Verwaltungsgericht Köln:
Beschluss vom 19. März 2003
Aktenzeichen: 4 L 108/03
(VG Köln: Beschluss v. 19.03.2003, Az.: 4 L 108/03)
Tenor
1. Der Antragsgegner wird im Wege der einstweiligen Anordnung verpflichtet, den Antragsteller bis zu einer den gesetzlichen Anforderungen genügenden Abwahl, längstens jedoch bis zum Ende der laufenden Wahlperiode weiterhin als stimmberechtigtes Mitglied des Umwelt-, Planungs- und Verkehrsausschusses der Stadt S. zu behandeln.
Die Kosten des Verfahrens trägt der Antragsgegner.
2. Der Streitwert wird auf 4 000,-- Euro festgesetzt.
Gründe
Der Antrag,
den Antragsgegner im Wege einer einstweiligen Anordnung nach § 123 Abs. 1 Satz 2 VwGO zu verpflichten, den Antragsteller vorläufig als ordentliches Mitglied des Umwelt-, Planungs- und Verkehrsausschusses der Stadt S. zu behandeln,
ist zulässig und hat in dem tenorierten Umfang auch in der Sache Erfolg.
Da das Begehren des Antragstellers darauf gerichtet ist, seinen Status als Mitglied in dem bezeichneten Ausschuss zu erhalten, liegt nach Auffassung der Kammer eine sog. Sicherungsanordnung nach § 123 Abs. 1 Satz 1 VwGO vor. Der Antragsteller hat den danach zunächst erforderlichen Sicherungsanspruch glaubhaft gemacht; er hat das Recht, weiterhin als Mitglied des Umwelt-, Planungs- und Verkehrsausschusses der Stadt S. behandelt zu werden, weil der Beschluss des Antragsgegners vom 11.11.2002 über die Abwahl des Antragstellers nach der in diesem Verfahren gebotenen und allein möglichen summarischen Überprüfung mit hinreichender Wahrscheinlichkeit rechtswidrig ist.
Für die hier streitige Abwahl eines stimmberechtigten Ausschussmitgliedes bei gleichzeitiger Neuwahl eines anderen Mitgliedes enthält die Gemeindeordnung für das Land Nordrhein-Westfalen (GO NRW) keine unmittelbare Regelung.
Von den die Besetzung der Ausschüsse regelnden Vorschriften in § 50 Abs. 3 GO NRW kommen die Sätze 2 - 4 nicht in Betracht, weil die dort vorgesehene Verhältniswahl mehrere Wahlvorschläge zwingend voraussetzt. § 50 Abs. 3 Satz 5 GO NRW ist nicht einschlägig, weil hier das (vorherige) Ausscheiden eines Ausschussmitgliedes vorausgesetzt wird, was vorliegend nicht gegeben ist.
Das Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen (OVG NRW) ist in seinem Beschluss vom 27.09.2002 (Az.: 15 B 855/02, EStT NW 2003, 38 f) für den Austausch eines Ausschussmitgliedes (gegen dessen Willen) von einer entsprechenden Anwendung des § 50 Abs. 3 Satz 1 GO NRW ausgegangen. Die Kammer schließt sich dieser Auffassung jedenfalls in diesem auf die Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes gerichteten Verfahren an, weil so einerseits der Austausch von Ausschussmitgliedern notfalls auch gegen deren Willen grundsätzlich möglich ist (wofür aus unterschiedlichen Gründen ein Bedürfnis bestehen kann), andererseits aber auch der erforderliche Minderheitenschutz gewährleistet wird.
In entsprechender Anwendung des § 50 Abs. 3 Satz 1 GO NRW kann mithin ein Ausschussmitglied durch ein anderes ersetzt werden, wenn sich die Ratsmitglieder diesbezüglich auf einen einheitlichen Wahlvorschlag geeinigt haben und ein entsprechender einstimmiger Ratsbeschluss vorliegt.
Diesen Anforderungen genügt der streitige Beschluss des Antragsgegners vom 11.11.2002 nicht. Zwar liegt mit 15 Ja-Stimmen und 20 Enthaltungen ein einstimmiger Beschluss im Sinne dieser Regelung vor, da nach § 50 Abs. 5 GO NRW Stimmenthaltungen insoweit nicht zu berücksichtigen sind. Es fehlt jedoch die weitere Voraussetzung der Einigung auf einen einheitlichen Wahlvorschlag.
Dieses Merkmal ist nach dem eindeutigen Wortlaut des § 50 Abs. 3 Satz 1 GO NRW neben der Einstimmigkeit erforderlich und behält auch bei der analogen Anwendung der Norm auf den Austausch eines Ausschussmitgliedes seinen Sinn. Der Gesetzgeber hat das einvernehmliche Wahlverfahren bei der Besetzung von Ausschüssen an den Anfang der Regelung in § 50 Abs. 3 GO NRW gestellt, weil dies in besonderem Maße der guten Zusammenarbeit in den Ausschüssen dient.
