Bundesgerichtshof:
Urteil vom 29. April 2003
Aktenzeichen: X ZR 142/99
(BGH: Urteil v. 29.04.2003, Az.: X ZR 142/99)
Tenor
Auf die Berufung der Klägerin wird das Urteil des 2. Senats (Nichtigkeitssenats) des Bundespatentgerichts vom 28. April 1999 abgeändert:
Das europäische Patent 286 529 wird mit Wirkung für die Bundesrepublik Deutschland für nichtig erklärt.
Die Kosten des Rechtsstreits werden dem Beklagten auferlegt.
Von Rechts wegen.
Tatbestand
Der Beklagte ist eingetragener Inhaber des deutschen Teils des europäischen Patents 286 529 (Streitpatents), das auf einer Anmeldung vom 5. April 1988 beruht, für die eine französische Priorität vom 8. April 1987 in Anspruch genommen worden ist. Anspruch 1 des Streitpatents, das eine Vorrichtung zur Bestimmung des Kontrasts eines Bildschirms betrifft, lautet:
"Dispositif pour determiner le contraste entre l'etat affiche et l'etat non affiche d'une surface elementaire (9) d'un ecran d'affichage (6) en fonction de la direction d'observation de ce point, caracterise en ce qu'il comprend: -un premier objectif convergent (12) servant à former l'image (19)
de la transformee de Fourier de la surface elementaire (9) dans le plan focal image (Fi) du premier objectif (12),
-un second objectif convergent (14) servant à projeter l'image (19) de la transformee sur un ensemble (16) de detecteurs (18) disposes sous forme d'une matrice, chaque detecteur (18) produisant un signal electrique proportionnel à l'intensite lumineuse fournie par le surface elementaire (9) selon une direction determinee d'observation (, ),
-un diaphragme (20) situe à proximite du second objectif (14) dont l'ouverture definit une surface qui doit tre egale à la surface elementaire,
-des moyens de traitement (22) du signal electrique produit par chaque detecteur (18) afin de determiner ledit contraste."
Wegen des Wortlauts der auf diesen Anspruch rückbezogenen Patentansprüche 2 und 3 wird auf die Streitpatentschrift verwiesen.
Mit der Nichtigkeitsklage hat die Klägerin geltend gemacht, der Gegenstand des Streitpatents sei durch den Stand der Technik nahegelegt.
Das Bundespatentgericht hat die Klage abgewiesen.
Hiergegen richtet sich die Berufung der Klägerin, mit der sie den Antrag weiterverfolgt, das Streitpatent mit Wirkung für die Bundesrepublik Deutschland für nichtig zu erklären.
Der Beklagte tritt dem Rechtsmittel entgegen. Hilfsweise verteidigt er das Streitpatent mit folgender Fassung des Patentanspruchs 1:
Vorrichtung zum Bestimmen des Kontrasts zwischen einem angezeigten Zustand und einem nicht angezeigten Zustand einer Elementarfläche (9) eines Anzeigeschirms (6) in Abhängigkeit von der Beobachtungsrichtung auf diesen Punkt, dadurch gekennzeichnet, daß sie umfaßt: -ein erstes Konvergenzobjektiv (12), das dazu dient, das Bild
(19) der Fourier-Transformierten der elementaren Oberfläche (8)
in der Bildfokusebene (Fi) des ersten Objektivs (12) zu bilden, -ein zweites Konvergenzobjektiv (14), das dazu dient, das Bild
(19)
der Transformierten auf eine Anordnung (16) von Detektoren (18) zu projizieren, die in der Form einer Matrix angeordnet sind, wobei jeder Detektor (18) ein elektrisches Signal proportional zur Leuchtintensität, die von der elementaren Oberfläche
(9)
entlang einer vorgegebenen Beobachtungsrichtung (, ) erzeugt wird, erzeugt, -eine Blende (20), die sich in der Nähe des zweiten Objektivs
(14) befindet und deren Öffnung eine Oberfläche bildet, die gleich der elementaren Oberfläche sein muß,
-Vorrichtungen (22) zur Verarbeitung des von jedem Detektor
(18) erzeugten, elektrischen Signals, um den Kontrast zu bestimmen und - Speichervorrichtungen (21) und Vorrichtungen (24) zum Sichtbarmachen, um Kurven gleichen Kontrast der elementaren Fläche zu erzeugen und sichtbar zu machen.
