Landgericht München I:
Urteil vom 19. Mai 2011
Aktenzeichen: 7 O 6033/10

(LG München I: Urteil v. 19.05.2011, Az.: 7 O 6033/10)

Tenor

I. Die Beklagte wird verurteilt,

1. es bei Meidung eines vom Gericht für jeden Fall der Zuwiderhandlung festzusetzenden Ordnungsgeldes bis zu 250.000,00 €, ersatzweise Ordnungshaft bis zu sechs Monaten, oder Ordnungshaft bis zu sechs Monaten, im Falle wiederholter Zuwiderhandlungen bis zu insgesamt zwei Jahren, zu unterlassen,

eine gekühlte, verpackte Backware, welche teilweise vorgebackenes Brot umfasst und dadurch gekennzeichnet ist, dass sie mit Grieß bestäubt ist, dass sie luftdicht unter Schutzgasatmosphäre verpackt ist, dass sie eine Füllung umfasst, welche Butter und/oder eine Würzmischung enthält, und dass sie auf eine Temperatur im Bereich von +4 bis +10 Grad Celsius gekühlt ist,

in der Bundesrepublik Deutschland herzustellen, anzubieten oder in Verkehr zu bringen,

insbesondere, wenn es sich bei dem Grieß um Hartweizengrieß, Maisgrieß oder Roggengrieß handelt,

insbesondere, wenn die Würzmischung Knoblauch, Zwiebeln und/oder Petersilie enthält,

insbesondere, wenn das Brot im Wesentlichen aus Weizenmehl hergestellt ist;

2. der Klägerin für die Zeit ab dem 02.01.2010 Auskunft über die Vertriebswege der unter vorstehend zu Ziff. I. 1 beschriebenen Erzeugnisse, insbesondere solcher Anlagen K 6 und K 7 vorgelegten Baguettes zu erteilen, insbesondere unter Angabe der Namen und Anschriften der gewerblichen Abnehmer oder Auftraggeber,

3. der Klägerin über den Umfang der vorstehend unter Ziff. I. 1 bezeichneten und seit dem 02.01.2010 begangenen Verletzungshandlungen, insbesondere in Bezug auf solche als Anlagen K 6 und K 7 vorgelegten Baguettes Rechnung zu legen, und zwar unter Angabe

a) der Herstellungsmengen und -zeiten, der Menge der enthaltenen oder bestellten Erzeugnisse sowie der Namen und Anschriften der Hersteller, Lieferanten und anderer Vorbesitzer,

b) der einzelnen Liefermengen, aufgeschlüsselt nach Artikelnummern, Lieferzeiten, Lieferpreise und den Namen und Anschriften der Abnehmer.

c) der Gestehungskosten unter Nennung der einzelnen Kostenfaktoren sowie des erzielten Gewinns, der nicht durch den Abzug der Fixkosten und variablen Gemeinkosten gemindert werden darf, es sei denn, dieser könnten ausnahmsweise den zu Ziff. I 1 genannten Erzeugnissen unmittelbar zugeordnet werden,

d) der einzelnen Angebote, aufgeschlüsselt nach Angebotsmengen, Artikelnummern, Angebotszeiten und Angebotspreisen sowie der Namen und Anschriften der Angebotsempfänger,

e) der betriebenen Werbung, aufgeschlüsselt nach Werbeträgern, deren Auflagenhöhe, Verbreitungszeitraum und Verbreitungsgebiet.

II. Die Beklagte wird verurteilt, die in ihrem unmittelbaren oder mittelbaren Besitz oder Eigentum befindlichen Erzeugnisse gemäß Ziff. I. 1, insbesondere solche als Anlagen K 6 und K 7 vorgelegten Baguettes selbst zu vernichten und der Klägerin hierüber Nachweis zu erteilen oder nach ihrer Wahl diese auf Kosten der Beklagten an einen von der Klägerin beauftragten Gerichtsvollzieher zum Zwecke der Vernichtung herauszugeben.

III. Es wird festgestellt, dass die Beklagte verpflichtet ist, der Klägerin allen Schaden zu ersetzen, der ihr durch die in Ziff. I. 1 bezeichneten und seit dem 02.01.2010 begangenen Handlungen, insbesondere in Bezug auf solche als Anlage K 6 und K 7 vorgelegten Baguettes entstanden ist und noch entstehen wird.

IV. Die Beklagte trägt die Kosten des Rechtsstreits.

V. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar gegen Sicherheitsleistung in Höhe von

500.000 €

betreffend den Tenor Ziff. I.1., 50.000 € betreffend den Tenor Ziff. I .2. und 3.,

50.000 €

betreffend den Tenor Ziff. II. und in Höhe von 110 Prozent des jeweils zu vollstreckenden Betrags betreffend den Tenor Ziff. IV.

Tatbestand

Die Parteien streiten um Ansprüche der Klägerin aus der von ihr behaupteten Verletzung ihres Gebrauchsmusters durch die Beklagte.

Die Klägerin ist Inhaberin eines Gebrauchsmusters über "gekühlte Backwaren mit bemehltem Aussehen" (DE 20 2008 €.€). Das Gebrauchsmuster wurde am 29.1.2008 angemeldet und am 27.03.2008 eingetragen. Die zur M.-Gruppe gehörende Molkerei M. GmbH & Co. KG vertreibt die gebrauchsmustergemäßen "M.-Kräuter-/ und Knoblauchbutter-Baguettes".

Die Beklagte stellt unter der Bezeichnung "K." ebenfalls Knoblauchbutter- und Kräuterbutter-Baguettes her und vertreibt diese in Deutschland. Zwischenzeitlich ist die Beklagte mindestens in den E.-Filialen und G.-Märkten mit den betreffenden Produkten gelistet.

Die Beklagte wurde im Jahre 2009 als Folge einer zweckgerichteten Umstrukturierung im Schweizer A.-Konzern gegründet. Die Molkerei M. GmbH & Co. KG hatte mit der heute ebenfalls zum A.-Konzern gehörenden F. GmbH im Jahr 2006 einen Kooperationsvertrag über die Herstellung gekühlter Backwaren geschlossen, auf deren Grundlage die F. GmbH bis 31.1.2009 die Kräuterbutter-/Knoblauchbutter-Baguettes für die Molkerei M. GmbH & Co. KG herstellte (vgl. Anlage K 3). Nach der Kündigung des Kooperationsvertrags durch "M." zum Ende des Jahres 2009 wurde die Beklagte gegründet. Die Beklagte erwarb das Werk I von der F. GmbH und stellt dort die streitgegenständlichen Kräuterbutter-/Knoblauchbutter-Baguettes her.

Die Klägerin hat am 01.02.2010 z.B. in den E.-Filialen in T. und G. die streitgegenständlichen Baguettes der Beklagten erworben; im März 2010 wurden weitere Baguettes der Beklagten im E. in W. angeboten (vgl. Kassenbelege Anlagen K 1 und 1a).

Ein Antrag der Klägerin gegen die Beklagte auf einstweilige Verfügung vor dem LG Magdeburg scheiterte mangels Vorliegens eines Verfügungsgrundes (Anlage K 10).

Im Lauf des vorliegenden Klageverfahrens hat die Beklagte mit Schriftsatz vom 20.04.2010 der F. GmbH den Streit verkündet mit der Aufforderung, dem Rechtsstreit auf Seiten der Beklagten beizutreten. Die F. GmbH hat mit Schriftsatz vom 29.04.2010 den Beitritt auf Seiten der Beklagten erklärt.

Die Streithelferin hat beim Deutschen Patent- und Markenamt am 23.12.2009 Antrag auf Löschung des streitgegenständlichen Gebrauchsmusters gestellt (Anlage K 12). Die Klägerin hat dem Antrag widersprochen und ihren Widerspruch mit Schriftsatz vom 16.03.2010 begründet.

Die Klägerin hat im Gebrauchsmusterlöschungsverfahren neue Schutzansprüche geltend gemacht, die im Wesentlichen eine Kombination der ursprünglich eingereichten Schutzansprüche 1, 4, 5, 13 und 14 darstellen.

Das streitgegenständliche Gebrauchsmuster ist nach der Neufassung des Anspruchs 1 durch folgende Merkmale zu definieren:

Backware, auf +4 bis +10 Grad Celsius gekühlt, luftdicht verpackt, Verpackung unter Schutzgasatmosphäre, zumindest teilweise vorgebackenes Brot, eine Füllung mit Butter und/oder eine Würzmischung enthaltend, mit Grieß bestäubt.

Nach Auffassung der Klägerin sei die Gebrauchsmusterfähigkeit des streitgegenständlichen Gebrauchsmusters gegeben, da es sich um eine Erfindung handele, die neu und gewerblich anwendbar sei, sowie auf einem erfinderischen Schritt beruhe.

In der gekühlten Lagerung zwischen +4 und +10 Grad Celsius sei kein unzulässiges Verfahrensmerkmal zu sehen.

Bis zur Erfindung der Klägerin seien im Stand der Technik bekannte vorgebackene Backwaren an ihrer Außenseite häufig mit Mehl und nicht mit Grieß bestäubt gewesen. Mit der Bemehlung habe nach dem Fertigbacken ein rustikales Aussehen, möglichst wie ein frischgebackenes, mehlbestäubtes Brot erzeugt werden sollen. Die Lagerung unter feuchten und kühlen Bedingungen habe jedoch häufig dazu geführt, dass die Bemehlung feucht und schmierig geworden sei und nach dem Backen kein rustikales Erscheinungsbild mehr aufgewiesen habe. Die angestrebte Lösung habe den Einsatz künstlicher Zusatzstoffe vermeiden und dem Umstand Rechnung tragen sollen, dass die gekühlten Baguettes - vor allem auch durch den Transport nach Hause - erheblichen Temperaturschwankungen unterliegen würden. Das streitgegenständliche Gebrauchsmuster löse die gestellten Probleme durch eine Bestäubung mit Grieß anstelle von Mehl. Dadurch erhielten die Backwaren nach dem Fertigbacken eine besonders knusprige Kruste, während die Krume im Inneren feucht und locker bleibe. Zudem ergebe sich nach dem Fertigbacken das Bild eines rustikalen "bemehlten" Brotprodukts. Der Austausch von Mehl durch Grieß sei für den Fachmann keine nahe liegende Alternative, zumal Grieß dreimal so teuer wie Mehl sei und damit die Produktionskosten deutlich erhöhe. Die Art der Sicherung der Optik bei Erhaltung der inneren Konsistenz des Brotes sei für die vom Gebrauchsmuster erfassten Erzeugnisse bisher auch nicht bekannt gewesen.

