Oberlandesgericht Köln:
Urteil vom 4. Dezember 1992
Aktenzeichen: 6 U 32/92
(OLG Köln: Urteil v. 04.12.1992, Az.: 6 U 32/92)
Bittet ein Endverbraucher auf einer vorgedruckten "Anforderungskarte" um die Óbersendung von Prospektmaterial eines Anbieters von Heizsystemen, ohne hierbei die in der Anforderungskarte vorgesehene Zeile "Telefonnummer" auszufüllen, verstößt es gegen die guten Sitten im Wettbewerb, wenn der Anbieter Telefonkontakt zu dem Einsender herstellt. In der Zusendung der "Anforderungskarte" als solcher liegt weder ausdrücklich noch konkludent die Einverständniserklärung mit dieser Art der Akquisition.
Tenor
Die Berufung der Beklagten gegen das am 14. Januar 1992 verkündete Urteil der 1. Kammer für Handelssachen des Landgerichts Köln - 81 O 52/91 - wird zurückgewiesen. Die Kosten des Berufungsverfahrens werden der Beklagten auferlegt. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Die Beschwer der Beklagten wird auf 15.000,00 DM festgesetzt.
Gründe
E n t s c h e i d u n g s g r ü n
d e
Die Berufung der Beklagten ist
zulässig; sie hat jedoch in der Sache keinen Erfolg.
Das Landgericht hat die Beklagte zu
Recht verurteilt, es zu unterlassen, im geschäftlichen Verkehr zu
Zwecken des Wettbewerbs private Endverbraucher unaufgefordert und
ohne deren Einverständnis anzurufen.
Entgegen der Auffassung der Beklagten,
die diese zumindest erstinstanzlich vertreten hat, ist der klagende
Verbraucherverband gem. § 13 Abs. 2 Nr. 3 UWG befugt, den auf § 1
UWG gestützten Anspruch auf Unterlassung wettbewerbswidriger
Anrufe bei Endverbrauchern geltend zu machen. Nach § 13 Ab. 2 Nr.
3 Satz 2 UWG erstreckt sich die Klagebefugnis der
Verbraucherverbände auch auf die Beanstandung sittenwidrigen
Wettbewerbsverhaltens gem. § 1 UWG, sofern hierdurch wesentliche
Belange der Verbraucher berührt werden. Zweck der Regelung ist es,
Verbraucherverbänden die Möglichkeit zu geben, gegen
Wettbewerbshandlungen vorzugehen, die eine Beeinträchtigung der
Interessen der Verbraucher befürchten lassen (BGH GRUR 1989, 753 -
Telefonwerbung II; BGH GRUR 1990, 280, 281 - Telefonwerbung III).
Daran ändert auch nichts, daß - nach den Behauptungen der Beklagten
- mehrere Tausend andere Kunden sich nicht belästigt gefühlt
hätten, da für die Klagebefugnis des Verbandes nicht erforderlich
ist, daß das beanstandete Wettbewerbsverhalten eine größere Anzahl
von Verbrauchern betrifft. Entscheidend für die Klagebefugnis des
Verbandes ist vielmehr, daß das Wettbewerbsverhalten, bliebe es
unbeanstandet, Verbraucherinteressen nicht nur am Rande berührt,
sondern die Beeinträchtigung wesentlicher Belange der Verbraucher
zur Folge hätte (BGH GRUR 1990, 280, 281 - Telefonwerbung III).
Werbemethoden, die wie Telefonwerbung, zu der kein Einverständnis
erteilt worden ist, auf eine anstößige psychologische
Beeinflussung von Verbrauchern angelegt sind und sich durch das
ungebetene Eindringen in die Privatsphäre auszeichnen, würden,
wenn sie nicht beanstandet würden, aufgrund ihrer Effektivität
durch die unmittelbare Ansprachemöglichkeit der Verbraucher sich
in einem Maße ausbreiten, daß die persönlichen Belange der
Verbraucher in erheblicher Weise betroffen wären
(Baumbach/Hefermehl UWG, 16. Aufl., § 13 Rnr. 43). Daher kommt es
nicht darauf an, ob einzelne Verbraucher Telefonanrufe der
Beklagten nicht als Belästigung empfunden haben. Aufgrund der
dargelegten abstrakten erheblichen Beeinträchtigung von
Verbraucherinteressen durch Telefonwerbung ist die Klagebefugnis
des Klägers gegeben.
