Bundespatentgericht:
Beschluss vom 27. Juni 2007
Aktenzeichen: 29 W (pat) 160/03
(BPatG: Beschluss v. 27.06.2007, Az.: 29 W (pat) 160/03)
Tenor
Die Beschwerde der Widersprechenden gegen den Beschluss der Markenstelle für Klasse 38 des Deutschen Patent- und Markenamts vom 28. April 2003 wird zurückgewiesen.
Gründe
I.
Gegen die u. a. für die Waren der Klasse 9 elektrische, elektronische, optische, Mess-, Signal-, Kontroll- oder Unterrichtsapparate und -instrumente (soweit in Klasse 9 enthalten); Apparate zur Aufzeichnung, Übertragung, Verarbeitung und Wiedergabe von Ton, Bild oder Daten; maschinenlesbare Datenaufzeichnungsträger; Verkaufsautomaten und Mechaniken für geldbetätigte Apparate; Datenverarbeitungsgeräte und Computer;
eingetragene Wortmarke Nr. 399 22 333 Eurotelist Widerspruch eingelegt worden unter anderem aus der Wortmarke Nr. 1 167 538 Eurotel und aus der Gemeinschaftsmarke 955 401 BINATONE EUROTEL, die für die Waren der Klasse 9 elektrische, elektronische, wissenschaftliche, photographische und optische Apparate und Instrumente; Apparate und Instrumente für die Aufzeichnung, Wiedergabe, Verstärkung oder Übertragung von Ton oder Bild; Rechenmaschinen; Telephone, schnurlose Telephone, Mobiltelephone und jede beliebige Kombination davon; Ton- und Videoaufnahmen in Form von Platten und Bändern; CDs; Teile und Bestandteile für alle die vorstehend genannten Wareneingetragen ist.
Mit Beschluss vom 28. April 2003 hat die Markenstelle für Klasse 38 des Deutschen Patent- und Markenamts die angegriffene Marke für die Dienstleistungen "Telekommunikation; Betrieb und Vermietung von Einrichtungen für die Telekommunikation, insbesondere für Funk und Fernsehen; Erstellen von Programmen für die Datenverarbeitung; Vermietung von Datenverarbeitungseinrichtungen und Computern; Projektierung und Planung von Einrichtungen für die Telekommunikation" auf Grund des Widerspruchs aus der Marke 1 167 538 teilweise gelöscht und diesen Widerspruch im Übrigen zurückgewiesen.
Der Widerspruch aus der Gemeinschaftsmarke 955 401 wurde insgesamt zurückgewiesen mit der Begründung, zwischen der mehrgliedrigen Widerspruchsmarke "BINATONE EUROTEL" und dem angegriffenen Einwortzeichen "Eurotel" bestünden erhebliche Unterschiede, so dass keine Verwechslungsgefahr feststellbar sei. Die Widerspruchsmarke werde nicht durch ihren Bestandteil "Eurotel" geprägt. Das Vorbringen der Widersprechenden, dass die bekannte Herstellerangabe "Binatone" in den Hintergrund trete, sei weder liquide, noch bliebe bei Zeichen mit kennzeichnungsschwachen Bestandteilen wie hier "Eurotel" die Herstellerangabe unbeachtet, da sie als Unterscheidungshilfe erforderlich sei.
Gegen die Zurückweisung ihres Widerspruchs aus der Gemeinschaftsmarke 955 401 hat die Widersprechende Beschwerde eingelegt. Zur Begründung trägt sie vor, die Widerspruchsmarke werde von dem Bestandteil "Eurotel" geprägt. Die Marke "Binatone Eurotel" gehöre zu einer großen Markenfamilie mit dem Stammbestandteil "Binatone". "Binatone" sei der prägende und in Deutschland sehr bekannte Firmenbestandteil des Firmennamens der Widersprechenden. Als solcher trete er nach der Rechtsprechung in der Widerspruchsmarke zurück. Entgegen der Auffassung der Markenstelle sei der Bestandteil "Eurotel" nicht kennzeichnungsschwach. Auf Grund der Eintragung dieses Wortes in Alleinstellung sei von einer durchschnittlichen Kennzeichnungskraft auszugehen. Jedenfalls die Waren der Klasse 9 bedürften keiner Herstellerangabe, damit sie von den maßgeblichen Verkehrskreisen von den Produkten anderer Hersteller unterschieden werden könnten. Telefone und Anrufbeantworter würden im geschäftlichen Verkehr nach Produktnamen unterschieden. Wegen der Waren- und Markenidentität bestehe Verwechslungsgefahr. Diese liege wegen des gemeinsamen Bestandteils "Eurotel" auch unter dem Gesichtspunkt des gedanklichen In-Verbindung-Bringens vor, zumal die Widersprechende für die Inhaberin der jüngeren Marke Telefone fertige.
