Anwaltsgerichtshof Berlin:
Urteil vom 27. März 2012
Aktenzeichen: I AGH 12/11
(AGH Berlin: Urteil v. 27.03.2012, Az.: I AGH 12/11)
Das Strafvollzugsrecht ist "besonderes Verwaltungsrecht" im Sinne des § 8 Nr. 2 FAO.
Tenor
1. Die Beklagte wird verpflichtet, den Bescheid der Beklagten vom 20.04.2011, dem Kläger zugestellt am 28.04.2011, zum Aktenzeichen I PF 2275/07 aufzuheben und dem Kläger die Befugnis zu verleihen, die Fachanwaltsbezeichnung €Fachanwalt für Ver-waltungsrecht€ zu führen.
2. Die Beklagte trägt die Kosten des Rechtsstreits.
3. Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar. Die Beklagte darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 von Hundert des aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht der Kläger vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 von Hundert des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.
4. Der Wert des Streitgegenstandes wird endgültig auf 25.000,00 € festgesetzt.
Tatbestand
Die Parteien streiten über die Verleihung der Befugnis, eine Fachanwaltsbezeichnung zu führen.
Der Kläger ist zur Rechtsanwaltschaft zugelassenes Mitglied der Beklagten. Er beantragte bei der Beklagten die Verleihung der Befugnis, die Fachanwaltsbezeichnung €Fachanwalt für Verwaltungsrecht€ zu führen. Zum Nachweis seiner praktischen Kenntnisse reichte er eine Fallliste ein, in der sich u.a. vier Fälle aus dem Bereich des Strafvollzuges befinden. Nur bei Einbeziehung dieser vier Fälle erfüllt der Kläger das Zulassungskriterium des § 5 Abs. 1 Buchstabe a) Satz 1 FAO, wonach ein Antragsteller innerhalb von drei Jahren mindestens 30 gerichtliche Verfahren auf dem Gebiet des Verwaltungsrechts bearbeitet haben muss. Mit Bescheid vom 20. April 2011, dem Kläger zugestellt am 28. April 2011, lehnte die Beklagte den Antrag des Klägers ab. Zur Begründung führte sie aus, dass das Strafvollzugsrecht nicht dem €besonderen Verwaltungsrecht€ i.S.d. §§ 5 Abs. 1 Buchstabe a) Satz 1, 8 Nr. 2 FAO zuzuordnen sei, sondern gemäß § 13 Nr. 3 FAO allein dem Kenntniskatalog für den €Fach-anwalt für Strafrecht€.
Hiergegen hat der Kläger Anfechtungsklage bei Gericht am 30. Mai 2011 eingereicht. Er ist der Auffassung, das Strafvollzugsrecht sei dem €besonderen Verwaltungsrecht€ i.S.d. §§ 5 Abs. 1 Buchstabe a) Satz 1, 8 Nr. 2 FAO zuzuordnen, weil es hoheitliches Handeln des Staates gegenüber dem Bürger regele und weil die Rechtsbehelfe, die die §§ 108 ff. StVollzG gegen Entscheidung betreffend das €Wie€ der Vollstreckung eröffnen, dem Rechtsschutz der VwGO ähnele.
Der Kläger beantragt,
den Bescheid der Antragsgegnerin vom 20.4.2011 aufzuheben und die An-tragsgegnerin zu verpflichten, dem Antragsteller die Befugnis zu verleihen, die Fachanwaltsbezeichnung €Fachanwalt für Verwaltungsrecht€ zu führen.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Gründe
I.
Die Klage ist gemäß § 112c Abs. 1 Satz 1 BRAO, §§ 42, 74 VwGO zulässig; sie ist insbesondere statthaft und wurde fristwahrend eingelegt, nachdem der 28. Mai 2011 ein Samstag war. Die Durchführung eines Widerspruchsverfahrens vor Klageerhebung war gemäß § 112c Abs. 1 Satz 1 BRAO, § 68 Abs. 1 Satz 2 1. Alt. VwGO, § 26 Abs. 5 AZG-Bln nicht erforderlich.
