Bundesgerichtshof:
Beschluss vom 30. November 2009
Aktenzeichen: AnwZ (B) 11/08

(BGH: Beschluss v. 30.11.2009, Az.: AnwZ (B) 11/08)

Tenor

Die sofortige Beschwerde des Antragstellers gegen den Beschluss des 2. Senats des Anwaltsgerichtshofs des Landes Nordrhein-Westfalen vom 2. November 2007 wird zurückgewiesen.

Der Antragsteller hat die Kosten des Beschwerdeverfahrens zu tragen und der Antragsgegnerin die im Beschwerdeverfahren entstandenen notwendigen außergerichtlichen Auslagen zu erstatten.

Der Geschäftswert für das Beschwerdeverfahren wird auf 5.000 € festgesetzt.

Gründe

I.

Der Antragsteller ist Rechtsanwalt und Notar in einer aus vier Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälten bestehenden Sozietät in E. . Unter seinem Namen erschien im Juli 2006 auf der Homepage der Bundesagentur für Arbeit eine Stellenanzeige, mit der eine "Traineestelle für junge Anwältinnen/Anwälte" angeboten wurde. Die Anzeige enthält im Anschluss an eine Darstellung des Trainee-Programms folgenden Text:

"Der Trainee wird in ein auf zwei Jahre befristetes Angestelltenverhältnis inklusive sämtlicher Sozialversicherungen übernommen. Wir übernehmen zusätzlich die Kosten für die Berufshaftpflicht und die Anwaltskammer. Daneben übernehmen wir noch anfallende Fahrtkosten, die aus dienstlichem Anlass erfolgen. Wir unterstützen den jungen Anwalt auch bei Fortbildungsveranstaltungen durch Übernahme der Seminargebühren. Wir zahlen als Grundvergütung ein Gehalt, welches ein wenig über dem Referendargehalt liegt. Zusätzlich wird eine Umsatzbeteiligung an denjenigen Mandaten gewährt, die der Trainee selbst akquiriert."

Mit Bescheid vom 29. März 2007 erteilte die Antragsgegnerin dem Antragsteller einen mit einer Rechtsmittelbelehrung versehenen "belehrenden Hinweis", in dem es unter anderem heißt:

"Nach § 26 BORA dürfen Rechtsanwälte nur zu angemessenen Bedingungen beschäftigt werden ... In Ermangelung einer vereinbarten Vergütung ist gemäß § 612 Abs. 2 BGB die übliche Vergütung zu zahlen. Nach unten hin bietet § 138 BGB eine sichere Grenze, die dort verläuft, wo die anwaltliche Leistung und die pekuniäre Gegenleistung in einem groben Missverhältnis zueinander stehen ...

Der Vorstand ist der Auffassung, dass hier ein solches Missverhältnis nach § 138 BGB besteht, wenn sie als Vergütung eine etwas über dem Referendargehalt liegende Vergütung anbieten. Die Unterhaltsbeihilfe für Rechtsreferendare für Ledige betrug (Stand 01.01.2006) 894,75 €. Eine wenig über diesem Referendargehalt liegende Vergütung dürfte also unter 1.000 € liegen.

Im Merkblatt des Deutschen Anwaltvereins für das Jahr 2002 wurde eine Vergütung für ausgebildete Rechtsanwalts- und ReNo-Fachangestellte ermittelt und zwar für Berufsanfänger von 1.200 bis 1.500 €. ... Wenn aber Berufsanfänger von ausgebildeten Rechtsanwalts- und ReNo-Fachangestellten bereits eine Mindestvergütung von 1.200 € erhalten, dann ist es unsittlich, einen Volljuristen, der sein Zweites Staatsexamen abgelegt hat, zu Beträgen unter 1.000 € zu beschäftigen.

Der Vorstand hat gesehen, dass ein Verstoß gegen § 26 BORA nur dann eingreift, wenn Rechtsanwälte zu unangemessenen Bedingungen beschäftigt werden, d.h. ein Vertrag bereits abgeschlossen wurde. Der Vorstand ist aber ebenso der Meinung, dass hier im Rahmen des § 43 BRAO dem Rechtsanwalt vorgegeben ist, seinen Beruf stets gewissenhaft auszuüben. Das Anbieten solcher Verträge, die dann bei Abschluss gegen § 26 BORA verstoßen würden, ist nach Auffassung des Vorstandes mit der gewissenhaften Berufsausübung des Rechtsanwalts nach § 43 BRAO nicht zu vereinbaren."

