Anspruchsvoraussetzungen der §§ 3, 4 Nr. 9 lit a, b, 8 Abs. 1, 3 Nr. 1 UWG nicht hätte ergehen dürfen.
Der Erstattungsfähigkeit des geltend gemachten entgangenen Gewinns als Vollziehungsschaden steht vorliegend jedoch entgegen, dass die Klägerin die Produktion des streitgegenständlichen Jeansmodells bereits vor Zustellung der einstweiligen Verfügung eingestellt hat.
Nicht zu den "Vollziehungsschäden" gehören die durch die Anordnung der einstweiligen Maßnahme entstandenen Schäden (Zöller/Vollkommer, ZPO, 28. Aufl., § 945 Rdnr. 14 a). Nicht ersatzfähig ist auch der aus freiwilliger Befolgung von Unterlassungsgeboten ohne Ordnungsmittelandrohung gemäß § 890 Abs. 2 entstandene Schaden (BGH NJW 1993, 1076). Ein nach § 945 ZPO ersatzfähiger Verfügungsschaden kann bereits eintreten, wenn der Verfügungskläger mit der Vollziehung begonnen hat. Bei Unterlassungsverfügungen leitet der Titelgläubiger die Vollstreckung durch die zur Wirksamkeit der Beschlussverfügung erforderliche Parteizustellung (§ 922 Abs. 2 ZPO) ein, wenn der zugestellte Titel die in § 890 Abs. 1 ZPO vorgesehenen Ordnungsmittel zugleich androht (BGH NJW 2006, 2767, 2768). Ein solcher Beginn der Vollziehung liegt vorliegend nicht vor.
Vorliegend stellte die Klägerin den Vertrieb des streitgegenständlichen Jeansmodells "O" noch vor Zustellung der einstweiligen Verfügung ein. Nach Mitteilung von Rechtsanwältin L in dem als Anlage B 21 überreichten außergerichtlichem Schreiben hatte sie sich "nach formloser Übersendung des Beschlusses des Landgerichts Hamburg dazu entschlossen ,das Modell "O" befristet im Hinblick auf den Ausgang des Verfahrens" aus der Kollektion zu nehmen. So wie die Klägerin selbst einräumt, war diese Einstellung des Vertriebs Ausdruck der beiderseitig angestrebten Vergleichsverhandlungen. Vollstreckungsdruck bestand zu diesem Zeitpunkt noch nicht. Die einstweilige Verfügung war noch nicht vollzogen. Vielmehr erfolgte die Zustellung des Beschlusses des Landgerichts Hamburg erst am 06.07.2006.
b)
Im Hinblick auf den geltend gemachten entgangenen Gewinn hat die Klägerin im Übrigen auch zur Höhe des geltend gemachten Schadens nicht hinreichend substantiiert vorgetragen. Zunächst scheidet die Erstattung des "entgangenen Gewinns" für die Zeit nach dem 14.03.2007 aus, weil der Verfügungsantrag am 14.03.2007 zurückgenommen wurde und damit die einstweilige Verfügung wirkungslos geworden ist (vgl. OLG Düsseldorf, NJW 1982, 2452, 2453). Ein nach diesem Datum durch den Verzicht auf die Wiederaufnahme des Vertriebs entgangener Gewinn kann nicht mehr kausal auf die Unterlassungsverfügung und die ungerechtfertigte Vollziehung zurückgeführt werden. Im Übrigen hat die Klägerin nicht hinreichend substantiiert Tatsachen zur Schätzung des entgangenen Gewinns vorgetragen. Sie hat lediglich Excel-Tabellen mit Jahresumsatzzahlen, Rabatten, Frachtkosten, Skonti und Vertreterprovisionen vorgelegt, wobei jeweils lediglich Prozentzahlen angegeben werden. Nicht nachvollziehbar ist, wie sich die einzelnen Positionen zusammensetzen. Die dargestellten Prozentzahlen können in keiner Weise nachvollzogen werden. Hinzu kommt, dass die Jahreszahlen nicht aussagekräftig sind. Die erzielten Umsätze dürften monatlich differieren.
c)
Soweit die Klägerin darüber hinaus Kosten für die von ihr in Auftrag gegebenen Meinungsumfragen geltend macht, scheidet eine Ersatzpflicht der Beklagten aus, weil es sich um außergerichtliche Kosten einer Partei im einstweiligen Verfügungsverfahren, das heißt um Kosten des Anordnungsverfahrens selbst handelt. Diese Positionen sind kein Bestandteil des im Rahmen von § 945 ZPO ersatzfähigen Vollziehungsschadens (vgl. BGH GRUR 1993, 998, 1000).
2.
Die Klägerin kann den geltend gemachten Schadensersatzanspruch auch nicht aus §§ 823ff, 826 BGB herleiten. Im Hinblick darauf, dass die einstweilige Verfügung erstinstanzlich erlassen und bestätigt wurde, bestehen keine Anhaltspunkte dafür, dass die Beklagten zielgerichtet in das Recht der Klägerin am eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb eingreifen bzw. sie vorsätzlich schädigen wollten.
3.
Die prozessualen Nebenentscheidungen ergeben sich aus §§ 91, 709 ZPO.
W T S
LG Düsseldorf:
Urteil v. 12.01.2011
Az: 12 O 50/10
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