Bundespatentgericht:
Beschluss vom 13. April 2011
Aktenzeichen: 21 W (pat) 308/08
(BPatG: Beschluss v. 13.04.2011, Az.: 21 W (pat) 308/08)
Tenor
1.
Das Einspruchsverfahren ist in der Hauptsache erledigt.
2.
Die Rechtsbeschwerde wird zugelassen.
Gründe
I.
Gegen das am 23. Dezember 1996 angemeldete Patent DE 196 54 065 mit der Bezeichnung "Gerät für die optische Inspektion von Rohrleitungen", dessen Erteilung am 13. Oktober 2005 veröffentlicht worden ist, hat die Einsprechende am 7. Januar 2006 Einspruch erhoben, der auf den Widerrufsgrund der mangelnden Patentfähigkeit gestützt war.
Das Patent ist wegen Nichtzahlung der zum 31. Dezember 2009 fälligen Jahresgebühr am 1. Juli 2010 erloschen. Die Einsprechende ist auf Anordnung des Senatsrechtspflegers mit Schreiben vom 25. August 2010 aufgefordert worden, innerhalb einer Frist von vier Wochen mitzuteilen, ob sie ein Rechtsschutzbedürfnis für einen rückwirkenden Widerruf des Patents geltend macht. Auf dieses ihr am 28. August 2010 zugegangene Schreiben hat die Einsprechende nicht geantwortet.
Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Inhalt der Akten Bezug genommen.
II. A. Da die Einspruchsfrist im vorliegenden Verfahren nach dem 1. Januar 2002 zu laufen begonnen hat und der Einspruch vor dem 1. Juli 2006 eingelegt worden ist, ist das Bundespatentgericht für die Entscheidung gemäß § 147 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 PatG in der bis einschließlich 30. Juni 2006 gültigen Fassung weiterhin zuständig (vgl. BGH GRUR 2007, 862 ff. -Informationsübermittlungsverfahren II; BPatG GRUR 2007, 449 f. -Rundsteckverbinder).
B. Der unter Bezugnahme auf eine offenkundige Vorbenutzung auf den Widerrufsgrund der mangelnden Patentfähigkeit gestützte Einspruch ist zulässig. Die Einsprechende hat sich anhand der von ihr vorgelegten Unterlagen, die nach ihrer Behauptung Prospektblätter eigener Produkte aus den Jahren 1990 bis 1995 betreffen, im Einzelnen mit den Merkmalen des Anspruchs 1 des Streitpatents auseinandergesetzt. Dass die Patentinhaberin die Vorveröffentlichung der Prospekte bestritten hat, steht der Zulässigkeit des Einspruchs nicht entgegen, sondern betrifft dessen Begründetheit (Schulte, PatG, 8. Aufl. 2008, § 59 Rn. 99 m. w. N.).
C. Das Streitpatent ist mittlerweile aufgrund der Nichtzahlung der Jahresgebühr mit Wirkung für die Zukunft erloschen (§ 20 Abs. 1 Nr. 3 PatG). Daher besteht kein Interesse der Allgemeinheit mehr an einem Widerruf des Patents für die Restlaufzeit. Nach Erlöschen des Patents ist für eine Fortführung des Einspruchsverfahrens ein besonderes Rechtsschutzinteresse erforderlich (BGH in std. Rspr., vgl. GRUR 2008, 279 f. - Kornfeinung, unter Bezugnahme auf BGH GRUR 1997, 615 ff. - Vornapf; GRUR 1995, 342 f. - Tafelförmige Elemente; BPatGE 51, 128 ff.
-
Radauswuchtmaschine; Schulte, PatG 8. Aufl. 2008, § 59 Rn. 250; Benkard, PatG 10. Aufl. 2006, § 59 Rn. 46c; Busse, PatG 6. Aufl. 2003, § 59 Rn. 28, jeweilsm.
w. N.).
1.
Dass die Einsprechende kein eigenes Rechtsschutzbedürfnis geltend gemacht hat, führt nicht zur nachträglichen Unzulässigkeit des Einspruchs (BPatGE 51, 128 ff. - Radauswuchtmaschine; BPatG, Beschluss vom 20. Oktober 2010, 7 W (pat) 333/06 - Vorrichtung zum Heißluftnieten, Leitsätze veröffentlicht in Mitt 2011, 71, vollständige Entscheidung abrufbar unter juris Das Rechtsportal).