Der Antragsteller hat gerichtliche Entscheidung beantragt. Der Anwaltsgerichtshof hat den Antrag zurückgewiesen (NJW 2008, 668). Dagegen wendet sich der Antragsteller mit seiner vom Anwaltsgerichtshof zugelassenen sofortigen Beschwerde.

II.

Die Entscheidung des Senats ergeht in der nach § 106 Abs. 2 Satz 1 BRAO a.F. maßgeblichen Besetzung mit sieben Richtern. Zwar entscheidet der Senat vom 1. September 2009 an auch in zu diesem Zeitpunkt bereits anhängigen Altverfahren nach § 106 Abs. 2 Satz 1 BRAO in der Fassung des Gesetzes zur Modernisierung von Verfahren im anwaltlichen und notariellen Berufsrecht vom 30. Juli 2009 (BGBl I 2449, 2456) grundsätzlich in der seitdem maßgeblichen verkleinerten Besetzung mit fünf Richtern (Senatsbeschluss vom 4. November 2009 - AnwZ (B) 16/09, z.V.b., Leitsatz d sowie unter II). Dies gilt jedoch nicht in Fällen, in denen - wie hier - die Beratung bereits vor dem 1. September 2009 in der maßgeblichen Besetzung mit sieben Richtern begonnen hat. Die Entscheidung konnte im schriftlichen Verfahren ergehen, da die Beteiligten auf mündliche Verhandlung verzichtet haben.

III.

1. Die sofortige Beschwerde ist nach § 215 Abs. 2 BRAO, § 223 Abs. 3 BRAO a.F. statthaft und auch im Übrigen zulässig (§ 223 Abs. 4 i.V.m. § 42 Abs. 4 bis 6 BRAO a.F.). Zwar hat der Antragsteller die Frist von zwei Wochen zur Einlegung der sofortigen Beschwerde (§ 42 Abs. 4 BRAO a.F.) nicht gewahrt. Dem Antragsteller ist jedoch auf seinen rechtzeitig gestellten Antrag hin Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren, weil er glaubhaft gemacht hat, dass ihn kein Verschulden an der Fristversäumung trifft (§ 42 Abs. 6 Satz 2 BRAO a.F., § 22 Abs. 2 FGG a.F.).

2. Die sofortige Beschwerde ist unbegründet.

a) Der Anwaltsgerichtshof hat mit Recht angenommen, dass es sich bei dem "belehrenden Hinweis" der Antragsgegnerin - wie auch die beigefügte Rechtsmittelbelehrung deutlich macht - um einen in entsprechender Anwendung des § 223 Abs. 1 BRAO a.F. anfechtbaren Verwaltungsakt handelt (vgl. BGH, Beschl. v. 25. Juli 2005 - AnwZ (B) 42/04, NJW 2005, 2692; Beschl. v. 13. August 2007 - AnwZ (B) 51/06, NJW 2007, 3349). Diese Vorschrift ist nach der Übergangsregelung in § 215 Abs. 2 BRAO weiterhin anwendbar, weil der belehrende Hinweis vor dem 1. September 2009 ergangen ist.

b) Ohne Erfolg beruft sich der Antragsteller auf eine Verletzung seines rechtlichen Gehörs im Verwaltungsverfahren. Ein solcher etwa erfolgter Verfahrensverstoß wird dadurch geheilt, dass der Betroffene - wie hier der Antragsteller - spätestens vor dem Senat ausreichend rechtliches Gehör erhält. Dies hat der Senat bereits für Verfahrensverstöße des Anwaltsgerichtshofs (st. Rspr., BGHZ 77, 327, 329; Beschl. v. 29. November 1993 - AnwZ (B) 34/93, BRAK-Mitt. 1994, 47; Beschl. v. 24. Oktober 1994 - AnwZ (B) 30/94, BRAK-Mitt. 1995, 76 f.; Beschl. v. 18. Juni 2001 - AnwZ (B) 10/00, NJW-RR 2001, 1642) und für einen Gehörsverstoß in einem Verwaltungsverfahren betreffend den Widerruf der Zulassung (§ 16 Abs. 2 BRAO a.F.) entschieden (Beschl. v. 18. Oktober 1999 - AnwZ (B) 95/98, BRAK-Mitt. 2000, 42). Für einen - unterstellten - Verstoß gegen die vor Erlass eines belehrenden Hinweises analog § 74 Abs. 3 BRAO (vgl. hierzu Feuerich/Weyland, BRAO, 7. Aufl., § 74 Rdn. 11 f.) erforderliche Anhörung gilt nichts anderes.