Der geltend gemachte
Unterlassungsanspruch ergibt sich aus § 1 UWG. Das
Wettbewerbsverhalten der Beklagten, Endverbraucher, die das
Anforderungsheft des H.-Verlages ohne Angabe der Telefonnummer
einsenden, anzurufen, verstößt gegen die guten Sitten und ist
insofern wettbewerbswidrig im Sinne von § 1 UWG. Das gilt auch
dann, wenn zuvor schriftlich um Óbersendung von
Informationsmaterial gebeten worden ist. Der Ansicht der
Beklagten, in einem solchen Fall sei der Anruf des
Gewerbetreibenden nicht wettbewerbswidrig, kann nicht gefolgt
werden. Ein Verhalten im Wettbewerb verstößt nicht allein gegen die
guten wettbewerblichen Sitten, wenn es dem Anstandsgefühl der
redlichen und verständigen Mitbewerber des betreffenden
Gewerbezweiges widerspricht, sondern auch dann, wenn die
Werbemaß-nahme von der Allgemeinheit, die Verbraucher
eingeschlossen, mißbilligt und für untragbar angesehen wird; denn §
1 UWG soll nicht nur die Mitbewerber vor unlauterem Wettbewerb
schützen, sondern auch die Allgemeinheit vor Auswüchsen des
Wettbewerbs bewahren (BGH GRUR 1990, 280, 281 - Telefonwerbung III
m. w. N.). Zur Beurteilung des Maßstabs für das, was der
Allgemeinheit nicht mehr zumutbar ist, ist der verfassungsmäßige
Schutz des privaten Bereichs des einzelnen heranzuziehen. Dabei
steht der Schutz der Individualsphäre im Vordergrund gegenüber dem
wirtschaftlichen Gewinnstreben einzelner (BGH GRUR 1970, 523 -
Telefonwerbung I; BGH GRUR 1989, 753 - Telefonwerbung II; BGH
GRUR 1990, 280, 281 - Telefonwerbung III).
Bei einer Zulassung solcher
telefonischer Werbemethoden besteht die Gefahr einer
unerträglichen Belästigung der Verbraucher, da aus Gründen des
Wettbewerbs eine Vielzahl von Unternehmen diese leichte, wenig
kostspielige und unmittelbare Methode der Ansprache potentieller
Kunden aufgreifen würde. Der Angerufene dagegen kann erst nach
Entgegennahme des Anrufs erkennen, ob ein gewünschter oder ein
unerwünschter Gesprächspartner ihn sprechen möchte. Der unerbetene
Anruf stellt daher einen Mißbrauch des Telefonanschlusses dar und
läßt diese Art der Werbung als unzulässig erscheinen. Die
berechtigten Interessen der gewerblichen Wirtschaft, ihre Produkte
werbemäßig anzupreisen, erfordern es angesichts der Vielfalt der
Werbemethoden nicht, mit der Werbung auch in den privaten Bereich
des umworbenen Verbrauchers einzudringen.
Bestehende geschäftliche Beziehungen
zum privaten Endverbraucher rechtfertigen keine andere
Beurteilung, so daß es nicht darauf ankommt, ob eine solche
Beziehung durch die schriftliche Bitte der Eheleute G. um
Zusendung von Informationsmaterial hergestellt worden ist.
Telefonwerbung ist nur dann
ausnahmsweise zulässig, wenn der Verbraucher vorher ausdrücklich
oder konkludent sein Einverständnis dazu gegeben hat, zu
Werbezwecken angerufen zu werden.
Ein ausdrückliches Einverständnis der
Eheleute G. liegt nicht allein schon in der Anforderung von
Prospekten durch Einsenden des Anforderungsheftes. Denn damit
wollten sie gerade nur schriftliches Material bekommen, um in Ruhe
und ungestört die verschiedenen Angebote mehrerer Hersteller
vergleichen zu können und danach zu entscheiden, ob und welche
weiteren Schritte sie hinsichtlich der einzelnen Gewerke
unternehmen, mit welchem Gewerbetreibenden sie zu weiteren
Informationen oder auch zum Zwecke der Erstellung eines speziellen
Angebotes näheren Kontakt aufnehmen wollten. Durch die Anforderung
von schriftlichem Informationsmaterial wird nicht ein
Einverständnis zu Anrufen oder fernmündlichen Informationen
gegeben. Ein ausdrückliches Einverständnis ergibt sich auch nicht
daraus, daß die Eheleute G. das Anforderungsheft des H.-Verlages
in Kenntnis des mit "zur Klarstellung" überschriebenen Passus auf
Seite 3 des Anforderungsheftes, in der eine
Einverständniserklä-rung auch mit einer telefonischen
Kontaktaufnahme durch die Firmen enthalten ist, eingesandt haben.
