Verwaltungsgericht Frankfurt am Main:
Beschluss vom 24. April 2006
Aktenzeichen: 7 J 4656/05

(VG Frankfurt am Main: Beschluss v. 24.04.2006, Az.: 7 J 4656/05)

1. Wird neben der für den Kläger günstigeren Kostenentscheidung im Einstellungsbeschluss des Verwaltungsgericht auch die Hinzuziehung des Bevollmächtigten im Vorverfahren für notwendig erklärt, ist für die Geschäftsgebühr für das Vorverfahren die BRAGO anzuwenden, wenn der Auftrag zur Widerspruchserhebung vor dem 01.07.2004 erteilt worden ist und der Widerspruch auch tatsächlich eingelegt worden ist.

2. Die Anrechnung der Geschäftsgebühr für das Vorverfahren gemäß Teil 3, Vorbemerkung 3 Nr. 4 RVG-VV auf die Verfahrensgebühr (Nr. 3100) regelt allein den Honoraranspruch im Verhältnis bevollmächtigter Rechtsanwalt und Mandant und kommt dem im verwaltungsgerichtlichen Verfahren Unterlegenen nicht zugute.

Tenor

Der Beschluss der Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle vom30.09.2005 wird dahingehend abgeändert, dass der von dem Beklagtenund Erinnerungsführer an die Klägerin und Erinnerungsgegnerin zuerstattende Betrag auf 427,04 € festgesetzt wird.

Gründe

I.

Die Klägerin und Erinnerungsgegnerin erhob im Ausgangsverfahren mit Aktenzeichen 7 E 5803/04 (3) Anfechtungsklage gegen einen sozialhilferechtlichen Rückforderungsbescheid vom 30.10.2003 in der Fassung des Widerspruchbescheides vom 24.09.2004 in Höhe von insgesamt 2.156,25 €. Nachdem im verwaltungsgerichtlichen Verfahren der Beklagte und der Erinnerungsführer die streitgegenständlichen Bescheide aufgehoben hatte, erging der Einstellungsbeschluss des Verwaltungsgerichts Frankfurt am Main am 29.07.2005, in dem dem Beklagten und Erinnerungsführer die Kosten des Verfahrens auferlegt wurden und die Hinzuziehung eines Bevollmächtigten im Vorverfahren für notwendig erklärt wurde.

Mit Kostenfestsetzungsantrag vom 05.08.2005 reichte die anwaltlich vertretene Klägerin und Erinnerungsgegnerin einen Antrag auf Kostenfestsetzung ein. Unter anderem machte sie 1,5 Geschäftsgebühr nach Nr. 2400 VV-RVG (richtig wohl: Nr. 3100 VV-RVG)in Höhe von 241,50 € und Entgelt für Post- und Telekommunikationsdienstleistungen gemäß Nr. 7001 VV-RVG in Höhe von 20,-- € für das Vorverfahren geltend. Gesondert wurden Kosten für das gerichtliche Verfahren für den Gegenstandswert in Höhe von 2.156,25 € nach dem RVG geltend gemacht. Die Kostenbeamtin setzte in dem angefochtenen Beschluss vom 30.09.2005 die Kosten antragsgemäß mit 429,26 € fest. Gegen diesen am 25.10.2005 zugestellten Kostenfestsetzungsbeschluss hat der Beklagte und Erinnerungsführer am 27.10.2005 Erinnerung eingelegt. Zur Begründung führt er im Wesentlichen aus, dass die für das Vorverfahren in Ansatz gebrachte Geschäftsgebühr auf den 1,3 fachen Satz zu reduzieren sei. Die Klägerin und Erinnerungsgegnerin hat sich hiergegen gewandt und vorgetragen, dass die Ansetzung einer 1,5 fachen Gebühr für das Vorverfahren wegen der rechtlichen Schwierigkeit in dem zugrunde liegenden sozialhilferechtlichen Verfahren angemessen sei.

II.

Die - zulässige - Erinnerung ist in dem tenoriertem Umfang begründet. In Bezug auf den abgeänderten Kostenbetrag war der Kostenfestsetzungsbeschluss abzuändern und der neue Betrag festzusetzen.

Aufgrund der Kostenentscheidung im Hauptsacheverfahren hat der Beklagte und Erinnerungsführer die Kosten des Verfahrens zu tragen. Zu den erstattungsfähigen Kosten des Verfahrens gehören die gesetzlichen Gebühren des bevollmächtigten Rechtsanwaltes, soweit sie im gerichtlichen Verfahren entstanden sind (vgl. § 162 Abs. 2 VwGO) und die gesetzlichen Gebühren für die anwaltliche Vertretung im Vorverfahren, weil die Zuziehung des Bevollmächtigten durch das Gericht für notwendig erklärt worden war (§ 162 Abs. 2 S. 2 VwGO).

