Oberlandesgericht Frankfurt am Main:
Beschluss vom 2. Juni 2008
Aktenzeichen: 6 W 34/08
(OLG Frankfurt am Main: Beschluss v. 02.06.2008, Az.: 6 W 34/08)
Jedenfalls nach den im Eilverfahren bestehenden Erkenntnismöglichkeiten ist ein Mittel, das zur Vermeidung der Folgen einer Lactoseintoleranz die vom menschlichen Körper nicht mehr erfüllte Aufgabe der Aufspaltung von Milchzucker durch Zuführung eines Enzyms übernimmt, nicht als Funktionsarzneimittel einzustufen; insbesondere fehlt es insoweit sowohl an einer metabolischen als auch an einer pharmakologischen Wirkung.
Tenor
Die Beschwerde wird auf Kosten des Antragstellers zurückgewiesen.
Beschwerdewert: 100.000 EUR
Gründe
Die zulässige Beschwerde des Antragstellers hat in der Sache keinen Erfolg.
I. Bereits mangels Vorliegens eines Verfügungsgrundes unzulässig ist das Eilbegehren mit den Hilfsanträgen, welche der Antragsteller mit Schriftsatz vom 27.05.2008 erstmals gestellt hat. Die Hilfsanträge unterscheiden sich von den Hauptanträgen dadurch, dass der letzte Halbsatz fehlt: €€ solange die Produkte nicht als Arzneimittel zugelassen sind€. Der Antragsteller stellt sie für den Fall, dass der Senat der Auffassung sein sollte, die Produkte der Antragsgegnerin seien als ergänzende bilanzierte Diäten für besondere medizinische Zwecke im Sinne des § 1 Abs. 4 a S. 3 Nr. 2 DiätV verkehrsfähig. Zur Begründung führt der Antragsteller aus, es sei unstreitig, dass die Produkte der Antragsgegnerin nicht als ergänzende bilanzierte Diäten in den Verkehr gebracht würden, sondern als Lebensmittelzusatz.
Abgesehen davon, dass es ein ungewöhnliches prozessuales Vorgehen ist, als Antragsteller selbst zur Einordnung eines angegriffenen Erzeugnisses, hier als ergänzende bilanzierte Diät, nichts vorzutragen und ein Verbot für den Fall zu beantragen, dass der Senat € aus welchen Gründen auch immer € zu einer solchen Einschätzung gelangt, führt der Antragsteller mit diesen Hilfsanträgen über vier Monate nach Einleitung des Eilverfahrens einen neuen Streitgegenstand ein, wofür kein Verfügungsgrund besteht. Der Antragsteller war nicht gehindert, diesen rechtlichen Gesichtspunkt von Anfang an zum Gegenstand eines hilfsweise verfolgten Begehrens zu machen. Mit seinem Zuwarten hat er die Dringlichkeitsvermutung des § 12 Abs. 2 UWG widerlegt.
II. Hinsichtlich der Hauptanträge besteht jedenfalls kein Verfügungsanspruch. Ein solcher folgt insbesondere nicht aus §§ 3, 4 Nr.11 UWG i. V. m. §§ 2, 21 AMG.
Dem Antragsteller ist es nicht gelungen, in diesem Eilverfahren in einer für den Ausspruch des begehrten Verbotes hinreichenden Weise glaubhaft zu machen, dass es sich bei den angegriffenen Produkten €A€, €B€, €C€ und €D€ der Antragsgegnerin um Arzneimittel gemäß § 2 AMG handelt, die der Zulassungspflicht des § 21 AMG unterliegen. Zur Begründung wird auf die zutreffenden Ausführungen in der angefochtenen Entscheidung sowie im Nichtabhilfebeschluss des Landgerichts vom 13.3.2008 Bezug genommen; auch das weitere Beschwerdevorbringen rechtfertigt keine abweichende Beurteilung.
Der Arzneimittelbegriff hat durch Art. 1 Nr. 2 der Richtlinie 2001/83/EG in der Fassung, die diese Vorschrift durch Art. 1 Nr. 1 b) der Richtlinie 2004/27/EG erhalten hat, eine Vollharmonisierung erfahren mit der Folge, dass der nationale Arzneimittelbegriff nunmehr, nach Ablauf der in Art. 3 der Richtlinie 2004/27/EG vorgesehenen Umsetzungsfrist am 30.10.2005, richtlinienkonform auszulegen ist (BGH, WRP 2006, 736, Tz. 33 € Arzneimittelwerbung im Internet; Senat, Urteil vom 29.04.2008, Az. 6 U 109/07, S. 8). Soweit der Antragsteller, der diese Auffassung in seinen erstinstanzlichen Schriftsätzen ausdrücklich geteilt hat, meint, dies im Hinblick auf die Entscheidung des EuGH €Knoblauch-Extrakt-Pulver-Kapsel€ (GRUR 2008, 271 ff.) anders sehen zu müssen, ist dem nicht zu folgen. Die Entscheidung befasst sich nicht mit der Richtlinie 2004/27/EG und der darin vorgesehenen Neudefinition des Arzneimittelbegriffs, sondern geht noch von der Richtlinie 2001/83/EG aus.