Da das Gebrauchsmuster der Klägerin zu Recht eingetragen sei, habe das zwischenzeitlich von der Streithelferin betriebene Löschungsverfahren keine Aussicht auf Erfolg. Dieser sei es nicht gelungen, eine erfindungsgemäße Vorbenutzung oder Bekanntheit nachzuweisen. Hinzu komme, dass ein erfinderischer Schrift offenkundig gegeben sei, der in einer lebensmittelkonformen Lösung der Problematik des Verschmierens von Mehl bei Erhaltung der Knusprigkeit bestehe. Zwar liege mit dem Gebrauchsmuster ein ungeprüftes Schutzrecht vor. Aufgrund der kurzen Laufzeit des Schutzrechts würde jedoch die Aussetzung des Gebrauchsmusterlöschungsverfahrens bis zu dessen rechtskräftigem Abschluss aber die Durchsetzung des Gebrauchsmusters letztlich vereiteln. Nach dem gegenwärtigen Verfahrensstand des Gebrauchsmusterlöschungsverfahrens sei insbesondere nicht einmal ein konkreter Zeitpunkt für den Erlass eines Zwischenbescheids oder für die Anberaumung einer mündlichen Verhandlung bekannt.

Es sei nicht zutreffend - wie von der Streithelferin und der Beklagten erfolgt - jedes der Merkmale des Schutzanspruchs 1 isoliert zu betrachten. Es handele sich um ein "kombiniertes" Schutzrecht. Keines der von der Beklagten bzw. der Streithelferin vorgelegten Dokumente offenbare alle Merkmale des Schutzanspruchs 1. Entweder handele es sich um Tiefkühlprodukte oder es würden Produkte beschrieben, die sich in ihrer Art oder in der Weise ihrer Vorbehandlung unterschieden. Keines der Dokumente zeige eine Backware, die zumindest teilweise vorgebacken sei, geeignet und bestimmt sei, in den Kühlregalen angeboten zu werden, luftdicht und unter Schutzgasatmosphäre verpackt und welche zur Erreichung des "bemehlten" Aussehens mit Grieß bestäubt sei. Gegenüber des im Gebrauchsmusterlöschungsverfahren als E 3 eingeführten Gebrauchsmusters DE 2006 € U 1 (vgl. auch Anlage NI 5) sei zwar das unterscheidende Merkmal im Schutzanspruch 1 die Bestreuung mit Grieß, dennoch hätten auch die anderen Merkmale Relevanz. Die Streithelferin schränke insoweit die Lehre des vorliegenden Gebrauchsmusters unerlaubt ein. Dessen Aufgabe sei die Bereitstellung eines Produkts, welches im Prinzip demjenigen der E 3 zum Löschungsantrag entspreche, das jedoch nach dem Fertigbacken durch den Verbraucher ein Erscheinungsbild zeige, das einem frischgebackenen, auf der Oberfläche eine Bemehlung aufweisenden Brotproduktes so nahe wie möglich komme. Es sei daher verfehlt, wenn die Beklagte und die Streithelferin die Kühlung aus der Produktbetrachtung abspalteten, da gerade die Lagerung eines feuchten Produktes unter Kühlbedingungen nachteilige Auswirkungen auf die Bemehlung habe. Diese würden durch die Kräuterbutterfüllung noch verstärkt. Bei der Lagerung im Kühlschrank seien die Baguettes gewissen Temperaturschwankungen ausgesetzt, da die Temperaturregelung erst nach Erreichen einer bestimmten Grenze wieder einsetze. Dies gelte erst recht beim Transport der gekühlten Baguettes nach Hause. Zwar sei zuzugeben, dass der Einsatz von Grieß bei Backwaren einer langen Praxis entspreche. Dies sei vorliegend jedoch nicht allein ausschlaggebend, zumal auch die Streithelferin davon ausgehe, dass Grieß gerade nicht resistent gegen Feuchtigkeit sei. Grieß verbacke sich insbesondere nicht zu einer Oberflächenkruste, sondern könne Feuchtigkeit aus der Teigkruste aufnehmen (vgl. Fotos in Anlagen K 17 - K 19). Soweit die Streithelferin die E 3 nicht als nächstliegenden Stand der Technik sehe, könne dem nicht beigetreten werden. Für die Bestimmung des nächstliegenden Stands der Technik komme es darauf an, dass eine möglichst nahekommende Offenbarung auf dem gleichen oder ähnlichen Gebiet ausgewählt werde, um ein eventuelles Nahelegen der Lösung zu bestimmen. Die E 3 sei bereits deshalb naheliegend, weil sie als einziges Dokument im Verfahren ein Produkt beschreibe, welches ebenfalls in dieser speziellen Form (teilweise vorgebackenes Brot, zur gekühlten Lagerung luftdicht und unter Schutzgasatmosphäre verpackt) angeboten werde. Zudem weise das Produkt eine Kräuterbutterfüllung auf. Der Aufgabe, ein Produkt zu schaffen, das wie frisch gebacken aussehe, stehe ein Produkt ohne Mehlbestäubung nicht entgegen.

Eine neuheitsschädliche Offenbarung des Gebrauchsmusters aufgrund der als E 5 in das Gebrauchsmusterlöschungsverfahren eingeführte US-Patent 5,986,€ sei nicht gegeben. Auch diese habe aufgrund eines anderen Gegenstands keine Relevanz; die Haltbarkeit eines Pizzateigs durch Zusatz bestimmter polyvalenter Fettsäureester oder die Behandlung der Teigbälle mit Öl gäben dem Fachmann keinen Hinweis auf die Verwendung von Grieß zum Erreichen einer rustikalen bemehlten Optik. Soweit die E 5 für rohe und geölte Teigkugeln (wie z.B. Pizzateig) pulverförmige Produkte und Semolina (das gelbem Maismehl ähnele) erwähne, ergebe sich hieraus gerade kein Bezug zu einem trockenen nicht geölten Brot- bzw. Brötchenteig. Auch die im Gebrauchsmusterlöschungsverfahren eingeführte Druckschrift E 25 (Patentanmeldung WO 2007/019€ A 2, Anlage NI 9) begründe keine Neuheitsschädlichkeit. Sie betreffe einen anderen Teig ("batter-like compositions"), wobei "batter" übersetzt Backteig heiße und gemäß einer Erläuterung aus der englischen Fassung von Wikipedia eine halbflüssige Mischung aus Mehl, einem Süßungsmittel, einer Fettkomponente, einem Backtriebmittel und Wasser darstelle. Dabei sei entscheidend der Umstand, dass in dem Teig gemäß der E 25 zum Löschungsantrag eine Fettquelle vorhanden sei, die wesentlich für das dort geschützte Verfahren sei, dass üblicherweise gießbaren Teigen eine feste Form gegeben werden könne, die auch bei Aufbewahrung unter Kühlung oder nach Gefrieren und Wiederauftauen erhalten bleibe. Das Klagegebrauchsmuster beinhalte indes keine Formhaltigkeit, sondern betreffe einen Brotteig aus Getreide, Wasser und Triebmitteln. Dem Fachmann sei bekannt, dass Brot im Gegensatz zu Kuchenteigen - wenn überhaupt - nur mit minimalen Fettzugaben erzeugt werde und demnach eine andere Struktur aufweise. Auch "quick bread" enthalte eine für die Textur notwendige Fettkomponente und sei aufgrund seiner Bestandteile den Kuchen zuzuordnen. Zudem offenbare die E 25 zwar, dass eine Vielzahl von Mitteln eingesetzt werden könne, um durch eine Reduzierung der Oberflächenfeuchtigkeit des ungebackenen Teiges ein Anhaften desselben an der Oberfläche zu vermeiden. Hierfür würden indes aber auch Mehle vorgeschlagen; eine Grießbestreuung - abgesehen von der fehlenden Erkenntnis zu der im Gebrauchsmuster liegenden Aufgabe des Verschmierens - sei darin nicht beschrieben. Kuchenartige Produkte wiesen eben gerade keine bemehlte Optik auf, denn die Zielsetzung einer Bemehlung von Kuchenformen sei die Verschmelzung des Mehls mit dem Kuchenteig.

Die "D."-Produkte der Beklagten (als E 23 und E 24 in das Gebrauchsmusterlöschungsverfahren eingeführt, vgl. auch Anlagen NI 6 und NI 7) seien ebenfalls nicht geeignet, die in der Grießbestreuung zu sehende Neuheit und den erfinderischen Schritt in Zweifel zu ziehen, zumal die Produkte bei Raumtemperatur gelagert seien und auch keine Füllung aufwiesen. Die Kühlproblematik fehle gänzlich. Das Ausgehen von D. als nächstliegenden Stand der Technik zur Beurteilung der erfinderischen Tätigkeit durch die Beklagte verkenne, dass ein ausgebackenes Produkt eine andere Feuchtigkeitsstufe aufweise als ein nur vorgebackenes Produkt. Zudem spiele das Vorliegen einer Füllung eine wesentliche Rolle, die dort fehle. Die hypothetischen Überlegungen bezüglich einer möglichen Füllung seien dabei nicht relevant. Das D. sei daher wesentlich entfernter für den Stand der Technik.

Entgegen der Darlegungen der Streithelferin bestehe das von der Klägerin mit der Grießbestreuung zu vermeidende Problem des Verschmierens der Mehlbestäubung auf den streitgegenständlichen Baguettes sehr wohl. Es sei zudem wenig glaubhaft, wenn die Streithelferin dieses Problem in Abrede stelle, jedoch bei ihrer eigenen Produktion ebenfalls Grieß statt Mehl verwende. Das von der Klägerin ihrerseits in Auftrag gegebene Gutachten von Prof. L. (vgl. Anlage K 20) stelle - wie auch das von der Streithelferin beauftragte Gutachten (Anlage NI 32) - fest, dass im Laufe der Lagerung der Baguettes in den Kühlschränken unterschiedliche Feuchtigkeitsverteilungen im gelagerten Produkt vorlägen. Das von der Klägerin vorgelegte Gutachten stelle dabei ausdrücklich fest, dass mit Mehl bestäubte Produkte nach der Lagerung im Kühlschrank deutlich beeinträchtigt seien und überhaupt kein Mehl mehr oder verklumptes Mehl enthielten. Wenn im Gutachten der Streithelferin festgestellt werde, dass das Mehl nicht verschwinde oder verklumpe, hänge dies möglicherweise mit der Menge des aufgebrachten Mehles zusammen.

Ein erfinderischer Schritt sei gegeben. Für den Fachmann sei die Verwendung von Grieß zu dem Zweck, die Feuchtigkeit zu binden und damit ein Verschmieren des Mehls an der Oberfläche der Baguettes zu verhindern, nicht naheliegend gewesen.