In der mündlichen Verhandlung hat die Beschwerdeführerin ihren Widerspruch eingeschränkt und nur noch gegen die Waren der Klasse 9 der jüngeren Marke gerichtet. Das Verfahren wurde schriftlich fortgesetzt. Mit Beschluss vom 1. Februar 2006 hat der Senat auf übereinstimmenden Antrag der Beteiligten wegen zwischen ihnen schwebender Vergleichsverhandlungen das Ruhen des Verfahrens angeordnet. Mit Schriftsatz vom 12. Juni 2007, der der Beschwerdeführerin am 18. Juni 2007 zugestellt worden ist, hat die Beschwerdegegnerin gebeten, das Verfahren wieder aufzunehmen und zu entscheiden.
Sie beantragt sinngemäß, den Beschluss der Markenstelle für Klasse 38 des Deutschen Patent- und Markenamts vom 28. April 2003 insoweit aufzuheben, als der Widerspruch aus der Gemeinschaftsmarke 955 401 zurückgewiesen wurde und die Löschung der Marke 399 22 333 für die Waren der Klasse 9 anzuordnen.
Die Inhaberin der jüngeren Marke beantragt, die Beschwerde zurückzuweisen.
Sie tritt dem Vorbringen der Beschwerdeführerin in allen Punkten entgegen und ist der Auffassung, dass zwischen den Vergleichszeichen keine Verwechslungsgefahr besteht.
II.
Nachdem das Verfahren durch die Beschwerdegegnerin wieder aufgenommen worden ist (§ 82 Abs. 1 MarkenG i. V. m. § 250 ZPO), ist nunmehr über die Beschwerde zu entscheiden. Diese ist zulässig, hat aber in der Sache keinen Erfolg. Die Markenstelle hat den Widerspruch zu Recht zurückgewiesen (§§ 42 Abs. 2 Nr. 1, 43 Abs. 2 S. 2 MarkenG). Die Gefahr, dass die einander gegenüberstehenden Marken i. S. v. § 9 Abs. 1 Nr. 2 MarkenG miteinander verwechselt werden, besteht unter keinem Gesichtspunkt.
Die Frage der Verwechslungsgefahr ist nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs und des Bundesgerichtshofs unter Beachtung aller Umstände des Einzelfalls umfassend zu beurteilen. Dabei besteht eine Wechselwirkung zwischen den in Betracht zu ziehenden Faktoren, insbesondere der Identität oder Ähnlichkeit der Marken und der Identität oder Ähnlichkeit der mit ihnen gekennzeichneten Waren oder Dienstleistungen sowie der Kennzeichnungskraft der älteren Marke, so dass ein geringerer Grad der Ähnlichkeit der Waren oder Dienstleistungen durch einen höheren Grad der Ähnlichkeit der Marken ausgeglichen werden kann und umgekehrt (st. Rspr.; EuGH GRUR 1998, 387 - Sabèl/Puma; GRUR Int. 1998, 875, 876 f. - Canon; BGH GRUR 2004, 598, 599 - Kleiner Feigling; GRUR 2004, 779, 781 - Zwilling/Zweibrüder; GRUR 2006, 60 ff. - Rn. 12 - coccodrillo; GRUR 2006, 859 ff. - Rn. 16 - Malteserkreuz).
1. Da Benutzungsfragen keine Rolle spielen, ist bei den beiderseitigen Waren von der Registerlage auszugehen. Die noch angegriffenen Waren der jüngeren Marke "elektrische, elektronische, optische, Mess-, Signal-, Kontroll- oder Unterrichtsapparate und -instrumente (soweit in Klasse 9 enthalten); Apparate zur Aufzeichnung, Übertragung, Verarbeitung und Wiedergabe von Ton, Bild oder Daten; maschinenlesbare Datenaufzeichnungsträger; Verkaufsautomaten und Mechaniken für geldbetätigte Apparate; Datenverarbeitungsgeräte und Computer" sind identisch bzw. eng ähnlich mit den Waren "elektrische, elektronische, wissenschaftliche, photographische und optische Apparate und Instrumente; Apparate und Instrumente für die Aufzeichnung, Wiedergabe, Verstärkung oder Übertragung von Ton oder Bild; Rechenmaschinen; Telephone, schnurlose Telephone, Mobiltelephone und jede beliebige Kombination davon; Teile und Bestandteile für alle die vorstehend genannten Waren", für die die Widerspruchsmarke eingetragen ist. Dabei ist zu berücksichtigen, dass moderne Telefone ohne Datenverarbeitungstechnik nicht auskommen bzw. selbst Computer sind, z. B. sog. Mobile Digital Assistants. Jedenfalls liegen diese Waren im Bereich engster Ähnlichkeit unter dem Gesichtspunkt konkurrierender oder sich ergänzender Waren, da im Zuge der Voiceover-IP-Technologie Datenverarbeitungsanlagen und Computer in betriebliche Telefonanlagen integriert sind und über sie unter Zuhilfenahme des Internet telefoniert werden kann.