Vgl. hierzu Kirchhof in: Held/Becker/Decker/Kirchhof/Krämer/Wansleben, Kommunalverfassungsrecht Nordrhein-Westfalen,Loseblattsammlung, Stand: Mai 2002, § 50 GO Anm. 6.5.
Da außerdem die zu wählenden Ausschussmitglieder namentlich benannt werden müssen, enthält das Wahlverfahren nach § 50 Abs. 3 Satz 1 GO NRW eine deutlich personenbezogene Komponente, die auch in der hier vorliegenden Situation ihre Berechtigung behält.
Ein einheitlicher Wahlvorschlag liegt indes nur dann vor, wenn er von allen Ratsmitgliedern oder jedenfalls von der Ratsmehrheit stammt.
Für das Ausreichen einer Ratsmehrheit Kirchhof in Held u. a., a. a.O.; offen gelassen von OVG NRW, Beschluss vom 27.09.2002, a.a.O..
Diese Voraussetzung liegt offenkundig nicht vor, wobei auch hier offen bleiben kann, ob bereits ein Vorschlag der Ratsmehrheit ausreichen würde. Der Vorschlag, den Antragsteller durch einen anderen sachkundigen Bürger zu ersetzen, wurde allein von der SPD-Fraktion als Minderheitsfraktion mit 8 von 36 Sitzen des Antragsgegners eingebracht. An dieser Situation ändert sich auch dadurch nichts, dass die Fraktionen UWG mit 5 Mitgliedern und Bündnis 90/Die Grünen mit 2 Mitgliedern dem Vorschlag der SPD in der Ratssitzung zugestimmt haben. Auch damit ist eine Mehrheit der Stimmen des Rates nicht erreicht worden.
Im Übrigen fehlt auch das Merkmal der Einigung der Ratsmitglieder auf einen einheitlichen Wahlvorschlag. Denn vor der Abstimmung im Rat hat die CDU-Fraktion unzweifelhaft deutlich gemacht, dass sie mit der Vorgehensweise der SPD-Fraktion nicht einverstanden ist. Der Antragsgegner verkennt insoweit, dass es nach der zitierten Entscheidung des OVG NRW gerade nicht ausreicht, wenn lediglich ein Gegenvorschlag fehlt.
Der Antragsteller hat auch den erforderlichen Anordnungsgrund glaubhaft gemacht. Würde der Ratsbeschluss über seine Abwahl umgesetzt, wäre er von der ihm im Interesse der Gemeinde zugewiesenen Mitwirkungsmöglichkeit im Umwelt-, Planungs- und Verkehrsausschuss der Stadt S. auf unabsehbare Zeit ausgeschlossen. Auch ein Erfolg im - noch nicht rechtshängig gemachten - Hauptsacheverfahren, in dem eine rechtskräftige Entscheidung unter Umständen erst nach Ende der Wahlperiode vorliegt, könnte die bis dahin unterbliebene Mitwirkung nicht rückwirkend ermöglichen, der Antragsteller würde daher seine kommunalverfassungsrechtliche Stellung endgültig verlieren. Aus den gleichen Gründen ist hier auch eine ansonsten grundsätzlich unzulässige Vorwegnahme der Hauptsache geboten. Diese liegt deshalb vor, weil die - vorläufige - weitere Mitarbeit in dem fraglichen Ausschuss später nicht mehr rückgängig gemacht werden kann. Im Hinblick darauf, dass nach derzeitigem Erkenntnisstand aus den oben dargelegten Gründen ein Erfolg in der Hauptsache wahrscheinlich ist und dass auf andere Weise effektiver Rechtsschutz nicht gewährt werden kann, ist die Hauptsache im tenorierten Umfang vorweg zu nehmen.
Eine Frist zur Erhebung der Klage in der Hauptsache hat die Kammer dem Antragsteller nicht gesetzt, weil ein entsprechender Antrag durch den Antragsgegner nicht gestellt worden ist,
vgl. insoweit § 123 Abs. 3 VwGO i. V. m. § 926 Abs. 1 ZPO.
Unterläßt der Antragsteller die Klageerhebung in angemessener Frist, ist es dem Antragsgegner unbenommen, in entsprechender Anwendung des § 80 Abs. 7 VwGO eine Änderung der vorstehenden Entscheidung zu beantragen. Ebenso könnte er die Ergänzung des Beschlusses um eine Frist zur Klageerhebung nach den genannten Vorschriften begehren.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO, wobei die von der Kammer tenorierte Befristung kein teilweises Unterliegen des Antragstellers darstellt, sondern lediglich der Klarstellung dient.
Die Festsetzung des Streitwertes beruht auf den §§ 20 Abs. 3 und 13 Abs. 1 Satz 2 GKG; im Hinblick darauf, dass faktisch eine Vorwegnahme der Hauptsache vorliegt, hat die Kammer davon abgesehen, den sog. Auffangstreitwert zu halbieren.
VG Köln:
Beschluss v. 19.03.2003
Az: 4 L 108/03
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