Oberlandesgericht Frankfurt am Main:
Urteil vom 29. September 2006
Aktenzeichen: 10 U 18/06

(OLG Frankfurt am Main: Urteil v. 29.09.2006, Az.: 10 U 18/06)

Wegen des schützenswerten Interesses der Gesellschaft an einer zeitnahen Feststellung der Wirksamkeit der gefassten Beschlüsse und der vergleichbaren Bestimmung in § 246 Abs.1 AktG ist eine im Gesellschaftsvertrag festgelegte Monatsfrist zur Geltendmachung der Unwirksamkeit nicht zu beanstanden.

Tenor

1. Der Klägerin wird Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gewährt.

2. Die Berufung der Klägerin gegen das am 15.12.2005 verkündete Teilurteil des Landgerichts Limburg an der Lahn wird zurückgewiesen.

3. Die Kosten des Berufungsverfahrens hat die Klägerin zu tragen.

4. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Die Klägerin kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110% des nach dem Urteil vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die Beklagten vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110% des jeweils zu vollstreckenden Betrages leisten.

5. Die Sache wird wegen der nicht im zweiten Rechtszug anhängig gewordenen Teile des Rechtsstreits an das Landgericht Limburg an der Lahn zurückverwiesen.

6. Die Revision wird nicht zugelassen.

7. Der Streitwert wird auf 3.887.702,13 € festgesetzt. Daran sind beteiligt:

die Klägerin in voller Höhe,

die Beklagte zu 1) in Höhe von 306.775,13 €,

die Beklagte zu 2) in Höhe von 3.580.927,00 €,

die Beklagten zu 3) bis 6) in Höhe von 3.570.927,00 €.

Gründe

I.

Die Klägerin macht Ansprüche aus Beteiligungen an den Beklagten zu 1) und zu 2) auf Zahlung und Fortbestehen ihrer Gesellschafterstellung geltend.

Die Klägerin ist Alleinerbin ihres im November 1997 verstorbenen Ehemannes. Dieser war Gründungsgesellschafter der Beklagten zu 1) und zu 2). Die Beklagte zu 2) ist die persönlich haftende Gesellschafterin der Beklagten zu 1). Die Beklagten zu 3) bis 6) sind Komplementäre der Beklagten zu 1) und Gesellschafter der Beklagten zu 2).

Die finanzielle Lage des Erblassers erforderte zur Bedienung laufender Verbindlichkeiten die in § 10 des Gesellschaftsvertrages der Beklagten zu 1) geregelten Gewinnentnahmen.

Nach dem Tod des Erblassers verweigerte die Beklagte zu 1) unter Hinweis auf die zunächst nicht nachgewiesene Erbenstellung jegliche Zahlung an die Klägerin. Diese konnte deshalb fällige Forderungen nicht erfüllen. Auf der Grundlage von zwei Pfändungs- und Überweisungsbeschlüssen wurde daraufhin die Zwangsvollstreckung in die Anteile des Erblassers bei den Beklagten zu 1) und zu 2) betrieben.

Wegen dieser Vollstreckungsmaßnahmen hat die Gesellschafterversammlung am 23.11.1998 beschlossen, die Klägerin aus der Beklagten zu 1) auszuschließen. Mit Beschluss vom selben Tag wurde der Geschäftsanteil der Klägerin von der Beklagten zu 2) eingezogen.

Am 22.12.1998 wurde Rechtsanwalt RA1 zum Nachlassverwalter bestellt.

Mit anwaltlichem Schreiben vom 29.12.1998 machte die Klägerin gegenüber den Beklagten zu 1) und zu 2) die Unwirksamkeit der Beschlüsse vom 23.11.1998 geltend.

Das Ausscheiden der Klägerin als Kommanditistin aus der Beklagten zu 1) wurde am 19.12.2001 im Handelsregister eingetragen.

Die vorliegende Klage ist seit dem 30.12.2004 anhängig.

Die Klägerin hat sich erstinstanzlich auf die Unwirksamkeit der Beschlüsse mit der Begründung berufen, dass zum einen die Gesellschafterversammlungen nicht ordnungsgemäß einberufen und zum anderen ihr Ausschluss aus den Gesellschaften treuwidrig gewesen sei.

Die Klägerin hat beantragt,

bis VI. (Bl.579, 580, 581)

Die Beklagten haben beantragt,

die Klage abzuweisen.