Als gerichtlicher Sachverständiger hat Prof. Dr. H. T. ,
, ein schriftliches Gutachten erstattet, das er in der mündlichen Verhandlung erläutert und ergänzt hat. Die Klägerin hat ein Gutachten des Prof. Dr.-Ing. D. A. M. , , sowie eine gutachtliche Stellungnahme von Dr. A. R. K. , , vorgelegt.
Gründe
Die zulässige Berufung hat Erfolg. Nach dem Ergebnis der Verhandlung und Beweisaufnahme ist der Senat der Überzeugung, daß sich der Gegenstand des Streitpatents für den Fachmann in naheliegender Weise aus dem Stand der Technik ergab und somit nicht auf einer erfinderischen Tätigkeit beruht, Art. 52 Abs. 1, 56 EPÜ. Das Streitpatent ist daher für nichtig zu erklären, Art. 138 Abs. 1 lit. a EPÜ, Art. II § 6 Abs. 1 Nr. 1 IntPatÜG. I. Das Streitpatent betrifft eine Vorrichtung zur Bestimmung des Kontrasts eines Bildschirms in Abhängigkeit vom Blickwinkel. Der Bildschirm kann, wie die Streitpatentschrift erläutert, alphanumerischen Typs sein oder ein Matrizenbildschirm sein, der einen Flüssigkristallfilm, einen elektrolumineszenten oder elektrochromatischen Stoff oder ein ionisierendes Gas als Anzeigemedium verwendet. Aus dieser Aufzählung möglicher Bildschirmtypen ergibt sich, daß der Patentanspruch Bildschirme mit selbstleuchtenden (aktiven) Anzeigemedien als mögliche Untersuchungsobjekte ebenso einschließt wie Bildschirme mit passiven Anzeigemedien, die mit Hilfe einer zusätzlichen äußeren oder inneren Lichtquelle abgelesen werden können. Flüssigkristallanzeigen stehen jedoch im Vordergrund des Interesses (Sp. 1 Z. 13 -15 der Streitpatentschrift). Flüssigkristalle sind passive Anzeigemedien, die entweder hinterleuchtet werden müssen und das Licht bei der Transmission modulieren oder Umgebungslicht modulieren, das auf den Bildschirm fällt und von einem hinter dem Flüssigkristallbildschirm angeordneten Reflektor reflektiert wird.
Die Patentschrift erläutert, daß der Kontrast -definiert als C = LB/LN, d.h. durch das Verhältnis der Leuchtdichte eines Anzeigeoberflächenelements in anzeigendem Zustand zur Leuchtdichte desselben Punkts in nicht-anzeigendem Zustand (Sp. 1 Z. 47 -52) -unter den die Wahrnehmungsverhältnisse beeinflussenden Faktoren einer der wichtigsten sei und demgemäß die optische Qualität eines Bildschirms bestimme. Insbesondere bei flachen Flüssigkristallbildschirmen ändere sich der Kontrast in Abhängigkeit von der Beobachtungsrichtung schnell, weil die an der Entstehung eines Bildes beteiligten physikalischen Phänomene an die optische Anisotropie der im Bildschirm enthaltenen Flüssigkristallmoleküle gebunden seien. Zudem verändere sich der Kontrast je nach verwendetem Flüssigkristall, der Stärke des Flüssigkristallfilms, der Beleuchtungsweise und den gegebenenfalls verwendeten Polarisatoren (Sp. 1 Z. 16 -38).
Bei bekannten Vorrichtungen und Methoden zur blickwinkelabhängigen Kontrastbestimmung wird die Leuchtdichte eines Anzeigenoberflächenelements (Elementarfläche) mit einem gegebenenfalls mit einer Auswerteelektronik gekoppelten Photometer gemessen. Zur Berücksichtigung unterschiedlicher Beobachtungsrichtungen muß mit einer mechanischen Vorrichtung entweder das Photometer um die zu vermessende Elementarfläche oder der zu prüfende Bildschirm um das Photometer verschwenkt werden. Das erfordert nach den Angaben der Streitpatentschrift einen sehr präzisen und schwer zu realisierenden mechanischen Aufbau und ist wegen der für jede zu messende Beobachtungsrichtung notwendigen Positionierung und Justierung sehr zeitaufwendig (Sp. 2 Z.3 -Sp. 3Z. 19).
