Oberverwaltungsgericht Nordrhein-Westfalen:
Beschluss vom 3. Juni 2004
Aktenzeichen: 13 B 337/04
(OVG Nordrhein-Westfalen: Beschluss v. 03.06.2004, Az.: 13 B 337/04)
Tenor
Die Beschwerde wird zurückgewiesen.
Die Kosten des Beschwerdeverfahrens tragen die Antragsgegnerin und die Beigeladene je zur Hälfte mit Ausnahme ihrer eigenen außergerichtlichen Kosten, die sie jeweils selbst tragen.
Der Streitwert wird auch für das Beschwerdeverfahren auf 2,44 Mio. EUR festgesetzt.
Gründe
Die zulässige Beschwerde, über die der Senat gemäß § 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO nur im Rahmen der Darlegungen der Beschwerdeführerin entscheidet, ist unbegründet.
Die im Verfahren nach §§ 80 Abs. 5, 80a Abs. 3 VwGO durchzuführende Interessenabwägung fällt zu Ungunsten der Antragsgegnerin aus. Die angefochtene Entgeltfestsetzung ist bei summarischer Prüfung mit großer Wahrscheinlichkeit jedenfalls im angegriffenen Umfang rechtswidrig und das Interesse der Antragstellerin, bis zur Entscheidung im Hauptsacheverfahren für die Leistungen NetCologne B.1 und B.2 der Beigeladenen nicht mehr zahlen zu müssen als sie für ihre entsprechende Leistung Telekom B.1 und B.2 verlangen darf, überwiegt das von der Antragsgegnerin vertretene wirtschaftliche Interesse der Beigeladenen. Die Beigeladene, die über ein modernes, von historisch begründeten Kosten freies Telekommunikationsnetz verfügt, kann ihre Leistungen NetCologne B.1 und B.2 für die Zeit des Rechtsstreits wie bisher zu den der Antragstellerin zugestandenen Entgelten für die entsprechenden Leistungen Telekom B.1 und B.2 erbringen, ohne dabei unzumutbare schwere Nachteile in ihrer Wettbewerbsfähigkeit oder Existenz zu erleiden. Unerheblich ist bei dieser Interessenabwägung, dass sich die bis heute nicht erfolgte Umsetzung des Gemeinschaftsrechts der Zugangsrichtlinie 2002/19/EG (Zugangs-RL) und der Rahmenrichtlinie 2002/21/EG (Rahmen-RL), auf die sich die Antragsgegnerin stützt, zu Lasten der Beigeladenen auswirkt. Denn die Nichtanwendbarkeit der von der Antragsgegnerin herangezogenen Richtlinienvorschrift scheitert in erster Linie am Fehlen einer ihrer Voraussetzungen. Ein Wettbewerber im Telekommunikationsbereich, der sich im dreipoligen Rechtsverhältnis auf eine Richtlinienvorschrift beruft, deren Voraussetzungen nicht vorliegen, ist vor Maßnahmen des vorläufigen Rechtsschutzes zu Gunsten des Drittem nicht gefeit.
Das Verwaltungsgericht hat seine dem Antrag auf vorläufigen Rechtsschutz stattgebende Entscheidung tragend darauf gestützt, dass § 39 Alt. 2 TKG eine Rechtsfolgevorschrift darstellt und auch für nicht marktbeherrschende Unternehmen gilt, der demnach entsprechend anzuwendende Maßstab des § 24 Abs. 1 Satz 1 TKG von der Regulierungsbehörde unstreitig nicht angelegt worden ist und diese nationale Vorschrift durch Art. 8 Abs. 3 i. V. m. Art. 13 Abs. 1 Zugangs-RL nicht verdrängt wird, weil die Voraussetzung des Art. 8 Abs. 3 Zugangs-RL, dass nämlich zuvor ein Einstufungsverfahren nach Marktanalyse durchzuführen ist, nicht vorlag. Die weitergehende Begründung des Verwaltungsgerichts unter Nr. 2.2 ff. zum Fehlen der notwendigen Bestimmtheit der genannten Richtlinienvorschrift für eine unmittelbare Geltung der nicht umgesetzten Richtlinien ist unabhängig von den schon allein tragenden Gründen unter Nr. 1. bis 2.1 des Beschlusses lediglich ein weiterer, das Entscheidungsergebnis untermauernder Gesichtspunkt.