Sie haben vorgetragen, dass der Ausschluss der Klägerin aus den Gesellschaften formal ordnungsgemäß und auch sachlich begründet gewesen sei.

Das Landgericht hat mit Teilurteil vom 15.12.2005, auf dessen Tatbestand wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes verwiesen wird, über die Klageanträge III. 1. und 2. sowie IV durch Abweisung entschieden. Zur Begründung hat es im wesentlichen ausgeführt, dass die Beschlüsse jedenfalls wegen verspätetem gerichtlichen Vorgehen bestandskräftig seien.

Das Teilurteil wurde der Klägerin am 19.12.2005 zugestellt.

Am 19.01.2006 hat die Klägerin Prozesskostenhilfe für das Berufungsverfahren beantragt, die ihr mit Beschluss vom 11.07.2006 bewilligt wurde. Mit Schriftsatz vom 19.07.2006 hat die Klägerin die mit dem Entwurf vom 19.01.2006 identische Berufungsbegründung vorgelegt.

Die Klägerin hält an ihrer erstinstanzlich dargelegten Rechtsauffassung fest und hält die Beschlüsse vom 23.11.1998 für unwirksam. Die Beklagten hätten unter Ausnutzung der Situation versucht, die Klägerin rechtsmissbräuchlich aus den Gesellschaften zu drängen. Die hierzu gefassten Beschlüsse seien daher als sittenwidrig und damit nichtig anzusehen. Entgegen der Rechtsauffassung des Landgerichts sei wegen der besonderen Umstände auch keine Klagefrist versäumt.

Die Klägerin beantragt,

gegenüber den Beklagten zu 2) bis 6) festzustellen, dass der Ausschluss der Klägerin aus der Beklagten zu 1) als deren Kommanditistin vom 23.11.1998 rechtsunwirksam ist,

gegenüber der Beklagten zu 2) festzustellen, dass der Ausschluss der Klägerin als Gesellschafterin aus der Beklagten zu 2) vom 23.11.1998 unwirksam ist,

die Beklagte zu 1) zu verurteilen, ihre Jahresabschlüsse für die Jahre 1999 bis 2004 einschließlich des jeweiligen Berichtes über die Erstellung der Jahresabschlüsse in vollständigem Umfang der Klägerin auszuhändigen,

in der zweiten Stufe die noch zu beziffernden, auf die Klägerin entfallenden Gewinnanteile nebst noch zu beziffernden Zinsen abzüglich der zu I. der Klageschrift vom 28.12.2004 zu zahlenden Beträge an Rechtsanwalt RA1, O1 als Verwalter des Nachlasses des am 22.11.1997 verstorbenen Unternehmers A, zu zahlen,

die Beklagte zu 2) zu verurteilen, ihre Jahresabschlüsse für die Jahre 1999 bis 2004 einschließlich des jeweiligen Berichtes über die Erstellung der Jahresabschlüsse in vollständigem Umfang der Klägerin auszuhändigen,

in der zweiten Stufe die noch zu beziffernden, auf die Klägerin entfallenden Gewinnanteile nebst noch zu beziffernden Zinsen zu zahlen,

das Verfahren an das Landgericht zurückzuverweisen, für den Fall das in der ersten Stufe der Stufenklage obsiegt wird.

Die Beklagten beantragen,

die Berufung als unzulässig zu verwerfen,

hilfsweise,

die Berufung als unbegründet zurückzuweisen.

Sie sind der Ansicht, dass ein Wiedereinsetzungsgrund nicht gegeben sei, zumal die angebliche Mittellosigkeit der Klägerin nicht die Fertigung einer Berufungsbegründung gehindert habe.

Die Beschlussfassungen vom 23.11.1998 seien formal ordnungsgemäß erfolgt und auch sachlich begründet. Die Beklagten hätten von einem in den Gesellschaftsverträgen normierten Ausschließungsgrund Gebrauch gemacht, was nicht rechtsmissbräuchlich sei.

Für den weiteren Vortrag der Parteien wird auf die Berufungsbegründung und die Berufungserwiderung Bezug genommen.

II.

Die Berufung ist zulässig und gilt aufgrund des zuerkannten Wiedereinsetzungsantrages als fristgerecht eingelegt.

Der Wiedereinsetzungsantrag ist zulässig und begründet. Er wurde innerhalb von zwei Wochen nach Zustellung des Prozesskostenhilfe bewilligenden Beschlusses und damit gemäß § 234 Abs.1 ZPO fristgerecht gestellt.