2.
Das Einspruchsverfahren ist vielmehr in der Hauptsache erledigt (BGH GRUR 1999, 571 ff. - künstliche Atmosphäre; GRUR 1997, 615 ff. - Vornapf; BPatGE a. a. O. - Radauswuchtmaschine) Die Entscheidung des 7. Senats (a. a. O.) erfordert es nach Auffassung des erkennenden Senats nicht, von der bisherigen Rechtsprechung abzurücken. Der Annahme einer Erledigung steht insbesondere nicht entgegen, dass das Patent nicht widerrufen und damit das Ziel des Einspruchsverfahren nicht erreicht oder der Erteilungsbeschluss nicht mit Wirkung ex tunc beseitigt worden wäre, ebenso wenig ein Fortbestand des Allgemeininteresses. Es ist auch nicht erforderlich, dass der Patentinhaber gegenüber der Allgemeinheit eine Freistellungserklärung abgibt.
2.1. Der Bestand des Erteilungsbeschlusses hat für die Frage der Erledigung des Einspruchs keine Bedeutung. Das Einspruchsverfahren dient nicht der Überprüfung des Erteilungsbeschlusses (vgl. Busse, PatG, 6. Aufl. 2003, § 147 Rn. 28 m.
w. N.). Dieser ist vielmehr im Zeitpunkt der Veröffentlichung der Patenterteilung, ab dem Einspruch erhoben werden kann (§ 59 Abs. 1 S. 1 PatG), bereits in Bestandskraft erwachsen. Sie tritt ein, sobald der Erteilungsbeschluss nicht mehr angefochten werden kann, also mit Ablauf der Beschwerdefrist des § 73 Abs. 2 S.
1 PatG oder mit Erklärung eines Rechtsmittelverzichts. Gegenstand des Einspruchs ist allein das formell wirksam erteilte Patent. Dies ergibt sich bereits aus dem Wortlaut der §§ 59 Abs. 1 S. 1, Abs. 2 S. 1, 61 Abs. 1 S.
1 PatG (vgl. auch Busse, PatG, 6. Aufl. 2003, § 59, Rn. 191; Schulte, PatG, 8. Aufl. 2008, § 59 Rn. 171; BGH GRUR 1999, 571 ff. - künstliche Atmosphäre, TZ II 1 b)bb)). Der Einspruch hat demzufolge keine Auswirkungen auf die Wirksamkeit der Patenterteilung (vgl. BGH a. a. O. Vornapf) und richtet sich nicht gegen den Erteilungsbeschluss der, wie sich aus § 61 Abs. 1 S. 1 PatG ergibt, weder bei vollständigem Widerruf oder teilweiser Aufrechterhaltung des Patents ganz oder teilweise beseitigt wird. § 61 Abs. 1 S. 1 PatG zeigt, dass das Einspruchsverfahren entgegen der Auffassung des 7. Senats (a. a. O. B. 4.b) cc)aaa)) auch nicht in erster Linie auf die rückwirkende Beseitigung der Patenterteilung (s. o.) oder eines erteilten Patents gerichtet ist. Im Interesse der Allgemeinheit, vor zu Unrecht erteilten Patenten geschützt zu werden, gewährt das Gesetz nach Veröffentlichung der Patenterteilung beliebigen Dritten nur die Gelegenheit, mittels des Einspruchs die Schutz(un)fähigkeit der Erfindung klären zu lassen (BGH a. a. O. - künstliche Atmosphäre). Rechtsschutz wird insoweit gewährt, als das Patent als Verfahrensgegenstand auf Vorliegen der in § 21 Abs. 1 PatG genannten Widerrufsgründe überprüft wird. Der Einsprechende macht weder einen eigenen subjektiven Anspruch auf Widerruf des angegriffenen Patents geltend, noch einen solchen Anspruch der Öffentlichkeit.
2.2. Der Charakter des Einspruchs als Popularrechtsbehelf hat nicht zur Folge, dass das Einspruchsverfahren nach Erlöschen des Patents auch ohne ein Rechtsschutzbedürfnis des Einsprechenden fortzusetzen ist. Es ist für die Annahme einer Erledigung auch nicht erforderlich, dass der Patentinhaber gegenüber der Öffentlichkeit erklärt, er werde gegen niemanden Rechte aus dem erloschenen Patent für die Vergangenheit geltend machen.