II.
Die Klage ist auch begründet.
Denn die Beklagte hat es nach Auffassung des Senats zu unrecht abgelehnt, das Strafvollzugsrecht dem €besonderen Verwaltungsrecht€ i.S.d. §§ 5 Abs. 1 Buchstabe a) Satz 1, 8 Nr. 2 FAO zuzuordnen. Dies ergibt sich aus Folgendem:
1.
Der Senat verkennt nicht, dass eine Reihe von Gründen gegen die genannte Zuordnung sprechen:
So spricht einiges dafür, dass das Unterlassen der Nennung des Strafvollzugsrechts im Kenntniskatalog des €Fachanwalts für Verwaltungsrecht€ auf einer bewussten Regelungsentscheidung der ordnungsgebenden Satzungsversammlung beruht, wonach die Kenntnisbereiche des €Fachanwalts für Verwaltungsrecht€ und des €Fachanwalts für Strafrechts€ in Bezug auf das Strafvollzugsrechts sich nicht überlappen, sondern voneinander getrennt sein sollten. Denn die ordnungsgebende Satzungsversammlung hat eine Fülle anderer, sachlich ambivalenter Rechtsbereiche € wie etwa das öffentlichen Baurecht (§§ 8 Nr. 2 Bauchstabe a, 14e Nr. 4 FAO), Gewerbesteuerrecht (§§ 8 Nr. 2 Bauchstabe b, 9 Nr. 3 Buchstabe a FAO), Umweltrecht (§§ 8 Nr. 2 Buchstabe d, 14m Nr. 2 Buchstabe b FAO), Handwerks- und Gewerberecht (§§ 8 Nr. 2 Buchstabe c, 14i Nr. 3 FAO), Bilanzwesen (§§ 9 Nr. 1, 14i Nr. 2 Buchstabe f FAO), Steuerrecht (§§ 9 Nr. 3, 14i Nr. 9, 14i Nr. 2 Buchstabe f), Erbschaftssteuer (§§ 9 Nr. 3 Buchstabe c, 14f Nr. 5 FAO), Steuerstrafrecht (§§ 9 Nr. 4, 13 Nr. 2 FAO), Sozialversicherungsrecht (§§ 10 Nr. 1 Buchstabe e, 11 Nr. 2 Buchstabe a FAO), Fahrzeugversicherungsrecht (§§ 14a Nr. 5, 14d Nr. 2 FAO), Pachtrecht (§§ 14c Nr. 2, 14m Nr. 1 Buchstabe a FAO), Wettbewerbsrecht (§§ 14h Nr. 4, 14j Nr.5 FAO), Urheberrecht (§§ 14h Nr. 5, 14j Nr.1 FAO) und Gesellschaftsrecht (§§ 14 Nr. 1 Buchstabe k, 14i Nr. 2 FAO) € bedacht und sodann ausdrücklich mehreren Kenntniskatalogen zugeordnet. Eine solche ausdrückliche Doppelnennung hat die ordnungsgebende Satzungsversammlung im Falle des Strafvollzugsrechts jedoch unterlassen.
Gegen die Einbeziehung des Strafvollzugsrechts in den Kenntniskatalog des €Fachanwalts für Verwaltungsrecht€ spricht auch das übliche juristische Zuordnungs- und Sprachverständnis. Denn danach wird das einfache Recht in drei voneinander getrennten Bereiche, nämlich das Zivilrecht, das öffentliche Recht und das Strafrecht, unterteilt. Das Strafvollzugsrecht wird dabei dem Bereich des Strafrechts zugeordnet, während das Verwaltungsrecht demjenigen des öffentlichen Rechts zugeordnet wird.