Das Problem der Kühlung sei für das vorliegende Gebrauchsmuster zentral. Aus dem Aufdruck auf der Verpackung folge, dass es sich um gekühlte Baguettes handele, die zwischen +4 und +10 Grad Celsius zu lagern seien. Die Baguettes lägen auch nicht im Tiefkühlbereich, sondern im Kühlregal. Die Baguettes müssten notwendigerweise gekühlt werden, um sie produktgemäß verwerten zu können. Insbesondere zeigten sich die durch das Gebrauchsmuster zu lösenden Feuchtigkeitsprobleme aufgrund der nicht konstant gewährleisteten Kühlung auf dem Weg vom Produktstandort zum Verbraucher. Es gehe daher um ganz spezifische Wirkungszusammenhänge zwischen Kühlung und Bemehlung im Hinblick auf ein Fertigbacken ohne Schmierigkeit des Mehles.

Die Klägerin habe im Rahmen einer geplanten Weiterentwicklung des unbemehlten Baguettes die Probleme des Verschmierens bei Mehlbestäubung festgestellt. Dass die Klägerin der Streifhelferin die gewonnen Erkenntnisse nicht mitgeteilt habe, liege daran, dass sie die gemachte Erfindung als Gebrauchsmuster habe schützen wollen. Die Streithelferin habe - wie aus den betreffenden E-mails hervorgehe - hierbei eher bremsend gewirkt.

Die Aufgabe der Klägerin habe gerade nicht darin bestanden, aus unterschiedlichen (von der Streithelferin vorgeschlagenen) Dekor-Medien wie Mehl, Nüsse, Grieß etc.auszuwählen, sondern einen Stoff zu finden, der nicht verschmiere oder beim Aufbacken klumpig werde. Der Stand der Technik habe bisher noch nicht einmal auf die Problematik des Verschmierens hingewiesen, sondern dieses sei - wie auch die Lösung - erst durch die Klägerin entdeckt worden. Die Ausführungen der Streithelferin zur Austauschbarkeit von Mehl und Grieß seien nicht zielführend, denn ein solcher Austausch sei nicht effektfrei. Gerade die E 25 mache eben keinen Unterschied zwischen verschiedenen nicht haftenden Substanzen, weshalb der Fachmann auch nicht automatisch bei Erkennen der Feuchtigkeitsproblematik Grieß verwenden würde. Schließlich sei in Bezug auf die Preiswirkungen nicht die Stück- sondern die Jahreskalkulation zu betrachten, die einen Preisunterschied von 15.000 bis 18.000 € ergebe.

Die Backwaren der Beklagten verwirklichten wort-/sinngemäß sämtliche der genannten Merkmale des Schutzanspruchs 1 des Gebrauchsmusters der Klägerin. Die streitgegenständlichen Baguettes seien mit Grieß bestäubt, was den ausschließlichen Zweck habe, entsprechend dem Gebrauchsmuster der Klägerin im Falle des Fertigbackens eine krustige Außenseite und eine locker feuchte Krume zu erreichen. Bei den von beiden Parteien auf den Markt gebrachten Baguettes handele es sich um gefüllte Baguettes im herkömmlichen Sinne. Im Zuge des Füllvorgangs werde die Krume von der Füllung verdrängt, so dass die Füllung als Klumpen vorhanden und von der Krume umhüllt sei; sie bilde daher keinen Belag. Dies ergebe sich auch aus dem Produktionsvorgang der Beklagten (vgl. Anlagen K 23 - K 27).

Die Klägerin beantragt daher,

I. Die Beklagte wird verurteilt,

1. es bei Meidung eines vom Gericht für jeden Fall der Zuwiderhandlung festzusetzenden Ordnungsgeldes bis zu 250.000,00 €, ersatzweise Ordnungshaft bis zu sechs Monaten, oder Ordnungshaft bis zu sechs Monaten, im Falle wiederholter Zuwiderhandlungen bis zu insgesamt zwei Jahren, zu unterlassen,

eine gekühlte, verpackte Backware, welche teilweise vorgebackenes Brot umfasst und dadurch gekennzeichnet ist, dass sie mit Grieß bestäubt ist, dass sie luftdicht unter Schutzgasatmosphäre verpackt ist, dass sie eine Füllung umfasst, welche Butter und/oder eine Würzmischung enthält, und dass sie auf eine Temperatur im Bereich von +4 bis +10 Grad Celsius gekühlt ist,

in der Bundesrepublik Deutschland herzustellen, anzubieten oder in Verkehr zu bringen,

insbesondere, wenn es sich bei dem Grieß um Hartweizengrieß, Maisgrieß oder Roggengrieß handelt,

insbesondere, wenn die Würzmischung Knoblauch, Zwiebeln und/oder Petersilie enthält,

insbesondere, wenn das Brot im Wesentlichen aus Weizenmehl hergestellt ist;

2. der Klägerin für die Zeit ab dem 02.01.2010 Auskunft über die Vertriebswege der unter vorstehend zu Ziff. I. 1 beschriebenen Erzeugnisse, insbesondere solcher Anlagen K 6 und K 7 vorgelegten Baguettes zu erteilen,

insbesondere unter Angabe der Namen und Anschriften der gewerblichen Abnehmer oder Auftraggeber,

3. der Klägerin über den Umfang der vorstehend unter Ziff. I. 1 bezeichneten und seit dem 02.01.2010 begangenen Verletzungshandlungen, insbesondere in Bezug auf solche als Anlagen K 6 und K 7 vorgelegten Baguettes Rechnung zu legen, und zwar unter Angabe

a) der Herstellungsmengen und -zeiten, der Menge der enthaltenen oder bestellten Erzeugnisse sowie der Namen und Anschriften der Hersteller, Lieferanten und anderer Vorbesitzer,

b) der einzelnen Liefermengen, aufgeschlüsselt nach Artikelnummern, Lieferzeiten, Lieferpreise und den Namen und Anschriften der Abnehmer.

c) der Gestehungskosten unter Nennung der einzelnen Kostenfaktoren sowie des erzielten Gewinns, der nicht durch den Abzug der Fixkosten und variablen Gemeinkosten gemindert werden darf, es sei denn, dieser könnten ausnahmsweise den zu Ziff. I 1 genannten Erzeugnissen unmittelbar zugeordnet werden,

d) der einzelnen Angebote, aufgeschlüsselt nach Angebotsmengen, Artikelnummern, Angebotszeiten und Angebotspreisen sowie der Namen und Anschriften der Angebotsempfänger,

e) der betriebenen Werbung, aufgeschlüsselt nach Werbeträgern, deren Auflagenhöhe, Verbreitungszeitraum und Verbreitungsgebiet.

II. Die Beklagte wird verurteilt, die in ihrem unmittelbaren oder mittelbaren Besitz oder Eigentum befindlichen Erzeugnisse gemäß Ziff. I. 1, insbesondere solche als Anlagen K 6 und K 7 vorgelegten Baguettes selbst zu vernichten und der Klägerin hierüber Nachweis zu erteilen oder nach ihrer Wahl diese auf Kosten der Beklagten an einen von der Klägerin beauftragten Gerichtsvollzieher zum Zwecke der Vernichtung herauszugeben.

III. Es wird festgestellt, dass die Beklagte verpflichtet ist, der Klägerin allen Schaden zu ersetzen, der ihr durch die in Ziff. I. 1 bezeichneten und seit dem 02.01.2010 begangenen Handlungen, insbesondere in Bezug auf solche als Anlage K 6 und K 7 vorgelegten Baguettes entstanden ist und noch entstehen wird.

Die Beklagte und die Streithelferin beantragen jeweils

Klageabweisung, hilfsweise Aussetzung des vorliegenden Verfahrens nach § 19 GebrMG.

Die Zulässigkeit der Streitverkündung ergebe sich aus dem Umstand, dass die Beklagte von der Streithelferin sämtliche Betriebsmittel zur Herstellung der angegriffenen Ausführungsformen gekauft habe und die Beklagte nunmehr die angegriffenen Ausführungsformen herstelle. Abhängig vom Ausgang des vorliegenden Rechtsstreits sei es möglich, dass die Beklagte die Streithelferin wegen damit in Zusammenhang stehender Gewährleistungs- und Regressansprüchen in Anspruch nehmen werde. Dies begründe bereits ein rechtliches Interesse nach § 72 Abs. 1 ZPO. Die Beklagte könne insbesondere ihre Ansprüche gegenüber der Streithelferin nur sichern, in dem sie die Streithelferin an das Ergebnis des vorliegenden Rechtsstreits binde. Auch zur Hemmung der Verjährung gemäß § 204 Abs. 1 Nr. 6 BGB sei die Streitverkündung zwingend. Eine abschließende Prüfung, ob eine solcher Regressanspruch tatsächlich bestehe, müsse nicht erfolgen; eine rein vorsorgliche Streitverkündung sei zulässig.

Beklagte und Streithelferin vertreten die Auffassung, der Löschungsantrag der Streithelferin werde erfolgreich sein, da das Klagegebrauchsmuster nicht schutzfähig sei. Der Gegenstand der Erfindung sei nicht neu. Jedenfalls sei der Gegenstand der gebrauchsmustergemäßen Lehre für den Fachmann zur Zeit der Anmeldung des Klagegebrauchsmusters naheliegend gewesen; es fehle demzufolge an einem erfinderischen Schritt.

Das Merkmal "die auf eine Temperatur im Bereich zwischen +4 bis +10 Grad Celsius gekühlt ist" sei als Anweisung zu verstehen, dass die bereits hergestellte, verkaufsfertige Backware in dem genannten gekühlten Temperaturbereich gelagert werden solle. Mithin sei dieses Merkmal Verfahrensmerkmal, das gemäß § 2 Nr. 3 GebrMG nicht durch ein Gebrauchsmuster geschützt werden könne. Zudem sei das Merkmal des "Gekühltseins" als nicht-permanentes, nur temporär vorliegendes Merkmal mangels Bestimmtheit nicht geeignet, ein Erzeugnis im gebrauchsmusterrechtlichen Sinn gegenüber dem Stand der Technik abzugrenzen.