Der Wiedereinsetzungsantrag ist auch gemäß § 233 ZPO begründet. Die Klägerin war ohne ihr Verschulden verhindert, die Frist zur Einlegung der Berufung einzuhalten. Das durch Bedürftigkeit begründete Unvermögen einer Partei, einen Rechtsanwalt mit der notwendigen Vertretung zur Vornahme von Frist wahrenden Prozesshandlungen zu beauftragen, stellt kein Verschulden der Partei dar, wenn sie alles in ihren Kräften Stehende und ihr Zumutbare getan hat, um die Frist zu wahren. Ausreichend dafür ist, dass die Klägerin innerhalb der Berufungsfrist ihre wirtschaftlichen Verhältnisse unter Beifügung der Belege, die Zulässigkeit des Rechtsmittels und ihre Beschwer dargelegt hat. Das Rechtsmittel selbst braucht die Partei vor der Entscheidung über das Prozesskostenhilfegesuch nicht einzulegen (vgl. Zöller-Greger § 233 Rn 23 €Prozesskostenhilfe€).

Die Berufung ist nicht begründet.

Ein etwaiger Verfahrensfehler beeinträchtigt die angefochtene Entscheidung nicht.

Es kann dahin gestellt bleiben, ob das Teilurteil gemäß § 301 ZPO zulässig gewesen ist. Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs darf ein Teilurteil nur dann ergehen, wenn es von der Entscheidung über den Rest des geltend gemachten Anspruchs unabhängig ist, so dass die Gefahr einander widerstreitender Erkenntnisse, auch durch das Rechtsmittelgericht, nicht besteht (BGH NJW 1999, 1035). Die Prüfung, inwieweit der wirksame Ausschluss aus den Gesellschaften Einfluss auf den Umfang etwaiger Auskunftsansprüche haben könnte und damit eine materiell-rechtliche Verzahnung bestünde (hierzu BGH NJW 2004, 1663,1665) kann vorliegend unterbleiben.

Mit der von den Parteien in der mündlichen Verhandlung vom 08.09.2006 abgegebene Erklärung, dass eine hier zu treffende Sachentscheidung auch für die im zweiten Rechtszug nicht anhängig gewordenen Anträge bindend sein soll, ist die Gefahr widerstreitender Erkenntnisse ausgeräumt.

Das somit als zulässig zu erachtende Teilurteil hält im Ergebnis einer rechtlichen Nachprüfung stand.

Die Beschlüsse der Gesellschafterversammlungen der Beklagten zu 1) und zu 2) vom 23.11.1998 sind jedenfalls mangels rechtzeitiger gerichtlicher Geltendmachung der Anfechtbarkeit oder Nichtigkeit bestandskräftig geworden.

Die in § 7 Ziff. 12 des Gesellschaftsvertrages der Beklagten zu 1) vom 29.10.1992 und in § 7 Ziff. 12 der Satzung der Beklagten zu 2) vom 29.10.1992 für die Geltendmachung der Unwirksamkeit bestimmte Frist von einem Monat nach Absendung des Protokolls wurde nicht eingehalten. Die Klägerin hat zwar durch anwaltliches Schreiben vom 29.12.1998 gegenüber der Beklagten zu 1) die Unwirksamkeit des Beschlusses vom 23.11.1998 geltend gemacht und dies zugleich als Einleitung des Schiedsverfahrens bezeichnet. Ein Schiedsverfahren wurde aber in der Folgezeit nicht durchgeführt, so dass es jedenfalls €selbst bei ordnungsgemäßer Einleitung - in entsprechender Anwendung von §§ 1044, 1056 Abs. 2 Ziff. 3 ZPO als beendet anzusehen wäre.

Die gerichtliche Geltendmachung mit Klageeinreichung am 30.12.2004 ist sowohl für eine Anfechtung als auch für die Feststellung einer Unwirksamkeit der Beschlüsse verspätet.

Wie das Landgericht zutreffend festgestellt hat, ist wegen des schützenswerten Interesses der Gesellschaft an einer zeitnahen Feststellung der Wirksamkeit der gefassten Beschlüsse und der vergleichbaren Bestimmung in § 246 Abs.1 AktG anerkannt, dass eine im Gesellschaftsvertrag festgelegte Monatsfrist zur Geltendmachung der Unwirksamkeit nicht zu beanstanden ist. Auch wenn vorliegend wegen der Unklarheit bezüglich eines möglichen Schiedsverfahrens die Monatsfrist erst zu laufen begonnen hätte als feststand, dass ein solches nicht durchgeführt wird, hätte die Klägerin noch im Jahr 1999 Klage erheben müssen. Eine Anfechtbarkeit der Beschlüsse ist somit nicht mehr gegeben.