Daraus ergibt sich das dem Streitpatent zugrundeliegende technische Problem, eine Vorrichtung für die Bestimmung des Bildschirmkontrasts in Abhängigkeit von der Beobachtungsrichtung bereitzustellen, die den apparativen und zeitlichen Aufwand für die Erfassung unterschiedlicher Beobachtungsrichtungen vermindert.
Dies wird mit einer Vorrichtung zur Bestimmung des von der Beobachtungsrichtung abhängigen Kontrasts einer Elementarfläche eines Bildschirms mit folgenden Merkmalen erreicht:
1.
einem ersten Konvergenzobjektiv (12), 1.1 in dessen Bildfokusebene (Fi)
1.2 das Bild (19) der Fourier-Transformierten der Elementarfläche (9) gebildet wird;
2.
einem zweiten Konvergenzobjektiv (14), 2.1 mit dem das Bild (19) der Fourier-Transformierten projiziert wird 2.2 auf eine Anordnung (16) von Detektoren (18), 2.2.1 die in der Form einer Matrix angeordnet sind, 2.2.2 wobei jeder Detektor (18) ein elektrisches Signal erzeugt, das proportional zur Leuchtintensität ist, die von der Elementarfläche (9) entlang einer vorgegebenen Beobachtungsrichtung (, ) geliefert wird;
3.
einer Blende (20), 3.1 die sich in der Nähe des zweiten Objektivs (14) befindet und 3.2 deren Öffnung eine Oberfläche bildet, die gleich der Elementarfläche sein muß;
4.
Mitteln (22) zur Kontrastbestimmung durch Verarbeitung des von jedem Detektor (18) erzeugten elektrischen Signals.
Die nachfolgend wiedergegebenen Figuren 4 und 5 der Streitpatentschrift zeigen ein Ausführungsbeispiel:
Die Patentschrift erläutert es dahin, daß die dargestellte Elementarfläche
(9) eines Bildschirms (6), der genau im objektseitigen Brennpunkt (F0) des ersten Objektivs (12) steht, Licht in alle räumlichen Richtungen streut. Ein -beispielhaft für eine bestimmte (Beobachtungs-)Richtung dargestelltes -Elementarlichtbündel (10) durchquert die Elementarfläche (9) in einem Winkel zur Bildschirmnormalen (N). Dieses Elementarlichtbündel ist ein Bündel paralleler Strahlen, die in der Bildfokusebene (Fi) des ersten Objektivs (12) in einem Punkt (M1) konvergieren, den die Streitpatentschrift als "Bild der Fourier-Transformierten" der Elementarfläche (9) bezeichnet (Merkmal 1.2). Dieser punktförmige Lichtfleck wird sodann mit Hilfe des zweiten Objektivs (14) auf einen Detektor (18) der matrixförmigen Detektorenanordnung (16) projiziert. Jeder Detektor (18) detektiert die Leuchtdichte der Elementarfläche für eine bestimmte Beobachtungsrichtung, die zur Kontrastbestimmung ausgewertet wird. Auf diese Weise kann ohne Veränderung der Relativpositionen von Bildschirm und Abbildungsvorrichtung der blickwinkelabhängige Kontrast quantitativ bestimmt werden.
