Bundesverfassungsgericht:
Beschluss vom 29. März 2002
Aktenzeichen: 1 BvQ 9/02
(BVerfG: Beschluss v. 29.03.2002, Az.: 1 BvQ 9/02)
Tenor
Die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs gegen den Bescheid der Hansestadt Lübeck vom 12. März 2002 - 3.324.1.28.10 Pr - wird unter teilweiser Aufhebung der vorbezeichneten Gerichtsentscheidungen mit der Maßgabe wieder hergestellt, dass bei dem Aufzug bis zu zehn schwarze Trauerfahnen mitgeführt werden dürfen.
Der weiter gehende Antrag wird abgelehnt.
Die Kosten des Verfahrens werden nach einem Gegenstandswert von 4.000 Euro zur Hälfte dem Land Schleswig-Holstein auferlegt.
Gründe
Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung betrifft den versammlungsbehördlich angeordneten Sofortvollzug von zwei Auflagen. Die Kammer hat die Begründung ihrer Entscheidung, soweit sie sich auf die Auflage Nr. 8 - das Mitführen von Fahnen - bezieht, gemäß § 32 Abs. 5 Satz 2 in Verbindung mit § 93 d Abs. 2 BVerfGG nach Bekanntgabe des Beschlusses schriftlich abgefasst.
I.
Der Antragsteller beabsichtigt die Durchführung eines Trauermarsches mit Kundgebungen zum Thema "Gegen das Vergessen - im Gedenken an den alliierten Massenmord am 29. März 1942 in Lübeck!". Diese Demonstration soll nach den Angaben des Antragstellers der Erinnerung an einen schweren Bombenangriff auf Lübeck dienen.
1. Der Aufzug wurde durch Bescheid der Versammlungsbehörde vom 12. März 2002 mit zwölf Auflagen in seinen Modalitäten nachhaltig verändert, so hinsichtlich der Marschroute und der äußeren Aufmachung der Versammlungsteilnehmer. Zu den Auflagen zählte auch das Verbot der Benutzung von Fahnen - außer der Bundesflagge und den Fahnen der deutschen Bundesländer - und von Transparenten strafbaren Inhalts sowie des Einsatzes von Lautsprecherwagen. Der Antragsteller hat die Auflagen nur zum Teil gerichtlich angegriffen. Verwaltungsgericht und Oberverwaltungsgericht haben seinem Antrag auf Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung des Widerspruchs hinsichtlich der angegriffenen Auflagen teilweise entsprochen.
Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung hinsichtlich der Auflage Nr. 8 zielt auf die Möglichkeit zum Mitführen schwarzer Trauerfahnen bei dem Aufzug. Die Versammlungsbehörde hat diese Auflage damit begründet, dass mit dem beabsichtigten Mitführen von schwarzen Fahnen eine eindeutige Symbolik verbunden sei, die eine extrem starke Anbindung an entsprechende Aufzüge im Nationalsozialismus enthalte. Hierin sei eine Gefahr für die öffentliche Ordnung zu sehen, die nicht hingenommen werden könne. Die Angabe des Antragstellers, es handele sich um Trauerfahnen, wird angesichts seiner rechtsextremistischen Motivation als Schutzbehauptung angesehen. Nach Ansicht der Versammlungsbehörde entspricht die Regelung früheren Beschlüssen des Bundesverfassungsgerichts.
Verwaltungsgericht und Oberverwaltungsgericht sind dieser Argumentation der Versammlungsbehörde, ebenfalls unter ausdrücklicher Berufung auf das Bundesverfassungsgericht, gefolgt und haben insbesondere ausgeführt, die Verwendung der Fahnen geschehe in Anlehnung an Aufzüge nationalsozialistischer Prägung und solle zugleich der Einschüchterung dienen.
2. Der Antragsteller legt dar, dass es der Versammlung auf Grund der vielen Auflagen unmöglich sei, ihre Botschaft Dritten angemessen zu vermitteln. Es gebe keinen rechtlich tragfähigen Grund, neben den anderen Verboten auch noch das Mitführen von Trauerfahnen zu untersagen, zumal die Zahl begrenzt werden könne.
II.