Zur Überzeugung der Kammer kommt vorliegend für die - allein streitige - Gebührenberechnung im Vorverfahren nicht das RVG, sondern die BRAGO zur Anwendung, denn zum Zeitpunkt der Erhebung des Widerspruchs gemäß § 69 VwGO gegen den Bescheid vom 30.10.2003 war das in den hier interessierenden Teilen am 01.07.2004 in Kraft getretene RVG auf die zu vergütende Verfahrenshandlung noch nicht anwendbar. Insbesondere § 61 Abs. 1 S. 1 RVG bestimmt nämlich, dass die BRAGO weiter anzuwenden ist, wenn der unbedingte Auftrag zur Erledigung derselben Angelegenheit vor dem 01.07.2004 erteilt worden ist. Eine Abweichung von dieser eben zitierten Übergangsreglung greift nur dann, wenn der Rechtsanwalt vor diesem Zeitpunkt in derselben Angelegenheit tätig war und nach diesem Zeitpunkt ein Rechtsmittel eingelegt hat (Satz 2). Nach Maßgabe dieser Übergangsvorschrift ist die BRAGO vorliegend anzuwenden, weil - erstens - der Rechtsanwalt vor dem 01.07.2004 mit der Einlegung des Widerspruchs beauftragt worden ist, - zweitens - der Widerspruch auch vor diesem Zeitpunkt tatsächlich eingelegt wurde und - drittens - es sich bei dem Vorverfahren und dem anschließenden gerichtlichen Verfahren sowohl nach der BRAGO als auch nach dem RVG um zwei verschiedene Angelegenheiten handelt (§§ 118, 119 Abs. 1 BRAGO und §§ 15, 17 Nr. 1 RVG). Für das mit Widerspruchseinlegung gegen den Bescheid vom 30.10.2003 sich entfaltende Vorverfahren, das mit dem Ergehen des Widerspruchsbescheides vom 24.09.2004 abgeschlossen war, kommt demnach die BRAGO im Gegensatz zum verwaltungsgerichtlichen Verfahren, für dass das RVG gilt, zum Zuge.

Unter Zugrundelegung der Gebühren nach der BRAGO ergibt sich für das Vorverfahren die im Folgenden aufgeführte Berechnung, wobei das Gericht für die Vorverfahrensgebühr nach § 118 Abs. 1 Nr. 1 BRAGO die Mittelgebühr in Höhe von 7,5 Zehntel in Ansatz gebracht hat. Dem Erinnerungsführer und Beklagten ist nämlich beizupflichten, dass die vorliegende sozialhilferechtliche Streitigkeit keinen hohen rechtlichen Schwierigkeitsgrad aufwies und mit der Mittelgebühr die Tätigkeit des Bevollmächtigten angemessen entgolten sein dürfte. Für das Rückerstattungsverlangen des Erinnerungsführers und Beklagten war eine eher ins tatsächliche reichende Vorfrage entscheidend, weil nämlich das Vorliegen einer konkreten verschuldensabhängigen Obliegenheitsverletzung - Grad der Fahrlässigkeit - der Klägerin und Erinnerungsgegnerin entscheidend war. Hinsichtlich der Festsetzung der Entgelte gemäß § 26 BRAGO war der Kostenfestsetzungsantrag für den in Ansatz gebrachte Betrag gemäß Satz 2 herunterzusetzen.

Die Absetzung von 120,75 € in dem Kostenfestsetzungsantrag hat das Gericht unberücksichtigt gelassen. Sie findet in den im Kostenfestsetzungsantrag herangezogenen Bestimmungen keine Stütze. Sofern sie aus Teil 3, Vorbemerkung 3 Nr. 4 RVG-VV hergeleitet würde, ist hierzu auszuführen, dass in der BRAGO eine entsprechende Absetzung nicht vorgesehen war und unter Geltung des RVG die Absetzung nicht im Verhältnis des Obsiegenden und Unterlegenen erfolgt, sondern nur den Honoraranspruch des Rechtsanwaltes beeinflussen dürfte (vgl. dazu: Verwaltungsgericht Frankfurt a. M., Beschluss vom 13.03.2006 - 2 J 662/06 (1) m. w. N.).Hieraus folgt folgende Berechnung, wobei das Gericht die nicht zu beanstandenden Teile des Kostenfestsetzungsantrags mit den geänderten Beträgen zusammen ausgewiesen hat:

Gegenstandswert: 2.156,25 €VorverfahrenGebühr gemäß § 118 Nr. 1 BRAGOi. V. m. Anlage (zu § 11 Abs. 1)120,75 €Gebühren gemäß § 26 BRAGO18,11 €Gerichtsverfahren209,30 €20,00 €Summe368,16 €16 % Mwst gemäß Nr. 7007 VV-RVG58,88 €Summe427,04 €Dieser Beschluss ergeht gebührenfrei. Kosten werden nicht erstattet (§§ 11 Abs. 3 S. 2 RVG, 66 Abs. 8 GKG).






VG Frankfurt am Main:
Beschluss v. 24.04.2006
Az: 7 J 4656/05


Link zum Urteil:
https://www.admody.com/urteilsdatenbank/75964952504a/VG-Frankfurt-am-Main_Beschluss_vom_24-April-2006_Az_7-J-4656-05




Diese Seite teilen (soziale Medien):

LinkedIn+ Social Share Twitter Social Share Facebook Social Share