Bundespatentgericht:
Beschluss vom 8. Juli 2002
Aktenzeichen: 15 W (pat) 17/01
(BPatG: Beschluss v. 08.07.2002, Az.: 15 W (pat) 17/01)
Tenor
1. Der Beschluss der Patentabteilung 43 des Deutschen Patent- und Markenamts vom 21. März 2001 wird dahingehend geändert, daß Patentanspruch 1 durch den in der mündlichen Verhandlung am 8. Juli 2002 überreichten Patentanspruch 1 ersetzt wird.
2. Die weitergehende Beschwerde wird zurückgewiesen.
Gründe
I Auf die am 28. Juni 1995 eingereichte Patentanmeldung 195 23 494.4-43 hat das Deutsche Patentamt ein Patent mit der Bezeichnung
"Verwendung eines Klebebandes auf Spinnvliesbasis zur Bandagierung von Kabelbäumen"
erteilt. Die Patenterteilung wurde am 16. April 1998 veröffentlicht.
Nach Prüfung der erhobenen Einsprüche wurde das Patent mit Beschluss der Patentabteilung 43 vom 21. März 2001 in vollem Umfang aufrechterhalten.
Dem Beschluss lagen die Patentansprüche 1 bis 6 der DE 195 23 494 C2 mit folgendem Wortlaut zugrunde:
"1. Verwendung eines Klebebandes mit einem Träger aus Vliesmaterial, der einseitig mit einem Kleber beschichtet ist, zum Bandagieren von Kabelbäumen, dadurch gekennzeichnet, daß das Vlies ein Spinnvlies aus Polypropylen ist, das mit Hilfe eines Kalanders thermisch verfestigt und geprägt ist, wobei die Prägewalze eine Prägefläche von 10% bis 30% aufweist, und das - ein Vliesgewicht von 60 bis 100 g/m2,
- eine Vliesdicke von 400 µm bis 600 µm,
- eine Feinheit von 2 dtex bis 7 dtex,
- eine Reißkraft von 200 N/(5cm) bis 270 N/(5cm),
- eine Reißdehnung von 55% bis 85%, aufweist.
2. Verwendung eines Klebebandes nach Anspruch 1, dadurch gekennzeichnet, daß die Klebebeschichtung aus einer handelsüblichen druckempfindlichen Klebemasse auf Acrylat- oder Kautschukbasis besteht.
3. Verwendung eines Klebebandes nach einem der Ansprüche 1 oder 2, dadurch gekennzeichnet, daß die Rückseite des Vliesträgers antiadhäsiv behandelt ist.
4. Verwendung eines Klebebandes nach einem der Ansprüche 1 bis 3, dadurch gekennzeichnet, daß dem Vliesträger ein oder mehrere Additive wie Pigmente oder UV-Stabilisatoren zugesetzt sind.
5. Verwendung eines Klebebandes nach einem der Ansprüche 1 bis 4, dadurch gekennzeichnet, daß der Vliesträger flammfest ausgerüstet ist.
6. Verwendung eines Klebebandes nach Anspruch 5, dadurch gekennzeichnet, daß der Vliesträger durch den Zusatz von Ammoniumpolyphosphat flammfest ausgerüstet ist."
Die Aufrechterhaltung des Patents auf der Grundlage dieser Patentansprüche wurde damit begründet, dass die beanspruchte Verwendung im Hinblick auf den Stand der Technik gemäß der im Einspruchsverfahren vorgebrachten Druckschriften neu sei und auf einer erfinderischen Tätigkeit beruhe.
Gegen diesen Beschluss haben die Einsprechenden Beschwerde eingelegt.
Die Patentinhaberin hat in der mündlichen Verhandlung vom 8. Juli 2002 gemäß Hauptantrag einen neuen Patentanspruch 1 mit folgendem Wortlaut eingereicht:
"1.- Verwendung eines Klebebandes zum Bandagieren von Kabelbäumen,
- wobei das Klebeband einen Träger aus Vliesmaterial aufweist,
- der einseitig mit einem Kleber beschichtet ist, dadurch gekennzeichnet,
- dass das Vlies ein Spinnvlies aus Polypropylen ist,
- das mit Hilfe eines Kalanders thermisch verfestigt und geprägt ist,
- dessen Prägewalze (=Gravurwalze) eine Prägefläche von 10% bis 30% aufweist und dessen zweite Walze eine Glattwalze ist,
- wobei das Vlies - ein Vliesgewicht von 60 bis 100 g/m2,
- eine Vliesdicke von 400 µm bis 600 µm,
- eine Feinheit von 2 dtex bis 7 dtex,
- eine Reißkraft von 200 N/5cm bis 270 N/5cm und - eine Reißdehnung von 55% bis 85% aufweist."