Der Senat schließt sich bei summarischer Sicht dem dahingehenden Verständnis des Verwaltungsgerichts von Art. 8 Abs. 3 Zugangs-RL an, dass die Vorschrift die Durchführung eines Marktanalyseverfahrens nach Art. 16 Rahmen-RL voraussetzt. Hierfür spricht zunächst der Wortlaut "die nicht gemäß Absatz 2 eingestuft wurden", was als Wertung nach erfolgter Marktanalyse zu verstehen ist, und der innere Zusammenhang der Absätze 2 und 3 des Art. 8 Zugangs-RL. Das o. a. Verständnis trägt auch dem Sinn und Zweck von Marktanalyse und Einstufung Rechnung. Die Einstufung als Betreiber mit beträchtlicher Marktmacht setzt begrifflich eine wertende Entscheidung der tatsächlichen oder potentiellen Einflussnahme eines Unternehmens auf dem jeweiligen Markt auf der Grundlage einer analysierenden Betrachtung der örtlich und sachlich abgegrenzten Märkte und der dort entfalteten Kräfte voraus. Erst die so gewonnenen Erkenntnisse lassen eine zutreffende wertende Entscheidung erwarten, welches Unternehmen als Betreiber mit beträchtlicher Marktmacht - was nicht identisch ist mit der marktbeherrschenden Stellung eines Unternehmens im wettbewerbsrechtlichen Sinne - zu qualifizieren und in welchem Umfang mit Maßnahmen nach Art. 9 bis 13 Zugangs-RL zu belegen ist und warum andere Unternehmen insoweit unbetroffen bleiben können. Ob ein Marktanalyseverfahren auch eine Negativ-Entscheidung gegenüber einem letztlich nicht als beträchtlich marktmächtig beurteilten Unternehmen erfordert, mag offen bleiben. Jedenfalls aber setzt die Anwendung des Art. 8 Abs. 3 Zugangs-RL voraus, dass eine Marktanalyse mit Erfassung aller am Markt beteiligten Unternehmen überhaupt durchgeführt worden ist. Hieran fehlt es unstreitig. Für das vorliegend dargestellte Verständnis von Art. 8 Abs. 3 Zugangs-RL spricht ferner, dass es die Regulierungsbehörde bei einer Anwendung dieser Vorschrift auf alle - aus welchem Grund auch immer - nicht mit einer förmlichen Einstufungsentscheidung nach Art. 8 Abs. 2 Zugangs-RL belegten Unternehmen in der Hand hätte, bestimmte Unternehmen von vornherein aus der analytischen Betrachtung und Einstufung herauszunehmen und sie so - ggf. sogar bewusst - vor Maßnahmen nach Art. 9 bis 13 Zugangs-RL zu schonen. Schließlich ist bisher kein Unternehmen, wie die Antragsgegnerin richtig feststellt, als Betreiber mit beträchtlicher Marktmacht nach Art. 8 Abs. 2 Zugangs-RL eingestuft. Wenn die Antragstellerin gleichwohl - nach dem o. a. Verständnis konsequent - nicht dem Art. 8 Abs. 3 Zugangs-RL unterworfen worden ist und ihre Entgelte gleichwohl an Effizienzgesichtspunkten gemessen worden sind, ist nicht einzusehen, dass dies nicht ebenfalls im Fall der Beigeladenen gelten muss.
Soweit die Antragsgegnerin meint, die erstinstanzliche Entscheidung sei schon deshalb fehlerhaft, weil die Entgeltgenehmigung bzw. -festsetzung wegen ihrer Unteilbarkeit nur als Ganzes anfechtbar sei und deshalb die aufschiebende Wirkung der Klage nicht wegen eines Teilbetrages hätte angeordnet werden dürfen, führt das die Beschwerde nicht zum Erfolg. Die vom Verwaltungsgericht getroffene Entscheidung ist Ergebnis einer Abwägung gegenläufiger Interessen; vorläufiger Rechtsschutz gegen eine Entgeltfestsetzung zu Gunsten eines Dritten ist auch in der Form denkbar, dass das Entgelt nur bis zu einer bestimmten Höhe akzeptiert wird. Ob die angefochtene Entgeltfestsetzung als Ganzes rechtswidrig ist, mag offen bleiben. Die Antragstellerin hat gegen sie nicht in vollem Umfang einstweiligen Rechtsschutz beantragt; zudem lag eine Erstreckung des anzuordnenden Suspensiveffekts auch auf den unangegriffenen Teilbetrag nicht im Interesse der Antragsgegnerin und der Beigeladenen, wie gerade in der Beschwerde betont worden ist. Das erstinstanzliche Ergebnis ist als eine auf das Ausreichende, aber auch Notwendige beschränkte Maßnahme vorläufigen Rechtsschutzes, die ihrem Charakter nach etwas anderes darstellt als die Aufhebung einer Entgeltfestsetzung im Hauptsacheverfahren, inhaltlich nicht zu beanstanden. Im Übrigen ist die Konstellation des von der Antragsgegnerin und der Beigeladenen angeführten Senatsbeschlusses vom 1. August 2003 - 13 A 1499/01 - mit derjenigen des vorliegenden Falls insofern nicht vergleichbar, als dort die Aufhebung einer "nicht erfolgten Festsetzung" eines den zuerkannten Entgeltbetrag unbeziffert überschießenden Betrags begehrt war.