Der Begriff "Bild der Fourier-Transformierten" bezeichnet, wie sich aus dem Gutachten des gerichtlichen Sachverständigen und den Begriffsdefinitionen im Gutachten M. , auf die der gerichtliche Sachverständige Bezug genommen hat, ergibt, den gemeinten technischen Sachverhalt nach der fachüblichen Terminologie nicht zutreffend. Die optische Fourier-Transformation erlaubt eine Zerlegung von Raummustern, d.h. Mustern, bei denen sich die Leuchtdichte räumlich (von Objektpunkt zu Objektpunkt) verändert, in einzelne Fourier-Komponenten bestimmter Raumfrequenz (vgl. auch die Erläuterung der Fourier-Transformierten bei Hecht, Optik, S. 499 ff. [GA I 129 ff.]). Die Fourier-Transformierte gibt die Leuchtdichte für jede Komponente mit fester Raumfrequenz an. Jedes aus einer Überlagerung mehrerer Fourier-Komponenten bestehende Raummuster bewirkt eine Beugung des Lichtes, indem ein auf dasbeugende Objekt fallendes paralleles Lichtbündel in Elementarlichtbündel jeweils bestimmter Raumfrequenz und Leuchtdichte zerlegt wird, die sich in einer bestimmten Richtung ausbreiten. Um das Beugungsmuster (die Fourier-Transformierte) sichtbar zu machen, genügt es, die Richtungsverteilung der Elementarlichtbündel mit einem Konvergenzobjektiv in dessen Bildfokusebene abzubilden. Eine solche Abbildung erfolgt erfindungsgemäß in der Bildfokusebene (Fi) des ersten Konvergenzobjektivs (12). Der gerichtliche Sachverständige bezeichnet diese Ebene demgemäß als Fourier-Ebene, in der nicht das Bild, sondern die Fourier-Transformierte des Objektes entstehe (während ein Bild der Fourier-Ebene erst danach entsteht). Ob, wie der Privatgutachter der Klägerin meint, der Begriff der Fourier-Transformierten nach allgemeiner Fachterminologie überhaupt unzutreffend erscheint, da die für eine optische Fourier-Transformierte entscheidende Raumfrequenzinformation für die erfindungsgemäße Kontrastbestimmung nicht benötigt wird und darüber hinaus die Elementarfläche nur eine einzige Information trägt und demgemäß noch kein Raummuster bildet, ist unerheblich, da es nur auf die Klärung ankommt, in welchem technischen Sinne die Streitpatentschrift (im Sinne ihres "eigenen Lexikons", vgl. Sen.Urt. v. 2.3.1999 -X ZR 85/96, GRUR 1999, 909, 912 -Spannschraube; Sen.Beschl. v. 20.11.2001 -X ZB 3/00, Mitt. 2002, 176, 178 -Signal-und Gegensprechanlage) den Begriff verwendet. Insoweit ist maßgeblich, daß der Fachmann, ein an einer Universität oder Technischen Hochschule ausgebildeter Physiker oder Ingenieur der Fachrichtung Elektrotechnik mit Erfahrungen auf den Gebieten der Elektronik und technischen Optik oder der Optoelektronik, erkennt, daß gemäß Merkmal 1 die Funktion eines Konvergenzobjektivs genutzt werden soll, jedes objektseitige Elementarlichtbündel in die Bildfokusebene abzubilden, wobei jedem Elementarlichtbündel einer bestimmten Beobachtungsrichtung ein nach den Gesetzen der geometrischen Optik zugeordneter Punkt der Bildfokusebene entspricht.
II. Der so definierte Gegenstand des Patentanspruchs 1 des Streitpatents ist durch den Stand der Technik, wenn nicht vorweggenommen, so dem Fachmann zumindest nahegelegt worden.
1. Der Fachmann, der sich mit dem Problem befaßte, ob und gegebenenfalls wie sich der Aufwand der bekannten mechanischen Lösungen zur blickwinkelabhängigen Kontrastbestimmung von Flüssigkristallanzeigen vermindern lasse, fand in der Literatur ausdrückliche Hinweise darauf, daß ihm mit dem seit langem bekannten Polarisationsmikroskop eine Vorrichtung zur Verfügung stand, die bei der Verwendung als Konoskop jedenfalls prinzipiell die gleichzeitige Erfassung des Kontrastes solcher Anzeigen unter verschiedenen Beobachtungsrichtungen ermöglichte.