Bezüglich der Ansprüche 2 bis 6 wird auf die DE 195 23 494 C2 verwiesen.
Gemäß Hilfsantrag lautet Patentanspruch 1, in den die Merkmale des Anspruchs 5 des Hauptantrags aufgenommen worden sind, wie folgt:
"1.- Verwendung eines Klebebandes zum Bandagieren von Kabelbäumen,
- wobei das Klebeband einen Träger aus Vliesmaterial aufweist,
- der einseitig mit einem Kleber beschichtet ist, dadurch gekennzeichnet,
- dass der Vliesträger flammfest ausgerüstet ist,
- dass das Vlies ein Spinnvlies aus Polypropylen ist,
- das mit Hilfe eines Kalanders thermisch verfestigt und geprägt ist,
- dessen Prägewalze (=Gravurwalze) eine Prägefläche von 10% bis 30% aufweist und dessen zweite Walze eine Glattwalze ist,
- wobei das Vlies - ein Vliesgewicht von 60 bis 100 g/m2,
- eine Vliesdicke von 400 µm bis 600 µm,
- eine Feinheit von 2 dtex bis 7 dtex,
- eine Reißkraft von 200 N/5cm bis 270 N/5cm und - eine Reißdehnung von 55% bis 85% aufweist."
Die Unteransprüche 2 bis 4 sind gegenüber dem Hauptantrag unverändert, der entsprechende Unteranspruch 5 ist gestrichen und der ehemalige Unteranspruch 6 ist zu Unteranspruch 5 umnumeriert.
Zur Begründung ihrer Beschwerde haben die Einsprechenden im wesentlichen vorgetragen, der geltende Patentanspruch 1 enthalte Merkmale, die keine ausreichend deutliche, technische Lehre vermittelten, und im übrigen sei die beanspruchte Lehre gegenüber der Druckschrift "Lünenschloß, J.; Albrecht, W.: Vliesstoffe. Stuttgart: Georg Thieme Verlag, 1982, S 48, 49, 106-119, 221-223, 230 (9)" an sich bereits nicht neu, jedenfalls aber gegenüber verschiedenen Kombinationen der im Verfahren befindlichen Druckschriften nicht erfinderisch.
Die Einsprechenden I und II stellen übereinstimmend den Antrag, den angefochtenen Beschluß aufzuheben und das Patent in vollem Umfang zu widerrufen. Sie regten hilfsweise die Zulassung der Rechtsbeschwerde im Hinblick auf die in der mündlichen Verhandlung überreichten Rechtsfragen an.
Die beiden von den Einsprechenden vorgelegten Rechtsfragen haben folgenden Wortlaut:
"1. Können Merkmale des Hauptanspruchs, die unbestimmt sind und keine eindeutige Lehre zum technischen Handeln vermitteln und die auch in der Beschreibung keine Erklärung erfahren, zur Beurteilung der Patentfähigkeit herangezogen werden€
2. Wie ist ein Material, das mit seinen Material-Parametern Gegenstand eines Patentanspruchs ist und das vom Patentinhaber in der mündlichen Verhandlung als zum Anmeldetag bekanntes Material angegeben wird und das jedoch bisher als bekanntes Material in der Patentschrift keinen Niederschlag gefunden hat, in der Patentschrift und bei der Beurteilung in Verbindung mit dem übrigen Stand der Technik zu würdigen€"
Die Patentinhaberin stellt den Antrag, das Patent mit folgenden Unterlagen beschränkt aufrechtzuerhalten:
- Patentanspruch 1, überreicht in der mündlichen Verhandlung,
- im übrigen mit den Unterlagen nach der Patentschrift DE 195 23 494 hilfsweise:
- Patentanspruch 1, überreicht in der mündlichen Verhandlung,
- Patentansprüche 2-4, 6 und im übrigen mit den Unterlagen nach der Patentschrift DE 195 23 494.
Sie hat dem Vorbringen der Einsprechenden widersprochen und im Wesentlichen geltend gemacht, dass der Gegenstand der geltenden Anspruchsfassung für den Fachmann in allen Merkmalen ausreichend klar sowie gegenüber dem entgegengehaltenen Stand der Technik neu sei und auch auf einer erfinderischen Tätigkeit beruhe.
Wegen weiterer Einzelheiten wird auf den Inhalt der Akten verwiesen.
II Die Beschwerden der Einsprechenden sind zulässig (PatG § 73). Sie sind jedoch im Hinblick auf das vorliegende, beschränkte Patentbegehren nach Hauptantrag unbegründet.