2. Die Widerspruchsmarke ist für die von ihr erfassten Waren uneingeschränkt als Herkunftshinweis geeignet und verfügt daher über eine durchschnittliche Kennzeichnungskraft. Die Wortkombination "BINATONE Eurotel" hat keinerlei beschreibende Bedeutung für die Waren der Widerspruchsmarke. Von einer erhöhten Kennzeichnungskraft des Bestandteils "BINATONE" kann ebenso wenig ausgegangen werden wie von einer Kennzeichnungsschwäche von "Eurotel".
Die von der Widersprechenden vorgetragenen erheblichen Umsätze in den Jahren 1993 bis 2005 mit Telefonen und Anrufbeantwortern unter der Marke "Binatone" sind nicht belegt.
Eine Verwendung von "Eurotel" ist im Bereich der vorliegend relevanten Waren nicht nachweisbar, insbesondere nicht auf dem Gebiet der Telekommunikation. "Euro" ist den angesprochenen inländischen Verkehrskreisen zwar aus Zusammensetzungen wie z. B. "Euroscheck, Eurocard, Eurovision" oder "Eurofighter" als Wortbildungselement mit der Bedeutung "Europa betreffend, in Europa befindlich, gültig" geläufig (vgl. DUDEN, Das Fremdwörterbuch, 7. Aufl. 2001). "tel." ist die gängige Abkürzung für telefonieren, telefonisch, telegen, telegrafieren, telegrafisch, "Tel." die für "Telefon, Telegraf, Telegrafie, Telegramm" (DUDEN, Das Wörterbuch der Abkürzungen, 5. Aufl. 2005). Vor diesem Hintergrund kommt dem Begriff "Eurotel" kein eindeutiger Sinngehalt zu. Auch soweit die hier betroffenen Waren im Zusammenhang mit der Telekommunikation stehen können, haben die sich daraus allenfalls ergebenden Bedeutungen von "europäisches Telefon(ieren), europäisches Telegrafieren, europäischer Telegraf" keine konkrete sachbezogene Bedeutung. Telefonie und Telegrafie sind grundsätzlich nicht an Grenzen gebunden, so dass offen bleibt, welche Bedeutung die Vorsilbe "Euro" in diesem Zusammenhang hat. Auch wenn man davon ausgeht, dass in Teilbereichen wie z. B. dem Mobilfunk europaweit gültige Standards angestrebt werden, ergeben sich angesichts der unterschiedlichen Bedeutungsmöglichkeiten keine Anhaltspunkte dafür, dass ein Gerät, das einem solchen Standard entspricht, korrekt mit "Eurotel" bezeichnet wird oder werden könnte.
3. Wegen der Identität bzw. der engsten Ähnlichkeit der einander gegenüber stehenden Waren sowie der normalen Kennzeichnungskraft der Widerspruchsmarke muss die jüngere Marke einen erheblichen Abstand einhalten. Dies ist trotz des in beiden Vergleichszeichen enthaltenen Bestandteils "Eurotel" der Fall.
Die Frage der Ähnlichkeit einander gegenüberstehender Marken ist nach deren Ähnlichkeit im Klang, im (Schrift-)Bild und im Bedeutungs- oder Sinngehalt zu beurteilen, weil Marken auf die mit ihnen angesprochenen Verkehrskreise in klanglicher, bildlicher und begrifflicher Hinsicht wirken können. Um die Markenähnlichkeit zu bejahen, reicht in der Regel bereits die Ähnlichkeit in einem der genannten Wahrnehmungsbereiche aus (vgl. EuGH GRUR 1998, 387, 390 Tz. 23 - Sabèl/Puma; BGHZ 139, 340, 347 - Lions; BGH GRUR 2006, 60 ff. - coccodrillo). Maßgeblich für die Beurteilung der Markenähnlichkeit ist dabei der Gesamteindruck der sich gegenüberstehenden Zeichen (BGH a. a. O. - Malteserkreuz Rn. 17). Denn auch der durchschnittlich informierte, aufmerksame und verständige Durchschnittsverbraucher nimmt eine Marke normalerweise als Ganzes wahr und achtet nicht auf verschiedene Einzelheiten.