c) Zu Recht hat die Antragsgegnerin die vom Antragsteller zu verantwortende Stellenanzeige auf der Homepage der Bundesagentur für Arbeit missbilligt. Der Antragsteller hat in dieser Stellenanzeige Beschäftigungsverträge angeboten, die im Falle ihres Abschlusses gegen § 26 Abs. 1 BORA verstoßen würden, und damit - jedenfalls - gegen die sich aus § 43 Satz 2 BRAO ergebenden Berufspflichten verstoßen.

aa) Der Annahme einer Pflichtverletzung steht nicht entgegen, dass die Stellenanzeige nicht zum Abschluss eines Arbeitsvertrags geführt hat. Die in § 26 BORA statuierte Berufspflicht, Rechtsanwälte nur zu angemessenen Bedingungen zu beschäftigen, wirkt sich - jedenfalls in Verbindung mit der Generalklausel des § 43 Satz 2 BRAO - bereits im Vorfeld des Vertragsschlusses aus und verbietet es einem Rechtsanwalt, durch allgemein zugängliche Stellenanzeigen den Abschluss von Beschäftigungsverhältnissen mit unangemessenen Bedingungen anzubahnen. Das öffentliche Anbieten solcher Beschäftigungsverhältnisse gefährdet das Ansehen der Rechtsanwaltschaft und ist dazu geeignet, andere Berufsträger zu einem vergleichbaren Verhalten zu ermutigen. Daher verstößt der Rechtsanwalt bereits durch die Veröffentlichung einer Stellenanzeige, in der unangemessene Beschäftigungsbedingungen beschrieben werden, gegen die sich aus § 43 Satz 2 BRAO ergebende Pflicht, sich innerhalb und außerhalb des Berufes der Achtung des Vertrauens, welche die Stellung des Rechtsanwalts erfordert, würdig zu erweisen.

bb) Die in der Stellenanzeige angebotenen Beschäftigungsbedingungen sind unangemessen i.S. des § 26 BORA.

(1) Die Abgrenzung angemessener von nicht angemessenen Beschäftigungsbedingungen setzt eine umfassende Würdigung aller für die Beurteilung maßgeblichen Umstände voraus. Ob die arbeitsvertraglichen Bedingungen für die Beschäftigung angestellter Rechtsanwälte angemessen sind, hängt nicht allein von der absoluten Höhe der dem angestellten Rechtsanwalt gezahlten Vergütung ab; § 26 Abs. 1 Satz 2 Buchst. b BORA schreibt keinen bestimmten "Mindestlohn" für angestellte Rechtsanwälte vor (Koch in Henssler/Prütting, BRAO, 3. Aufl., § 26 BORA Rdn. 7). Maßgebend ist, ob die Vergütung der Qualifikation, den Leistungen und dem Umfang der Tätigkeit des Beschäftigten und den Vorteilen des beschäftigenden Rechtsanwalts aus dieser Tätigkeit entspricht. Daraus ergibt sich, dass sich die Angemessenheit einer Vergütung nicht abstrakt aufgrund der Höhe ihres Geldbetrages, sondern nur auf der Grundlage des Gesamtgefüges von Leistung und Gegenleistung beurteilen lässt.

Unangemessene Beschäftigungsbedingungen i.S. des § 26 BORA sind jedenfalls dann anzunehmen, wenn Leistung und Gegenleistung in einem auffälligen Missverhältnis zueinander stehen, welches einen objektiven Verstoß gegen die guten Sitten nach § 138 BGB begründet (Nerlich in Hartung/Römermann, Berufs- und Fachanwaltsordnung, 4. Aufl., § 26 BORA Rdn. 96). Dabei kommt es aber auf eine - für das Unwerturteil im Rahmen des § 138 Abs. 1 BGB unerlässliche - verwerfliche Gesinnung des Begünstigten im Rahmen des § 26 BORA nicht an, weil diese Vorschrift mit dem Begriff der "Unangemessenheit" einen rein objektiv zu bestimmenden Maßstab an die Beurteilung der Beschäftigungsbedingungen anlegt.

(2) Die angebotene Vergütung steht hier in einem auffälligen Missverhältnis zu der geforderten Gegenleistung.

