Bundespatentgericht:
Beschluss vom 7. Oktober 2003
Aktenzeichen: 24 W (pat) 184/02
(BPatG: Beschluss v. 07.10.2003, Az.: 24 W (pat) 184/02)
Tenor
Auf die Beschwerde der Widersprechenden werden die Beschlüsse der Markenstelle für Klasse 3 des Deutschen Patent- und Markenamts vom 18. Februar 2000 und vom 28. Juni 2002 aufgehoben, soweit der Widerspruch aus der Marke 784 572 zurückgewiesen worden ist.
Wegen des Widerspruchs aus der Marke 784 572 wird die Löschung der Marke 397 30 883 angeordnet.
Gründe
I.
Die Wortmarke AVOIR ist für die Waren
"Duschgele, Rasiergele, Rasierwasser, Kölnisch Wasser, Parfümerien; Körperlotionen, Körperpuder, Gesichts- und Körperpeelings, Gesichts- und Körpermasken, Hauterweichungsmittel (so weit in Klasse 3 enthalten), Mittel zur Körper- und Schönheitspflege"
unter der Nummer 397 30 883 in das Markenregister eingetragen worden.
Dagegen hat die Inhaberin der prioritätsälteren, für die Waren
"Parfümerien, Mittel zur Körper- und Schönheitspflege, Toilettenwasser, kosmetischer Puder und Wangenrot in loser und fester Form, Lippenstifte, kosmetische Cremes; Schönheitswässer für Gesicht, Haut und Hände, kosmetische Badesalze und Badeöle, desodorierende Mittel, kosmetische Kühlwässer, Haarentfernungsmittel, Pflanzenextrakte und hieraus hergestellte Schönheitspflegemittel, hautzusammenziehende Mittel, Schminke und Schönheitsmittel für Gesicht, Haut und Beine, Gesichtshaut- und Hautstärkungsmittel, Haarpflegemittel insbesondere Haarspülmittel, Haaröle, Haarwasser, Haarstärkungsmittel, Haarwaschmittel und Bay-Rum; Rasierwässer, Nagellack und Nagelcremes, Nagellackentferner, Nagelhautöl, Geräte zur Nagelpflege, Nagelhautcremes und -erweicher, Zahnreinigungspräparate mit Ausnahme von medizinischen Zahnreinigungspräparaten und Zahncreme, Zahnbürsten, kosmetische Augenpflegemittel, Rasiercreme, Rasierseife, Rasierwässer, Rasierapparate, Rasiermesser, Rasierklingen, Rasierpinsel, Toiletteseifen, Puderquasten, kosmetische Puder und Öle zur Babypflege; Lebensmittelfarben"
eingetragenen Wortmarke 784 572 AVON Widerspruch erhoben.
Die Markenstelle für Klasse 3 des Deutschen Patent- und Markenamts hat den Widerspruch mit zwei Beschlüssen, von denen einer im Erinnerungsverfahren ergangen ist, zurückgewiesen. Bei den Waren der Zeichen handele es sich zwar um Massenartikel, die breite Abnehmerkreise ansprächen und deren Erwerb oft rasch und ohne besondere Aufmerksamkeit erfolge. Die Widerspruchsmarke sei normal kennzeichnungskräftig, aktuelle Angaben zum Bekanntheitsgrad der Marke, insbesondere in den neuen Bundesländern, habe die Widersprechende nicht vorgelegt. Der bei dieser Ausgangslage erforderliche überdurchschnittliche Abstand der Marken werde noch eingehalten. Es handele sich jeweils um kurze Wörter, die durch die Abweichungen hinreichend stark unterschiedlich seien. Die angegriffene Marke werde überwiegend französisch wie "avoar" ausgesprochen, so daß sich die Betonung und das Klangbild deutlich von der wie "A-VON" gesprochenen Widerspruchsmarke unterscheide. Andere Aussprachen führten zu noch stärkeren Abweichungen. Schriftbildlich seien die Unterschiede in den überschaubaren, relativ kurzen Wörtern, insbesondere in den für das Schriftbild bedeutsamen Wortenden, nicht zu übersehen.