Gegen die Einbeziehung des Strafvollzugsrechts in den Kenntniskatalog des €Fachanwalts für Verwaltungsrecht€ kann ferner die Regelungssystematik der §§ 1, 8 ff. FAO angeführt werden. Denn mit dem Argument, dass alles hoheitliche Handeln dem €besonderen Verwaltungsrecht€ zugeordnet ist, wäre auch das gesamte Steuerrecht und das gesamte Sozialrecht dem besonderen Verwaltungsrecht zuzuordnen. Die Zuordnung des Steuerrechts sowie des Sozialrechts zum €besonderen Verwaltungsrecht€ hätte indessen zur Folge, dass der €Fachanwalt für Sozialrecht€ in Wahrheit ein kenntnisärmerer - weil nur in einem besonderen Verwaltungsrechtsbereich mit besonderer Kenntnis ausgestatteter - €Fachanwalt für Verwaltungsrecht€ wäre. Ähnliches träfe im Kern auch für den €Fachanwalt für Steuerrecht€ zu, der gegenüber dem €Fachanwalt für Verwaltungsrecht€ dann lediglich über zusätzliche Kenntnisse in wenigen, sich anschließenden Randbereichen des Steuerrechts, wie etwa der Buchführung und dem Steuerstrafrecht verfügen würde. Das Verständnis des €Fachanwalts für Sozialrecht€ und €Fachanwalts für Steuerrecht€ als gleichsam kleiner €Fachanwalt für Verwaltungsrecht€, steht jedoch in Widerspruch zu der Regelungssystematik der §§ 1, 8 ff. FAO, die diese Fachanwaltsgruppen ungestuft und gleichwertig ne-beneinander stellen.
Gegen die Einbeziehung des Strafvollzugsrechts in den Kenntniskatalog des €Fachanwalts für Verwaltungsrecht€ sprechen schließlich in gewissem Umfang die typischen Bedürfnisse desjenigen Teils des rechtssuchenden Publikums, der Beratung im Bereich des Strafvollzugsrechts benötigt. Denn wer Beratung im Bereich des Strafvollzugsrechtes sucht, hat in aller Regel zuvor ein Strafverfahren durchlaufen und war dort von einem Strafverteidiger vertreten. Der Beratungsbedarf im Strafvollstreckungsrecht stellt sich daher aus Sicht des betroffenen rechtssuchenden Publikums als Annexbedarf zum Beratungs- und Vertretungs-bedarf im Strafprozess dar. Folglich ist es naheliegend, dass sich der Rechtssuchende in strafvollstreckungsrechtlichen Angelegenheiten an seinen ehemaligen Strafverteidiger wendet. Der Strafverteidiger wird aber in aller Regel kein €Fachanwalt für Verwaltungsrecht€ gewesen sein.
2.
Der Senat meint jedoch, dass im Rahmen der Gesamtabwägung der Argumente folgender Überlegung entscheidendes Gewicht zukommt:
Im Ausgangspunkt darf nach §§ 5 Abs. 1 Buchstabe a) Satz 1, 8 Nr. 2 FAO den Fachanwaltstitel führen, wer über eine hinreichende Bandbreite verwaltungsrechtli-cher Kenntnisse und Erfahrungen verfügt. Dabei müssen sich die bearbeiteten Fälle auf das besondere Verwaltungsrecht beziehen, ohne dass dieser Begriff näher in der Vorschrift definiert wird. § 8 Nr. 2 FAO führt einige - wichtige - Teilrechtsgebiete auf, ist aber nicht abschließend (so die überwiegende Meinung im Schrifttum: Quaas in Gaier/Wolf/Göcken, Anwaltliches Berufsrecht, 2010, § 5 FAO Rn. 30 ff.; ähnlich Offermann-Burckert in Henssler/Prütting, BRAO, 4. Aufl., § 5 FAO Rn. 73 und 67: maßgeblich, dass eine Frage aus dem Verwaltungsrecht €erheblich ist oder erheblich sein kann€; vgl. auch BGH, BRAK-Mitt. 2006, 131, Rdnr. 22 zit. nach Juris, für den Fachanwalt für Steuerrecht; unklar hingegen Vossebürger in Feuerich/Weyland, BRAO, 8. Aufl., § 8 FAO Rn. 5).