(a) Die vom Antragsteller in Aussicht gestellte Grundvergütung sollte nach dem Inhalt der Stellenanzeige "ein wenig über dem Referendargehalt" liegen. Da die Unterhaltsbeihilfe für Rechtsreferendare in N. im vergleichbaren Zeitraum 894,25 € betrug, wird der von der Stellenanzeige angesprochene durchschnittlich informierte Leser, von dem angenommen werden kann, dass ihm die ungefähre Höhe der Referendarvergütung bekannt ist, hierunter ein Bruttogehalt verstehen, welches allenfalls unwesentlich über 1.000 € liegt. Mit der Behauptung, er habe eine anfängliche Bruttogrundvergütung von 1.500 € zahlen wollen kann der Antragsteller, abgesehen davon, dass für die Richtigkeit dieses Vorbringens jeder objektive Anhaltspunkt fehlt, nicht gehört werden. Da es dem Rechtsanwalt - wie dargelegt - nach § 43 Satz 2 BRAO i.V. mit § 26 BORA bereits untersagt ist, öffentlich auf den Abschluss von Arbeitsverträgen zu unangemessenen Bedingungen hinzuwirken, kommt es für die Beurteilung einer Berufspflichtverletzung maßgeblich darauf an, wie ein von der Stellenanzeige angesprochener verständiger Durchschnittsempfänger die dort angebotenen Beschäftigungsbedingungen versteht.

Selbst bei Bewertung der zusätzlich in Aussicht gestellten Leistungen (wie der Übernahme der Berufshaftpflichtversicherung, des Beitrags für die Anwaltskammer, der Seminargebühren für Fortbildungsveranstaltungen und möglicherweise des Arbeitnehmeranteils der Sozialversicherungsbeiträge) als Gehaltsbestandteile wird der Leser der Stellenanzeige nicht annehmen, dass der Wert der vom Antragsteller in Aussicht gestellten Leistungen mehr als 1.250 € beträgt. Dass die diesbezüglichen Einzelheiten einschließlich der genauen Höhe der Vergütung vor dem Abschluss eines Arbeitsvertrags noch auszuhandeln sein mögen, steht dieser Beurteilung angesichts des geringen Spielraums, den die Anzeige hierfür lässt, nicht entgegen. Die in Aussicht gestellte Umsatzbeteiligung an eigenen Mandaten ist nicht als Gehaltsbestandteil zu berücksichtigen, weil sich einem Berufsanfänger erfahrungsgemäß kaum die Möglichkeit zu erfolgreicher Akquisitionstätigkeit bietet, so dass mit einem regelmäßigen über die Grundvergütung hinausgehenden Verdienst aus der Umsatzbeteiligung nicht zu rechnen ist.

(b) Der Gesamtwert der vom Antragsteller in Aussicht gestellten Leistungen ist zu der verkehrsüblichen Vergütung von Rechtsanwälten in vergleichbaren Angestelltenverhältnissen in Beziehung zu setzen. Die verkehrsübliche Vergütung gibt Aufschluss über den für die Beurteilung des (Miss-) Verhältnisses zwischen Leistung und Gegenleistung maßgeblichen objektiven Marktwert der Arbeitsleistung; sie bestimmt sich, wenn - wie hier - ein Tarifvertrag nicht existiert oder der vereinbarte Tariflohn nicht der verkehrsüblichen Vergütung entspricht, nach dem allgemeinen Lohnniveau in dem betreffenden Wirtschaftsgebiet (BAG, Urt. v. 22. April 2009 - 5 AZR 436/08, DB 2009, 1599; Urt. v. 24. März 2004 - 5 AZR 303/03, BAGE 110, 79, 83; Urt. v. 21. Juni 2000 - 5 AZR 806/98, NJW 2000, 3589; speziell zur Rechtsanwaltsvergütung ArbG Bad Hersfeld, BRAK-Mitt. 2000, 147, bestätigt durch LAG Frankfurt am Main, BRAK-Mitt. 2000, 151 = NJW 2000, 3372).

Der Anwaltsgerichtshof hat, gestützt auf eine Dokumentation der Bundesrechtsanwaltskammer, ein Gutachten des Instituts für Freie Berufe Nü. , eine Studie des Soldan-Instituts für Anwaltsmanagement (BRAK-Mitt. 2006, 55 f.) und weiteres Datenmaterial, festgestellt, dass das durchschnittliche Einstiegsgehalt eines angestellten Rechtsanwalts ohne besondere Spezialisierung, ohne besondere Zusatzqualifikation und ohne Prädikatsexamen im Jahr 2006 rund 2.300 € brutto für eine Vollzeitstelle betragen hat. Hiervon ist auch im Beschwerdeverfahren auszugehen, nachdem der Antragsteller keine Einwände gegen die genannten Untersuchungen oder deren Auswertung durch den Anwaltsgerichtshof erhoben hat.