Die Gegenstände der Patentansprüche 1 bis 6 nach Hauptantrag sind in den ursprünglichen Unterlagen offenbart, da ihre Merkmale aus den dortigen Ansprüchen 1 bis 5 iVm S 2 Zeilen 9-11 von unten entnehmbar sind. Auch aus der deutschen Patentschrift DE 195 23 494 C2 (vgl die Ansprüche 1 bis 6 iVm Sp 1 Z 65) leiten sich die Merkmale der geltenden Patentansprüche 1 bis 6 des Hauptantrags ab.
Die geltende Anspruchsfassung vermittelt dem Fachmann in Verbindung mit der zugehörigen Patentbeschreibung eine in allen Merkmalen ausreichend klare technische Lehre:
Der maßgebliche Fachmann ist dabei ein Chemiker oder Chemieingenieur, der über spezielle Kenntnisse auf dem Gebiet der Klebebänder verfügt.
Für ihn lassen sich die Eigenschaften des streitpatentgemäß verwendeten Vlieses hinsichtlich seiner Verdichtung und Prägung durch die Kalanderwalzen durch die Eigenschaften dieser Walzen charakterisieren. Einer näheren Spezifizierung der Prägetiefe und des Prägemusters bedarf es für ihn nicht, da er ohne weiteres ein gleichmäßiges Verteilen der Stege und Vertiefungen über das Vliesband vorsehen wird und es keine konkreten Anhaltspunkte dafür gibt, dass verschiedene übliche Prägemuster nicht zum streitpatentgemäßen Erfolg führen.
Sollte er hinsichtlich des Aufbringens der Klebemasse unsicher sein, ob streitpatentgemäß die glatte oder die geprägte Fläche vorgesehen ist, so handelt es sich um das Ausprobieren von genau zwei Möglichkeiten, was für ihn im zumutbaren Rahmen liegt.
Bezüglich der parameterartigen Eigenschaften des Vlieses bestehen auch keine Zweifel, ob sie das Vlies vor der Kalandrierung oder nach der Kalandrierung betreffen. Sowohl durch die ursprüngliche Formulierung
"Verwendung eines Klebebandes mit einem Träger aus Vliesmaterial, .... dadurch gekennzeichnet, daß das Vlies ein Spinnvlies aus Polypropylen ist, das mit Hilfe eines Kalanders thermisch verfestigt und geprägt ist, ... und das ein Vliesgewicht ......, eine Vliesdicke ..... und eine Reißdehnung ..... aufweist", als auch durch die Formulierung nach dem nunmehr gestellten Hauptantrag
"Verwendung eines Klebebandes ......., wobei das Klebeband einen Träger aus Vliesmaterial aufweist, .... dadurch gekennzeichnet, daß das Vlies ein Spinnvlies aus Polypropylen ist, das mit Hilfe eines Kalanders thermisch verfestigt und geprägt ist, ... wobei das Vlies ein Vliesgewicht ......, eine Vliesdicke ..... und eine Reißdehnung ..... aufweist", ist durch den Gebrauch des Wortes "ist" eindeutig vorgesehen, dass das Vlies verfestigt und geprägt ist, bevor die Parameter daran gemessen werden.
Zudem würde zum Beispiel die Messung der Reißkraft am unverfestigten Vlies keinen Sinn machen, weil sie so für das patentgemäß anzustrebende Ziel, das Klebeband zur besseren Verarbeitbarkeit von Hand abreißbar zu machen, ohne Aussagekraft bliebe.
Auch das vor allem von der Einsprechenden II vorgebrachte Argument, die Merkmale Vliesdicke, Reißkraft und Reißdehnung stellten mangels eines zugehörigen und im Streitpatent offenbarten Messverfahrens keine ausreichend deutliche technische Lehre dar, kann nicht greifen.
Wie in der Beschreibungseinleitung der DE 195 23 494 C2 (Sp 1 Z 7 bis 30) hervorgehoben wird, geht die Lehre des Streitpatents gezielt von der DE 94 01 037 U1 (3) als nächstliegendem Stand der Technik aus.
Die Begriffe Reißdehnung und Reißkraft stammen eindeutig aus der DIN-Norm 53 455, die gerade in dieser Druckschrift (vgl S 4 Abs 3 Z 2-3) als Messgrundlage für die entsprechenden Parameter zitiert ist. Diese Entgegenhaltung betrifft, wie das Streitpatent, die Verwendung eines Klebebands zum Umwikkeln von Kabelbäumen und damit muss die darin zitierte Norm als für dieses Fachgebiet einschlägig betrachtet werden.