Die Voraussetzungen des § 32 Abs. 1 BVerfGG liegen vor.
1. Ist die Durchführung der Versammlung - wie hier - im Übrigen möglich, liegt zwar ein schwerer Nachteil im Sinne des § 32 Abs. 1 BVerfGG regelhaft nicht allein in dem Erlass von Auflagen nach § 15 Abs. 1 VersG (vgl. BVerfG, Beschlüsse der 1. Kammer des Ersten Senats vom 4. November 2000 - 1 BvQ 31/00 - und vom 9. Februar 2001 - 1 BvQ 10/01 -, veröffentlicht in Juris). Der Erlass der einstweiligen Anordnung ist im vorliegenden Fall jedoch ausnahmsweise mit dem Blick auf die objektive Funktion des Eilrechtsschutzes im verfassungsgerichtlichen Verfahren, und zwar im Interesse der Klarstellung der verfassungsrechtlichen Maßstäbe, und insofern aus einem anderen wichtigen Grund zum gemeinen Wohl dringend geboten.
a) Das in der nach § 15 Abs. 1 VersG ergangenen Auflage enthaltene Verbot des Mitführens einer angemessenen Anzahl schwarzer Fahnen stellt einen offensichtlichen Verstoß gegen Art. 8 Abs. 1 GG dar. Nachvollziehbare tatsächliche Anhaltspunkte für das Gefahrenpotential des Mitführens der Fahnen werden nicht angegeben. Dass schwarze Fahnen eine eindeutig auf den Nationalsozialismus bezogene Symbolik haben, ist allgemein ebenso wenig nachvollziehbar wie im konkreten Fall die Annahme, sie erhielten diesen Aussagengehalt durch das spezifische Erscheinungsbild des Aufzuges. Tatsächliche Anhaltspunkte für die angenommene einschüchternde Wirkung des Mitführens der Fahnen oder für sonstige Gefährdungen der öffentlichen Sicherheit und Ordnung werden ebenfalls nicht benannt.
b) Die streitige Auflage und die Versagung der Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung des Widerspruchs werden unter grundlegender Fehlinterpretation der einschlägigen verfassungsgerichtlichen Rechtsprechung begründet.
aa) Mit der von der Behörde und den Gerichten gegebenen Begründung könnte praktisch jede Versammlung rechtsextremistischer Veranstalter ohne konkreten Nachweis einer Gefahr unter Berufung auf § 15 VersG mit Auflagen versehen werden, selbst wenn diese das Versammlungsanliegen weitestgehend vereiteln. Die Auflage der Versammlungsbehörde beruht ohne nähere Begründung im Tatsächlichen auf der Behauptung einer Verletzung der öffentlichen Ordnung bei rechtsextremistischen Aufzügen. Könnten Einschränkungen der Versammlungsfreiheit stets auf solche Weise gerechtfertigt werden, wären Inhalt und Anzahl der Auflagen keine Grenzen gesetzt und das Versammlungsrecht derartiger Veranstalter wäre generell weitgehend ausgehöhlt.
bb) Indem die streitige Auflage mit der Begründung gerechtfertigt wird, sie sei aufgrund der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts gerechtfertigt, wird diese Rechtsprechung für ein Ergebnis herangezogen, das sie ersichtlich nicht tragen soll.