(c) Der Gesamtwert der in der Stellenanzeige in Aussicht gestellten Leistungen steht zu dem branchenüblichen Einstiegsgehalt in einem auffälligen Missverhältnis i.S. von § 138 BGB. Nach der neueren Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts (Urt. v. 22. April 2009 - 5 AZR 436/08, DB 2009, 1599) ist ein auffälliges Missverhältnis zwischen der erbrachten Arbeitsleistung und der hierfür vereinbarten Vergütung schon dann anzunehmen, wenn diese nicht einmal zwei Drittel eines in der betreffenden Branche und Wirtschaftsregion üblicherweise gezahlten Tariflohns oder - wenn ein Tariflohn nicht existiert oder nicht der verkehrsüblichen Vergütung entspricht - des allgemeinen Lohnniveaus in dem betreffenden Wirtschaftsgebiet erreicht. Es braucht nicht entschieden zu werden, ob und inwieweit diese Rechtsprechung für die Beurteilung der Vergütung von angestellten Rechtsanwälten und die Frage ihrer Sittenwidrigkeit Geltung beanspruchen kann. Jedenfalls dann, wenn - wie hier - die angebotene Gesamtvergütung nur knapp über der Hälfte des branchenüblichen Gehalts liegt, besteht regelmäßig zwischen Leistung und Gegenleistung ein auffälliges Missverhältnis.

(d) Eine abweichende Bewertung ist hier auch nicht im Hinblick darauf geboten, dass sich die Stellenanzeige ihrem gesamten Inhalt nach gezielt an Bewerber mit vergleichsweise geringer Qualifikation richtet.

Solche besonderen Umstände des Einzelfalls, die von dem statistisch ermittelten durchschnittlichen Gehaltsgefüge möglicherweise nicht hinreichend abgebildet werden, können allerdings die Bestimmung des Wertes der Arbeitsleistung beeinflussen und dazu führen, dass diese mit einem Betrag unterhalb des durchschnittlichen Lohnniveaus anzusetzen ist. Dies gilt hier umso mehr, als mit der erwarteten unterdurchschnittlichen Qualifikation des Bewerbers - jedenfalls in der Anfangsphase des sog. Trainee-Programms - eine deutliche Reduzierung der fachlichen Anforderungen verbunden ist. Nach der Beschreibung des "Trainee-Programms" soll der angestellte Rechtsanwalt zunächst nur Assistenztätigkeiten übernehmen und an Stelle eines Rechtsanwaltsfachangestellten in die Dezernatsführung einbezogen werden. Erst später soll er nach und nach die eigenständige Bearbeitung von Fällen und sonstige anwaltliche Tätigkeiten übernehmen.

Auch unter diesen Umständen ist jedoch eine Vergütung des angestellten Rechtsanwalts, die sogar das durchschnittliche Anfangsgehalt eines Rechtsanwalts- und RENO-Fachangestellten unterschreitet, nicht mit § 26 BORA vereinbar. Die in der Anzeige angebotene Vergütung liegt aber unter diesem Gehalt. Nach dem Merkblatt des Deutschen Anwaltsvereins (abgedruckt bei Nerlich in Hartung/Römermann, Berufs- und Fachanwaltsordnung, 4. Aufl., Vorbem. zu § 26 BORA) beläuft sich die Vergütung eines ausgebildeten Rechtsanwalts- und RENO-Fachangestellten auf 1.200 € bis 1.500 € im ersten und auf 1.300 € bis 1.700 € im zweiten bis vierten Berufsjahr. Das in Aussicht gestellte Gehalt bewegt sich mithin im untersten Bereich der Vergütung, die ein Rechtsanwalts- und RENO-Fachangestellter erhält. Auch wenn der angestellte Rechtsanwalt zu Beginn der Tätigkeit zu Ausbildungszwecken teilweise mit Aufgaben betreut werden soll, die sonst von einem Rechtsanwalts- und RENO-Fachangestellten wahrgenommen werden, steht dies zu der geforderten Gegenleistung, die nach Abschluss der Einarbeitungsphase überwiegend in rechtsanwaltlicher Tätigkeit besteht, in einem auffälligen Missverhältnis. Dass das Gehalt mit zunehmender anwaltlicher Tätigkeit des angestellten Rechtsanwalts erhöht würde, lässt sich der Stellenanzeige nicht entnehmen.