a) Ein solche Vorrichtung und die mit ihr mögliche Beobachtung wird beispielsweise in dem Werk von Burri, Das Polarisationsmikroskop (D 16), S. 169 ff. beschrieben. Dort wird erläutert, daß zur Untersuchung der optischen Eigenschaften eines anisotropen Kristalls prinzipiell zwei Wege denkbar sind. Entweder wird, ähnlich wie dies auch die Streitpatentschrift als Stand der Technik vorstellt, die zu untersuchende Kristallplatte unter Beibehaltung des orthoskopischen Strahlengangs, bei dem das Verhalten des zu untersuchenden Kristalls in einer einzigen Richtung untersucht wird, mittels einer irgendwie konstruierten Drehvorrichtung so geneigt, daß eine von der Plattennormalen abweichende Richtung vom Licht durchlaufen wird, oder aber das Polarisationsmikroskop wird als Konoskop eingerichtet. Der dabei verwendete namensgebende Lichtkegel besteht aus parallelstrahligen Lichtbündeln von verschiedener Neigung gegenüber der Mikroskopachse, so daß, wie bei Verwendung eines Drehapparates im orthoskopischen Strahlengang, sämtliche Richtungen im Kristall (innerhalb der durch die Apertur des Beleuchtungskegels gegebenen Möglichkeiten) von Scharen ebener Wellen durchlaufen werden. Faßt man die einer Richtung im Kristall entsprechenden Strahlenbündel zusammen und bringt sie bei gekreuzten Nicols (Polarisatoren) zur Interferenz, so entsteht in der oberen Brennfläche des Objektivs das sogenannte Interferenzbild. In diesem entspricht jeder Punkt nicht einem Punkt des Objekts, wie dies bei dem gewöhnlichen mikroskopischen Bild der Fall ist, sondern ist vielmehr das Abbild der optischen Verhältnisse, wie sie der betreffenden Richtung im Kristall zukommen. Das Interferenzbild gestattet somit, innerhalb der angewandten Apertur sämtliche Richtungen im Kristall gleichzeitig zu überblicken (Burri aaO, S. 169 f.).
Der Strahlengang einer solchen Vorrichtung -einschließlich desjenigen, der sich aus der Nachschaltung einer weiteren Linse, der Amici-Bertrand-Linse, ergibt, die eine Abbildung ("sekundäres Interferenzbild") des ("primären") Interferenzbildes ermöglicht -ist in der nachfolgend wiedergegebenen Fig. 87 auf S. 171 des Werkes von Burri dargestellt.
Die bekannte Anordnung entspricht damit zunächst insofern der erfindungsgemäßen, als sie entsprechend Merkmal 1 mittels eines ersten Konvergenzobjektivs in dessen Bildfokusebene diejenige Abbildung ermöglicht, die das Streitpatent als Bild der Fourier-Transformierten bezeichnet und die die Grundlage der weiteren Projektion und Auswertung der erhaltenen Information entsprechend den Merkmalen 2 bis 4 bildet.
b) Der Umstand, daß bei Burri nicht von der Bestimmung des -von der Beobachtungsrichtung abhängigen -Kontrasts einer Elementarfläche eines Bildschirms die Rede ist, ist hierfür ohne Belang.
Denn die konoskopische Abbildung durch ein Objektiv ist, wie der Privatgutachter der Klägerin in dem vom gerichtlichen Sachverständigen in Bezug genommenen Definitionsteil seines Gutachtens ausgeführt hat, unabhängig davon, ob die Elementarlichtbündel der verschiedenen Beobachtungsrichtungen unterschiedliche Leuchtdichten, unterschiedliche Ausbreitungsgeschwindigkeiten im Kristall, unterschiedliche Raumfrequenzen oder mehrere dieser Informationen gleichzeitig tragen, da ein Konvergenzobjektiv den Informationsgehalt von Elementarlichtbündeln nicht unterscheiden kann, sondern den Strahlengang nach den Gesetzen der geometrischen Optik ohne Rücksicht hierauf steuert. Maßgeblich ist daher allein, daß die Vorrichtung die Fokussierung des an der Oberfläche der Probe in Erscheinung tretenden Bündels paralleler Strahlen einer Beobachtungsrichtung in einem Punkt der Bildfokusebene (Fourier-Ebene) ermöglicht. Um eine solche Vorrichtung zur Bestimmung des blickwinkelabhängigen Kontrasts zu nutzen, bedarf es daher keiner Veränderung der die Abbildung in der Bildfokusebene ermöglichenden Vorrichtungsmerkmale.
Darüber hinaus wurde der Fachmann im Stand der Technik ausdrücklich darüber belehrt, daß die Abbildung in der Bildfokusebene die Information über den blickwinkelabhängigen Kontrast der Probe enthält.