Soweit das Bundesverfassungsgericht entsprechende Auflagen der Versammlungsbehörde nach § 15 Abs. 1 VersG oder Maßgaben der Fachgerichte nach § 80 Abs. 5 Satz 4 VwGO in anderen Verfahren nicht beanstandet und in dem Tenor seiner Eilrechtsentscheidung bekräftigt oder eine entsprechende Beschränkung als Maßgabe nach § 32 Abs. 1 BVerfGG eigenständig vorgesehen hat, geschah dies nach den Grundsätzen des Eilrechtsschutzes. Darauf hat das Gericht verschiedentlich ausdrücklich hingewiesen und hinzugefügt, dass die Überprüfung der Rechtmäßigkeit solcher Auflagen nach § 15 Abs. 1 VersG den Fachgerichten im Hauptsacheverfahren vorbehalten bleibt (vgl. BVerfG, 1. Kammer des Ersten Senats, NJW 2001, S. 2076 <2078>; S. 2078 <2079>; Beschluss vom 4. November 2000 - 1 BvQ 31/00 -, veröffentlicht in Juris). Das Bundesverfassungsgericht hat Beschränkungen der Modalitäten der Versammlungsdurchführung im Rahmen der Folgenabwägung nach § 32 Abs. 1 BVerfGG allein daraufhin geprüft, ob sie zu einer hinreichenden Gefahrenminderung beitragen können (vgl. BVerfG, 1. Kammer des Ersten Senats, NJW 2001, S. 2072 <2075>; S. 2076 <2078>). Es hat dementsprechend beschränkende Maßgaben im Zuge der im Eilrechtsschutz nur in Grenzen möglichen Überprüfung unter Berücksichtigung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit hingenommen oder selbst angeordnet, wenn sie eine mildere Maßnahme zur Gefahrenabwehr darstellten als ein Versammlungsverbot. Eine Prüfung der tatbestandlichen Voraussetzungen einer versammlungsrechtlichen Auflage nach § 15 VersG ist insoweit nicht erfolgt.
Zu Grunde lagen Fallgestaltungen, bei denen entweder die entsprechende Auflage vom Antragsteller gar nicht im Eilrechtsschutzverfahren angegriffen worden war oder bei denen die gerichtliche Vorinstanz eine entsprechende Auflage nicht beanstandet oder sie eigenständig als Maßgabe im Eilrechtsschutz erlassen hatte (vgl. BVerfG, 1. Kammer des Ersten Senats, NJW 2001, S. 2072 <2073>; S. 2076 <2078>). Nur ausnahmsweise hat das Bundesverfassungsgericht eine entsprechende Maßgabe auf der Grundlage des § 32 Abs. 1 BVerfGG selbst vorgesehen, und zwar bisher in Situationen, in denen die Voraussetzungen einer Gefahr für die öffentliche Sicherheit gegeben waren (vgl. BVerfG, 1. Kammer des Ersten Senats, NJW 2001, S. 1407; NVwZ 2000, S. 1406).
Im vorliegenden Fall stützen die Behörde und die Gerichte die Auflage auf einen Verstoß allein gegen die öffentliche Ordnung. Zwar ist es nicht ausgeschlossen, Auflagen nach § 15 Abs. 1 VersG zur Abwehr einer Gefahr für die öffentliche Ordnung vorzusehen (vgl. BVerfGE 69, 315 <353>; vgl. BVerfG, 1. Kammer des Ersten Senats, NJW 2001, S. 1409 <1410>). Soweit eine Auflage sich auf den Inhalt einer Aussage bezieht - dies ist bei der Berufung auf die Gefahrträchtigkeit des Symbolgehalts einer Fahne der Fall -, ist sie auch am Maßstab des Art. 5 Abs. 1, 2 GG zu beurteilen (vgl. BVerfG, 1. Kammer des Ersten Senats, NJW 2001, S. 2069 <2070>). Die Äußerung verliert den Schutz des Art. 5 Abs. 1 GG nicht allein wegen rechtsextremistischer Inhalte, es sei denn, sie sind strafbar.
Die Aussage des Oberverwaltungsgerichts, nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts stehe außer Frage, dass die Verwertung solcher Symbole wie Trauerfahnen in Anlehnung an Aufzüge nationalsozialistischer Prägung erfolgen und dadurch zugleich der Einschüchterung dienen sollen, findet in den ergangenen Kammerbeschlüssen ebenfalls keine Stütze.
2. Das Mittragen von schwarzen Trauerfahnen wird auf zehn Fahnen begrenzt. Damit wird die Anregung des Antragstellers aufgegriffen, die Zahl der Fahnen gegebenenfalls festzulegen.
3. Die Entscheidung über die Erstattung der Auslagen beruht auf § 34 a Abs. 3 BVerfGG, die Festsetzung des Werts des Gegenstands der anwaltlichen Tätigkeit auf § 113 Abs. 2 Satz 3 BRAGO.
Diese Entscheidung ist unanfechtbar.
BVerfG:
Beschluss v. 29.03.2002
Az: 1 BvQ 9/02
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