Landessozialgericht Nordrhein-Westfalen:
Urteil vom 13. Juni 2007
Aktenzeichen: L 12 AL 163/06
(LSG Nordrhein-Westfalen: Urteil v. 13.06.2007, Az.: L 12 AL 163/06)
Tenor
Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Sozialgerichts Köln vom 27.09.2006 geändert und die Klage abgewiesen. Außergerichtliche Kosten sind in beiden Rechtszügen nicht zu erstatten. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Streitig ist die Höhe der von der Beklagten an die Klägerin nach einer Abhilfe im Widerspruchsverfahren zu erstattenden Kosten.
Die Klägerin meldete sich am 19.11.2003 mit Wirkung zum 01.12.2003 arbeitslos. Zu diesem Zeitpunkt war auf ihrer Steuerkarte die Steuerklasse IV eingetragen. Mit einer Veränderungsmitteilung unter dem Datum vom 24.11.2003 informierte die Klägerin die Beklagte darüber, dass sie ihre Steuerklasse mit Wirkung zum 01.01.2004 geändert hat in die Steuerklasse V. Diese Veränderungsmitteilung beachtete die Beklagte bei der Leistungsbewilligung nicht, sondern bewilligte der Klägerin auch ab Januar 2004 Arbeitslosengeld nach der Leistungsgruppe A. Durch Bescheid vom 24.05.2005 hob die Beklagte die Leistungsbewilligung rückwirkend teilweise auf in Höhe der Differenz zwischen den Leistungsgruppen A und D. Für den Zeitraum vom 01. Januar 2004 bis 06.04.2005 forderte die Beklagte einen Erstattungsbetrag von 3.325,56 EUR.
Die Klägerin legte durch ihren Bevollmächtigten Widerspruch ein und wies darauf hin, dass sie die Beklagte rechtzeitig über die geänderte Steuerklasse informiert habe. Außerdem legte der Bevollmächtigte dar, dass die Voraussetzungen für eine rückwirkende Aufhebung nicht gegeben seien. Die Beklagte übersandte daraufhin ein Anhörungsschreiben zur rückwirkenden Aufhebung. Der Bevollmächtigte, der Akteneinsicht genommen hatte, verwies in einem weiteren Schreiben auf die in der Verwaltungsakte enthaltene rechtzeitige Veränderungsmitteilung der Klägerin. Die Beklagte half dem Widerspruch durch den Abhilfebescheid vom 07.09.2005 ab und erklärte sich zur Erstattung der entstandenen Kosten des Widerspruchsverfahrens bereit, soweit diese Kosten notwendig und nachgewiesen seien.
Der Bevollmächtigte übersandte der Beklagten eine Rechnung in Höhe von 533,60 EUR, die sich wie folgt zusammensetzt:
Geschäftsgebühr § 3 Rechtsanwaltsvergütungsgesetz (RVG) 240,00 EUR Erledigungsgebühr 200,00 EUR Pauschale für Entgelte für Post- und Telekommunikationsdienstleistungen 20.00 EUR = 460,00 EUR 16 % Mehrwertsteuer 73.60 EUR = 533,60 EUR
Mit Bescheid vom 22.09.2005 setzte die Beklagte die nach § 63 Sozialgesetzbuch Zehntes Buch (SGB X) zu erstattenden Kosten des Widerspruchsverfahrens auf insgesamt 301,60 EUR fest. Dabei berücksichtigte sie nur die Geschäftsgebühr von 240,00 EUR , die Pauschale für Entgelte für Post- und Telekommunikationsdienstleistungen von 20,00 EUR sowie die Mehrwertsteuer von 16 % (41.60 EUR). Die Erstattung einer Erledigungsgebühr lehnte die Beklagte ab.
Dagegen legte die Klägerin Widerspruch ein. Sie vertrat die Auffassung, dass sich die Sache im Widerspruchsverfahren aufgrund anwaltlicher Mitwirkung erledigt habe.
Durch Widerspruchsbescheid vom 20.10.2005 wies die Beklagte den Widerspruch als unbegründet zurück. Eine Erledigungsgebühr solle die besondere Mühewaltung des Rechtsanwalts honorieren, die er aufgewandt habe, um das Verwaltungsverfahren zu einem günstigen Ende für den Mandanten zu bringen. Deshalb sei eine Mitwirkung des Rechtsanwalts erforderlich, die nicht nur allgemein auf eine Verfahrensförderung gerichtet sei, sondern auf den besonderen Erfolg in Gestalt einer Erledigung der Sache abziele und für diese Erledigung vorrangig mitursächlich sei. Die Erhöhung des Gebührenrahmens komme nach der ständigen Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) nur in Betracht, wenn von einer vergleichsähnlichen Erledigung des Verwaltungsverfahrens auszugehen sei. An einem gegenseitigen Nachgeben fehle es, wenn einem Widerspruch voll abgeholfen werde, wie im vorliegenden Widerspruchsverfahren. Das Einlenken der Behörde als Folge schriftlicher oder mündlicher Ausführungen des Rechtsanwalts im Widerspruchsverfahren verdiene demnach noch keine Erledigungsgebühr.