Der Beitrag von Penz "A Figure of Merit Characterizing the Anisotropic Viewing Properties of the Twisted Nematic LCD" in SID 78 Digest (D 1), S. 68, befaßt sich mit der Ermittlung einer Gütezahl zur Charakterisierung der anisotropen, blickrichtungsabhängigen Eigenschaften von auch als Schadt-Helfrich-Zellen bezeichneten verschraubt-nematischen Flüssigkristallanzeigen (twisted nematic liquid crystal displays, im folgenden: TN-LCD). Penz weist einleitend darauf hin, daß der Kontrast eines TN-LCD vom Beobachtungswinkel abhänge. In dem Aufsatz soll gezeigt werden, wie die mikroskopische Beobachtung in konvergentem Licht dazu benutzt werden kann, um schnell die winkelabhängigen Betrachtungseigenschaften zu ermitteln und (weitergehend) daraus eine Zahl zu erzeugen, die dem Durchschnittskontrast entspricht (die eingangs erwähnte Gütezahl). Dazu benutzt Penz ein Polarisationsmikroskop, das für die Beobachtung in konvergentem Licht vorbereitet ist. Wie der gerichtliche Sachverständige bestätigt hat, wird der Fachmann der Prinzipskizze in Abb. 1 der Arbeit die Verwendung eines Polarisationsmikroskops als Konoskop entnehmen, wie es etwa bei Burri dargestellt ist.
Penz beschreibt entsprechend den Erläuterungen bei Burri, daß aus dem Meßobjekt austretendes Licht mit einem Neigungswinkel zur Mikroskopachse (also einer bestimmten Beobachtungsrichtung) in einem Punkt der Brennebene fokussiert wird. Das Interferenzmuster, die hierbei entstehende konoskopische Figur ("conoscopic figure"), ist, wie Penz sagt, eine Abbildung ("map") der Transmissionseigenschaften T als Funktion der Winkel und . Die Isogyren (Linien gleicher Schwingungsrichtung) zeigen diejenigen Richtungen im Meßobjekt an, in denen sich das Licht im Kristall hauptsächlich im ordentlichen Modus ausbreitet. Da dies auch die Geometrie des dunklen anzeigenden Zustands eines TN-LCD ist, repräsentieren die Isogyren, wie Penz ausdrücklich bemerkt, die Bereiche, in denen die Anzeige einen hohen Kontrast aufweisen wird. Seien einmal die Isogyren mit hohem Kontrast bei TN-LCD identifiziert, biete ein Bild der konoskopischen Figur die komplette Charakterisierung der Blickrichtungseigenschaften der Einrichtung im Transmissionsbetrieb.
Da Penz hierin jedoch "zu viel Information" sieht, um ein nützliches Testkriterium darzustellen, will er die in der konoskopischen Figur enthaltene Information in die erwähnte Durchschnittszahl (Gütezahl) umwandeln; dieser Teil seiner Erwägungen interessiert im vorliegenden Zusammenhang nicht weiter.
c) Der Umstand, daß davon auszugehen sein mag, daß Penz, obwohl er von TN-LCD, also Displays, spricht, tatsächlich nicht -mit Polarisatoren versehene -Flüssigkristallanzeigen, sondern Flüssigkristalle untersucht hat, ändert nichts daran, daß dem Fachmann aufgrund dieser Informationen mit dem Linsensystem und dem Strahlengang des Konoskops eine Anordnung zur Verfügung stand, mit der er zur blickwinkelabhängigen Kontrastbestimmung eines Anzeigenoberflächenelements mittels eines Konvergenzobjektivs objektseitige Elementarlichtbündel in die Bildfokusebene abbilden konnte.
Bestätigt wird dies nicht nur durch die Unbedenklichkeit, mit der Penz, wenn er lediglich einen Flüssigkristall untersucht haben sollte, diesen mit einer Flüssigkristallanzeige gleichsetzt, sondern gleichermaßen durch die Arbeit von Cremers (Ein automatisches Meßsystem zur objektiven Bewertung von Flüssig-kristall-Anzeigen (D 3)), in der die konoskopische Beurteilung ausdrücklich als Methode zur Bewertung von Flüssigkristallanzeigen diskutiert wird.