Hiergegen wendet sich die Beschwerde der Widersprechenden. Sie trägt vor, die zu vergleichenden Marken begegneten sich ausschließlich in dem spezifischen Marktsegment des Direktvertriebs für Kosmetikartikel. Auf diesem Gebiet aber spiele die Marke "AVON" eine überragende Rolle. Die Firma Avon verfüge allein in Deutschland über ein flächendeckendes Netz von Beraterinnen, die etwa 4 Millionen Kunden in Deutschland ansprächen. Nach einer Emnid-Umfrage aus dem Jahr 2001 betrage der Bekanntheitsgrad der Firmenmarke "AVON" 66 Prozent unter Frauen zwischen 15 und 69 Jahren. 29 % der deutschen Frauen hätten schon einmal ein Avon-Produkt gekauft. Die in Deutschland weitgehend unbekannte Inhaberin der angegriffenen Marke wolle sich offensichtlich an die bekannte Marke "AVON" anlehnen. Insbesondere beim flüchtigen Durchblättern von Katalogen sei aufgrund der schriftbildlichen Ähnlichkeiten die Gefahr von Verwechslungen groß. Außerdem könnten die Marken sich auf identischen Waren begegnen. Bei dieser Ausgangslage und angesichts der sehr hohen Kennzeichnungskraft der Widerspruchsmarke fielen die geringen Abweichungen im Inneren und am Ende der Markenwörter nicht ins Gewicht.
Die Widersprechende beantragt, die angefochtenen Beschlüsse aufzuheben und die Löschung der angegriffenen Marke anzuordnen.
Die Inhaberin der angegriffenen Marke hat sich weder geäußert noch Anträge gestellt.
Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Akteninhalt Bezug genommen.
II.
Die zulässige Beschwerde der Widersprechenden hat in der Sache auch Erfolg. Zwischen den Marken besteht die Gefahr von Verwechslungen gemäß § 42 Abs. 2 Nr. 1, § 43 Abs. 2, § 9 Abs. 1 Nr. 2 MarkenG.
Nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Gemeinschaften zu Art. 4 Abs 1 Buchst. b der Markenrechtslinie, die für die Auslegung der in Umsetzung dieser Richtlinienbestimmung erlassenen Vorschrift des § 9 Abs. 1 Nr. 2 MarkenG von maßgeblicher Bedeutung ist, ist die Frage der Verwechslungsgefahr unter Berücksichtigung der Umstände des Einzelfalls umfassend zu beurteilen. Zu den dabei maßgebenden Umständen gehören insbesondere die Kennzeichnungskraft der Widerspruchsmarke sowie der Grad der Ähnlichkeit zwischen den Marken und zwischen den damit gekennzeichneten Waren und Dienstleistungen. Hierbei kommt es entscheidend darauf an, wie die Marke auf den Durchschnittsverbraucher der jeweils in Frage stehenden Waren und Dienstleistungen wirkt (vgl. EuGH GRUR 1998, 387, 389 f "Sabèl/Puma"; GRUR Int. 1999, 734, 736 "Lloyd"). Die umfassende Beurteilung der Verwechslungsgefahr impliziert auch eine gewisse Wechselbeziehung zwischen den in Betracht kommenden Faktoren, insbesondere der Ähnlichkeit der Marken und der damit gekennzeichneten Waren und Dienstleistungen. So kann ein geringerer Grad der Ähnlichkeit der gekennzeichneten Waren und Dienstleistungen durch einen höheren Grad der Ähnlichkeit der Marken ausgeglichen werden und umgekehrt (EuGH GRUR Int. 1998, 875, 876 f. "Canon"; GRUR Int. 2000, 899, 901 "Adidas/Marca Moda"; BGH GRUR 2002, 544, 545 "BANK 24"). Nach diesen Grundsätzen ist vorliegend die Gefahr von Verwechslungen gegeben.
Die Waren der angegriffenen Marke werden von den im Warenverzeichnis der Widerspruchsmarke enthaltenen Warenbegriffen umfaßt, so daß von Warenidentität auszugehen ist. Außerdem kann es sich beiderseits um alltägliche Waren handeln, die sich an breite Verkehrskreise richten und nicht hochwertig oder speziell sein müssen. Beide Umstände erhöhen die Verwechslungsgefahr.