Das Strafvollzugsgesetz und seine ergänzenden Vorschriften haben indessen viel Übereinstimmung mit dem Verwaltungsrecht. So es geht z.B. bei der gerichtlichen Überprüfung von Strafvollzugsmaßnahmen um solche, die den Charakter eines Verwaltungsaktes haben, aber auch darüber hinaus gehen können, wie z.B. Realakte. Auch hat das Strafvollzugsgesetz in seinen besonderen Teilen verwaltungsrechtliche Inhalte. So geht es dort u.a. um Religionsausübung (§§ 53 ff), um Gesundheitsfürsorge (§§ 56 ff), Soziale Hilfe (§§ 71 ff), um Sicherheit und Ordnung - ein Begriff, der sonst vorzugsweise im Verwaltungsrecht anzutreffen ist - (§§ 81 ff) sowie um Disziplinarmaßnahmen (§§ 102 ff) und unmittelbaren Zwang § 178). In § 109 StVollzG ist von einem Verwaltungsvorverfahren die Rede.
Überdies gehört der Strafvollzug zur öffentlichen Gewalt im Rahmen eines besonderen Gewaltverhältnisses, wie etwa bei Schülern und sonstigen Anstaltsnutzern; die Zuordnung des Rechtswegs zu den Strafvollstreckungskammern wird als eine Spezialregelung gegenüber § 40 Abs. 1 VwGO angesehen (vgl. Schmidt-Aßmann, Stand 63. Erg.Lfg. 2011, Art. 19 GG, Rn. 87),
Zudem sieht § 8 Nr. 2 FAO für die nachzuweisenden Kenntnisse in zwei Bereichen des besonderen Verwaltungsrechts nur für einen dieser Bereiche den Nachweis von Kenntnissen in gleichsam Kernbereichen des besonderen Verwaltungsrechts vor, wie öffentliches Baurecht, Umweltrecht etc., und beschränkt den zweiten Bereich des besonderen Verwaltungsrechts nicht. Insofern würden daher auch Kenntnisse in abgelegenen Spezialgebieten besonderen Verwaltungsrechts ausreichen, beispielsweise Recht der offenen Vermögensfragen oder spezielle Beschlusskammerverfahren im Telekommunikationsrecht, also Gebiete, die das rechtssuchende Publikum bei der Suche nach einem Fachanwalt für Verwaltungsrecht nicht auf Anhieb vermuten dürfte, und bei denen der Rechtsweg auch nicht unbedingt zu den Verwaltungsgerichten führt.
Schließlich besteht nicht die "Gefahr", dass Strafverteidiger ohne weiteres Fachan-wälte für Verwaltungsrecht werden, weil es eben zusätzlich des Nachweises der Kenntnisse in den Kernbereichen des besonderen Verwaltungsrechts gemäß § 8 Nr.2 a) - e) FAO zusätzlich bedarf.
III.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 112c Abs. 1 Satz 1 BRAO, §§ 154 Abs. 1, 161 Abs. 1 VwGO. Die Vollstreckbarkeitsentscheidung folgt aus § 112c Abs. 1 Satz 1 BRAO, § 167 Abs. 1 VwGO, §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO. Die Wertfestsetzung beruht auf § 194 Abs. 1 BRAO i.V.m. § 52 Abs. 1 GKG.
AGH Berlin:
Urteil v. 27.03.2012
Az: I AGH 12/11
Link zum Urteil:
https://www.admody.com/urteilsdatenbank/76593ca613c5/AGH-Berlin_Urteil_vom_27-Maerz-2012_Az_I-AGH-12-11