Dem Gegenstand des Klagegebrauchsmusters fehle es an Neuheit gegenüber der Patentanmeldung WO 2007/019€ A 2 (Anlage NI 9), die im parallelen Löschungsverfahren als E 25 eingeführt worden sei. Diese betreffe eine Backteigzubereitung und ein Verfahren zur Herstellung und Benutzung derselben. Die E 25 offenbare sämtliche Merkmale des Klagegebrauchsmusters. Insbesondere könnten die dort beschriebenen Teigprodukte neben Kuchen und süßem Gebäck auch Brot umfassen. Explizit seien die Brotsorten "quick bread" (Brotprodukt, bei dem statt Hefe Backpulver verwendet werde), "corn bread" (Maisbrot) und "Irish soda bread" (Abwandlung von "quick bread, das zusätzlich Buttermilch enthalte) genannt. Dabei werde auch ein Brot umfasst, das durch Ausbacken der Teigzubereitung oder daraus hergestellter Zwischenprodukte entstehe. Im Zusammenhang mit den bei Gefriertemperaturen gelagerten Zwischenprodukten sei als ein Ausführungsbeispiel die sog. "freezer-to-oven" (FTO)-Produkte genannt, die der Verbraucher beim Aufbacken tiefgefroren direkt in den heißen Ofen einbringen könne. Es würden sieben verschiedene Herstellungsmöglichkeiten aufgezeigt, von denen drei mögliche Alternativen den Schritt des Vorbackens des Zwischenprodukts vor dem Einfrieren umfassten. Auch die weiteren Merkmale der Kühlung, der luftdichten Verpackung und des Vorliegens mit einer Füllung ("dairy products", demnach auch Butter) seien gegeben. Vor allem sei in der E 25 jedoch offenbart, dass die Zubereitung sog. "anti-sticking-agents" (nichthaftende Stoffe) umfassen könne. Genannt würden dabei u.a. neben Mehl auch die Begriffe "semolina" und "semolina flour", die entgegen der Auffassung der Klägerin ebenfalls mit dem klagegebrauchsmustergemäßen Grieß gleichzusetzen seien (vgl. Anlage NI 11).

Eine offenkundige Vorbenutzung liege schließlich aufgrund des von der Streithelferin hergestellte "B." vor (vgl. die im Gebrauchsmusterlöschungsverfahren eingeführten Produkte E 8, E 20 und E 21, Anlagen NI 2 und NI 3), das bereits im Jahr 2007 vertrieben worden sei. Aus dem Produktpass (E 20) sei ersichtlich, dass dieses ein Hartweizen-Grieß-Dekor aufgewiesen habe.

Die Kombination der Merkmale Kühlung, luftdichte Verpackung unter Schutzatmosphäre, Füllung der Backware mit Butter oder gewürzter Butter führe nicht zur Schutzfähigkeit des geltend gemachten Schutzanspruchs 1. Hinsichtlich der Bestäubung der betreffenden Backwaren mit Grieß fehle es an einem erfinderischen Schritt. Lege man die E 3 zum Löschungsantrag (Anlage NI 3) als nächstliegenden Stand der Technik zugrunde, weise die E 3 alle Merkmale des Schutzanspruchs 1 mit Ausnahme der Grießbestäubung auf. Die Darlegung der Klägerin, der Grießbestäubung liege die Aufgabe zugrunde, das Verschmieren der Bestäubung einer Oberfläche beim Auftritt von Feuchtigkeit, wie sie ansonsten bei der Mehlbestäubung zu beobachten sei, zu verhindern, treffe nicht zu. Weder sei der nächstliegende Stand der Technik an der Oberfläche eine Mehlbestäubung (die E 3 zum Löschungsantrag weise überhaupt keine Mehlbestäubung an der Oberfläche auf) noch bewirke das Vorsehen einer Grießbestäubung anstelle der Mehlbestäubung irgendeine Verbesserung hinsichtlich der Problematik des Verschmierens. Nach der luftdichten Verpackung könne nur noch eine marginale Kondensation stattfinden; ein Verschmieren drohe dabei nicht. Der einzige Unterschied liege daher in der Optik. Eine Grießbestäubung von Backwaren sei bereits hinlänglich im Stand der Technik bekannt gewesen. Ein Fachmann hätte schon längst zur Erzielung einer rustikalen Optik auf Grieß zurückgegriffen, da dieser eine rustikalere Optik als fein geriebenes Mehl habe. Die reine Veränderung der Optik stelle keine technische Aufgabe dar. Als solche wäre ausgehend von der E 3 höchstens die Knusprigkeit der Kruste durch Aufbringen des Grießes denkbar. Dieser Effekt wäre aber für den Fachmann nicht überraschend, sodass auch hieraus kein erfinderischer Schritt zu begründen sei. Der Streithelferin, die von 1995 bis 2009 gekühlte und gefüllte Baguettes für die Klägerin hergestellt habe, seien keine mit Mehl bestäubten Backwaren der Klägerin bekannt gewesen, was den Schluss rechtfertige, die Klägerin habe sich die Problematik des Verschmierens nur ausgedacht. Auch die Druckschrift E 5 zum Löschungsverfahren offenbare Teigprodukte, die mit Grieß bestäubt würden. Die von der Streitverkündeten hergestellten tiefgekühlten "B.", die ein Hartweizengrieß-Dekor trügen, seien laut der als E 8 und E 20 im Löschungsverfahren eingeführten Dokumente bereits im Jahre 2007 hergestellt und vertrieben worden.

Ein erfinderischer Schritt fehle auch ausgehend von der offenkundigen Vorbenutzung des D.-Brötchens durch die Streithelferin. Dieses bereits 2007 verkaufte Produkt sei als nächstliegender Stand der Technik anzusehen (Anlagen NI 6 und NI 7). Hierbei handele es sich um ein vorgebacken angebotenes Aufbackbrötchen, das unter Schutzgasatmosphäre verpackt sei. Die Oberfläche des Brötchens sei mit Grieß bestäubt. Einziger Unterschied sei, dass das "D." keine Butter-/Würzmischungsfüllung vorsehe und daher nicht gekühlt werden müsse. Die Kühlung sei aber ohnehin nur wegen der Butterfüllung erforderlich und nehme als nicht gebrauchsmusterfähiges Merkmal nicht am Schutzumfang teil. Dass Brotbackwaren mit Füllungen versehen werden könnten, sei außerdem seit langer Zeit anerkannte Backtradition. Im Hinblick auf das Brötchen "D." übersehe die Klägerin, dass das Vorbacken eine dem Fachmann bekannte, technische Notwendigkeit sei, die vorzusehen sei, wenn ein Brot tiefgekühlt oder gekühlt angeboten werde oder - wie im Fall einer Butterbefüllung - angeboten werden müsse. Der Fachmann wisse, dass ein vorgebacken angebotenes Produkt bei Bedarf auch ausgebacken angeboten werden könne und umgekehrt und würde daher zur Verbesserung eines vorgebackenen Produkts auch Merkmale von ausgebackenen Produkten heranzuziehen. Ferner sei nicht ausgeschlossen, dass das "D.", das bei +15 Grad geliefert werden solle, auch auf +4 bis +10 Grad Celsius gekühlt werde.

Im Hinblick auf die Ausführungen der Klägerin zur E 5 spiele es keine Rolle, ob ein Merkmal, nämlich die Bestreuung mit Grieß, nur einmal als mögliches Ausführungsbeispiel erwähnt oder wiederholt wiedergegeben werde. Der in der E 5 beschriebene Teig sei nicht nur für Pizza verwendbar, sondern auch für Pita-Brot, französisches Brot, Sauerteigbrot etc. Dass auf die Oberfläche des Teiges zusätzlich zur Bestäubung Öl aufgebracht werde, spiele für die Beurteilung des erfinderischen Schrittes keine Rolle. Das Klagegebrauchsmuster enthalte keinen Hinweis darauf, dass das beanspruchte Brotprodukt kein ÷l an seiner Oberfläche aufweisen dürfe. Der Fachmann würde daher die E 5 unmittelbar mit der E 3 kombinieren.

Selbst wenn es die neuheitsschädliche E 25 nicht gäbe, wäre der Gegenstand des Klagegebrauchsmusters nahegelegt. Die Grießbestreuung sei eine Banalität und seit langem gebräuchlich. Mehl und Grieß gehörten zur selben Produktkategorie bzw. -familie der Schrote. Aufgrund vielfältiger Belege habe die Grießbestäubung der Oberfläche von Backwaren in zahlreichen Recherchen nachgewiesen werden können (vgl. hierzu Bl. 102-106 d.A.). Seit langem sei hinlänglich bekannt gewesen, dass bei der Zubereitung von Teig anstelle von Mehl auch auf Grieß zurückgegriffen werden könne (vgl. Anlagen NI 21-24). Auch in anderem Zusammenhang (Atemwegserkrankungen von Bäckern in Zusammenhang mit Mehlstaub) sei Grieß als Ersatz für Mehl diskutiert worden (vgl. Anlagen 25, NI 26). Schließlich habe der Fachmann bereits im Jahr 1966 darauf schließen können, dass Grieß, das einen niedrigeren Ausmahlgrad als feines Mehl habe, auch eine entsprechend geringere Wasseraufnahmefähigkeit besitze (vgl. Anlagen NI 27, Ni 28). Ein relevanter Preisunterschied zwischen Mehl und Grieß bestehe nicht, zumindest wirkten sich die Preisunterschiede wegen der Verwendung der nur sehr geringen Mengen (2 bis 4 Gramm Grieß pro Baguette) nicht aus. Die Mehrkosten je Baguette beliefen sich auf 0,068 Cent im Materialeinkauf.

Soweit die Klägerin versuche, eine Schutzfähigkeit auf das technische Problem des "Verschmierens" der Mehlbestäubung zu stützen, existiere dies nicht und werde zudem bestritten. Selbst wenn es den von der Klägerin angeführten, imaginären Stand der Technik eines Brotes mit Mehlbestäubung gäbe, würde ein Verschmieren nicht zu beobachten sei. Das von der Streithelferin in Auftrag gegebene Gutachten des F. Instituts für Verfahrenstechnik und Verpackung (F. IVV) sei zu dem Ergebnis gekommen, dass trotz einzelner Kondenswassertröpfchen, die zu einem bereichsweisen Aufweichen des Baguettes geführt hätten, kein Verschmieren der Mehlbestäubung festzustellen gewesen sei (vgl. Anlage NI 32). Es werde bestritten, dass die Klägerin - wie in der mündlichen Verhandlung am 01.07.2010 behauptet - umfangreiche Tests durchgeführt habe, die ein Verschmieren der Mehlbestäubung auf gekühlten, vorgebackenen und verpackten Baguettes gezeigt hätten. Die Klägerin habe für die von ihr aufgestellten Behauptungen keinerlei Belege vorgelegt. Die diesbezüglich vorgelegten Fotografien in den Anlagen K 14 bis K 19 seien erst im Lauf des vorliegenden Verfahrens und damit lange nach der Anmeldung des Klagegebrauchsmusters gefertigt worden. Bestritten werde, dass die Klägerin Tests durchgeführt habe, die den normalen Ablauf der Kühlung, des Transports und der nochmaligen Kühlung mit diversen Temperaturschwankungen simuliert hätten und die dabei aufgetretene Verschmierung der Mehlbestäubung gezeigt hätten. Selbst wenn aber eine Verschmierung vorläge, wäre es für den Fachmann naheliegend, eine Grießbestäubung zu verwenden. Es sei absolut naheliegend, die Korngröße zu steigern und somit Grieß einzusetzen, zumal aufgrund des druckschriftlichen Standes der Technik die Wasseraufnahmefähigkeit von Grieß geringer sei. In Bezug auf das Verschmieren des Mehls an der Oberfläche der Baguettes hätte die Klägerin einzig für eine bereits bekannte bzw. bereits naheliegende Lösung eine neue, zusätzliche Aufgabe gefunden. Das reine Auffinden einer neuen Aufgabe einer bereits bekannten technischen Lösung stelle aber keine Erfindung dar.