(e) Auch das angebotene "Trainee-Programm" ändert an dieser Beurteilung nichts.

Allerdings sind bei der gebotenen Gesamtbetrachtung nicht die finanziellen Aspekte sondern auch weitere Umstände zu berücksichtigen, die ein Beschäftigungsverhältnis für den angestellten Rechtsanwalt attraktiv machen können (Nerlich, aaO, § 26 BORA Rdn. 164). Für einen Berufsanfänger mit fehlender Erfahrung und auch im Übrigen geringerer Qualifikation kann eine unterdurchschnittliche Vergütung in gewissem Umfang dadurch kompensiert werden, dass er in seiner Erstanstellung ein Ausbildungsprogramm durchläuft, das seiner Weiterqualifikation dient.

Das im Streitfall angebotene "Trainee-Programm" kann jedoch einen Vergütungsabschlag, jedenfalls einen solchen der hier in Rede stehenden Größenordnung, nicht rechtfertigen. Dieses unterscheidet sich von üblichen kanzleifinanzierten Weiterqualifizierungsmaßnahmen dadurch, dass es nicht darauf abzielt, den angestellten Rechtsanwalt langfristig zu einem vollwertigen Mitarbeiter aufzubauen, der die erworbenen Fähigkeiten möglichst lange zum Nutzen der Kanzlei einsetzt. Das Beschäftigungsverhältnis ist vielmehr von vornherein auf zwei Jahre befristet; eine Übernahme in ein unbefristetes Arbeitsverhältnis wird ausdrücklich ausgeschlossen. Dies ist für die Beurteilung der Qualität und damit des Gegenwertes des "Trainee-Programms" von erheblicher Bedeutung, weil der Antragsteller unter diesen Umständen ein allenfalls unwesentliches eigenes wirtschaftliches Interesse am Erreichen des Ausbildungsziels hat.

Entsprechend dieser Interessenlage sind die angebotenen Weiterbildungsmaßnahmen in der Stellenanzeige auch nur sehr allgemein und wenig aussagekräftig beschrieben. Dort heißt es nur, die Kanzlei werde den "Trainee" mit ihrem "gesamten Knowhow und Erfahrungsschatz unterstützen" und ihm mit dem "gesamten Team für seine Lernprozesse zur Verfügung stehen". Dies bleibt im Bereich allgemeiner Anpreisungen und lässt nicht erkennen, dass die angebotene Ausbildung über das hinausgeht, was ohnehin Bestandteil der gegenüber jedem Berufsanfänger mehr oder minder zu erbringenden Unterstützung bei der Einarbeitung ist. Ein hochwertiges Ausbildungsprogramm, etwa in Form von die praktische Tätigkeit begleitenden theoretischen Schulungen, eine Spezialisierung oder gar eine Fachanwaltsausbildung, wird gerade nicht angeboten. Unter diesen Umständen werden die von der Stellenanzeige angesprochenen Kreise durchweg den Eindruck gewinnen, das es dem Antragsteller nicht zuletzt darum geht, unter dem Deckmantel eines vorgeblichen "Trainee-Programms" Rechtsanwälte als billige Arbeitskräfte anzuwerben, die nach Ablauf der Beschäftigungszeit durch Neue ersetzt werden sollen. Dies ist mit § 26 BORA nicht zu vereinbaren.

d) Nach allem hat der belehrende Hinweis der Antragsgegnerin Bestand, weil diese den Antragsteller zu Recht darauf hingewiesen hat, dass der Inhalt der Stellenanzeige auf eine Beschäftigung zu objektiv sittenwidrigen und damit unangemessenen Bedingungen i.S. des § 26 BORA abzielt.

Tolksdorf Ernemann Frellesen Roggenbuck Kappelhoff Martini Quaas Vorinstanz:

AGH Hamm, Entscheidung vom 02.11.2007 - 2 ZU 7/07 -






BGH:
Beschluss v. 30.11.2009
Az: AnwZ (B) 11/08


Link zum Urteil:
https://www.admody.com/urteilsdatenbank/732c5be6840a/BGH_Beschluss_vom_30-November-2009_Az_AnwZ-B-11-08




Diese Seite teilen (soziale Medien):

LinkedIn+ Social Share Twitter Social Share Facebook Social Share