3.1. Vergleicht man die Widerspruchsmarke in ihrem Gesamteindruck mit der jüngeren Marke, so sind - wie die Markenstelle zutreffend festgestellt hat - die klanglichen, schriftbildlichen und begrifflichen Unterschiede so deutlich, dass eine unmittelbare Verwechslungsgefahr ausscheidet. Die jüngere Marke ist eine Einwortmarke, während die Widerspruchsmarke aus zwei Wörtern besteht. Deren Bestandteil "BINATONE" hat in der jüngeren Marke keine Entsprechung. Dieser Unterschied wird sowohl akustisch als auch visuell eindeutig wahrgenommen. Mangels inhaltlichgedanklicher Gemeinsamkeit der Zeichen weisen sie auch in begrifflicher Hinsicht keine Ähnlichkeit auf.
3.2. Die ältere Marke wird nicht durch ihren Bestandteil "Eurotel" geprägt. Denn eine solche Prägung würde voraussetzen, dass "BINATONE" weitgehend in den Hintergrund tritt und den Gesamteindruck nicht mitbestimmt (vgl. BGH GRUR 2004, 598, 599 - Kleiner Feigling; GRUR 2004, 865, 866 - Mustang). Dies ist hier nicht der Fall, da "BINATONE" ein reiner Phantasiebegriff ohne jeglichen Warenbezug ist, der beim Zeichenvergleich nicht außer Acht gelassen wird. Die Annahme einer Verwechslungsgefahr ist auch dann nicht gerechtfertigt, wenn man berücksichtigt, dass "BINATONE" das Firmenschlagwort der Beschwerdeführerin ist. Der Grundsatz, dass ein Firmenschlagwort innerhalb einer aus mehreren Bestandteilen zusammengesetzten Marke im Gesamteindruck regelmäßig zurücktritt, weil der Verkehr die eigentliche Produktkennzeichnung in den anderen Bestandteilen der Kennzeichnung erblickt (vgl. BGH GRUR 2002, 342 ff. - ASTRA/ESTRAPUREN), gilt hier nicht. Zunächst kann nicht davon ausgegangen werden, dass den inländischen Verkehrskreisen die Firma der Widersprechenden als solche bekannt ist (siehe oben 2.; vgl. Ströbele/Hacker MarkenG, 8. Aufl. 2006, Rn. 414 ff. zu § 9). Darüber hinaus stehen die Besonderheiten der hier in Rede stehenden Warengebiete der Annahme entgegen, dass für die Verbraucher der Firmenbestandteil in den Hintergrund tritt. Angesichts der Vielzahl der unterschiedlichen Anbieter und der unterschiedlichen Tarifstrukturen sowie der vielfältigen häufig sehr ähnlich aussehenden und in der Bauart vergleichbaren Geräte, ist es für die angesprochenen Verkehrskreise praktisch unabdingbar, sich neben der Produktkennzeichnung auch an der Herstellerkennzeichnung zu orientieren. Bei sonstigen elektronischen und elektrischen Geräten kommt es dem Verkehr ebenfalls auf den Hersteller an. Es ist bekannt, dass in der Regel Geräte, Software und Zubehör eines Herstellers miteinander kompatibel sind, dass aber mit Geräten anderer Hersteller oder mit Software eines anderen Herstellers ausgestatteten Geräten erhebliche Kompatibilitätsprobleme bestehen können. Daraus ergibt sich, dass das angesprochene Publikum, auf dessen Vorstellung es maßgeblich ankommt, sehr häufig mit der Verwendung der Herstellerkennzeichnung neben der Produktkennzeichnung konfrontiert wird, aber auch auf sie angewiesen ist (vgl. BPatG GRUR 2003, 70 ff., 73,74 - T-INNOVA/Innova).
III.
Eine Kostenentscheidung war nicht veranlasst (§ 71 Abs. 1 Satz 2 MarkenG).
IV.
Im Hinblick auf die Zurückweisung der Beschwerde ist es unschädlich, dass das Deutsche Patent- und Markenamt aufgrund der unrichtigen Mitteilung der Senatsgeschäftsstelle vom 12. September 2006, das Verfahren sei abgeschlossen, schon Ende 2006 davon ausgegangen ist, der Beschluss vom 28. April 2003 sei bestandskräftig. Denn an diesem Ergebnis hat sich nichts geändert. Durch die Anordnung des Ruhens des Verfahrens als eines besonders ausgestalteten Falls der Aussetzung treten lediglich die in den §§ 249, 251 Abs. 1 S. 2 ZPO geregelten prozessualen Folgen ein (vgl. Thomas-Putzo, ZPO, 27. Aufl. 2005, Vorbem. zu §§ 239 ff., Rn. 8, 9). Die Fiktion der Erledigung i. S. v. § 7 Abs. 3 S. 2 AO 1934 betrifft lediglich eine Erledigung i. S. der Aktenordnung.
BPatG:
Beschluss v. 27.06.2007
Az: 29 W (pat) 160/03
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