Eine Verletzung des Klagegebrauchsmusters liege nicht vor. Die angegriffenen Ausführungsformen verwirklichten nicht die Merkmale 6 und 6a des Klagegebrauchsmusters, da sie keine klagegebrauchsmustergemäße Füllung vorsehen würden. Auf den Schnittflächen der aufgeschnittenen Baguettes würden während der Herstellung Kräuter- und Knoblauchbutter aufgetragen. In diesem Zustand würden die angegriffenen Ausführungsformen verpackt und verkauft. Innerhalb der Baguettes befinde sich im Gegensatz zu den klägerischen Baguettes kein Hohlraum, in den eine Füllzutat eingebracht werden könne, die Butter befinde sich ausschließlich auf den Schnittflächen.

Nach dem zwischen der Klägerin und Streithelferin im Jahr 1995 geschlossenen Kooperationsvertrag sei vereinbart gewesen, dass die Klägerin ausschließlich die Verantwortung für die in den Baguettes verwendete Butter tragen sollte, während die Produktionsverantwortung im Übrigen bei der Streithelferin gelegen habe. Im Jahr 2007 habe die Streithelferin im Auftrag der Klägerin ein Upgrade-Baguette zu den bisherigen Baguette-Produkten entwickeln sollen. Im Zuge dessen habe die Streithelferin für die bisherigen Standard-Baguettes, die kein Dekor vorgesehen hätten, diverse Baguettemuster mit Vorschlägen für mögliche Dekore entwickelt. Ausweislich von Fotoübersichten (vgl. Anlage NI 36) habe die Streithelferin eine Vielzahl von Dekoren aus Mehlen, Grießen, Dunst, Sesam, Reis, Käse und Salz vorgeschlagen. Im weiteren Verlauf der Produktentwicklung habe sich die Entwicklung insbesondere auf drei mit Hartweizengrieß bestreute, unterschiedliche gefüllte Baguettes sowie auf ein mit Grieß und ein mit Mehl bestäubtes Baguette konzentriert (vgl. E-mails der Klägerin, Anlagen NI 37 und NI 38). Die Einlassung der Klägerin, sie habe aufgrund von ständigen Problemen mit der Mehlbestäubung nach umfangreichen eigenen Tests ihre Produkte auf ein Grießdekor umgestellt, stimme nicht mit dem wahren Hergang der Produktentwicklung überein. Bezüglich des von der Klägerin favorisierten "K.-Baguettes" mit Mehldekor habe die Klägerin kein einziges Mal ein Verschmieren der Mehl-Bestäubung gegenüber der Streithelferin thematisiert bzw. moniert. Auch das Lagertest-Protokoll (vgl. Anlage NI 40) enthalte keine diesbezügliche Feststellung.

Insbesondere unter der Annahme, dass an die Aussetzung im Gebrauchsmusterverfahren geringere Anforderungen als an die Aussetzung im Patentverletzungsverfahren zu stellen seien, sei aufgrund des "D."-Brötchens eine Aussetzung in jedem Fall angezeigt. Hinzu komme, dass das Klagegebrauchsmuster noch nie von unabhängiger Seite geprüft worden sei. Die kürzere Laufzeit des Gebrauchsmusters habe vorliegend keine andere Entscheidung zur Folge, da das vorliegende Gebrauchsmuster noch bis zum Jahr 2018 in Kraft stehen könne. Vorliegend führe die Aussetzung zu einer vergleichsweise geringen Verzögerung des Klageverfahrens. Vier Monate vor Einreichung der Klage sei bereits der Löschungsantrag gestellt worden und die Parteien hätten bereits Schriftsätze gewechselt. Weiter Verzögerungen seien nicht zu befürchten, sodass mit einer zeitnahen Entscheidung zu rechnen sei.

In ihrem Schriftsatz vom 02.03.2011 hat die Streithelferin zur weiteren Stützung ihres Aussetzungsantrags vorgetragen, dass im Gebrauchsmusterlöschungsverfahren vor dem DPMA zwei weitere Löschungsgründe (widerrechtliche Entnahme und mangelnde Ausführbarkeit) geltend gemacht worden seien, die eine Löschung des Gebrauchsmusters weiter erhöhten. Ferner wird auf ein in der Schweiz anhängig gemachtes Klageverfahren gegen ein Unternehmen aus der Unternehmensgruppe der Streithelferin berichtet. In diesem Verfahren, in dem die M. GmbH & Co. KG Klage erhoben habe, werde ausgeführt, dass der gewünschte technische Effekt ("Oberfläche wird nicht schmierig") nur erzielt werden könne, wenn Backgrad, Art und Weise des Aufbringens des Grießes und die Würzmischung aufeinander abgestimmt seien. Zu dieser Kombination gebe das Klagegebrauchsmuster aber keine Anweisung. Es werde lediglich die Verwendung irgendeines Grießes, egal welcher Korngröße, egal in welcher Menge auf einem beliebigen Teig vermittelt. Damit sei die technische Lehre im Klagegebrauchsmuster aber nicht ausführbar offenbart. Dieser Löschungsgrund sei zwischenzeitlich auch im Löschungsverfahren vor dem DPMA geltend gemacht worden (vgl. Anlage NI 44). Der weitere Löschungsgrund der widerrechtlichen Entnahme werde auf den Umstand gestützt, dass es die Streithelferin selbst gewesen sei, die der Klägerin ein Grießdekor auf den Baguettes vorgeschlagen hätte, worauf die Klägerin das streitgegenständliche Gebrauchsmuster angemeldet habe. In Bezug auf die Argumentation der Klägerin hinsichtlich der E 25, dass die Backware weder Fett noch Zucker aufweisen dürfe und nicht aus einem fließfähigen Teig hergestellt werden dürfe, sei festzustellen, dass das Klagegebrauchsmuster keine Fettfreiheit verlange und Fett (insbesondere in Form von Butter) seit jeher zu einem normalen Bestandteil von Brot gehöre. Es sei bisher nicht verfahrensgegenständlich, dass das Klagegebrauchsmuster die vorgenannten Negativ-Merkmale (Fehlen von Fett und Zucker, kein fließfähiger Teig) beanspruchen könne. Wenn die erkennende Kammer dies annehmen würde, sei dies für die Beklagte und die Streithelferin eine neu bekannt gewordene Tatsache, weshalb die mündliche Verhandlung wiederzueröffnen sei.

Die Klägerin entgegnet auf das neuerliche Vorbringen der Streithelferin, die Ausführungen der M. GmbH & Co. KG im Schweizer Klageverfahren hätten mit dem vorliegenden Gebrauchsmusterverfahren nichts zu tun und bezögen sich auf Wissen und Fertigkeit eines Bäckers im Industriebereich. Die neuerlich geltend gemachte widerrechtliche Entnahme werde bestritten. Zwar seien verschiedene Dekor-Vorschläge von der Streithelferin der Klägerin mitgeteilt worden; die Streithelferin könne aber gar keinen Erfindungsbesitz gehabt haben, da sie bis heute das von der Klägerin gelöste Problem der Verschmierung bei Mehlbestreuung der Baguettes nicht anerkenne. Schließlich handele es sich bei der thematisierten E 25 um eine von den gebrauchsmustergemäßen Brotprodukten unterschiedliche Klasse von Gebäck. Selbst wenn geringe Mengen von Fett und Zucker auch bei der Herstellung von Brot verwendet würden, ziele die Erfindung in der E 25 auf ein Kuchengebäck ab, das einen wesentlich höheren Fettanteil aufweise. Die Lehre des streitgegenständlichen Gebrauchsmusters aus der E 25 könne nur durch ein künstliches Zusammenfügen einzelner Merkmale unter gezielter Weglassung anderer wesentlicher Merkmale der E 25 erreicht werden erzeugt werden.

Mit Schriftsatz vom 10.05.2011 hat die Beklagte mitgeteilt, dass der Erlass eines Zwischenbescheids durch die Löschungsabteilung des DPMA laut Bescheid vom 04.05.2011 nunmehr unmittelbar bevorstehe, weshalb es unverhältnismäßig wäre, in diesem Zeitpunkt ein Unterlassungsurteil auszusprechen, das der Beklagten den Vertrieb ihrer Baguettes auf unabsehbare Zeit unmöglich mache. Die Aussetzung des vorliegenden Klageverfahrens sei zwingend, da die mangelnde Schutzfähigkeit des Klagegebrauchsmusters offensichtlich sei.

Mit Schriftsätzen vom 04.04.2011 und 18.05.2011 erinnerte die Klägerin daran, dass in der mündlichen Verhandlung eine Schriftsatznachlassfrist nicht gewährt worden war und widersprach der Einbeziehung des erst nach Schluss der mündlichen Verhandlung gebrachten Vortrags der Beklagten und der Streithelferin.

Gründe

Die zulässige Klage ist begründet.

A.

Die Streitverkündung der Beklagten gegenüber der F. GmbH ist zulässig. Gemäß § 72 Abs. 1 ZPO kann eine Partei, die für den Fall des ungünstigen Ausgangs des Rechtsstreits einen Anspruch auf Gewährleistung oder Schadloshaltung gegen einen Dritten erheben zu können glaubt oder den Anspruch eines Dritten zu besorgen glaubt, bis zur rechtskräftigen Entscheidung des Rechtsstreits dem Dritten gerichtlich den Streit verkünden. Die Beklagte hat dargetan, sie könne die Streithelferin, deren Geschäftsbetrieb sie erworben hat, möglicherweise wegen Gewährleistungs- und Regressansprüchen in Anspruch nehmen. Dies ist für das Vorliegen eines Streitverkündungsgrundes, dessen Annahme großzügig auszulegen ist, ausreichend. Insbesondere ist es nicht erforderlich, dass ein solcher Anspruch tatsächlich besteht; die bloße Möglichkeit reicht aus.