Die Eindeutigkeit des Bezugs zwischen den Begriffen Reißkraft und Reißdehnung zur DIN-Norm 53 455 leitet sich auch daraus ab, dass sich zwar aus der ebenfalls im Verfahren befindlichen Entgegenhaltung "Lünenschloß, J.; Albrecht, W.: Vliesstoffe. Stuttgart: Georg Thieme Verlag, 1982, S 48, 49, 106-119, 221-223, 230" (9) im Zusammenhang mit den ähnlichen Begriffen Höchstzugkraftdehnung und Höchstzugkraft eine weitere DIN-Norm ergibt (vgl S 111 Tab. 2.1 Fußnote 3), nämlich die DIN 53 857 Teil 2 (1979), aber in dieser Norm die Begriffe Reißdehnung und Reißkraft nicht vorkommen.
Insofern ist im Streitpatent allein schon durch das Verwenden der einschlägigen Fachbegriffe, aber auch durch den Bezug zum Stand der Technik nach (3) eine eindeutige Verbindung zur DIN 53 455 hergestellt, und der Fachmann muss davon ausgehen, dass wie in (3) nach ihr gearbeitet worden ist.
Im Einklang mit dieser DIN-Norm sind auch in (3) (vgl S 4 Abs 3 Z 5) keine besonderen Anforderungen an die Bestimmung der Vliesdicke definiert. Der Fachmann ist also auch ohne die in "Kleinheins, S.: Textile Prüfungen an Spinnfaserprodukten. Glanzstoff AG, Fasertechnisches Institut, Ausgabe 1969, Stichwort "Dikke"" (12) angesprochenen Randbedingungen bezüglich Anpressdruck und Anpressfläche eines Messstempels in der Lage, die Dicke eines zwischen Kalanderwalzen verfestigten Vlieses mit ausreichender Genauigkeit festzustellen.
Es muss demnach davon ausgegangen werden, dass die Ausführungen im Streitpatent ausreichen, um die strittigen Parameter in ihren Messbedingungen so genau zu definieren, dass sie mit den entsprechenden Messgrößen aus den Dokumenten des Stands der Technik zur Beurteilung von Neuheit und erfinderischer Tätigkeit sinnvoll und mit ausreichender Aussagekraft verglichen werden können. Dafür spricht auch die im Einspruchsverfahren gutachtlich genannte, nachveröffentlichte Druckschrift DE 298 04 431 U1 (10), in der von der fachkundigen dortigen Anmelderin (identisch mit der Einsprechenden I in diesem Verfahren) die fraglichen Parameter in der gleichen Weise angeführt werden, wie im Streitpatent (vgl Ansprüche 1-5).
Die Neuheit der Verwendung des streitpatentgemäßen Klebebands zum Bandagieren von Kabelbäumen ist anzuerkennen.
In Druckschrift (3) wird die streitpatentgemäße Verwendung, nämlich das Umwickeln von Kabelbäumen mit Klebeband angesprochen (S 2 letzte 7 Zeilen des ersten Absatzes), jedoch geht es dort um ein Klebeband mit textilem, insbesondere aus Zellulose- oder Polyesterfasern gebildetem Träger, der aus einem "Nähvlies" besteht (vgl die Ansprüche 1, 2 und 4) und damit nicht aus einem Spinnvlies. Sowohl die Wertebereiche für das Vliesgewicht als auch für die Reißkraft bzw Reißfestigkeit nach DIN 53 455 überdecken sich (vgl (3) S 4 Abs 3 Z 3-4 und den Anspruch 1 des Streitpatents); die Bereiche für die Vliesdicke berühren sich am Rand. Die Reißdehnung ist in (3) mit mindestens 8% angegeben (vgl S 4 Abs 3 Z 2) und würde als nach oben offener Bereich die streitpatentgemäßen Werte von 55% bis 85% formal einschließen. Nachdem aber umgekehrt in (3) die streitpatentgemäßen Werte nicht als ausreichend offenbart gewertet werden könnten, um in einer Beschränkung des Anspruchs als mögliche Rückzugsposition in Frage zu kommen, unterscheiden sich die Lehre des Streitpatents und die nach (3) an sich bereits in diesem Parameter. Dies kann jedoch zumindest bezüglich der Neuheit dahingestellt bleiben, weil im übrigen weder das Grundmaterial Polypropylen des streitpatentgemäßen Vliesgrundmaterials noch seine Behandlung durch Kalandrieren mit den zugehörigen Randbedingungen und auch nicht die Feinheit von 2 dtex bis 7 dtex gemäß geltendem Anspruch 1 des Streitpatents in (3) vorbeschrieben sind.
Eine weitere Druckschrift mit Bezug auf das Bandagieren von Kabelbäumen ist EP 0 478 784 A1 (7). Es handelt sich aber um die Verwendung eines Klebebands mit einer gewebten Basistextilie, die zwar in der Dicke von über 200 µm mit dem streitpatentgemäßen Vlies übereinstimmt, aber sonst keine gemeinsamen Merkmale aufweist (vgl (7) Anspruch 1).