Auch wenn die Antragsgegnerin dies in der Beschwerde anders darstellt, kann davon ausgegangen werden, dass sie, wenn sie von der Nichtanwendbarkeit des Art. 8 Abs. 3 Zugangs-RL gewusst hätte, die Entgelte B.1 und B.2 hilfsweise oder vorläufig bis zur endgültigen Entscheidung zumindest in Höhe derjenigen der reziproken Leistungen der Antragstellerin festgesetzt hätte.
Mit dem Verwaltungsgericht geht daher auch der Senat bei summarischer Betrachtung davon aus, dass die Entgelte B.1 und B.2 über den als Rechtsfolgeverweisung zu verstehenden § 39 Alt. 2 TKG am Maßstab des § 24 Abs. 1 Satz 1 TKG zu messen sind. Die Regelung gilt auch für eine - wie hier - nach § 37 TKG angeordnete Zusammenschaltung bzw. für Zusammenschaltungsentgelte für einen nicht marktbeherrschenden Netzbetreiber. Sie enthält insoweit keine Beschränkung auf marktbeherrschende Unternehmen; im Gegenteil können Anordnungen nach § 37 TKG auch gegen nicht marktbeherrschende Netzbetreiber ergehen. Soweit die Beigeladene meint, die Anwendung des Maßstabs des § 24 Abs. 1 Satz 1 TKG nur auf marktbeherrschende Netzanbieter aus dem Europarecht oder aus der Reichweite der Regelung der entsprechenden Anwendung der in § 39 TKG aufgeführten Vorschriften herleiten zu können, folgt der Senat dem bei summarischer Sicht nicht.
Zunächst sieht Art. 7 Abs. 1 Zusammenschaltungs-Richtlinie 37/33/EG zwar die Anwendung des Grundsatzes der Kostenorientierung für gemeldete Organisationen mit beträchtlicher Marktmacht vor, schließt damit aber die Anwendung dessen auf nicht marktbeherrschende Unternehmen durch nationales Recht nicht aus. Art. 7 Abs. 1 Zugangs-RL und Art. 27 Rahmen-RL lassen lediglich Maßnahmen des alten Gemeinschaftsrechts fortbestehen, besagen aber nichts zu den Anwendungsvoraussetzungen des Art. 8 Abs. 3 Zugangs-RL und erst recht nichts zur Interpretation des § 39 TKG. Im Gegenteil sprechen die Übergangsregelungen eher für einen Fortbestand der bisherigen Auslegung nationalen Rechts wie des § 39 Alt. 2 TKG.
Es überzeugt ferner nicht, dass bei Anwendung der in § 39 TKG aufgeführten Vorschriften, wenn ihnen materiell ein möglicher Marktmissbrauch auf Grund marktbeherrschender Stellung zu Grunde liegt, zwischen marktbeherrschenden und nicht marktbeherrschenden Unternehmen unterschieden werden müsse. Der Maßstab des § 24 Abs. 1 Satz 1 TKG setzt weder ausdrücklich noch sinngemäß eine marktbeherrschende Stellung des Unternehmens voraus, das das zu prüfende Entgelt beansprucht. Der Ansatz der Beigeladenen führte dazu, dass bei angeordneter Zusammenschaltung zweier nicht marktbeherrschender Netzbetreiber kein telekommunikationsrechtlicher Entgeltmaßstab gelten würde und die vorgesehene entsprechende Anwendung des § 24 TKG leer liefe. Schließlich findet die Anwendung des Maßstabs aus § 24 Abs. 1 Satz 1 TKG auch auf nicht marktbeherrschende Unternehmen im Falle der Netzzusammenschaltung eine materielle Rechtfertigung, weil der nicht marktbeherrschende Zusammenschaltungspartner gegenüber dem an den genannten Maßstab gebundenen Marktbeherrscher insoweit in einer mächtigen Position ist, als er diesem ein Erreichen seiner - des ICP - Endkunden nur gegen einen möglicherweise überhöhten Preis aufzwingen könnte.
Die Nebenentscheidungen folgen aus §§ 154 Abs. 2 u. 3, 162 Abs. 3 VwGO und §§ 13 Abs. 1, 14 Abs. 1, 20 Abs. 3 GKG.
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).
OVG Nordrhein-Westfalen:
Beschluss v. 03.06.2004
Az: 13 B 337/04
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