Abgesehen davon, daß es schon fraglich ist, ob ein flüchtiger
Durchschnittskunde diesen von dem Anforderungsblatt auf Seite 24
räumlich getrennten Passus überhaupt wahrnimmt, kann ein
Einverständnis nur dann angenommen werden, wenn die Telefonnummer
von dem Einsender auch tatsächlich angegeben wird.
Hierin kann auch kein konkludentes
Einverständnis des Verbrauchers gesehen werden. Ein privater
Endverbraucher erklärt sich mit seiner an einen Gewerbetreibenden
gerichteten schriftlichen Bitte um Óbersendung von
Informationsmaterial in der Regel nicht konkludent damit
einverstanden, von dem Gewerbetreibenden vor, bei oder nach
Óbersendung des Materials angerufen zu werden (BGH GRUR 1990, 280,
281 - Telefonwerbung III). Dies gilt auch dann nicht, wenn der
Endverbraucher die Rubrik "Telefonnummer" nicht ausdrücklich
durchgestrichen oder gar - wie die Beklagte meint - nicht mit
einem Zusatz "keine Telefonanrufe" versehen hat. Angesichts des
hohen Wertes der Privatsphäre müssen an die Annahme eines
konkludenten Einverständnisses hohe Anforderungen gestellt werden.
Es kann nicht im Belieben von Werbetreibenden liegen, ein solches
ohne weiteres anzunehmen, sondern es müssen deutliche konkrete
Anhaltspunkte gegeben sein. Der Kunde, der seine Telefonnummer -
gleichgültig aus welchen Gründen - nicht angibt, gibt dem
Werbeunternehmer keinerlei Anhaltspunkte dafür, daß er auch mit
Telefonanrufen einverstanden ist. Ein solches konkludentes
Einverständnis kann nur dann gegeben sein, wenn der Kunde neben
seiner Adresse auch seine Telefonnummer in der Erkenntnis mitteilt,
diese werde von dem werbenden Unternehmen zur Fortführung des
geschäftlichen Kontaktes genutzt (BGH GRUR 1989, 753, 754 -
Telefonwerbung II). Hat jedoch der Kunde - wie im vorliegenden
Fall - seine Telefonnummer nicht angegeben, so kann ein
Einverständnis auch nicht darin gesehen werden, daß er sich in der
Klausel auf Seite 3 der Werbebroschüre grundsätzlich u. a. mit
telefonischen Kontakten einverstanden erklärt hat. Allein die
Tatsache, daß die Eheleute G. ihre Telefonnummer nicht angegeben
haben, läßt hinreichend erkennen, daß sie telefonische
Kontaktaufnahmen ablehnen, so daß es nicht erforderlich ist, daß
sie zur Abwehr derartiger telefonischer Werbemaßnahmen das
Anforderungsheft mit besonderen handschriftlichen Vermerken
versehen müssen. Vielmehr gibt der Verbraucher alleine dadurch,
daß er seine Telefonnummer nicht angibt, hinreichend zu erkennen,
daß er - aus welchen Gründen auch immer - nicht angerufen zu werden
wünscht. Damit ist die Klausel auf Seite 3 des Anforderungsheftes -
soweit sie vom Verbraucher überhaupt gelesen ist - erkennbar von
dem Verbraucher nicht gebilligt und ein eventuell daraus
herleitbares Einverständnis nicht gegeben.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 97
Abs. 1 ZPO.
Die übrigen Nebenentscheidungen ergehen
nach §§ 708 Nr. 10, 713, 546 Abs. 2 ZPO.
Für die von der Beklagten angeregte
Zulassung der Revision gem. § 546 Abs. 1 Nr. 2 ZPO hat der Senat
keine Veranlassung gesehen, da die Rechtssache keine grundsätzliche
Bedeutung hat. Der Senat weicht mit dieser Entscheidung nicht von
der ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes ab. Soweit im
vorliegenden Fall darüber hinaus Einzelfragen zu entscheiden
waren, haben sie keine über den Einzelfall hinausgehende
Bedeutung.
OLG Köln:
Urteil v. 04.12.1992
Az: 6 U 32/92
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