Außer bei den jeweils als Stand der Technik nach § 3 Abs 2 PatG geltenden und weiter entfernt liegenden Druckschriften DE 44 42 093 A1 (1) und DE 44 19 169 A1 (2), die wegen dieser Distanz im Einspruchsbeschwerdeverfahren auch nicht mehr angesprochen wurden, geht es in keiner der sonst im Verfahren befindlichen Druckschriften mehr um das Bandagieren von Kabelbäumen.
In (9) ist dementsprechend zwar Vliesmaterial aus Polypropylen angesprochen, jedoch nicht mit allen streitpatentgemäßen Merkmalen, nicht als mit Kleber beschichtetes Klebeband und auch nicht zur Verwendung beim Bandagieren von Kabelbäumen.
Im Einzelnen kann das Material (neben anderen Verfestigungsmöglichkeiten) thermisch verfestigt, also auch kalandriert sein (vgl (9) S 221 reSp Abs 4 und S 223 Abb 2.184); die speziellen Verhältnisse bei Prägeflächen und Walzenbeschaffenheit sind aber nicht angegeben und den Abbildungen in der streitpatentgemäßen, mengenmäßigen Spezifierung auch nicht entnehmbar.
Außerdem ist in der Tabelle 2.1 auf S 111 für ein Polypropylen-Spinnvlies "Typar" zwar jeweils ein weitgehend übereinstimmender Bereich für das Vliesgewicht ("Flächenmasse") und die Höchstzugkraft als Pendant zur streitpatentgemäßen Reißkraft angegeben. Auch die streitpatentgemäße Feinheit von 2 dtex bis 7 dtex wird vom Bereich gemäß (9) umfasst (1,7 bis 40 dtex auf S 230 Tab 2.10). Allerdings wird für "Typar" in der Tabelle eine geringere Vliesdicke und auch eine geringerer Wert für die Höchstzugkraftdehnung als Pendant zur streitpatentgemäßen Reißdehnung aufgeführt. Dabei ist es unerheblich, ob als Unterlage unter Straßenschotter (S 117 von (9)) ein Spinnvlies "Typar" auch schon mit Flächenmassen von 200 g/m2 verwendet worden ist (vgl S 117 reSp Z 1) und möglicherweise dessen Dicke in den streitpatentgemäßen Bereich fiele, weil in diesem Fall eben das Vliesgewicht zwingend erheblich über dem streitpatentgemäßen Bereich liegt.
Für die Frage der Neuheit ist es somit auch unerheblich, ob Höchstzugkraft und Höchstzugkraftdehnung gemäß (9) überhaupt mit streitpatentgemäßer Reißkraft und Reißdehnung vergleichbar sind, oder ob, wie die Einsprechenden meinen, diesbezüglich jedenfalls von übereinstimmenden Wertebereichen auszugehen ist. Sollte jedoch, wie die Einsprechenden vortragen, für diese Vliese die Reißdehnung erheblich über der Höchstzugkraftdehnung liegen und damit eine Übereinstimmung dieses Parameters zwischen Streitpatent und (9) möglich sein, so muss analog dazu davon ausgegangen werden, dass die Reißkraft von Typar gemäß Tabelle 2.1 höher als die Höchstzugkraft wäre, und dann als solche eben nicht mehr im, sondern über dem streitpatentgemäßen Bereich zu liegen käme. Somit ist eher davon auszugehen, dass jedenfalls einer der Parameter Reißkraft und Reißkraftdehnung einen Unterschied zwischen Streitpatent und Entgegenhaltung (9) aufweist.
Als die Einsatzmöglichkeit, die der streitpatentgemäßen Verwendung am nächsten kommt, ist in (9) auf S 119 in Tabelle 2.6 neben vielen anderen die Verwendung als Beschichtungsunterlage angegeben (vgl dort Z 5 von 14). Was mit "Beschichtung" in diesem Zusammenhang gemeint sein könnte, ergibt sich mangels spezieller Ausführungen unter der Überschrift "Spinnvliesstoffe aus Polypropylen" aus den einschlägigen Ausführungen zu Polyethylen-Spinnvliesen auf S 118 reSp Abs 1. Dort ist von Beschichtungen zur Erhöhung der Stabilität gegenüber Licht oder zur Verbesserung der Stoß- oder Scheuerfestigkeit die Rede (vgl dort erster vollständiger Absatz von oben). So ist (9) kein direkter Hinweis auf die Verwendung eines Polypropylenspinnvlieses zur Herstellung von Klebebändern und jedenfalls auch kein Hinweis auf einen darauf aufbauenden Zusammenhang mit der Bandagierung von Kabelbäumen entnehmbar.