Dagegen hat die Klägerin am 08.11.2005 vor dem Sozialgericht Köln (SG) Klage erhoben. Sie hat geltend gemacht, dass nach dem neuen Gebührenrecht bereits eine Abhilfe eine Erledigungsgebühr rechtfertige. Die Beklagte verkenne, dass es hier nicht um eine Einigungsgebühr gehe, für die ein gegenseitiges Nachgeben erforderlich sei.
Die Klägerin hat beantragt,
den Bescheid der Beklagten vom 22.09.2005 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 20.10.2005 abzuändern und die Beklagte zu verurteilen, ihr 533,60 EUR an Kosten für das Widerspruchsverfahren zu erstatten.
Die Beklagte hat beantragt,
die Klage abzuweisen.
Sie sieht ihre Rechtsauffassung bestätigt durch ein Urteil des Landessozialgerichts Nordrhein Westfalen vom 29.09.2005 (Az.: L 2 KR 43/05).
Durch Urteil vom 27.09.2006 hat das SG die Beklagte antragsgemäß verurteilt. Zur Begründung hat es im Wesentlichen ausgeführt, dass der Klägerin entgegen der Ansicht der Beklagten die Erstattung der Erledigungsgebühr nach Nrn. 1005, 1002 Vergütungsverzeichnis (VV) RVG zustehe, weil es sich bei diesem Gebührentatbestand um eine Erfolgsgebühr handele, für die eine Mitwirkung eines Rechtsanwalts ausreicht, die auf eine allgemeine Verfahrensförderung gerichtet sei. Es bedürfe keiner sonstigen qualifizierten anwaltlichen Mitwirkung. Die Tätigkeit des Bevollmächtigten der Klägerin habe im vorliegenden Widerspruchsverfahren zur Beendigung des Verwaltungsverfahrens geführt. Der Bevollmächtigte habe umfangreiche rechtliche Ausführungen zu Voraussetzungen einer rückwirkenden Aufhebung einer Leistungsbewilligung gemacht. Insbesondere gehe es auf die Akteneinsicht des Bevollmächtigten und des daraufhin von ihm gegebenen Hinweises an die Beklagten zurück, dass die Beklagte die in der Akte enthaltene rechtzeitige Veränderungsmitteilung der Klägerin hinsichtlich ihrer Steuerklasse zur Kenntnis genommen habe. Diese Mitwirkungshandlungen reiche aus, um die Voraussetzungen für die Festsetzung einer Erledigungsgebühr zu begründen.
Das Urteil ist der Beklagten am 26.10.2006 zugestellt worden. Am 10.11.2006 hat sie die vom SG zugelassene Berufung eingelegt. Zur Begründung trägt sie im wesentlichen vor: Entgegen der Auffassung des Sozialgerichts lägen die Voraussetzungen für das Entstehen einer Erledigungsgebühr nicht vor. Es sei in erster Linie auf die Gesetzesbegründung zu Nr. 1002 VV RVG zu verweisen (BT-Drs. 15/1971). Danach ersetze die Nr. 1002 VV RVG die Vorgängerregelung des § 24 Bundesrechtsanwaltsgebührenordnung (BRAGO). In der zu § 24 BRAGO entstandenen Rechtsprechung sei weit überwiegend von dem Erfordernis eines zusätzlichen Tätigwerdens des Anwalts, welches auf eine nichtstreitige Erledigung gerichtet sein müsse, ausgegangen worden. Ein zusätzliches Tätigwerden liege hier jedoch nicht vor. Der Bevollmächtigte habe den Rechtsbehelf lediglich fristwahrend erhoben und nach Akteneinsicht unter Hinweis auf die rechtzeitig erfolgte Mitteilung zur Steuerklassenänderung begründet. Außerdem sei die anwaltliche Tätigkeit nicht ursächlich für die Abhilfeentscheidung gewesen. Die Klägerin habe bereits in ihrem weiteren Antrag auf Arbeitslosengeld nach Beendigung des Kuraufenthalts ausdrücklich auf die geänderte Steuerklasse hingewiesen. Zudem habe sie bereits vor Zugang des fristwahrenden Widerspruchs nochmals gezielt auf die Änderung in den Verhältnissen hingewiesen. Demzufolge sei die Tätigkeit des Bevollmächtigten nicht wesentlich für den Entschluss der Beklagten gewesen, dem Widerspruch abzuhelfen. Außerdem sieht sich die Beklagte in ihrer Auffassung bestätigt durch die Urteile des Bundessozialgerichts - BSG - vom 07.11.2006 (B 1 KR 23/06 R) und 21.03.2007 (B 11a AL 53/06 R).