Der Senat geht auch von einer gesteigerten Kennzeichnungskraft der Widerspruchsmarke aus. Die Widersprechende hat im Verfahren vor dem Bundespatentgericht durch die Vorlage von Umfrageergebnissen aus einer Emnid-Studie aus dem Jahr 2001 dargelegt, daß die Marke "Avon" sowohl in den alten als auch in den neuen Bundesländern etwa zwei Dritteln der Frauen bekannt ist und daß ein knappes Drittel der Frauen schon einmal ein Avon-Produkt erworben hat. Die Widersprechende verfügt darüber hinaus - wie die Inhaberin der angegriffenen Marke nicht bestritten hat - allein in Deutschland über ein flächendeckendes Netz von etwa 100.000 Beraterinnen, die eine jährliche Auflage an Broschüren von über 11 Millionen Stück verteilen und etwa 4 Millionen Kunden in Deutschland ansprechen. Auf dem Gebiet der Hautpflegemittel gehört "Avon" zu den fünf bekanntesten Marken in Deutschland, auf dem Gebiet der "Makeup-Produkte" zu den zehn bekanntesten Marken. Damit verfügt die Widerspruchsmarke auf dem hier einschlägigen Warensektor über eine überdurchschnittliche Bekanntheit und damit eine gesteigerte Kennzeichnungskraft. Zwar beschränkt sich die Erhebung auf Frauen, obwohl Männer von den betreffenden Waren ebenfalls angesprochen werden. Viele dieser Produkte wenden sich jedoch trotz eines immer größeren Interesses auch von Männern an kosmetischen Produkten überwiegend an Frauen. Außerdem wurde bereits im Jahr 1991 - allerdings nur betreffend die alten Bundesländer - auch bei Männern ein hoher Bekanntheitsgrad der Marke "Avon" festgestellt, der nur etwa 12 % unter dem bei Frauen lag (vgl. BGH GRUR 1991, 863, 867 "Avon"). Da Männer auch heute noch und auch in den neuen Bundesländern mit den von der Widersprechenden angebotenen Parfümeriewaren und Mitteln zur Körper- und Schönheitspflege häufig durch ihre Partnerin in Berührung kommen, von ihnen durch die Werbung erfahren oder diese Produkte als Geschenk für die Partnerin erwerben, kann davon ausgegangen werden, daß auch gegenwärtig in der Bundesrepublik der Bekanntheitsgrad bei Männern zwar unter dem bei Frauen liegt, aber dennoch hoch ist und den Grad der Bekanntheit bei den angesprochenen Verkehrskreisen insgesamt nicht wesentlich vermindert.
Bei dieser Ausgangslage ist ein sehr großer Abstand der jüngeren Marke von der Widerspruchsmarke erforderlich, um Verwechslungen auszuschließen, der hier jedenfalls in schriftbildlicher Hinsicht nicht eingehalten wird.
Die Frage der schriftbildlichen Verwechslungsgefahr ist in der Praxis auf dem vorliegenden Warengebiet bedeutsam, weil Mittel zur Körper- und Schönheitspflege sowie Parfümerien auch per Katalog ausgewählt, im Drogeriemarkt oder Kaufhaus auf Sicht gekauft oder schriftlich empfohlen und bestellt werden. Schriftbildlich kommen sich die Zeichen sowohl bei der Schreibweise in Kleinbuchstaben mit Großbuchstaben am Wortanfang als auch bei Schreibung ausschließlich in Versalien verwechselbar nahe. Wortlänge und Wortkontur stimmen bei beiden Schreibwiesen im wesentlichen überein. Die Länge der angegriffenen Marke wird durch das zusätzliche "I" (i), das sehr schmal ist und insbesondere in Proportionalschrift wenig Platz einnimmt, kaum beeinflußt. Im Gesamteindruck tritt das "I" (i) neben den relativ voluminösen und dadurch dominierenden Buchstaben "O" (o) und "R" (r) bzw. "N" (n) kaum in Erscheinung. Der bei Schreibung in Kleinbuchstaben im Oberlängenbereich befindliche i-Punkt kann bei flüchtiger Betrachtung leicht übersehen werden. Die Unterschiede zwischen "R" (r) und "N" (n) beziehen sich in erster Linie auf den rechten Rand der Buchstaben, während die Buchstabenbreite und der linke Buchstabenrand übereinstimmen. Im übrigen wird bei manchen handelsüblichen Druckschriften wie etwa Bookman Old Stile, Courier, FF MINI-MUM, FF Zapata, Cutin oder Macrogramma der Bogen des "r" nach rechts unten verlängert, was die Unterscheidbarkeit der Buchstaben erschwert (vgl. Typographic Resource Font, 1998, S. 40, 71; Letraset, Seiten 73, 137). Schriften, die der Schreibschrift nachempfunden sind, wie etwa die Schriften Mistral, Murray Hill oder Gillies Gothic (vgl. Letraset, Seiten 139, 141, 107), lassen oft einen Teil des linken Aufstrichs des "r" weg, so daß die Buchstaben "r" und "n" innerhalb oder am Ende eines Wortes kaum unterschieden werden können. Damit treten die vergleichsweise unauffälligen Unterschiede, die sich am Wortende befinden, gegenüber den markanten Übereinstimmungen im Gesamtbild zurück und reichen angesichts der oben erörterten, die Verwechslungsgefahr fördernden Umstände, insbesondere angesichts der erhöhten Kennzeichnungskraft der Widerspruchsmarke, zur Unterscheidung nicht aus.
Es besteht kein Anlaß, einer der Verfahrensbeteiligten die Kosten des Beschwerdeverfahrens aufzuerlegen (§ 71 Abs 1 MarkenG).
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BPatG:
Beschluss v. 07.10.2003
Az: 24 W (pat) 184/02
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