Oberlandesgericht Hamm:
Urteil vom 12. Dezember 2005
Aktenzeichen: 4 U 145/06
(OLG Hamm: Urteil v. 12.12.2005, Az.: 4 U 145/06)
Tenor
Die Berufung des Klägers gegen das am 5. Juli 2006 verkündete Urteil der I. Kammer für Handelssachen des Landgerichts Dortmund wird zurückgewiesen.
Der Kläger trägt die Kosten der Berufung.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Dem Kläger wird nachgelassen, die Zwangsvollstreckung der Beklagten durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110% des jeweils beizutreibenden Betrages abzuwenden, falls nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in dieser Höhe leistet.
Tatbestand
Die Parteien betreiben in I Sonnenstudios. Im Oktober 2005 bewarb die Beklagte eine Bonuskarten-Aktion für zwei ihrer Sonnenstudios.
Der Kläger hat behauptet, die Beklagte habe im Zusammenhang mit dieser Aktion auch Plakate im DIN A3-Format an Stromkästen der Stadtwerke I, an Verteilerkästen der Deutschen Telekom und an Bushaltestellenhäuschen der Städtischen Verkehrsbetriebe angebracht, obwohl eine Genehmigung der jeweiligen Eigentümer dieser Einrichtungen nicht vorgelegen habe.
Der Kläger hat gemeint, das wilde Plakatieren sei wettbewerbsrechtswidrig. Die Beklagte habe mit der nicht genehmigten Aktion in das Eigentum und den Besitz Dritter eingegriffen. Eigentum und Besitz seien wertbezogene Güter, so dass das Verhalten der Beklagten per se unlauter im Sinne des § 3 UWG sei.
Der Kläger hat die Beklagte durch Schreiben vom 11.10.2005 erfolglos abgemahnt und ist sodann gegen sie im Wege der einstweiligen Verfügung vorgegangen (LG Dortmund 10 O 180/05).
Der Kläger nimmt die Beklagte nunmehr im Hauptsacheverfahren auf Unterlassung in Anspruch und verlangt Erstattung der ihm durch eine vorgerichtliche Abmahnung entstandenen Anwaltskosten, die er auf 445,91 Euro beziffert.
Der Kläger hat beantragt,
die Beklagte zu verurteilen,
1) es bei Meidung (von gesetzlichen Ordnungsmitteln) zu unterlassen, im geschäftlichen Verkehr zu Zwecken des Wettbewerbs an baulichen und sonstigen Anlagen, die von öffentlichen Straßen und Gehwegen einsehbar sind, so etwa Stromkästen, Verteilerkästen, Bushaltestellenhäuschen etc., außerhalb von Plakatträgern, die hierfür zugelassen sind, für die von ihr betriebenen Sonnenstudios zu plakatieren, sofern nicht die Zustimmung des jeweiligen Verfügungsberechtigten vorliegt,
2) an ihn 445,90 Euro nebst Zinsen in Höhe von 8 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 17.12.2005 zu zahlen.
Die Beklagte hat beantragt,
die Klage abzuweisen.
Sie hat behauptet, die Plakate seien weder von ihr selbst noch durch Dritte auf ihre Veranlassung angebracht worden. Sie hat die Vermutung geäußert, dass der Kläger selbst die Plakate angeklebt, fotografiert und anschließend wieder entfernt habe. Der Kläger habe es seit der Eröffnung ihrer Sonnenstudios darauf abgesehen, die Beklagte als missliebige Konkurrentin aus dem Weg zu schaffen. So habe es eine Reihe von Vorgängen gegeben, die auf eine entsprechende Absicht des Klägers schließen ließen (Bl. 100). Die Beklagte hat überdies gemeint, der geltend gemachte Anspruch stehe dem Kläger aus Rechtsgründen nicht zu.
Das Landgericht hat die Klage abgewiesen, weil ein Verstoß gegen Eigentums- und Besitzrechte Dritter nach § 823 Abs. 1 BGB keinen Wettbewerbsrechtsverstoß begründe. Über §§ 3, 4 Nr. 11 UWG sanktionierbar seien nur Verstöße gegen Marktverhaltensnormen. Auf die Wertbezogenheit der Norm komme es nach neuerer Rechtsprechung und Gesetzeslage nicht mehr an. Die Vorschriften zum Schutz des Eigentums und Besitzes begründeten zwar für die jeweiligen Rechtsinhaber ausschließliche Rechte. Deren Zweck sei es aber auch nicht sekundär, den Wettbewerb im Sinne der Chancengleichheit durch die Aufstellung gleicher Schranken für die Wettbewerber zu regeln. Nur der jeweilige Eigentümer selbst könne daher zur Verteidigung seiner Rechte vorgehen.