Die Klägerin kann sich auch nicht auf eine etwaige Nichtigkeit der Beschlüsse berufen.

Selbst wenn die Beschlüsse vom 23.11.1998 von Anfang an nichtig gewesen wären, sind sie mittlerweile durch Zeitablauf jedenfalls bestandskräftig geworden.

Der Ausschluss der Klägerin aus der Beklagten zu 1) könnte als sittenwidrig im Sinne von § 138 BGB angesehen werden, wenn die verbleibenden Gesellschafter unter Verletzung des Übermaßverbotes und unter Ausnutzung der günstigen Gelegenheit sich ungebührliche Vorteile verschaffen wollten. Bei der hierfür zu treffenden Gesamtabwägung wäre zu prüfen, ob mildere Mittel zur Verfügung gestanden hätten und der Gesellschaftsanteil des Erblassers, der immerhin Gründungsmitglied der Gesellschaften war, der Klägerin hätte belassen werden können. Dafür spricht, dass die Beklagte zu 1) durch Auszahlung von Gewinnanteilen die drohende Zwangsvollstreckung hätte verhindern können. Inwieweit dies von ihr bei der damals gegebenen Sachlage zu fordern gewesen wäre, kann jedoch dahingestellt bleiben. Denn die Klägerin hat sämtliche Fristen versäumt, innerhalb derer sie sich auf eine Nichtigkeit der Beschlüsse hätte berufen können.

Die Nichtigkeit von Gesellschaftsbeschlüssen ist grundsätzlich innerhalb der im Gesellschaftsvertrag vorgesehenen Frist geltend zu machen, die hier bei Klageerhebung bereits lange abgelaufen war. Selbst wenn diese Frist als zu knapp bemessen erachtet wird oder den besonderen Umständen des Einzelfalles nicht Rechnung trägt, ist die Klage innerhalb einer angemessenen Frist zu erheben. In der höchstrichterlichen Rechtsprechung wurde zwar, soweit ersichtlich, noch nicht die Angemessenheit der Frist abstrakt definiert. In der Entscheidung BGH NJW 1995, 1218, 1219 wird aber eine Frist von 10 Monaten von Beschlussfassung bis zur Klageerhebung als jedenfalls nicht mehr angemessen erachtet. Auch eine solche Frist ist vorliegend bei Klageerhebung lange abgelaufen gewesen.

Schließlich ist auch die analog anzuwendende Ausschlussfrist des § 242 Abs. 2 AktG hier nicht mehr gewahrt. Der Ausschluss der Klägerin erfolgte am 23.11.1998 und aufgrund ihrer eigenen Anmeldung vom 05.12.2001 wurde ihr Ausscheiden als Kommanditistin aus der Beklagten zu 1) am 19.12.2991 im Handelsregister eingetragen. Bis zur Anhängigkeit der Klage liegt ein Zeitraum von mehr als drei Jahren.

Die Ausschlussfrist des § 242 Abs. 2 AktG gilt zwar auch für die Beklagte zu 2) als GmbH analog. Gegenüber der Beklagten zu 2) ist aber eine Nichtigkeit des Beschlusses vom 23.11.1998 in analoger Anwendung von § 241 Nr. 4 AktG schon deswegen nicht gegeben, weil der Beschlussinhalt als solcher jedenfalls nicht sittenwidrig ist. Eine Erweiterung der Prüfung der Sittenwidrigkeit auf Motive und Zweck des Beschlusses ist hier nicht möglich, weil die Klägerin eine Anfechtungsmöglichkeit gehabt hätte (vgl. hierzu Baumbach/Hueck GmbHG Anhang § 47 Rz. 55, Hüffer AktienG § 241 Rz. 24, 55).

Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs.1 ZPO. Der Ausspruch der vorläufigen Vollstreckbarkeit folgt aus §§ 708 Nr.10, 711, 709 S.2, 108 Abs. 1 ZPO. Die Revision ist nicht zuzulassen, weil die Voraussetzungen des § 543 Abs. 2 ZPO nicht vorliegen.






OLG Frankfurt am Main:
Urteil v. 29.09.2006
Az: 10 U 18/06


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