2.2.1. Das Einspruchsverfahren stellt eine Ausnahme von dem Grundsatz dar, dass in Rechtsschutzverfahren gegenüber Behörden nur eigene Rechte verfolgt werden können und sich der Einzelne nicht zum Sachwalter von Belangen der Allgemeinheit machen kann, es sei denn, dies ist gesetzlich vorgesehen (BGH a. a. O. - Vornapf). Die gesetzliche Regelung eines Popularrechtsbehelfs bedarf wegen dessen Ausnahmecharakters der Rechtfertigung. Sie liegt im Falle des Einspruchs in der von einem bestehenden Patent ausgehenden Ausschlusswirkung (§§ 9 ff. PatG) gegenüber jedermann. Diese Ausschlusswirkung rechtfertigt auch die weiteren Einschränkungen, denen der Einsprechende unterliegt: Er kann das Verfahren mit Rücksicht auf die Interessen der Öffentlichkeit nur in gewissem Umfang gestalten. Er kann den Prüfungsumfang nicht bestimmen, also das Patent nicht nur teilweise angreifen (vgl. BGH GRUR 2003, 695 - Automatisches Fahrzeuggetriebe) oder seinen Angriff auf bestimmte Widerrufsgründe beschränken (BGH GRUR 1995, 333 - Aluminium-Trihydroxid). Darüber hinaus kann er das Verfahren nicht durch Rücknahme des Einspruchs beenden (§ 61 Abs. 1 S. 2 PatG). Daraus ergibt sich, dass der Einsprechende mit dem Einspruch keine eigenen oder fremden subjektiven Rechte geltend macht. Er nimmt lediglich die Möglichkeit wahr, das Patent überprüfen zu lassen, ohne jedoch als Vertreter oder als Prozessstandschafter der Allgemeinheit zu wirken. Dieser Gesichtspunkt führt im Nichtigkeitsverfahren dazu, dass eine Klagerücknahme nicht der Zustimmung des Beklagten bedarf (st. Rspr., vgl. BGH GRUR 1993, 895 - Hartschaumplatten), im Einspruchsverfahren kann der Einsprechende nach Erlöschen des Patents nicht als Sachwalter von Belangen der Allgemeinheit auftreten, wobei auch Gesichtspunkte der Prozessökonomie zu beachten sind (BGH a. a. O. - Vornapf).
2.2.2. Rechtfertigt aber nur die tatsächliche Ausschlusswirkung eines bestehenden Patents gegenüber jedermann ausnahmsweise ein Popularverfahren, kann dies zwangsläufig nicht hinsichtlich der Wirkungen des erloschenen Patents zwischen Veröffentlichung der Erteilung und Erlöschen gelten. Letzteres betrifft die Vergangenheit, mithin einen abgeschlossenen Zeitraum, in dem das Patent allenfalls Dritte betroffen haben kann. Auch der 7. Senat führt in seiner Entscheidung a. a. O. im Einzelnen aus, unter welchen konkreten Umständen Dritte in der Vergangenheit durch das Patent beeinträchtigt worden sein könnten. Auch wenn diese Dritten Teil der Allgemeinheit sind, unterliegt es daher keinem Zweifel, dass im relevanten Zeitabschnitt bis zum Erlöschen des Patents nur deren Individualinteressen eine Rolle spielen können. Gerade dies kann aber ein (weiteres) Abweichen vom Grundsatz, dass in Rechtsschutzverfahren gegenüber Behörden nur eigene Rechte verfolgt werden können, nicht rechtfertigen. Eine § 61 Abs. 1 S. 2 PatG vergleichbare gesetzliche Vorschrift für die Fortsetzung des Verfahrens nach Erlöschen eines Patents von Amts wegen gibt es nicht. Im Übrigen finden im Einspruchsverfahren auch bei einem bestehenden Patent Individualinteressen am Verfahren nicht Beteiligter keine Berücksichtigung, wie auch das Allgemeininteresse keine über die oben unter TZ. 2.2.1. genannten hinausgehende Einflüsse auf Inhalt und Ergebnis eines Einspruchsverfahrens hat. Die Allgemeinheit ist vielmehr vom rechtsgestaltenden oder -bestätigenden Ergebnis des Einspruchsverfahrens nur reflexartig betroffen.