Wie das Landgericht in seinem Zurückweisungsbeschluss zutreffend festgestellt hat, handelt es sich bei den angegriffenen Produkten nicht um Präsentationsarzneimittel im Sinne von Art. 1 Nr. 2 a) der Richtlinie 2001/83/EG in der Fassung der Richtlinie 2004/27/EG. Wie der Antragsteller in seiner Beschwerdebegründung nochmals klargestellt hat, ist sein Eilantrag darauf auch nicht gestützt.
Es ist jedoch davon auszugehen, dass es sich bei den angegriffenen Produkten auch nicht um Funktionsarzneimittel im Sinne von Art. 1 Nr. 2 lit. b) der Richtlinie handelt. Jedenfalls vermochte der Antragsteller dies nicht glaubhaft zu machen.
Nach Art. 1 Nr.2 b) der Richtlinie sind Funktionsarzneimittel €alle Stoffe oder Stoffzusammensetzungen, die im oder am menschlichen Körper verabreicht werden, um entweder die menschlichen physiologischen Funktionen durch eine pharmakologische, immunologische oder metabolische Wirkung wiederherzustellen, zu korrigieren oder zu beeinflussen €€.
Durch die angegriffenen Produkte werden die menschlichen physiologischen Funktionen weder wiederhergestellt noch korrigiert noch beeinflusst, und zwar weder durch eine pharmakologische noch durch eine metabolische Wirkung.
Der Einwand des Antragstellers, entscheidend sei, dass das Produkt einen therapeutischen Zweck erfülle, wie das Bundesverwaltungsgericht kürzlich noch entschieden habe (Urteil vom 25.07.2007, Az. 3 C 23/06 € Lactobact omni FOS) verfängt nicht. Zwar hat das Bundesverwaltungsgericht in dieser Entscheidung ausgeführt, ein Erzeugnis, das geeignet sei, therapeutische Zwecke zu erfüllen, sei in jedem Fall ein Arzneimittel (Rn. 18 bei juris). Im nächsten Absatz wird aber erläutert, was das Gericht unter einem therapeutischen Zweck versteht, nämlich den Zweck, die physiologischen Funktionen von Menschen wiederherzustellen, zu korrigieren oder zu beeinflussen (a. a. O. Rn. 19).
An der Wiederherstellung oder Korrektur einer physiologischen Funktion würde es von vornherein fehlen, wenn es sich bei der Laktoseintoleranz nicht um eine Krankheit handeln würde, wie die Antragsgegnerin meint. Das erscheint zweifelhaft; der Senat geht zu Gunsten des Antragstellers davon aus, dass es sich bei der Laktoseintoleranz um eine Krankheit handelt. Rund 15% der in Deutschland lebenden erwachsenen Bevölkerung leidet an einer Laktoseintoleranz. Das bedeutet, ihr Körper ist nicht (mehr) in der Lage, selbst das Enzym Laktase zu bilden, um Laktose (Milchzucker) zu spalten. Die Folge ist, dass die Aufnahme von Milchzucker zu Beschwerden wie insbesondere Durchfall führen kann.
Der Verzehr der angegriffenen Produkte führt jedoch nicht dazu, die Fähigkeit des Körpers, Milchzucker zu spalten, wiederherzustellen (ebenso OLG Stuttgart, Urteil vom 14.02.2008, Az. 2 U 81/07, Rn. 48 ff. bei juris). Stattdessen nehmen sie dem Körper die Aufgabe, Milchzucker durch die Bildung des entsprechenden Enzyms zu spalten, ab, indem das zugeführte Enzym diese Aufgabe übernimmt und den Speisebrei im Darm dergestalt verändert, dass das Disaccharid Milchzucker in Monosaccharid-Einheiten aufgespalten wird. Damit fehlt es nicht nur an einer Wiederherstellung oder Korrektur, sondern auch an einer Beeinflussung menschlicher physiologischer Funktionen. Diese erfolgt weder durch eine metabolische noch durch eine pharmakologische Wirkung.
Die Beeinflussung menschlicher physiologischer Funktionen durch metabolische Wirkung setzt voraus, dass sich das Produkt nennenswert auf den Stoffwechsel auswirkt und die Funktionsbedingungen des Körpers wirklich beeinflusst (EuGH, GRUR 2008, 271, Tz. 60 € Knoblauch-Extrakt-Pulver-Kapsel). Diese Wirkung haben die angegriffenen Produkte nach dem Vorbringen der Parteien nicht. Sie wirken sich nicht auf den Stoffwechselprozess aus, sondern verändern selbst den milchzuckerhaltigen Speisebrei so, dass ein laktoseintoleranter Organismus ihn trotz seiner eingeschränkten Möglichkeiten €normal€ verdauen kann. Die Funktionsbedingungen des Körpers werden nicht beeinflusst.