Gegen dieses Urteil richtet sich die Berufung des Klägers. Er greift die rechtliche Wertung des Landgerichts an, wonach die Vorschriften zum Schutz von Eigentum und Besitz keinen Marktbezug aufweisen und hält den auf das Lauterkeitsrecht gestützten Unterlassungsanspruch für gegeben.
Der Kläger beantragt,
unter Abänderung der angefochtenen Entscheidung die Beklagte zu verurteilen,
es bei Meidung eines für jeden Fall der Zuwiderhandlung fälligen Ordnungsgeldes bis zu 250.000 €, ersatzweise Ordnungshaft bis zu sechs Monaten, im Wiederholungsfall Ordnungshaft bis zu zwei Jahren, zu unterlassen, im geschäftlichen Verkehr zu Zwecken des Wettbewerbs an baulichen und sonstigen Anlagen, die von öffentlichen Straßen und Gehwegen einsehbar sind, so etwa Stromkästen, Bushaltestellenhäuschen etc., außerhalb von Plakatträgern, die hierfür zugelassen sind, für die von ihr betriebenen Sonnenstudios zu plakatieren, sofern nicht die Zustimmung des jeweiligen Verfügungsberechtigten vorliegt; an den Kläger 445,90 € nebst Zinsen in Höhe von 8 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 17.12.2005 zu zahlen.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie verteidigt das angegriffene Urteil.
Gründe
I. Die Berufung ist zulässig aber nicht begründet. Insgesamt lässt das landgerichtliche Urteil keinen Rechtsfehler erkennen
Offen bleiben konnte, ob die behauptete Plakataktion durch die Beklagte selbst oder durch von ihr Beauftragte (§ 8 Abs. 2 UWG) vorgenommen wurde, denn jedenfalls fehlt es an einem Unterlassungsanspruch aus § 3, 4 Nr. 11, 8 Abs. 1 Abs. 3 Nr. 1, 12 Abs. 1 S. 2 UWG. Die Normen zum Schutz von Eigentum und Besitz sind keine Marktverhaltensnormen im Sinne des § 4 Nr. 11 UWG. Damit kommt auch ein Verstoß gegen § 3 UWG allein aufgrund der Verletzung fremder Eigentumsrechte nicht in Betracht.
Rechtsprechung und Literatur haben vor der UWG-Reform 2004 überwiegend vertreten, dass das sog. "wilde Plakatieren" unter dem Gesichtspunkt des Vorsprungs durch Rechtsbruch gegen § 1 UWG verstößt, weil hierdurch ein unlauter erlangter Vorteil gegenüber dem sich rechtstreu verhaltenden Mitbewerber erzielt werde (so in den parallel zu dem hier vorliegenden Fall gelagerten Sachverhalten OLG Karlsruhe GRUR-RR 2001, 143; KG NJW-RR 1995, 175; Baumbach/Hefermehl, UWG, 20. Aufl. 2002, § 1 UWG Rn 647; ähnlich zur Fallgruppe Vorsprung durch Rechtsbruch auch für das Abstellen eines PKW mit Konkurrenzwerbung vor dem Geschäft des Mitbewerbers OLG Brandenburg, NJW-RR 1995, 175; für das Überkleben fremder Plakate OLG Stuttgart NJW-RR 1996, 1515; für die Aufgabe dieses Vorsprungsgedankens unter Geltung des neuen Rechts I. Scherer, WRP 2006, 401, 405).
Nach Inkrafttreten des UWG in der reformierten Fassung ist der hier vorliegende Fall - soweit ersichtlich - noch nicht entschieden worden. Allerdings hat der BGH in einem Fall, in dem es um die Untersagung der Befüllung von vermieteten Flüssiggastanks durch einen anderen Unternehmer als den Vermieter ging, angenommen, dass die Vorschriften zum Schutz des Eigentums keine Marktverhaltensregelungen sind, die unter dem Gesichtspunkt des Rechtsbruchs als Wettbewerbsverstöße nach §§ 3, 4 Nr. 11 UWG verfolgt werden könnten (BGH, Urt. v. 16.3.2006 - I ZR 92 GRUR 2006, 879, 880. Auch in der Literatur wird nahezu einhellig vertreten, dass die Vorschriften zum Schutz des Eigentums (wie § 823 Abs. 1 BGB) keine Marktverhaltensregelungen im Sinne des § 4 Nr. 11 UWG darstellen (Hefermehl/Köhler/Bornkamm, UWG, 24. Aufl. 2006, § 4 Rn 11.43; ebenso für bürgerlichrechtliche Normen insgesamt Harte/Henning, UWG, 2004, § 4 Rn 81; Fezer/Götting, UWG, 2005, § 4-11 Rn 70; entsprechend bereits früher zu § 1 UWG OLG Brandenburg NJW-RR 1996, 1514: Nutzung eines fremden Grundstücks; im Ergebnis auch OLG Frankfurt/M., NJW-RR 1990, 1262, 1263: unberechtigte Nutzung fremdvermieteter Plakatflächen).