Vor diesem Hintergrund kommt es nicht darauf an, dass im Falle des Erlöschens nicht feststellbar ist, ob oder inwieweit Dritte von dem Patent betroffen waren oder ob und inwieweit Dritte an zukünftigen (freien oder beschränkten) Benutzungen interessiert sind, oder die Frage der Schutz(un)fähigkeit für eine bereits erfolgte Benutzung in der Vergangenheit geklärt wissen wollen. Ein von Amts wegen zu erbringender Nachweis, dass nicht am Verfahren beteiligte Dritte vom erloschenen Patent nicht beeinträchtigt worden sind, kann nach alledem nicht gefordert werden, und damit auch nicht der Ausschluss einer solchen Beeinträchtigung durch eine an die Allgemeinheit gerichtete Freistellungserklärung.
2.2.3. Ein weiterer Aspekt, ein (möglicherweise lang dauerndes) Einspruchsverfahren nicht ohne ein konkret erkennbares Rechtsschutzbedürfnis des am Verfahren beteiligten Einsprechenden fortzuführen, ist der Grundsatz der Prozessökonomie (vgl. insoweit auch BGH a. a. O. - Vornapf: "... - zumal in Zeiten knapper öffentlicher finanzieller Mittel - ...").
Die teleologische Interpretation des Verfahrensrechts verlangt die Berücksichtigung von Zweckmäßigkeit, Sachdienlichkeit, Praktikabilität, Effektivität und Wirtschaftlichkeit des Verfahrens. Bei der Anwendung des Grundsatzes der Prozessökonomie auf das einzelne Verfahren sind die Auswirkungen auf das Verfahren als Institution mit einzubeziehen. Für das Einspruchsverfahren, in dem subjektive Rechte nicht geltend gemacht werden, gilt insoweit, dass seine Fortsetzung ohne konkrete Rechtsbeeinträchtigung zugunsten einer am Verfahren nicht beteiligten Allgemeinheit nicht gerechtfertigt und - auch im Hinblick auf die Möglichkeit eines Nichtigkeitsverfahrens - nicht erforderlich ist. Hierbei ist neben den oben unter TZ. 2.2.2. genannten Gründen zu berücksichtigen, dass auch das allgemein anerkannte Interesse der Allgemeinheit, vor zu Unrecht erteilten Patenten geschützt zu werden, nicht dazu führt, dass erteilte Patente ohne Antrag von Amts wegen überprüft werden können, selbst wenn sie erkennbar schutzunfähig sind, wie dies bei bestimmten Eintragungshindernissen nach § 50 Abs. 3 MarkenG möglich ist. Damit korrespondiert die Annahme der Erledigung des Einspruchsverfahrens nach Erlöschen des Patents, wenn ein konkretes Rechtsschutzbedürfnis nicht vorliegt.
3. Die Erledigung ist nach der Rechtsprechung des erkennenden Senats aus Gründen der Rechtssicherheit im Beschlusswege auszusprechen (BPatGE 51, 128 ff. - Radauswuchtmaschine; zur Gestaltungsfreiheit des BPatG im Verfahrensrecht vgl. BGH GRUR 1995, 577 ff. - Drahtelektrode unter Bezugnahme auf die Amtliche Begründung zum Sechsten Gesetz zur Änderung und Überleitung von Vorschriften auf dem Gebiet des gewerblichen Rechtsschutzes vom 23. März 1961, BlPMZ 1961, 140, 155).
III.
Die Zulassung der Rechtsbeschwerde beruht auf § 100 Abs. 2 Nrn. 1 und 2 PatG. Die Frage, welche Wirkung das Erlöschen des Patents im Einspruchsverfahren hat, ist eine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung, die von den einzelnen Senaten des Bundespatentgerichts derzeit unterschiedlich beantwortet wird, so dass die Rechtsbeschwerde auch zur Fortbildung des Rechts und zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Bundesgerichtshofs erfordert.
Dr. Winterfeldt Baumgärtner Dr. Morawek Dr. Müller Ko
BPatG:
Beschluss v. 13.04.2011
Az: 21 W (pat) 308/08
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