B.

Die von der Klägerin geltend gemachten Ansprüche gegen die Beklagte aus der Verletzung des Klagegebrauchsmusters DE 20 2008 €.€ ist gemäß § 24 GebrMG gegeben, da sich das Gebrauchsmuster als rechtswirksam erweist, Zweifel an seiner Bestandskraft auch keine Aussetzung bedingen und die Klägerin von der durch das Gebrauchsmuster geschützten Lehre Gebrauch macht.

I.

Das durch das Gebrauchsmuster geschützte Merkmal "gekühlt von +4 bis +10 Grad Celsius" ist nicht als Verfahrensmerkmal iSd § 2 Nr. 3 GebrMG zu qualifizieren, das einem Gebrauchsmusterschutz nicht zugänglich ist.

66Nach § 2 Nr. 3 GebrMG sind Verfahrenserfindungen von dem Schutz des Registerrechts ausgeschlossen, da sie von Dritten mangels konkreter Darstellbarkeit nicht zuverlässig auf Schutzfähigkeit und Schutzumfang geprüft werden können (vgl. Gesetzesbegründung BlfPMZ 1990, 199). Verfahren sind idR alle Merkmale einer Erfindung, deren Wesen darin liegt, dass etwas zu einem bestimmten Zeitpunkt oder an einem bestimmten Ort/Stelle zu tun ist oder zu geschehen hat (vgl. BGH GRUR 1965, 234, 236 - Spannungsregler). Die Kühlung des streitgegenständlichen Produkts auf +4 bis +10 Grad Celsius ist indes kein Verfahrensmerkmal, sondern kennzeichnet einen Zustand bzw. eine Beschaffenheit der streitgegenständlichen Produkte. Demgegenüber tritt eine mögliche Handlung des "gekühlt Haltens" zurück. Entgegen der Auffassung der Beklagten ist das streitgegenständliche Merkmal aufgrund der exakten Temperaturangabe hinreichend bestimmt und auch nicht nur temporär zu verstehen.

II.

Die Kammer erachtet das Gebrauchsmuster für bestandskräftig. Auch eine Aussetzung des vorliegenden Klageverfahrens nach § 19 GebrMG ist nicht veranlasst, da die Kammer nicht davon ausgeht, dass eine hohe Wahrscheinlichkeit für die Löschung des Klagegebrauchsmusters im derzeit anhängigen Löschungsverfahren vor dem Deutschen Patent- und Markenamt besteht.

681. Eine fakultative Aussetzung nach § 19 Satz 1 GebrMG kommt vorliegend nicht in Betracht. Bei Vorliegen der Voraussetzungen (Hauptsacheklage im Verletzungsstreit, anhängiges Löschungsverfahren beim DPMA bzw. BPatG, Vorgreiflichkeit) ist die Aussetzung grundsätzlich dem pflichtgemäßen Ermessen des Gerichts überlassen. Dabei darf sich das Gericht aber nicht allein von Zweckmäßigkeitsgesichtspunkten leiten lassen, ebenso nicht von der Besonderheit, dass das Gebrauchsmuster ohne Prüfung der Schutzvoraussetzungen eingetragen ist, da sich aus dem Regel-/Ausnahmeverhältnis der §§ 11, 13 GebrMG eine Vermutung der Wirksamkeit ergibt. Zutreffend wird deshalb in einem Teil der Literatur Zurückhaltung bei der Aussetzung angemahnt, weil der Gebrauchsmuster-Inhaber (angesichts der ohnehin verkürzten Laufzeit des Gebrauchsmusters) für einen wesentlichen Zeitraum sein Ausschließungsrecht nicht durchsetzen kann. Allgemein kann auf die Grundsätze zur Aussetzung des Patentverletzungsrechtsstreits bei Einspruch bzw. Nichtigkeitsklage zurückgegriffen werden (vgl. Busse/Keukenschrijver, § 19 GebrMG, Rdnr. 7). Danach kommt eine Aussetzung aufgrund eines Einspruchs oder anhängigen Nichtigkeitsverfahrens in der Regel nur in Betracht, wenn das Klagegebrauchsmuster mit (sehr) hoher Wahrscheinlichkeit nicht rechtsbeständig ist. Dies kommt im wesentlichen (nur) bei neuheitsschädlicher Vorwegnahme in Betracht oder wenn die Erfindungshöhe angesichts des vorliegenden Stands der Technik so fragwürdig geworden ist, dass sich ein vernünftiges Argument für die Zuerkennung der erfinderischen Tätigkeit nicht finden lässt (vgl. BGH GRUR 1987, 284 - Transportfahrzeug; OLG Düsseldorf 1997, 257, 258 - Steinknacker). Insbesondere sollten im Regelfall Zweifel an dem Vorliegen eines erfinderischen Schritts nicht zur Aussetzung führen. Denn ob ein erfinderischer Schritt zu bejahen oder zu verneinen ist, ist letzten Endes allein infolge einer wertenden Entscheidung zu bestimmen. Insoweit lassen sich aber regelmäßig gute Gründe dafür anführen, dass ein Löschungsverfahren keinen Erfolg haben wird. Im Rahmen seiner Ermessensentscheidung kommt dem Verletzungsgericht dabei auch ein gewisses Maß an Flexibilität zu.

2. Eine hohe Wahrscheinlichkeit für die Löschung des Klagegebrauchsmusters im Löschungsverfahren vor dem DPMA ist aus Sicht der erkennenden Kammer nicht gegeben. Das Klagegebrauchsmuster ist nach Auffassung der Kammer nicht löschungsreif.

70Das Klagegebrauchsmuster ist als neu, gewerblich anwendbar und auf einem erfinderischen Schritt beruhend zu erachten (vgl. § 1 Abs. 1 GebrMG).

a) Eine Erfindung ist gebrauchsmusterrechtlich neu, wenn sie nicht zum Stand der Technik gehört. Das GebrMG fingiert als vorbekannt und damit als Stand der Technik gegenüber dem PatG aber nur die Kenntnisse, die vor dem für den Zeitrang der Anmeldung maßgeblichen Tag durch schriftliche Beschreibung oder durch eine im Inland erfolgte Benutzung der Öffentlichkeit zugänglich gemacht worden ist, vgl. § 3 Abs. 1 Satz 2 GebrMG. Die Neuheitsprüfung erfolgt nach der objektiven Sachlage. Dabei sind die jeweiligen Entgegenhaltungen jeweils einzeln mit dem Gegenstand des Gebrauchsmusters zu vergleichen. Nur wenn eine einzelne Entgegenhaltung sämtliche Merkmale des Gegenstands des Gebrauchsmusters offenbart, ist eine neuheitsschädliche Vorwegnahme gegeben. Anders als bei Beurteilung des erfinderischen Schritts findet bei der Neuheitsprüfung keine mosaiksteinartige Zusammensetzung des Standes der Technik aus zwei oder mehreren Entgegenhaltungen statt (vgl. Loth, Gebrauchsmustergesetz, 2001, § 3 Rndr. 17). Als neuheitsschädlich gilt nur der Stand der Technik, der vor dem für den Zeitrang der Anmeldung maßgeblichen Tag der Öffentlichkeit zugänglich gemacht worden ist.

b) Die von der Beklagten bzw. Streithelferin ins Gebrauchsmusterlöschungsverfahren eingeführten Entgegenhaltungen sind nicht geeignet, die Neuheit des Klagegebrauchsmusters iSd § 3 Abs. 1 Satz 1 GebrMG in Abrede zu stellen. Auch eine offenkundige Vorbenutzung (§ 3 Abs. 1 Satz 2 GebrMG) liegt nicht vor.

aa) Dabei ist hinsichtlich des nächstliegenden Stands der Technik von der E 3 (vgl. auch NI5) auszugehen, die ein ebenfalls für die Klägerin eingetragenes Gebrauchsmuster (DE 20 2006 € U1), nämlich ein sog. "Kräuterbaguette mit vermindertem Brennwert" betrifft. Hierbei handelt es sich um teilweise vorgebackenes Brot, das mit einer kräuterhaltigen Butterzubereitung gefüllt ist und daher gekühlt gehalten werden muss. Selbst wenn in der E 3 keine Mehlbestäubung vorgesehen ist, steht es dem Klagegebrauchsmuster näher als Produkte, die zwar eine Grießbestreuung aufweisen, jedoch in anderen Kühlzuständen bzw. ohne jeglichen Kühlzustand gehalten werden. Die Produktbeschaffenheit zwischen der E 3 und dem klagegebrauchsmustergemäßen Produkten stimmt in den maßgeblichen Kriterien (vorgebackenes Brot, gewürzte Butterfüllung, gekühlte Lagerung) gänzlich überein. Zudem steht die mangelnde Mehlbestäubung einer rustikalen Optik grundsätzlich nicht entgegen.

bb) Die von der Streithelferin in ihren Ausführungen in den Fokus gestellte E 25 begründet keine für den Stand der Technik relevante Entgegenhaltung. Dies ist bereits aufgrund der fehlenden Vergleichbarkeit der Teigkonsistenz anzunehmen. Während ein Brotteig klassischer Weise aus Getreide, Wasser und Hefe bzw. Triebmitteln besteht, enthält der in der E 25 in Rede stehende Teig ("batter-like" = "backteig-artig") neben Mehl, Wasser und einem Backtriebmittel noch ein Süßungsmittel sowie eine Fettkomponente, die dem Teig unter anderem auch eine gewisse fließfähige Eigenschaft verleihen. Es handelt sich somit um einen Kuchenteig, der sich wesentlich vom Brotteig unterscheidet. Selbst wenn die betreffenden Produkte eine ähnliche Füllung enthalten können und ebenfalls unter Schutzgasatmosphäre verpackt sind, ist aufgrund der andersartigen Zusammensetzung des Teigs und der unterschiedlichen Inhaltsstoffe davon auszugehen, dass sich eine Grießbestreuung - nicht zuletzt unter chemischen Gesichtspunkten - in anderer Weise mit dem dort definierten Kuchenteig als mit einem Brotteig verbindet, wodurch eine andersartige Wirkung durch die Grießbestreuung erzeugt wird. Soweit sich die Streithelferin darauf bezieht, dass von der E 25 auch "quick bread" (Verwendung von Backpulver anstatt Hefe), "corn bread" (Maisbrot), "Irish soda bread" (Abwandlung von "quick bread" mit der Zutat Buttermilch) etc. umfasst seien, bedeutet die englische Bezeichnung "bread" für "Brot" noch keineswegs, dass es sich auch aufgrund der Zutaten um "echtes" Brot handelt. Vorliegend ist das vielmehr zu verneinen aufgrund der vorstehend genannten, zusätzlichen Zutaten im Kuchenteig, die im Brotteig des Klagegebrauchsmusters nicht entsprechend zu finden sind. Bei unterschiedlichen Zutaten ist indes die unterschiedliche Auswirkung einer Grießbestreuung nicht von der Hand zu weisen. Soweit die Streithelferin ausführt, die E 25 offenbare, dass die Zubereitung sog. "anti-sticking agents" auch Grießmehl umfassen könne, das mit Grieß gleichzusetzen sei, kommt dieser Umstand im Hinblick auf die dargestellten Unterschiede der Teigbeschaffenheit zwischen der E 25 und dem (Baguette-)Brot des Klagegebrauchsmusters nicht mehr zum Tragen. Zudem ist in der E 25 ausgeführt, dass die dort verwendeten Kuchenteige typischerweise "gießbar" sind ("pourable"), während die erfindungsgemäßen Produkte der E 25 demgegenüber nicht gießbar sein sollen ("Im Gegensatz zu den herkömmlichen Kuchenteigen sind die mehlhaltigen Zwischenprodukte der Erfindung bei Temperaturen unterhalb normaler Backtemperaturen nicht fließfähig und können eine bestimmte Form und/oder Struktur beibehalten", vgl. NI 9a, Seite 4, 2. Absatz). Dieser Aspekt der Erfindung in der E 25 fehlt im fehlenden Klagegebrauchsmuster gänzlich und ist in Zusammenhang mit Baguettes auch vollkommen unerheblich.