Die Beklagte beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Köln vom 27.09.2006 zu ändern und die Klage abzuweisen.
Die Klägerin beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie hält das Urteil des SG für zutreffend. Für eine Auslegung wie sie das BSG vornehme bestehe nach dem Wortlaut der Nr. 1005 VV zum RVG kein Raum.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird Bezug genommen auf den Inhalt der Gerichtsakten und der Verwaltungsakten der Beklagten. Diese Akten waren Gegenstand der mündlichen Verhandlung.
Gründe
Die vom SG zugelassenen und auch ansonsten zulässige Berufung ist begründet. Die Klage ist abzuweisen, weil der angefochtene Bescheid nicht rechtwidrig ist. Zu Unrecht hat das SG die Beklagte verurteilt, der Klägerin höhere Kosten zu erstatten.
Gegenstand des Verfahrens ist allein die Entscheidung darüber, in welcher Höhe die zu erstattenden Aufwendungen festzusetzen sind (§ 63 Abs. 3 S. 1 SGB X). Denn die Beklagte hat durch Bescheid vom 07.09.2005 bindend festgestellt, dass der Klägerin die Kosten des Vorverfahrens dem Grunde nach zu erstatten sind. Darüber hinaus hat sie auch die Notwendigkeit der Zuziehung eines Rechtsanwalts anerkannt (§ 63 Abs. 3 S. 2 SGB X).
Entgegen der Auffassung des SG kann die Klägerin einen höheren Kostenerstattungsanspruch wegen der Aufwendungen für das Vorverfahren nicht geltend machen, denn eine Erledigungsgebühr nach Nr. 1005 VV RVG ist nicht entstanden. Die Beklagte hat mit dem angefochtenen Bescheid den Betrag der zu erstattenden Aufwendungen zu Recht mit 301,60 EUR festgesetzt. Nach § 2 Abs. 2 Satz 1 RVG bestimmt sich die Höhe der Vergütung nach dem VV der Anlage 1 zum RVG. Ein gegenüber der Festsetzung durch die Beklagte höherer Erstattungsbetrag käme nur in Betracht, wenn zusätzlich eine Erledigungsgebühr angefallen wäre. Eine derartige Gebühr kann die Klägerin jedoch nicht verlangen, weil die Voraussetzung der Nr. 1005 VV i.V.m. Nr. 1002, dass sich die Rechtssache durch die anwaltliche Mitwirkung erledigt hat, nicht vorliegt. Insoweit hat der 1. Senat des BSG unter Zugrundelegung des Wortlauts, der systematischen Zusammenhänge mit vergleichbaren Gebührenpositionen, Sinn und Zweck der Regelung sowie ihrer Entstehungsgeschichte entschieden, dass die Gebührenposition im Widerspruchsverfahren regelmäßig eine Tätigkeit verlangt, die über die bloße Einlegung und Begründung des Widerspruchs hinausgeht (Urteile vom 07.11.2006 - B 1 KR 23/06 R -, - B 1 KR 22/06 R - und - B 1 KR 13/06 R - mit zustimmender Anmerkung Keller, jurisPR-SozR 5/2007 Nr 6;). Der für das Arbeitsförderungsrecht zuständige 11a Senat des BSG hat sich dem angeschlossen (Urteil vom 21.03.2007 - B 11a AL 53/06 R -) und auch der erkennende Senat hält diese Rechtsprechung für überzeugend.
Ebenso wie in den vom BSG entschiedenen Fällen hat auch hier der Prozessbevollmächtigte der Klägerin im Vorverfahren keine Tätigkeit entfaltet, die auf eine Erledigung gerichtet gewesen und über das Maß dessen hinausgegangen wäre, das schon durch den allgemeinen Gebührentatbestand der Geschäftsgebühr für das anwaltliche Auftreten im sozialrechtlichen Widerspruchsverfahren abgegolten wird. Seine Tätigkeit beschränkte sich auf die Einlegung und Begründung des Widerspruchs unter kurzer Darlegung seines Rechtsstandpunktes und der Wiederholung dieses Standpunkts in einem weiteren kurzen Schriftsatz nach der Akteneinsicht. Auf die Frage, ob die Mitwirkungshandlung für die streitlose Erledigung des Vorverfahrens ursächlich gewesen ist, kommt es dementsprechend auch hier nicht mehr an (vgl. auch BSG 21.03.2007 - B 11a AL 53/06 R -).
Die Kostenentscheidung folgt aus den §§ 183, 193 SGG.
Die Revision wird nicht zugelassen, weil die Voraussetzungen des § 160 Abs. 2 Nrn. 1 oder 2 SGG nicht vorliegen. Die vom SG noch angenommene grundsätzliche Bedeutung liegt nach der höchstrichterlichen Klärung der Rechtsfragen durch das BSG nicht mehr vor.
LSG Nordrhein-Westfalen:
Urteil v. 13.06.2007
Az: L 12 AL 163/06
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