Damit ist festzustellen, dass der Druckschrift (9) keinerlei Hinweis auf die streitpatentgemäße Verwendung zu entnehmen ist, und die in (9) konkret angegebenen Spinnvliesmaterialien aus Polypropylen sich von den streitpatentgemäß zu verwendenden Materialien durch die Präge- und Verfestigungsverhältnisse und durch jedenfalls zwei der Messparameter, nämlich in erster Linie Vliesdicke und Reißdehnung unterscheiden.
In "Loy, W.: Vliesstoffe - eine Übersicht nach Herstellungsart und Verwendungszweck. In: Textilveredlung 28 (1993), Nr 7/8, S 204-212" (4) geht es ganz allgemein um Vliesstoffe, ua aus Polypropylen (vgl S 207 liSp Z 1) und ua um Spinnvliese (vgl S 206 liSp Kapitel 1.3), die aber lediglich ua zur Verwendung als "Isoliermaterial für elektrische Leiter und als Kabelumhüllungen" vorgeschlagen werden (S 211 reSp Abs 1). Unter Kabelumhüllung stellt sich der Fachmann aber normale, nicht klebende Kabelumhüllungen vor, also den schlauchförmigen Kunststoffmantel um ein- oder mehradrige Leitungen, die dann mit einem Klebeband per se nichts zu tun haben und auch keinen Bezug zu (verzweigten) Kabelbäumen aufweisen.
Der Druckschrift JP 05117953 A (5) (zunächst als Abstract bzw im Original zitiert und in der mündlichen Verhandlung als englischsprachige Übersetzung vorgelegt, auf die sich auch die folgenden Zitate beziehen) ist ein Band aus einem wärmeverdichteten Spinnvlies, bestehend aus Polyolefin, zB aus Polyethylen oder Polypropylen zu entnehmen, das, ausgestattet mit einer zumindest einseitigen, antiadhäsiven Imprägnierung (vgl S 1 "claim 1" iVm S 3, 3. vollständiger Absatz, letzte Zeile), in der Industrie als Basismaterial für eine Trennfolie oder ein Klebeband eingesetzt werden kann (vgl S 1 "industrial field of application"). Als Eigenschaft wird lediglich ein Flächengewicht von 40 bis 100 g/m2, insbesondere 60 g/m2 angegeben (vgl (5) S 4 Z 1-2) (Streitpatent 60 bis 100 g/m2) und aus der Angabe über die Dicke der verwendeten Fäden lässt sich eine übereinstimmende Feinheit ableiten (vgl (5) S 4 Abs 2 iVm der in der mündlichen Verhandlung überreichten, überschlägigen Berechnung). Eine speziellere Anwendung, insbesondere des Klebebands, oder andere mit den Angaben im Streitpatent übereinstimmende Parameter sind aber nicht entnehmbar.
Insbesondere lässt sich keine Verwendung eines auf Polypropylen basierenden Klebebandes nach (5) für das Bandagieren von Kabelbäumen daraus ableiten, dass eine Internetrecherche der Einsprechenden II vom 28. Juni 2002 für das in (5) als Vergleichsmaterial verwendete Polyestervlies "ELTAS" (vgl (5) S 5 letzte Zeile und S 6 Absatz 1) eine Verwendung als Ummantelung für eine elektrische Leitung ergeben hat. "ELTAS" wird dabei heute auch als Markenname für Polypropylenvliese verwendet. Abgesehen davon, dass eine einzelne Leitung noch kein Kabelbaum ist und auf der Abbildung zwar eine Umhüllung mit einem Kunststoffschlauch, aber keine Umwicklung mit einem Klebeband ersichtlich ist, ist die so gewonnene Information als nachveröffentlicht unbeachtlich.
Die Verwendung gemäß Patentanspruch 1 beruht auch auf einer erfinderischen Tätigkeit.
Bei der Beurteilung der erfinderischen Tätigkeit ist von der Aufgabe auszugehen, für die Verwendung bei der Bandagierung von Kabelbäumen ein Klebeband bereitzustellen, das kostengünstig herzustellen und leicht zu verarbeiten ist (vgl Streitpatentschrift Sp 1 Z 48-50 iVm Sp 1 Z 19 und Sp 1 Z 41-47), sowie zum Beispiel auch besonders anspruchsvolle Anforderungen an Leichtigkeit (vgl Sp 2 Z 35-43) und Dämpfung (vgl Sp 2 Z 57 ff) erfüllt.
Gelöst wird diese Aufgabe durch die Verwendung eines Klebebandes mit den Merkmalen gemäß Patentanspruch 1 nach Hauptantrag.