Soweit die Beklagte und die Streithelferin davon ausgehen, die erkennende Kammer hätte bei Verneinung der Relevanz der Entgegenhaltung E 25 die mündliche Verhandlung wiedereröffnen müssen, da die Verwirklichung der Negativmerkmale Fehlen von Fett, Fehlen von Zucker, keine Herstellung auf Basis eines fließfähigen Teigs durch die angegriffene Ausführungsform bisher von der Klägerin nicht behauptet und in der mündlichen Verhandlung nicht erörtert worden sei, ist dem nicht zu folgen. Die E 25 und auch die betreffenden Negativmerkmale sind in den beiden Terminen der mündlichen Verhandlung mit den Verfahrensbeteiligten ausführlich diskutiert worden.

cc) Die von der Streithelferin ins Löschungsverfahren eingeführten Entgegenhaltung E 5 (US-Patent 5,968,€) besitzt vorliegend aufgrund der unterschiedlichen Teigbeschaffenheit des dort geschützten Produkts ebenfalls keine Relevanz für das Klagegebrauchsmuster, denn das US-Patent betrifft die Problematik einer längeren Haltbarkeit von Pizzateig durch Zusatz bestimmter polyvalenter Fettsäureester ("polyvalent alcohol fatty acis esters"); zudem lehrt das Patent eine Aufbringung von ÷l auf den Teig. Selbst wenn - wie die Streithelferin darlegt - von dem US-Patent auch andere Teigarten wie z.B. Sauerteig erfasst wären, schafft die Aufbringung von ÷l jedenfalls eine vom Brotteig des Klagegebrauchsmusters abweichende Ausgangslage im Hinblick auf die Bestäubung.

dd) Die Relevanz der weiteren, ins Löschungsverfahren eingeführten Entgegenhaltungen der E 23 und E 24 (NI 6 und NI 7) ist ebenfalls zu verneinen. Beim grießbestreuten "D." - Brötchen handelt es sich um ein ungekühltes sog. "Aufbackbrötchen", das im Backofen aufgebacken werden muss und zudem nicht gekühlt, sondern unter Raumtemperatur gelagert ist. Aufgrund des gänzlichen Fehlens einer Kühlung, wie sie für die klagegebrauchsmustergegenständlichen Produkte erforderlich ist, ist eine Vergleichbarkeit zwischen beiden Produkttypen von vornherein zu verneinen, zumal die "D." - Brötchen auch keine (Butter-) Füllung aufweisen, die letztlich ja auch die Kühlung bedingt. Soweit die Streithelferin davon ausgeht, ein Brötchen, das bei +15 Grad Celsius gelagert werde, könne auch mit Butter gefüllt und bei +4 bis +10 Grad Celsius gelagert werden, übersieht sie hierbei, dass es sich in diesem Fall um einen nur kurzen Kühlzustand handeln würde, weshalb etwaige Anforderungen der Teig- und Dekorbeschaffenheit unterschiedlich gegenüber den von Anfang an gekühlten Baguettes anzusetzen wären. Es ist zudem zu berücksichtigen, dass der gekühlte Zustand der Baguettes bei der primären Lagerung ein Merkmal des Schutzanspruchs 1 des streitgegenständlichen Gebrauchsmusters ist, bei den Entgegenhaltungen der E 23 und 24 aber gerade nicht. Wie die Produkte anschließend verwendet werden, ist in diesem Zusammenhang unbeachtlich.

Auch das von der Streithelferin in Bezug genommene grießbestreute Brötchen mit der Bezeichnung "B." (vgl. E 8, E 20, E 21 bzw. NI 2 und NI 3) besitzt im Hinblick auf die Neuheit der klägerischen Produkte keine Relevanz, denn hierbei handelt es sich um ein tiefgefrorenes Produkt, das im vorgeheizten Ofen aufgebacken werden muss. Mithin bestehen auch diesbezüglich andere Anforderungen an Teigbeschaffenheit und Bestäubung als bei gekühlt gelagerten Produkten.

dd) Weitere relevante Entgegenhaltungen, die der Annahme der Neuheit der klägerischen Baguettes entgegenstehen könnten, sind nicht ersichtlich. Auch ergeben sich keine weiteren Hinweise auf eine offenkundige Vorbenutzung gemäß § 3 Abs. 1 Satz 2 GebrMG.

c) Das Vorliegen eines erfinderischen Schrittes ist im Hinblick auf das Klagegebrauchsmuster zu bejahen. Bei der Frage des erfinderischen Schritts ist zu prüfen, wieweit bereits der Stand der Technik Vorbilder und Anregungen für die vorgeschlagene Gestaltung geboten hat. Der für die Prüfung des erfinderischen Schritts maßgebliche Gegenstand bestimmt sich allein nach den Schutzansprüchen, §§ 4 Abs. 2 Nr. 2, 12 a, 5 Abs. 1 GebrAnmV. Dabei ist der gesamte Erfindungsgegenstand unter Einschluss der nichttechnischen Merkmale zu berücksichtigen (vgl. BGH GRUR 1992, 430, 432 - Tauchcomputer).

aa) Ausgehend von dem Umstand, dass als nächstliegender Stand der Technik die E 3 als identisch beschaffenes Baguette, jedoch ohne Mehlbestäubung anzusehen ist, stellt ein Baguette mit Grießbestreuung einen erfinderischen Schritt dar. Insbesondere ist auch die Technizität der klägerischen Erfindung gegeben.

Sowohl das klägerische (Anlage K 20) als auch das von der Streithelferin vorgelegte Gutachten nehmen eine Kondenswasserbildung der im Kühlschrank gelagerten Baguettes an. Das Gutachten des Fraunhofer Instituts IVV vom 25.08.2010 (E 46), das von der Streithelferin in Auftrag gegeben worden ist, geht davon aus, dass bei den an der Kühlfläche gelagerten Baguettes eine Kondenswasserbildung aufgetreten ist (vgl. Punkt 2.2., Seite 6 oben). Zwar ist das Verschmieren einer Mehlbestäubung nicht explizit festgestellt worden (vgl. Punkt 2.3., Seite 6), gleichwohl aber ein unerwünschter Nebeneffekt dahingehend, dass die Baguettes auf der Kühlfläche des Kühlschranks zugewandten Seite bei Kondenswasserbildung aufweichen. Letzteres deutet jedoch zumindest auf eine auch von der Streithelferin nicht in Abrede gestellte, unerwünschte Feuchtigkeitsproblematik der im Kühlschrank gelagerten Baguettes hin, die insoweit mit der von der Klägerin dargestellten Problematik gewisse Übereinstimmungen aufweist. Eine Kondenswasserbildung hat zudem auch der von der erkennenden Kammer durchgeführte Augenschein in der mündlichen Verhandlung vom 01.07.2010 ergeben (vgl. Protokoll der mündlichen Verhandlung). Hinsichtlich der Verwendung von Grieß auf den Oberflächen der Baguettes und der Problematik des möglichen Verschmierens von Mehl an der Oberfläche stellt das klägerische Gutachten (K 20) explizit fest, dass entweder überhaupt keine Mehl mehr erkennbar oder dieses verklumpt gewesen sei. Dieser Effekt werde bei den mit Grieß bestäubten Baguettes nicht beobachtet, während das Gutachten der Streithelferin keine erkennbaren Unterschiede bei der Bestäubung von Mehl oder Grieß feststellt und damit eine Problematik des Verschmierens von Mehl im Ergebnis verneint.

Festzuhalten bleibt, dass durch das von der Klägerin vorgelegte Gutachten (Anlage K 20) die gebrauchsmustergemäße Lehre, die in der zunächst sich stellenden Aufgabe des Verschmieren der Mehlbestäubung an der Oberfläche der Baguettes und sodann in der Lösung der Verwendung von Grieß zur Vermeidung dieser Problematik besteht, nachvollziehbar dargestellt erscheint. Auch in der mündlichen Verhandlung am 01.07.2010 hat der Leiter der Produktentwicklung Westeuropa der Klägerin eingehend über die Versuche der Klägerin mit verschiedenen Dekoren zur Löschung des Problems des Verschmierens von Mehl unter Feuchtigkeitseinwirkung berichtet. Die Streithelferin und die Beklagte haben zwar die Durchführung von klägerischen Versuchen unter relevanten Bedingungen bestritten, jedoch selbst durch die Verwendung der Grießbestreuung auf den streitgegenständlichen Baguettes durch die Beklagte zu erkennen gegeben, dass sie eine Grießbestreuung offenbar gegenüber Mehl favorisieren, was angesichts der durch das von der Streithelferin beauftragte Gutachten festgestellten Feuchtigkeitsproblematik durch Kondenswasser jedenfalls die Gefahr eines möglichen Verschmierens objektiv minimiert.