Diese zuletzt genannte Meinung überzeugt, weil sie zum einen den Paradigmenwechsel der Fallgruppe "Vorsprung durch Rechtsbruch" nachvollzieht, zum anderen, weil sie mit der nunmehr in § 1 UWG n.F. kodifizierten Schutzzwecklehre in Einklang steht. Die früher vertretene Lehre geht letztlich von dem Grundsatz aus, dass jeder Verstoß gegen Rechtsvorschriften einen unlauteren Vorsprung gegenüber den sich redlich verhaltenden Konkurrenten verschaffen kann. Um nicht die gesamte Rechtsordnung auf diese Weise über das UWG wehrfähig zu machen, musste daher bereits ein Filter verwendet werden. Er bestand in der Unterscheidung wertbezogener und wertneutraler Normen. Nur die Verletzung wertbezogener, d.h. sittlich fundierter Normen galt per se als sittenwidrig und damit unlauter (vgl. Baumbach/Hefermehl, UWG, § 1 Rn 611), die Verletzung wertneutraler Normen dagegen erst, wenn ein Konkurrent die Norm bewusst verletzt, um sich dadurch einen Vorsprung vor den rechtstreuen Mitbewerbern zu verschaffen.
Die genannte Unterscheidung ist mittlerweile durch den BGH ausdrücklich aufgegeben worden (BGHZ 150, 343, 348 = GRUR 2002, 825 - Elektroarbeiten). Der Gesetzgeber hat die neuere Rechtsprechung ausdrücklich der Begründung zum UWG 2004 unterlegt. Dort wird betont, es sei nicht Aufgabe des UWG, Gesetzesverstöße generell zu sanktionieren (zustimmend Ullmann GRUR 2003, 817, 821). Lauterkeitsrechtlich relevant sei nur ein Verstoß gegen Normen, denen eine zumindest sekundäre wettbewerbsschützende Funktion zukomme (Begründung zum Regierungsentwurf des UWG, BT-Drucks. 15/1487 S. 19 zu § 4 Nr. 11). Die verletzte Norm darf also nicht individualschützend sein, sie muss auch eine auf den Schutz der Konkurrenten, der Verbraucher oder der sonstigen Marktteilnehmer gerichtete Tendenz verfolgen. Das ist bei den Normen, die das Sacheigentum schützen, nicht der Fall. Die bürgerlichrechtlichen Normen schützen das individuelle Interesse des Sacheigentümers daran, die Sache selbst nutzen, über sie verfügen und andere von ihrer Nutzung ausschließen zu können. Zu diesem Zweck sind dem Sacheigentum subjektive Herrschaftsrechte verliehen. Der Zweck dieser Rechtezuweisung besteht nicht darin, dass auch Dritte diese Ausschließlichkeitsfunktion für sich in Anspruch nehmen können. Sie dient also nicht dem Schutz von Mitbewerbern, Verbraucher oder der Allgemeinheit. Daraus folgt, dass die bloße Verletzung der Einwilligungsbefugnis des Sacheigentümers oder Sachbesitzers noch keinen Verstoß im Sinne des § 4 Nr. 11 UWG begründen kann.
Jedenfalls im vorliegenden Fall kommt auch ein Verstoß gegen § 3 UWG, der möglicherweise dann bejaht werden kann, wenn ein Wettbewerber die bekannte Gleichgültigkeit der Rechtsinhaber bewusst zu seinem Vorteil ausnutzt, nicht in Betracht. Hier sind durch das vom Kläger behauptete wilde Plakatieren mehrere Rechtsinhaber betroffen. Es ist weder vorgetragen noch ersichtlich, dass sie in Fällen des "wilden Plakatierens" grundsätzlich nicht gegen den Verletzer vorgehen wollen. Warum die einzelnen Rechtsinhaber hier nicht eingeschritten sind, ist gerade nicht bekannt.
II. Die Nebenentscheidungen beruhen auf den §§ 91 Abs. 1, 708 Nr. 10, 711 ZPO.
OLG Hamm:
Urteil v. 12.12.2005
Az: 4 U 145/06
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