Die Ausführungen von SV1 in seinem Privatgutachten vom 07.04.2008 (Anlage Ast 31) führen nicht zu einem anderen Ergebnis. In seinem Fazit heißt es, durch Laktasemangel und die somit unzureichende Laktoseresorption würden physiologische Körperfunktionen beeinträchtigt. Durch die beschleunigte Darmpassage werde die Verdauung essentieller Nahrungsbestandteile reduziert. Das kann als richtig unterstellt werden, ebenso der Umstand, dass der Verzehr der angegriffenen Produkte dazu führt, dass die Geschwindigkeit der Darmpassage und damit die Verdauung der Nahrungsbestandteile normalisiert wird. Hierbei handelt es sich aber nur um Folgen der Wirkung der angegriffenen Produkte, den Milchzucker aufzuspalten, die wiederum erzielt wird, ohne menschliche physiologische Funktionen durch metabolische Wirkung zu beeinflussen. Die mittelbare Auswirkung der Produkte auf den Verdauungsprozess durch dessen Normalisierung reicht nach Auffassung des Senats nicht aus, um die Einordnung als Arzneimittel zu rechtfertigen.
Die angegriffenen Produkte beeinflussen menschliche physiologische Funktionen auch nicht durch eine pharmakologische Wirkung. Nach der Rechtsprechung des Senats setzt das Tatbestandsmerkmal der pharmakologischen Wirkung eine Wechselwirkung zwischen den Molekülen der infrage stehenden Substanz und einem zellulären Bestandteil, gewöhnlich als Rezeptor bezeichnet, voraus, die entweder in einer direkten Reaktion resultiert oder die Reaktion eines anderen Agens blockiert (Urteil vom 21.09.2006, Az. 6 U 91/05, Rz. 28 bei juris; Urteil vom 29.04.2008, Az. 6 U 109/07, Seite 11). Der Senat hat sich damit einer von einer Expertengruppe aus Behörden- und Industrievertretern unter Federführung der Europäischen Kommission entwickelten Leitlinie zur Abgrenzung von Arzneimitteln und Medizinprodukten zu eigen gemacht (Wiedergabe bei Gröning, Heilmittelwerberecht, § 1 Rn. 182) und diese Definition in seiner jüngst ergangenen Entscheidung in der Sache 6 U 109/07 auch zur Abgrenzung von Arzneimitteln und kosmetischen Mitteln eingesetzt. Dieses Eilverfahren bietet keinen Anlass, von dieser Definition abzuweichen. Sie steht entgegen der Auffassung des Antragstellers insbesondere nicht im Widerspruch zur Entscheidung €Knoblauch-Extrakt-Pulver-Kapsel€ des EuGH, in der es lediglich heißt, die pharmakologischen Eigenschaften eines Arzneimittels müssten wissenschaftlich festgestellt sein (a. a. O. Rn. 61); dies besagt nichts darüber, worin diese Eigenschaften bestehen müssen.
Da die Moleküle der angegriffenen Produkte unstreitig nicht in eine Wechselwirkung zu einem zellulären Bestandteil des menschlichen Körpers treten, fehlt es an einer pharmakologischen Wirkung (ebenso OLG Stuttgart a. a. O. Rn. 65).
Soweit der Antragsteller schließlich darauf verweist, die Gesundheitsgefahr stelle bei der Beurteilung, ob es sich um ein Arzneimittel handelt, einen eigenständigen Faktor dar, kann auch dies seinem Eilantrag nicht zum Erfolg verhelfen. Zwar ist es nach der bisherigen Rechtsprechung des EuGH anerkannt, dass bei der Einordnung als Arzneimittel neben der immunologischen, metabolischen oder pharmakologischen Wirkung auch weitere Merkmale wie unter anderem mögliche Risiken bei seiner Verwendung zu berücksichtigen sind (EuGH, WRP 2005, 863; GRUR 2008, 271, Tz. 69). Fraglich ist allerdings, ob dies auch noch nach der Neufassung von Art. 1 Nr. 2 der Richtlinie 2001/83/EG durch die Richtlinie 2004/97/EG gilt. Diese Frage hat das Bundesverwaltungsgericht dem Europäischen Gerichtshof mit Beschluss vom 14. Dezember 2006 (Az. 3 C 38.06) in einem Vorabentscheidungsverfahren vorgelegt.
Da der Wortlaut des Art. 1 Nr. 2 der Richtlinie in der nunmehr geltenden Fassung für die Berücksichtigung dieses Kriteriums keinen Raum lässt, ist für dieses Eilverfahren davon auszugehen, dass die Gesundheitsgefahr nach aktueller Rechtslage kein eigenständiger Beurteilungsfaktor ist, so dass die Frage offen bleiben kann, ob die von dem Antragsteller dargelegten Gesundheitsrisiken, die mit den Verzehr der angegriffenen Produkte verbunden sein sollen, tatsächlich bestehen. Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 Abs. 1 ZPO.
OLG Frankfurt am Main:
Beschluss v. 02.06.2008
Az: 6 W 34/08
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