bb) Die Verwendung von Grieß zur Lösung des Feuchtigkeitsproblems auf der Oberfläche der Baguettes stellt einen erfinderischen Schritt dar. Zwar sind die Verwendung von Grieß als Oberflächenbestreuung auf Backwaren und auch auf Brotprodukten aus einigen Entgegenhaltungen, die in das Löschungsverfahren eingeführt worden sind sowie auch die mögliche Austauschbarkeit von Mehl und Grieß aus der gewonnenen Erfahrung auf dem Gebiet des Backens durchaus bekannt. Dies gilt indes nicht für den Einsatz von Grieß auf Brot (Baguettes), das mit einer Buttermischung gefüllt, luftdicht und unter Schutzgasatmosphäre verpackt sowie gekühlt gelagert ist. Insoweit ist den klägerischen Ausführungen zuzustimmen, dass einzelne Merkmale aus Anspruch 1 des streitgegenständlichen Gebrauchsmusters nicht isoliert herausgegriffen werden dürfen, sondern die Gesamtkombination der Merkmale des Schutzanspruchs 1 des Gebrauchsmusters im Hinblick auf das Vorliegen eines erfinderischen Schrittes zu beurteilen sind. Eine Grießbestäubung innerhalb der im Gebrauchsmuster vereinten Gesamtkombination der Merkmale stellt unter der Annahme des Umstands, dass eine gewisse Kondenswasserbildung nicht in Abrede zu stellen ist, einen erfinderischen Schritt dar, zumal die wasserbindende Fähigkeit von Grieß zwar eine anerkannte Stoffeigenschaft darstellt, aber - wie auch von der Klägerin vorgetragen - durchaus ein gewisses Risiko des Aufquellens des Grießes nach Feuchtigkeitsaufnahme und somit ein Zusammenkleben bzw. Zusammenbacken gegeben sein könnte. Selbst die Streithelferin geht davon aus, dass Grieß nicht resistent gegenüber Feuchtigkeit ist. Damit erscheint die Grießbestreuung zur Verhinderung des Verschmierens von Mehl und zur Verleihung eines rustikalen Aussehens nicht derart naheliegend, dass die Wirkungsweise von Haus aus zweifelsfrei aus anderen Schriften und/oder Vorbenutzungen festgestanden hätte. Des Weiteren ist davon auszugehen, dass die Grießbestäubung nicht ausschließlich, sondern höchstens mittelbar optischen Dekorzwecken dient, als sie eine mögliche Kondenswasserbildung bindet und eine Knusprigkeit der Baguettes erhält, weshalb die Lösung einer technischen Aufgabe als im Vordergrund stehend nicht in Abrede gestellt werden kann. Zudem räumt die Streithelferin sogar ein, dass - wenn sie auch die reine Veränderung der Optik als keine technische Aufgabe sieht - möglicherweise in der Knusprigkeit der Kruste, die die Grießbestreuung zur Folge habe, eine technische Aufgabe gesehen werden könne. Der weiteren Schlussfolgerung der Streithelferin, dies könne die Schutzfähigkeit des Klagegebrauchsmusters mangels des Vorliegens einer überraschenden Lösung für den Fachmann jedoch nicht begründen, stehen die vorstehenden Erwägungen dahingehend entgegen, dass ein Risiko der Feuchtigkeitsaufnahme von Grieß durchaus bestanden, sich im Ergebnis jedoch nicht realisiert hat, was wiederum zu Verneinung der Annahme eines naheliegenden Effekts führt und das Vorliegen eines erfinderischen Schritts begründet.

Sofern die Beklagte und die Streithelferin die Auffassung vertreten, das Auffinden einer neuen Aufgabe zu einer bereits bekannten technischen Lösung stelle keine Erfindung dar, ist zum einen entgegenzuhalten, dass bei gekühlten, luftdicht und unter Schutzgasatmosphäre verpackten Brotprodukten wie Baguettes eine Grießbestreuung bisher keine bekannte technische Lösung dargestellt hat. Zum anderen ist auch das Auffinden einer neuen Aufgabe durchaus als Gesichtspunkt für die Annahme einer schutzfähigen Erfindung zu sehen wie etwa die Rechtsprechung zur 2. medizinischen Indikation zeigt, die die Patentierung für die Verwendung eines Stoffes, der bereits als Arzneimittel bekannt ist, für eine zweite therapeutische Verwendung zulässt, wenn diese neu und erfinderisch ist (vgl. Schulte, PatG, 8. Aufl., § 1 Rdnr. 258).

Schließlich sind auch keine von der Streithelferin geltend gemachten Widersprüche zum tatsächlichen Hergang der Produktentwicklung erkennbar. Der Umstand, dass die Klägerin offenbar ein Verschmieren des Mehles nicht gegenüber der Streithelferin thematisiert habe, rechtfertigt nicht die Annahme, die Klägerin habe das Problem nie festgestellt. Soweit die Klägerin vorträgt, sie habe ihre Erfindung der Grießbestreuung nicht an die Streithelferin weitergegeben, weil sie diese als Gebrauchsmuster habe anmelden wollen, stellt dies eine nachvollziehbare Erwägung dar, die der Klägerin zuzugestehen ist.

d) Eine mangelnde Ausführbarkeit des Schutzanspruchs 1 ist zum einen nicht rechtzeitig bis zum Haupttermin geltend gemacht worden. Sie ist aber entgegen der Auffassung der Beklagten und der Streithelferin auch nicht gegeben, weshalb auch kein Anlass bestand, erneut in die mündliche Verhandlung einzutreten. Die Ausführbarkeit ist zu bejahen, wenn die Erfindung so deutlich und vollständig offenbart ist, dass ein Fachmann sie ausführen kann. Dies ist vorliegend ohne Weiteres gegeben. Sofern die Streithelferin auf die Ausführungen der Klägerin in dem anhängigen Schweizer Verletzungsverfahren dahingehend abstellt, dass der gewünschte technische Effekt des mangelnden Verschmierens nur erzielt werden könne, wenn Backgrad, Art und Weise des Aufbringens des Grieß und die Würzmischung aufeinander abgestimmt seien, gebe das Klagegebrauchsmuster keinerlei Anweisungen, resultiert hieraus aber keine mangelnde Ausführbarkeit. Grundlage für die Betrachtung der mangelnden Ausführbarkeit sind die gesamten Offenbarungen im Klagegebrauchsmuster. Hieraus ergeben sich keinerlei Gesichtspunkte, die nicht unmittelbar ausführbar wären. Insbesondere ist das Merkmal der Grießbestäubung, die nach Auffassung der Beklagten und der Streithelferin für banal erachtet wird, insofern eindeutig, als darunter eben eine Bestreuung mit "normalem " Grieß an der Oberfläche der Baguettes zum Ausdruck gebracht wird. Eine notwendige Ausdifferenzierung der Merkmale (z.B. Art und Menge des Grießes) wird durch das Klagegebrauchsmuster nicht nahegelegt und ist daher für die Ausführbarkeit auch nicht erforderlich.

e) Auch eine widerrechtliche Entnahme (§ 13 GebrMG), deren Wirkung nur gegenüber demjenigen eintritt, ohne dessen Einwilligung sie erfolgt ist, liegt nicht vor. Auch insoweit ist es daher unerheblich, dass der diesbezügliche Vortrag nicht rechtzeitig zum Haupttermin erfolgte. Die Voraussetzungen einer widerrechtlichen Entnahme liegen vor, wenn der wesentliche Inhalt des Gebrauchsmusters den Beschreibungen, Zeichnungen, Modellen und Gerätschaften oder Einrichtungen eines anderen ohne dessen Einwilligung entnommen ist. Da nach den Ausführungen der Streithelferin der Klägerin verschiedene Bestreuungen, darunter auch eine Grießbestreuung (und im Übrigen auch eine Mehlbestäubung), nur zu Dekorzwecken - ohne Einbeziehung der Problematik einer Kondenswasserbildung, die von der Streithelferin im Verfahren durchgängig negiert wurde - vorgeschlagen worden ist, ergibt sich daraus kein für eine widerrechtliche Entnahme relevanter Erfindungsbesitz der Streithelferin hinsichtlich einer möglichen Lösung des auftretenden Feuchtigkeitsproblems bei Mehlbestäubung der Baguettes im Zuge gekühlter Lagerung.

f) An der gewerblichen Anwendbarkeit des streitgegenständlichen Gebrauchsmusters bestehen keinerlei Zweifel.

Aufgrund der somit anzunehmenden Rechtsbeständigkeit des Gebrauchsmusters kommt eine fakultative Aussetzung des Verfahrens nach § 19 Satz 1 GebrMG nicht in Betracht.

3. Eine zwingende Aussetzung nach § 19 Satz 2 GebrMG kommt aufgrund des Umstands, dass die erkennende Kammer das Gebrauchsmuster nicht für löschungsreif erachtet, von vornherein nicht in Betracht.

III.

Die von der Beklagten produzierten streitgegenständlichen Baguettes verletzen das Klagegebrauchsmuster. Soweit die Beklagte die Auffassung vertritt, das Aufbringen der Kräuterbutter auf die Schnittenden wie sie in den streitgegenständlichen Baguettes erfolge, stelle keine Füllung iSd Klagegebrauchsmusters dar, weshalb die Merkmale 6 und 6a des klägerischen Gebrauchsmusters nicht erfüllt seien, ist dem nicht beizutreten. Hierfür spricht zunächst in hohem Maße der von der Klägerin angeführte, weder von der Streithelferin noch von der Beklagten substantiiert bestrittene Vortrag, dass die Beklagte die streitgegenständlichen Baguettes auf den Backlinien der Klägerin in dem von ihr übernommenen Werk herstellt, auf der die Streithelferin bisher die Baguettes produziert hat. Zum anderen benutzt die Beklagte auf der Verpackung der von ihr produzierten, streitgegenständlichen Baguettes für die Verbraucher den Hinweis: "Vorgebackenes Weizenkleingebäck mit Knoblauchbutter gefüllt". Der Begriff der "Füllung" erweist sich im Übrigen als untechnisch (vgl. die von der Klägerin angeführten Beispiele, Anlage K 21, K 22) und umfasst auch Fälle der Aufbringung auf Schnittflächen im Inneren eines Körpers.

C. Nebenentscheidungen

Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 Abs. 1 ZPO, die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt § 709 Satz 2 ZPO.

Ein Vollstreckungsschutz zugunsten der Beklagten bis zum rechtskräftigen Abschluss des Gebrauchsmusterlöschungsverfahrens kommt nicht in Betracht, da dies im Hinblick darauf, dass die erkennende Kammer nicht von einer Löschungsreife des Klagegebrauchsmusters ausgeht, eine unverhältnismäßige Benachteiligung der Klägerin, die ihren Anspruch in vollem Umfang durchsetzen kann, zur Folge hätte.






LG München I:
Urteil v. 19.05.2011
Az: 7 O 6033/10


Link zum Urteil:
https://www.admody.com/urteilsdatenbank/7590f9d96eee/LG-Muenchen-I_Urteil_vom_19-Mai-2011_Az_7-O-6033-10




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