Zwar verwirft Cremers im weiteren die Konoskopie für das von ihm entwickelte automatische Meßsystem zur objektiven Bewertung von Flüssigkristallanzeigen, weil die Aussagekraft der konoskopischen Bewertung sehr gering sei, da die Konoskopie durch ihre Schwarz-Weiß-Struktur keine Erkennung eines blickwinkelabhängigen Absorptionsgradienten zulasse, ihr Blickwinkelbereich stark eingeschränkt sei und sie nur bei transmissiven Zellen eingesetzt werden könne. Er weist ferner darauf hin, daß das nicht ideale Verhalten von Polarisatoren und Reflektoren im reflexiven Betrieb der Zelle sowie der Einfluß der Reihenfolge der Polarisatoren nicht erfaßt werde und ein quantitativer Kontrastvergleich verschiedener Zellen unmöglich sei, da die Interferenzmuster keine Information über Leuchtdichten und Remission enthielten. Unbeschadet dieser aus der damaligen (1981) Sicht Cremers bestehenden, gegen einen Einsatz der Konoskopie sprechenden Nachteile und Beschränkungen eines entsprechenden Bewertungssystems war dem Fachmann jedoch damit auch die grundsätzliche Möglichkeit einer Bewertungsvorrichtung mit einem entsprechenden Strahlengang unmittelbar vor Augen geführt.
Dies gilt jedenfalls für eine Vorrichtung, bei der -wie bei Penz und allgemein dem Polarisationsmikroskop -mit einer Durchstrahlung der Probe gearbeitet wird. Da Anspruch 1 des Streitpatents indessen keine Angabe über die Lichtquelle enthält, umfaßt er jedenfalls auch Vorrichtungen, die insoweit der vorbekannten Anordnung entsprechen, und genügt es demgemäß, daß solche Vorrichtungen dem Fachmann zur Verfügung standen.
d) Der vom Beklagten hervorgehobene und in der mündlichen Verhandlung eingehend erörterte Umstand, daß zu den Vorrichtungselementen des Konoskops Polarisator und Analysator im Strahlengang gehören, schmälert die Bedeutung des erörterten Standes der Technik nicht. Wenn der zu untersuchende Gegenstand in Gestalt einer mit Polarisatorfolien versehenen Flüssigkristallanzeige bereits selbst solche Filter aufweist, sind zusätzliche geräteeigene Polarisatoren, wie der gerichtliche Sachverständige bestätigt hat, für den Fachmann erkennbar entbehrlich.
Es kann daher dahinstehen, ob Patentanspruch 1 des Streitpatents überhaupt das ungeschriebene Merkmal zu entnehmen ist, daß die Vorrichtung keine Polarisatoren aufweist.
2. Dem Fachmann, der das Problem lösen wollte, eine Vorrichtung für die Bestimmung des Bildschirmkontrasts in Abhängigkeit von der Beobachtungsrichtung bereitzustellen, die gegenüber dem in der Streitpatentschrift erörterten Stand der Technik den apparativen und zeitlichen Aufwand für die Erfassung unterschiedlicher Beobachtungsrichtungen vermindert, stand somit im Stand der Technik eine Vorrichtung zur Verfügung, die es ihm erlaubte, die von der Beobachtungsrichtung abhängigen Leuchtdichten einer Elementarfläche im Sinne des Streitpatents in der Fourier-Ebene abzubilden. Um den Kontrast quantitativ bestimmen zu können, mußte er hieraus nur noch ein entsprechend auswertbares Bild gewinnen.
Hierzu erhielt er eine unmittelbare Anregung in der Abhandlung von Miyoshi et al., Time Dependent Observation of the Conoscopic Figures of Twisted Liquid Crystals, in Japanese Journal of Applied Physics 1982 (D 2), S. 616. Denn dort wird eine experimentelle Anordnung beschrieben, mit der wiederum TN-LCD untersucht und zunächst die bereits erörterte Abbildung in der Bildfokusebene eines ersten Konvergenzobjektivs erzeugt wird. Die konoskopische Figur des Flüssigkristalls wird sodann auf den photoempfindlichen Bildschirm einer Videokamera projiziert und in 256 x 256 Bildpunkte aufgelöst. Die Helligkeit eines jedes Bildpunkts wird im Hilfsspeicher der Kamera als 4-Bit-Digitalsignal gespeichert.
Das entspricht dem Merkmal 2, denn zur Projektion der konoskopischen Abbildung wird ein zweites Konvergenzobjektiv in Gestalt des Objektivs der Videokamera benötigt, das die Abbildung auf die Detektorenmatrix in Gestalt des Chips der Videokamera projiziert, wobei jeder Bildpunkt ein elektrisches Signal erzeugt, das proportional der Leuchtintensität ist, die von der Elementarfläche entlang einer bestimmten Beobachtungsrichtung geliefert wird. Das als 4-Bit-Digitalsignal gespeicherte Leuchtdichtesignal kann sodann zur Kontrastbestimmung verarbeitet werden; als Mittel im Sinne des Merkmals 4 ist hierzu bei Miyoshi et al. eine "Image Processing Unit" dargestellt. Zugleich sind damit für den Fachmann die Bedenken ausgeräumt, die noch von Cremer gegen die Möglichkeit einer quantitativen Auswertung der konoskopischen Abbildung geltend gemacht worden waren.