Wie vorstehend bereits zur Neuheit festgestellt, ist in (3), die den nächstliegenden Stand der Technik darstellt, die Verwendung eines Vliesmaterials als Basis für ein Klebeband zur Bandagierung von Kabelbäumen beschrieben. Diese Druckschrift führt jedoch schon deshalb von der patentgemäßen Lösung, bei der ein einfaches Spinnvlies verwendet wird, weg, weil es gemäß deren Lehre wesentlich ist, dass das Vliesmaterial des Klebeband-Trägers mit einer Vielzahl parallel zueinander verlaufender, zusätzlich eingenähter Nähte versehen ist. Gerade dadurch sollen die Geräuschdämm-Eigenschaften, insbesondere bei der Verwendung dieses Klebebands zur Bandagierung von Kabelbäumen im PKW, verbessert werden (vgl (3) S 1 Abs 3 bis S 2 Abs 1). Hinzu kommt, dass weder das streitpatentgemäße Vliesgrundmaterial Polypropylen noch seine Behandlung durch Kalandrieren mit den zugehörigen Randbedingungen und auch nicht die Feinheit von 2 dtex bis 7 dtex gemäß geltendem Anspruch 1 des Streitpatents durch (3) nahegelegt werden. Auch die Reißdehnung ist in dem verhältnismäßig engen Bereich von 55% bis 85% durch die Angabe in (3), nämlich "mindestens 8%" nicht vorgezeichnet.
Auch aus der Druckschrift (7), die ebenfalls ein Klebeband für das Bandagieren von Kabelbäumen im Automobil-Bereich betrifft, geht hervor, dass an Klebebänder für diese Verwendung hinsichtlich Handverarbeitbarkeit, Geräuschdämmung und Feuerbeständigkeit spezielle Anforderungen zu stellen sind. Zur Lösung dieser Aufgabe wird dort ein Träger aus einem aufwendig herzustellenden textilen Gewebe empfohlen (vgl Anspruch 1 iVm Figur 1 und Tab 1).
Ausgehend von diesen hier einschlägigen Druckschriften und den darin vorgeschlagenen Lösungen konnte der Fachmann somit nicht erwarten, dass von einem einfachen Polypropylen-Spinnvlies die für diese Verwendung an ein Klebeband zu stellenden, hohen Anforderungen erfüllt werden könnten.
Wie die Patentinhaberin in der mündlichen Verhandlung überzeugend dargelegt hat, hätte der Fachmann auch wegen der unzureichenden Flammfestigkeit dieses Materials einerseits und wegen der schlechten Kleberhaftung an diesem unpolaren Material andererseits ein Polypropylen-Spinnvlies zur Lösung der hier gestellten Aufgabe nicht in Betracht gezogen.
Selbst wenn man davon ausgeht, dass ein Polypropylen-Spinnvlies mit den Parametern gemäß Patentanspruch 1 bekannt gewesen ist, was die Patentinhaberin in Bezug auf das im Ausführungsbeispiel genannte Vlies der Firma Gizeh/Spuntec eingeräumt hat, und in der Druckschrift (5) ein Klebeband auf Basis eines Spinnvlieses aus Polypropylen beschrieben wird, so bestand für den Fachmann aus diesen Gründen keine Veranlassung, gerade ein solches Trägermaterial bzw Klebeband zur Bandagierung von Kabelbäumen einzusetzen.
Selbst wenn der Fachmann ungeachtet dessen die Lehre von (5) zum Gegenstand seiner Überlegungen gemacht hätte, so kann dieser Druckschrift zwar ein Polypropylen-Spinnvlies mit einer Feinheit und einem Vliesgewicht gemäß Streitpatent, nicht aber die erforderliche, spezielle Verfestigung und Prägung dieses Vlieses entnommen werden.
Denn gemäß (5) soll jedenfalls durch thermische Verfestigung an Kalanderwalzen eine beidseitig glatte Oberfläche erreicht werden, wobei dann mindestens eine Seite mit einem Trennmittel behandelt werden kann (vgl (5), S 3 letzter vollständiger Absatz Z 4-7 iVm S 1 Anspruch 1 Z 4-5 und S 4 Absatz 4 Z 1-4).
Ein Naheliegen zumindest der streitpatentgemäßen Verfestigung mit einseitiger Prägung unter den dazugehörigen Bedingungen und Parametern und damit der Lehre gemäß Streitpatent insgesamt kann demnach auch aus der Zusammenschau von (3) und (5) nicht abgeleitet werden.
Die Ausgangssituation des Fachmanns wird zwei Jahre vor dem Anmeldetag in der Entgegenhaltung (4) vielmehr dadurch charakterisiert, dass "Die Artikelgruppen, Eigenschaftsprofile und Einsatzmöglichkeiten von Vliesstoffen praktisch unübersehbar geworden sind, und auch die Produktionsparameter an Umfang und Differenzierung zugenommen haben" (vgl (4) S 1 Zusammenfassung Z 4-7).