Nicht ausdrücklich beschrieben ist zwar die in Merkmal 3 bezeichnete Blende in der Nähe des zweiten Konvergenzobjektivs, deren Öffnung eine Oberfläche bildet, die gleich der Elementarfläche ist. Ihr Zweck ist, wie der gerichtliche Sachverständige zur Überzeugung des Senats ausgeführt hat, eine Möglichkeit zur Begrenzung des Sehfeldes auf die Elementarfläche zu schaffen. Insoweit geht der Fachmann davon aus, daß das Objektiv der Videokamera eine übliche einstellbare Blende besitzt. Sie kann der Fachmann, seinem Grundwissen entsprechend (vgl. Burri aaO, S. 172; Westphal, Physik, 20./21. Auflage (D 17), S. 532), als Sehfeldblende nutzen, um die Größe der zu untersuchenden Elementarfläche festzulegen. Unabhängig hiervon wirkt notwendigerweise schon die effektive Apertur des zweiten Objektivs selbst als Blende; Einstellbarkeit ist in Patentanspruch 1 nicht vorausgesetzt.
Mit Hilfe der von Miyoshi et. al beschriebenen Anordnung gelangte der Fachmann somit zu einer Vorrichtung, die dazu geeignet ist, das in der Bildfokusebene eines ersten Konvergenzobjektivs gebildete "Bild der Fourier-Transformierten" einer Elementarfläche (ihre konoskopische Abbildung) im Sinne des Streitpatents auf eine Detektormatrix zu projizieren und auszuwerten. Eine Vorrichtung mit sämtlichen Merkmalen des Patentanspruchs 1 des Streitpatents war dem Fachmann damit nahegelegt.
Dem Beklagten mag das Verdienst zukommen, im Streitpatent erstmals aufgezeigt zu haben, daß die Erfassung der blickwinkelabhängigen Leuchtdichte in der Fourier-Ebene und deren Auswertung weder auf die Analyse doppelbrechender Proben beschränkt ist noch zwingend eine transmittierende Beleuchtung und eine Anordnung der Probe in der Brennebene der hierzu verwendeten Kondensorlinse voraussetzt. Ein hierauf Bedacht nehmendes Verfahren oder eine entsprechende Verwendung einer geeigneten Vorrichtung hat er jedoch nicht beansprucht. Die Kombination von Vorrichtungsmerkmalen, die durch das Streitpatent geschützt ist, war dem Fachmann jedoch als solche nahegelegt.
III. Der Hilfsantrag zu Patentanspruch 1, der eine Kombination der erteilten Patentansprüche 1 und 2 darstellt, kann nicht anders beurteilt werden. Er enthält als zusätzliches Merkmal Mittel ("Speichervorrichtungen und Vorrichtungen zum Sichtbarmachen"), um Kurven gleichen Kontrasts der elementaren Oberfläche (Isokontrastkurven) zu erzeugen. Das bezeichnet nichts weiter als eine übliche und naheliegende Form der Speicherung und Darstellung der gewonnenen einzelnen Kontrastwerte in Form von Kurven, die Werte gleichen Kontrasts verbinden und bereits bei Cremers (aaO S. 58 ff.) dargestellt sind.
Patentanspruch 3 enthält ebenfalls eine Weiterbildung der Vorrichtung nach Anspruch 1, die dem Fachmann ohne weiteres zur Verfügung stand; daß sie die Patentfähigkeit der beanspruchten Vorrichtung begründen könnte, macht auch der Beklagte nicht geltend. Das Streitpatent erweist sich daher insgesamt als nicht patentfähig.
IV. Die Kostenentscheidung beruht auf § 121 Abs. 2 Satz 2 PatG in Verbindung mit § 91 Abs. 1 ZPO.
BGH:
Urteil v. 29.04.2003
Az: X ZR 142/99
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