In dieser Situation mag es nahegelegen haben, Übersichtsliteratur, wie (9) oder (4) heranzuziehen. Aber in keiner der beiden Entgegenhaltungen ist ein Klebeband oder ein Grundmaterial für ein Klebeband auf Polypropylen-Spinnvliesbasis mit den streitpatentgemäßen Eigenschaften zu finden, und damit auch nicht ein Hinweis, dass ein solches für das Bandagieren von Kabelbäumen geeignet wäre.
Das einzige Polypropylenspinnvlies gemäß (9) unterscheidet sich, wie unter "Neuheit" bereits ausgeführt, neben der speziellen, streitpatentgemäßen Kalandrierung in mindestens zwei weiteren Parametern, und der Literaturstelle (4) lässt sich nur entnehmen, dass es Nadelmaschinen gibt, auf denen Polypropylenvliesstoffe verfestigt werden können (vgl (4) von Seite 206 auf 207 übergreifender Absatz unter der Überschrift "2.1.1 Vernadelte Vliesstoffe").
Wie vorstehend bereits ausgeführt, konnte der Fachmann auf der Suche nach preiswerteren und besser zu verarbeitenden Grundmaterialien für ein Klebeband zum Bandagieren von Kabelbäumen mit der nächstliegenden Druckschrift (3) allenfalls von der Grundinformation "Basismaterial aus Vliesstoff" mit bestimmten Wertebereichen für Reißkraft, Flächengewicht und Dicke ausgehen. Selbst mit diesen Informationen blieben Polypropylen als Ausgangsmaterial für den Vliesstoff, die Herstellung als Spinnvlies, die spezielle Verdichtung durch streitpatentgemäßes Kalandrieren, die Feinheit und die Reißdehnung noch als unbekannte Parameter offen. Unter diesen Umständen führt die bereits zitierte Information aus der Zusammenfassung nach (4) zu dem Schluss, dass es auch mit den Vorinformationen aus (3) immer noch einen unüberschaubaren Markt an möglichen Vliesstoffen gab, in dem das streitpatentgemäß verwendete Vliesmaterial für ein Klebeband nur in Kenntnis der Lehre des Streitpatents hätte aufgefunden werden können.
Weder die Zusammenschau von (3) mit (4), noch die von (3) mit (9) können also eine streitpatentgemäße Verwendung nahe legen, weil zu viele wesentliche Parameter offen bleiben, deren Auffindung zur Vervollständigung der streitpatentgemäßen Lehre jeweils erfinderisches Zutun erfordert.
Alle weiteren im Verfahren befindlichen Druckschriften und Literaturstellen liegen dem Gegenstand der geltenden Patentansprüche ferner und können ihn weder für sich, noch in ihrer Zusammenschau nahe legen.
Wie die Patentinhaberin glaubhaft dargelegt hat, führt bereits die patentgemäße thermische Verfestigung des Vlieses zu einer gewissen Verbesserung der Flammfestigkeit sowie der Kleberauftrag auf der geprägten Seite zu einer verbesserten Haftung. Es ist somit das Verdienst der Patentinhaberin, erkannt zu haben, dass sich auch ein besonders einfach und kostengünstig herzustellendes Polypropylen-Spinnvlies mit den Merkmalen des Patentanspruchs 1 zur Bandagierung von Kabelbäumen verwenden lässt, weil auch mit einem solchen Vlies die hierzu, insbesondere auch im Automobil-Bereich notwendigen Qualitätskriterien zu erfüllen sind.
Nach alledem ist der Gegenstand des geltenden Patentanspruchs 1 neu und beruht auch auf einer erfinderischen Tätigkeit, so dass dieser Anspruch gewährbar ist.
Das gleiche gilt für die auf den Patentanspruch 1 rückbezogenen Ansprüche 2 bis 6, die bevorzugte Ausführungsformen der Verwendung nach Anspruch 1 betreffen.
Auf die Ansprüche nach Hilfsantrag brauchte nicht eingegangen zu werden, da der Hauptantrag bereits zum Erfolg führte.
Die Rechtsbeschwerde gemäß § 100 (1) PatG war nicht zuzulassen, da sich die vorgelegten Anträge nach der gegebenen Sachlage nicht auf Rechtsfragen im eigentlichen Sinne beziehen, sondern auf Tatfragen, die der Senat in eigener Zuständigkeit zu entscheiden hatte bzw die durch die Tatsachenentscheidung für den vorliegenden Fall gegenstandslos geworden sind.
Niklas Jordan Hock Kellner Pü
BPatG:
Beschluss v. 08.07.2002
Az: 15 W (pat) 17/01
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